An die Liebe

[146] 1771.


Holde Liebe, welchen Jüngling du

Dir zum Freund erkoren,

Dem wird jeder Augenblick zur Ruh

Und zum Glück geboren!

Fröhlich sieht sein blühendes Gesicht

Jeden Tag entstehen;

Fröhlich sieht er ihn im Purpurlicht

Wieder untergehen.


Alle Vögel singen ihm im Hain

Süße Melodieen;

Jedes Blümchen wünscht ihm schön zu sein,

Und für ihn zu blühen.

Jede Rose fühlet süße Lust,

Die sein Finger pflücket;

Weil er sie an die geliebte Brust

Seines Mädchens drücket.


Süße Freude trinkt er mit dem Blut

Von des Weingotts Reben;

Von beglückten Träumen, wenn er ruht,

Ist sein Haupt umgeben.

Sein Erwachen ist ein Übergang

Zu beglücktern Scenen;

Heiter eilt er, unter Lustgesang,

In den Kreis der Schönen –[146]


Aber, welche Stunden voller Schmerz

Drohn des Jünglings Leben,

Der umsonst sein jugendliches Herz,

Göttin, dir ergeben!

Ihm verlängert jeder Augenblick

Sich zu bangen Stunden!

Mit den Kinderjahren ist das Glück

Ewig ihm verschwunden.


Thränen fließen ihm im bangen Traum

Von den blassen Wangen,

Und er sieht die Morgensonne kaum

Am Olympus prangen.

Hoffnungslos sieht er den Winter fliehn

Und den Schnee verschwinden;

Traurig schleicht er durch den Frühling hin,

Kann ihn nicht empfinden.


Sieht mit kaltem Blick die junge Flur

Sich allmählich färben;

Halberstorbne Blümchen pflückt er nur,

Wünscht, wie sie, zu sterben.

Jedes Mädchen lockt ihm Thränen ab,

Das dem seinen gleichet;

Jeden Hügel wünscht er sich zum Grab,

Wo er einsam schleichet.


Die geliebte kleine Nachtigall

Singt ihm Grabelieder;

Endlich sinkt er, wie im Sonnenstrahl

Welke Blumen, nieder.

Seine Seele, die der Liebe Joch

Jahrelang getragen,

Irrt um das geliebte Mädchen noch,

Und zerfleußt in Klagen.[147]


Göttin Liebe! Will es mein Geschick,

Daß auch ich dir diene;

O so lächle mir mit holdem Blick,

Geuß in Daphnens Miene

Deine milde Flamme, daß sie mir

Sanft entgegen strahle,

Und ich dankbarliche Lieder dir

Jeden Tag bezahle!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 146-148.
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