Zweiter Auftritt.

[60] Gontran und Colas.


COLAS. Pardon, mein Kapitän – wenn ich unser Abendessen noch auf kurze Zeit hinausgeschoben – aber ich weiß, daß meine Schwester Christine –

GONTRAN zieht ihn heran. Was weißt du, Colas?

COLAS. Daß Christine Sie verehrt –[60]

GONTRAN. Verehrt?

COLAS. Wie wir alle!

GONTRAN. Wie ihr alle! Ihr seid treue, edle Herzen, ich danke euch!

COLAS. Danken! Sappristi, Kapitän, danken wir Euch nicht, daß ich überhaupt noch lebe?

GONTRAN. Dasselbe kann ich dir sagen!

COLAS. O, es war ein sichtbares Zeichen der Vorsehung, daß ich Sie, mein Kapitän, in meine Heimat führen durfte.

GONTRAN bedeutungsvoll. Ja gewiß, es war die Hand der Vorsehung!

COLAS. Und wir sind so glücklich mit Ihnen, Sie dürfen uns nicht mehr desertieren. Gefangen und festgehalten!

GONTRAN. Mein braver Junge! Du vergißt, daß euer freundliches Haus ein Plätzchen braucht für den Gatten deiner Schwester!

COLAS. Das meine ich ja eben!

GONTRAN. Wie–?

COLAS. Seht, Kapitän, wenn ein Herr wie Ihr wirklich für ein einfaches Landmädchen wie Christine, eine – wie Therese sagt –

GONTRAN. Was sagt Therese?

COLAS. O, sie ist gescheiter als sie aussieht und hat längst bemerkt, daß auch Christine –

GONTRAN. Auch Christine?

COLAS schlägt sich auf den Mund. Aber ich schwatze da, und Sie sind bewegt, Kapitän – pardon, Therese hat's eingebrockt, sie soll's auch austrinken. Er geht ab ins Haus.

GONTRAN allein. Wär' es möglich, was mein Herz noch nicht zu hoffen gewagt? Christine liebt mich! Nein! Noch hat sie selbst mit keinem Wort es verraten, was mich so selig, so überglücklich machen würde. Nie hätte ich sie sonst an ihr Versprechen gemahnt, nie an die Erfüllung ihres Schwures sie erinnert, wenn ich nicht die Gewißheit erlangt, daß ihre Liebe allein entscheide.

Nr. 10. Romanze.


GONTRAN.

:|: Nein, nein, ich will ihr Herz nicht zwingen,

Kein Opfer fordern ihrer Pflicht, :|:[61]

Kann mir das Höchste nicht gelingen,

Der Holden Liebe zu erringen,

:|: So fordr' ich ihre Hand auch nicht! :|:

Die Liebe schwebt auf feinen Schwingen,

Wie Blumenduft und Sonnenlicht;

Wann ihrer Seele Saiten klingen,

Ihr Mund das süße Wort mir spricht,

Dann werd' ich selig sie umschlingen,

Ihr sagen: den dein Herz erkor,

Er ist's, dem deine Pflicht einst schwor!

Doch wenn sie schweigt,

Kalt von mir weicht –

Mich haßt vielleicht?

Dann –

:|: Nein, nein, ich will ihr Herz nicht zwingen,

Kein Opfer fordern ihrer Pflicht, :|:

Kann ich nicht ihre Lieb' erringen,

Entflieh' ich dieses Zaubers Schlingen,

:|: Ob auch mein Herz darüber bricht! :|:


Noch heute will ich mir Gewißheit verschaffen und mit Christinen – Er wendet sich zum Hause. Ha – da ist sie!

Christine kommt, ohne ihn zu sehen, von rechts aus dem Hintergrund.


Quelle:
Ignaz Brüll: Das goldene Kreuz, nach dem Französischen von H.S. von Mosenthal, Leipzig [o. J.], S. 60-62.
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