Ein Sklave

[45] (Louvre)


Du bist der Schmerz,

der fremde Augen meidet,

der, übertief,

die eignen Augen schließt,

du bist der Schmerz,

der ohne Tränen leidet,

weil sich ihr Strom

nach innen stumm ergießt.

Ein ratlos Fliehn

todwilder Wehgedanken

tobt hinter deiner Lider

schlaffem Fall ...

Sie brechen aus ...

Zurück in ihre Schranken

peitscht sie Vernunft

mit spitzem Geißelknall.

Nun stehn sie eng,

wie angstgedrängte Pferde,

tiefköpfig, zitternd,

blutig, schaumbedeckt ...

und stürzen endlich

wie vom Blitz zur Erde,

von einem letzten Schlag

zu Tod erschreckt.

Und, der sie hegt, dein Leib,

er will mit ihnen[46]

zu Boden stürzen –

Ah! ... Aufbrennt das Mal

umschnürter Brust ...

Du stöhnst ... Mit starren Mienen

erträgst du weiter

deines Loses Qual.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 3, Basel 1971–1973, S. 45-47.
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