Trauerlied einer Braut

[300] Die Totenglocke läutet

Entsetzen in mein Ohr;

Die Bahre kömmt, begleitet

Von banger Freunde Chor;

Sie tragen den Geliebten,

Den mir die Liebe gab,

Hinweg von der betrübten,

Gekränkten Braut ins Grab.


Des Chores dumpfe Töne

Erschallen feierlich!

»Welt, packe dich! ich sehne

Nur nach dem Himmel mich!«

Ja, guter, guter Himmel,

Ich sehne mich nach dir!

In diesem Weltgetümmel

Bleibt keine Freude mir.[300]


Ach Gott! zu Freudenfesten

War schon mein Haupt geschmückt!

Da hast du mir den besten

Der Jünglinge entrückt.

Ihn riß aus meinen Armen,

Auf deinen Wink, der Tod;

O fühl auch jetzt Erbarmen,

Und ende meine Not!


Laß bald die Stunde kommen,

Die meinen Bräutigam,

Den Zärtlichen, den Frommen,

Mit sich gen Himmel nahm!

Da sucht er jetzt, bekümmert

Auf Auen voller Licht,

Mich, die hier einsam wimmert,

Und ach, erblickt sie nicht.


Willst du, daß seine Freude

Ganz Himmelsfreude wird,

So seh' die Flur uns beide,

Wo er jetzt einsam irrt!

Bring unter lautem Segen,

Von Engeln angestimmt,

Ihm seine Braut entgegen,

Die hier in Thränen schwimmt!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 300-301.
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