Wo ein Aas ist, versammeln sich die Adler.

[71] Indem Hartknopf und der Emeritus noch im tiefen Gespräch begriffen waren, hörten sie Fußtritte den Berg herauf, und wunderten sich, daß sie schon so früh Gesellschaft bekamen – als sie von der westlichen Seite die beiden Weltreformatoren Küster und Hagebuck hinaufklimmen sahen, welche mit einem Trupp der Gellenhausischen Jugend die Sonne wollten aufgehen sehen – sie waren aber ein wenig zu spät gekommen.

Sie kamen mit viel Geräusch und Lerm, und Hartknopf und der Emeritus zogen sich in eine kleine Bucht am Abhange des Hügels zurück – und überließen ihren Platz den Weltreformatoren – diese nahmen ihn denn auch feierlich in Besitz; Hagebuck ließ seine Zöglinge sich im Kreise umherstellen, und zeigte ihnen von dieser Höhe alle Herrlichkeit der Welt – darauf stellte er sich hin, und hielt eine Rede an den ganzen[72] Erdkreis, den er aufforderte, das Licht, welches ihm nun so wohlthätig aufgesteckt würde, willig anzunehmen, und die Nacht der Vorurtheile fahren zu lassen – hierauf redete er von dem Berge die Stadt Gellenhausen an, daß sie doch ihr wahres Wohl nicht verkennen, und sich dem wohlthätigen Einfluß der allgemein sich verbreitenden Aufklärung nicht widersetzen möchte – dann redete er die Gellenhausische Jugend an, daß sie dieß erhabne Schauspiel des Aufgangs der Sonne doch recht empfinden sollten – Und nun fing er an, ein Gedicht in Hexametern auf den Sonnenaufgang vorzulesen, welches sich anhub:


O seht, wie die blitzende Sonn' im Strahlengewande emporsteigt,

In majestätischer Pracht, ihr Völker grüßt ihr entgegen,

Jud', und Türke, und Christ, und selbst der schwärzeste Neger,

Sey von Danke belebt, daß ihm der Sonn' Antlitz zulächelt –


Indem nun Hagebuck noch weiter fortlesen wollte, zog sich auf einmal ein trüber Nebelschleier[73] vor die Sonne, der schon lange im Aufsteigen begriffen war, und sie nun ereilte; dadurch war Hagebucken sein ganzes Koncept verdorben – denn das Gedicht war ganz lokal, und es sollte nun eins nach dem andern daran kommen; Hügel, Bäche und Thäler, wie sie allmälich vom Strahl der Sonne vergoldet wurden, und wie nun der Thau auf den Blumen blitzte – Das war nun alles vergeblich – der Thau blitzte nicht mehr auf den Blumen – die Spitzen der Hügel wurden nicht mehr vergoldet – Hagebuck machte eine lange Pause, und wartete, daß der Nebel sich wieder wegziehen sollte – aber der Nebel zog sich nicht wieder weg – Darüber wurde Hagebuck verdrießlich, und als ihm der alte lahme Pudel des Gastwirths Knapp, der Hartknopfen begleitet hatte, zu nahe kam, so gab er ihm mit dem Fuß einen Stoß, daß das arme schwache Thier nach einem lauten Schrei verschied – Das war also an diesem Morgen des Pudels letzter Gang gewesen –

Daß er von Hagebuck den unsanften Stoß erhielt, kam bloß daher, well er dem Gastwirth Knapp angehörte, der Hagebucken beständig[74] ein Dorn im Auge gewesen war – denn er warnte das Volk – und so oft Hagebuck mit ihm reden wollte, war seine Rede beständig ja! ja! nein! nein! gewesen.


Hartknopf hatte in seiner Bucht den Schrei des Hundes vernommen, und der Emeritus hatte den Stoß gesehen – Da ergrimmte Hartknopf im Geiste, und sprang auf, pakte den erschrocknen Hagebuck bei der Brust und sagte: »Unmensch, was hat dir der Hund gethan, daß du ihn todtgetreten hast?« – Er ist mir zu nahe gekommen – – er hat mich gebissen – stammelte Hagebuck zitternd und zagend – »Er ist dir nahe gekommen, aber er ist dir nicht zu nahe gekommen und hat dich auch nicht gebissen« – erwiederte Hartknopf und schüttelte ihn noch stärker – Um Gottes willen laß mich, flehte Hagebuck, und mach mich nicht zu Schanden vor dem Volk! Ich will dir für den Hund ein Stück Geld bezahlen – mußte er denn nicht so bald verrecken – »Daß du verdammt seyst mit deinem Gelde!« sagte Hartknopf, und stieß ihn von sich, daß er einige Schritte rückwärts taumelte, dann seinen[75] Haufen um sich her versammelte, und schnell mit ihnen den Berg herunter eilte. –

Und als er unten am Fuß des Berges war, mußten sich alle niedersetzen, und er hielt ihnen eine Vorlesung, von der boshaften Nachsucht, und stellte Hartknopfen zum Beispiel auf – und von der Großmuth und der süßen Pflicht zu verzeihen, wozu er die Beispiele größtentheils aus seinem eignen Leben hernahm. –

Oben auf dem Berge war nun das Feld wieder rein – Hartknopf und der Emeritus nahmen noch eine Weile ihren Platz wieder ein – und der Nebel verzog sich, sobald Hagebuck verschwunden war, und die Sonne glänzte wieder in aller ihrer Klarheit.

Dieß wäre nun freilich so etwas zufälliges, das kaum bemerkt zu werden verdiente – wenn nicht in den Seelen der Menschen eine gewisse Harmonie und Disharmonie mit der sie umgebenden Natur statt fände – so daß bei dem einen alle äußere Veränderungen in der Natur, in die natürlich auseinander folgenden Veränderungen seines Ichs harmonisch eingreiffen – und hingegen bei dem andern eine ewige Dissonanz[76] aller äußern Umstände mit seinen innern Wünschen und Bestrebungen statt findet. –

Hartknopfs Seele traf immer wie eine richtig gestellte Uhr mit dem Lauf der Sonne, mit Abend und Morgen, mit der Abwechselung der Jahrszeiten, mit Sturm und Regen sowohl, als mit dem Säuseln des Westwindes, auf einen Punkt zusammen – und eben so war es auch bei dem Emeritus Elias – sie gaben wie nicht zu schlaff und nicht zu stark gespannte Saiten in dem großen Konzert der Schöpfung immer den rechten Ton an – ihnen konnte nichts mehr unerwartet kommen, nichts den Frieden ihrer Seelen stören – sie waren in dem großen Zusammenhange der Dinge, und in sich selbst gesichert. –

Als hingegen Hagebuck seine Hexameter deklamiren wollte, so zog sich auf einmal ein Nebelstreif vor die Sonne – und es war auf einmal zwischen ihm und der Natur eine gänzliche Dissonanz, die der arme lahme Pudel noch vermehrte, den er auch dafür in den Staub darnieder trat – Was hätte er wohl mit der ganzen Natur gethan, wäre er in diesem Augenblick ihr Herr gewesen?[77] – aber er fühlte seine Ohnmacht, da Hartknopf ihn schüttelte – und knirschte in der Tiefe seiner Seele, daß er die Obermacht des Gerechten anerkennen, und vor ihm wieder in Staub versinken mußte. –

Wohl dem, wer sich mit der großen Natur so steht wie Hartknopf und der Emeritus! – der darf nicht Pest, nicht Theurung, nicht Ueberschwemmung fürchten – nicht Krankheit, nicht Verwesung – er schlummert so sicher auf dem Schooß und in dem Schooß der Erde, wie das Kind im Schooß der Mutter – –

Der alte lahme einäugige Pudel lag nun da in süßer Ruhe – er mußte in seinem Leben oft Hunger und Kälte ausstehen, mußte manchen Fußtritt erdulden – – aber keiner war ihm doch so hart gefallen, als der von Hagebuck, welcher seinem sinkenden Alter den Rest gab. –

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Eine Allegorie, Berlin 1786, S. 71-78.
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Andreas Hartknopf. Eine Allegorie
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