Vierter Auftritt.

[66] Kurzes Zwischenspiel, währenddessen Gontran entzückt die zweifelnde Christine betrachtet.

Nr. 12. Szene und Duett.


GONTRAN.

Darf ich's glauben, wenn ich scheide,

Daß dein Herz darunter leide?

Sprich, Christine, ach, entscheide,

Gib mir :|: Leben oder Tod! :|:

CHRISTINE.

Warum foltert Ihr uns beide,

Ach, Ihr seht ja, wie ich leide;

Fordert nicht, daß ich entscheide,

Denn mich zwingt der Pflicht Gebot!

GONTRAN.

Doch dein Herz?

CHRISTINE.

Ich darf's nicht fragen.

GONTRAN.

Es verriet dich!

CHRISTINE.

Ew'ge Huld!

GONTRAN.

Laß es an das meine schlagen,

Laß mich dich durchs Leben tragen,

:|: Was mir deine Blicke sagen,

Sprich es aus: du liebst mich! :|:[66]

CHRISTINE.

Ja!

GONTRAN.

Welche Wonne, ha, was hör' ich!

CHRISTINE.

Dir gehör' ich, dir gehör' ich!

Seit dem Tag, da ich dich sah!

GONTRAN.

Welche Wonne, welch Entzücken!

CHRISTINE.

Nein, ich kann es nicht ersticken,

Was das Herz mir flammend schwellt.

GONTRAN.

Laß an meine Brust dich drücken,

Meine Braut!

CHRISTINE bebend, sich von ihm losmachend.

O Herr der Welt!

GONTRAN.

Du entfliehst mir?

CHRISTINE.

Fort, eitle Schwäche!

Ob auch das Herz mir blutend breche,

Grausamer! durch deine Schuld!

GONTRAN.

Du verklagst mich?

CHRISTINE.

Muß ich nicht?

Treulos bin ich meiner Pflicht!

Keinen Zweifel, ach, kein Schwanken

Kannten jemals die Gedanken,

Bis man dich, den teuren Kranken,

In dies stille Haus gebracht.

Und seitdem ich dich gefunden,

Blut' ich selbst aus bittren Wunden,

Ich vergaß, daß ich gebunden;

:|: Elend :|: hast du mich gemacht!

GONTRAN.

Um dich zweifach zu beglücken

Mit Vertrauen, mit Entzücken

Dich an dieses Herz zu drücken,

:|: Hat der Himmel mich gesandt. :|:

Holdes Bild der holden Treue,

Du verlobst dich mir aufs neue,

Ohne Kampf und ohne Reue

Reich mir die geliebte Hand!

CHRISTINE.

Gott, wie fass' ich das?[67]

GONTRAN.

Der hier –

Einst von deinem Flehn bewogen

Für den Bruder fortgezogen,

Er steht vor dir!

CHRISTINE.

Ihr? Ist's Wahrheit, was ich höre?

Ihr sein Retter?

GONTRAN.

Ja, ich schwöre!

CHRISTINE.

Ist es kein Traum?

GONTRAN.

Jetzt bist du mein –

CHRISTINE.

Dein auf ewig! ewig dein!

GONTRAN, DANN CHRISTINE.

Welche Wonne, welch Entzücken,

Frei, erlöst von jeder Pflicht,

Darf ich dich ans Herz nun drücken,

Du bist mein, mein Lebenslicht.

CHRISTINE. Ich kann es noch nicht fassen! Welches Wunder der Vorsehung, Ihr, den sich mein Herz erkoren, Ihr seid es, der mir der Mutter teures Vermächtnis, mein goldenes Kreuz zurückbringt.

GONTRAN. Das goldene Kreuz?

CHRISTINE. O gebt es mir, ich schwöre, daß es mein Brautschmuck sein soll!

GONTRAN. Das goldene Kreuz – ich habe es nicht –

CHRISTINE zurückfahrend. Wie, Ihr habt es nicht?

GONTRAN. Es liegt unter dem Schnee von Wilna, wo ich vor zwei Jahren im ersten Treffen verwundet niedersank. Ich hielt es in der Hand, um es einem Kameraden zu geben, der es dir mit deiner Freiheit zurückbringen sollte.

CHRISTINE. Mir? Und Sie wissen doch, daß ich bis heute darauf warte!

GONTRAN. Vielleicht fiel er selbst der nächsten Kugel zum Opfer –

CHRISTINE heftig. Sie wissen doch, daß ich dem Unbekannten, der mir das Kreuz bringt, durch meinen Schwur verpfändet bin, daß vielleicht heute schon unter den Heimkehrenden der berechtigte Bewerber –

GONTRAN. Christine, wie, Zweifel an meinem Wort?

CHRISTINE. Das meine muß mir heilig sein![68]

GONTRAN. Bürgt Ihnen das Ehrenkreuz auf meiner Brust nicht, das ich an der Stelle Ihres goldenen Kreuzes trage? Nun wohl, Sie verletzen mich, aber ich liebe Sie, und will meinen Stolz meiner Liebe zum Opfer bringen. – Es war vor zwei Jahren, am fünften Mai, als ich das Kreuz empfing, ein goldenes, schlichtes Kreuz, in dessen Mitte eine Perle wie eine Träne glänzte –

CHRISTINE. Hat Ihnen Colas oder Therese dies berichtet? Ich weiß, wie sie mich bestürmen.

GONTRAN. Mein Fräulein! Es ist genug! Gott verzeihe Ihnen dieses Mißtrauen, diese Beleidigung eines ehrlichen Soldaten, – ich verzeihe Ihnen – aber – dieses Wort hat uns auf ewig getrennt! Leben Sie wohl und vergessen Sie mich, wie ich mir Mühe geben will, Sie zu vergessen! Er stürzt ab.

CHRISTINE. Großer Gott! Was tat ich? Und doch – ich kann, ich darf nicht anders! Das heilige Andenken meiner Mutter habe ich mit diesem Pfande eingesetzt, ich harre aus, bis es mir zurückgegeben wird. Gott, du weißt, was mich dies Opfer kostet.


Quelle:
Ignaz Brüll: Das goldene Kreuz, nach dem Französischen von H.S. von Mosenthal, Leipzig [o. J.], S. 66-69.
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