8.

[340] Die neue Dichtersprache, welche Klopstock gegründet, suchte sich noch entschieden von dem Sprachgebrauch der Prosa zu trennen. Klopstock wollte der Prosa, die er besonders in den Grammatischen Gesprächen so originell handhabte, keine eigentlich poetischen Freiheiten weder in der Diction, noch in der Wortstellung einräumen, und schrieb mit steinernem Griffel hartkantige, aber festausgebildete Sätze. Sein prosaischer Stil hat die rauhe Größe der Wahrheit, und sieht es auf den Effect der Ueberzeugung, nicht auf den Eindruck der Schönheit ab. Diese treffliche Prosa erstarrt jedoch bald in Monotonie und Einseitigkeit, da sich der Schreibende kein subjectives Genüge, keine Befriedigung von Phantasie und Gemüth, nach Herzenslust darin verstattet. Es fehlt ihr Licht und Schatten, Luft[341] und Wärme, und man sieht zuweilen die mühsamen Wendungen, mit denen der Stilist dem Dichter aus dem Wege geht. Inzwischen bildete sich die Prosa auf populairem Wege wenn auch kunstloser, doch zu natürlicher Leichtigkeit in dieser Zeit aus. Die literarischen Bedürfnisse waren im deutschen Publikum unerwartet rasch gestiegen, und ein gleichmäßigeres geistiges Interesse verbreitete sich mehr als jemals durch alle Klassen der Gesellschaft. Die Journalistik, die um diese Zeit ihre lehrreichen und kurzweiligen Wochenvisiten in Deutschland begann, trug Vieles zu einer harmonischen Vertheilung von Sprache und Bildung bei, wie pedantisch auch sonst noch der Zuschnitt sein mochte, in dem sie auftrat. Diese Wochen- und Monatsschriften, die bald als »Jünglinge«, bald als »Greise«, bald als »Aufseher« und »Zuschauer«, »Freigeister« und »Aerzte« das Publikum fesselten, brachten eine gewisse Geschmeidigkeit in den Ausdruck des wirklichen Lebens, und machten die Sprache der deutschen Prosa flüssig. Eines eigenen Genie's der Prosa aber bedurfte es, um in ihr einen höheren Charakter zu schaffen, der[342] sie an innerer Berechtigung nicht mehr hinter der Poesie zurückstehen ließ. Ein solches zeigte sich in Lessing.

Dieser sonnenhelle Kopf gewann seinen eigenthümlichen Einfluß auf die deutsche Literatur besonders durch den Geist der Prosa, der ihn durchdrang und in Bewegung setzte. Das scharfgeschliffene und zersetzende Wesen seines Genius, diese stillangeglühte Begeisterung des Verstandes, dies heimliche Dichten der Combination, diese leuchtende klare Ruhe in immerbewegter Gedankendialektik, waren schon als ein höheres Element von Prosa charaktergemäß in ihm vorhanden. Eben als prosaisches Genie wurde er der nothwendige Einschlag in die Bewegungen des Geschmacks und der Geistesbildung seines Zeitalters. Diese Gleichmäßigkeit der poetischen und prosaischen Bedürfnisse seines Naturells stellt in ihm einen helldurchleuchteten Charakter der Prosa dar, in dessen gestählter und von innen her erwärmter Gesinnung alle Vorurtheile gegen das Prosaische verschmolzen. Lessing nahm alle diese Elemente seines Wesens in seine Darstellung auf, ohne die Prosa poetisch, oder die[343] Poesie prosaisch zu machen, aber eine fein nüancirte Mittelgestaltung ging daraus bei ihm hervor, die als Eigenthum einer besonderen Individualität zu betrachten ist. Als den poetischen Höhepunct seiner Prosa kann man die Sprache der Dramen, namentlich der Emilia Galotti, bezeichnen. Bei allen dichterischen Anlässen der Situation, die ihn auf das hohe Meer des Pathos und der Leidenschaft hinausweisen, behält doch die Diction stets ein gewisses prosaisches Maß, und zügelt die Bewegungen der Phantasie durch kluge Berechnung. Dagegen ist das Poetische oft in die innere epigrammatische Gedankenwendung verlegt, und steigt hervor aus lakonischen Wortblitzen und tiefgedachten Antithesen. Kühne Inversionen erschüttern zuweilen den ebenen Strom dieser Diction, leise Andeutungen sind auf eine umfassende Wirkung berechnet. In den kritischen, polemischen und didaktischen Schriften Lessings kehrt sich mehr die ätzende Kraft, die scharfe perspectivische Gedankenbeleuchtung in seiner Prosa, heraus, ohne selbst bei strengerer Wissenschaftlichkeit an der Genialität der Behandlung zu verlieren. In diesem Genre der[344] Darstellung vertritt bei ihm das Witzige die Stelle des Poetischen, und die kurze und einfach pointirte Satzbildung bringt Effecte hervor, die das Gemüth stärker fesseln, als die blendendste dichterische Diction. Die Klugheit gilt oft statt der Schönheit, aber sie befängt und beherrscht uns ebenso anmuthig, wie diese. Ein gewisser Uebermuth spielt mit seinen eigenen Gedanken, sieht eine Zeitlang ruhig und kaltherzig ihren Verwickelungen zu, weidet sich sichtlich und mit bedeutsamem Lächeln an dem Schein der grausamsten Consequenzen, und faßt dann mit raschem Griff alle ausgeworfenen Fäden zu einer Totalwirkung zusammen. Die Oekonomie und Lichtervertheilung in Lessings Stil ist ebenso bewundernswürdig, als die geistige Spannkraft in Worten und Wendungen, die Bestimmtheit bei aller Leichtigkeit, die ironische Grazie, welche die eigentliche Seele seiner Darstellung ist. Daß sich Lessing in manchen Stücken nach Diderot's Schreibart gebildet, hat Karl Rosenkranz in einem Aufsatz über Diderot nicht mit Unrecht hervorgehoben. Seine Diction stärkte und bereicherte Lessing aber besonders aus den Fundgruben unserer älteren Sprache,[345] aus denen er viel Gold und Erz der deutschen Rede hervorzog und auf sinnreiche Weise in neuen Umlauf brachte. Auch in grammatischer Hinsicht wußte Lessing Rath, größeren Klang, Harmonie und Festigkeit in den deutschen Satz zu bringen, indem er besonders der oft unbequemen Hilfszeitwörter, namentlich in Zwischensätzen, sich zu entledigen wußte. Die eigenthümliche Prägnanz seiner Satzbildung zeigte sich vorzugsweise tauglich in der dialogischen Behandlung der Sprache, die ihm meisterhaft gelang, und auch auf die gesellschaftliche Bildung zurückwirkte. –

Die mehr kritische Schönheit und Vollendung, welche die deutsche Prosa durch Lessing erhielt, erhöhte sich zu einer plastischen und poetisch durchhauchten in den Kunstdarstellungen Johann Winkelmanns. Seine Sprache empfing von den Gegenständen, mit denen sie sich beschäftigte, die schönsten Eindrücke, und verräth die an den Kunstwerken eines glücklichen Menschenalters genährte und erheiterte Anschauung. Winkelmann gestaltete den deutschen Stil zu einem beweglichen Lebensgebilde, das, vor uns hintretend, einen[346] bestimmten Endzweck auf das Gemüth zu erreichen strebt. Was er geschaut und in seine trunkene Vorstellung aufgenommen, will er so hinstellen, daß es nicht bloß ideell beschrieben, sondern auch sinnlich heraustreten und empfunden werden soll. Seine Schilderungen der Statuen sind in diesem Sinne Meisterstücke deutscher Schreibart, ein fach, naturvoll und doch erhaben, durchwärmt von Begeisterung und umschwebt von einer unnachahmlichen Heiterkeit. Winkelmann brachte in die Prosa das Element der Phantasie, aber umgränzt von künstlerischer Hand, und gehütet im richtigen Ebenmaaß ihrer Bilder. Er schrieb, kann man sagen, seine Ideen für das Auge, und ein schönes, schauendes Auge blickt uns klar aus seinen Darstellungen an. Daß er in Italien, umgeben von ganz andern Einflüssen der Bildung und des Himmelstrichs, seine Geschichte der alten Kunst dennoch in vaterländischer Sprache geschrieben, verdient seinem patriotischen Sinn für die deutsche Literatur hochangerechnet zu werden, um so mehr, da er sich der deutschen Kunstsprache erst neuschaffend dazu bemächtigen mußte. Die Kürze und Bündigkeit seines[347] Stils erinnert auch in grammatischer Hinsicht an antike Maaßhaltung, und meidet alles Ueberflüssige und Schnörkelhafte, worunter die Einheit des Bildes beeinträchtigt werden könnte, mit feiner Würde.1

Auf dieser Stufe künstlerischer Ausbildung war die deutsche Prosa zum ersten Mal fähig gemacht, der poetischen Anschauung mit aller Freiheit zu dienen. Der Unterschied von Poesie und Prosa, der sich sonst im Inhalt ebenso sehr wie in der Form festgesetzt hatte, wich der Macht des Inhalts, welcher jetzt in allen Formen der Literatur sich gleichmäßig zu regen begann. Die deutsche Production arbeitete nunmehr auf die Einheit von Poesie und Prosa hin, und erreichte ihre vollkommenste harmonische Verschmelzung zuerst im Werther, diesem ursprünglichsten Naturerguß der modernen skeptischen[348] Alles zersetzenden und assimilirenden Gemüthsstimmung. In diesem Product erscheinen zuerst die Schranken zwischen Poesie und Prosa völlig durchbrochen, und alles Pathos der Dichtung, alle Schmerzen und Herrlichkeiten der Gefühle, sind in das Uferbett der Prosa übergeströmt. Zwar hatte schon Herder, selbst in seinen wissenschaftlichen Untersuchungen, eine gewisse poetische und poetisirende Prosa geführt, die jedoch mehr in einer träumerischen und phantasirenden Manier bestand, mit der sein unruhiger und unbefriedigter Geist überall Blüthen herauszuschlagen suchte, sogar aus gelehrter Forschung. Aber Herder war kein Meister der prosaischen Darstellung, und mit Ausnahme seiner vortrefflichen Schulreden und mehrerer Partieen in den Ideen zur Philosophie der Geschichte, schrieb er einen zerlassenen, verschwommenen, bald mit zu dicken, bald mit zu verwaschenen Farben getünchten Stil. Goethe bildete sein Naturell frei und ungezwungen in die deutsche Darstellung hinein, und gab seiner Sprache überall das productive Gepräge seiner Persönlichkeit. Sein großer Welt- und Lebenssinn drückte sich in seiner[349] Schreibart ebenso originell für die idealen Anschauungen wie für die Bezüge des wirklichen Lebens aus, und selbst im Werther ist neben aller poetischen und speculativen Extase auch der wohlgetroffene Ton deutscher Familienhäuslichkeit und Alltäglichkeit zu hören. Im Götz von Berlichingen und Egmont sind die volksthümlichen Laute und Kräfte der deutschen Sprache mit genialer Freiheit aufgeboten, und der energische Stil erscheint mit allen Kernausdrücken der Nation, bis auf jenen berüchtigten in der ersten Ausgabe des Götz, gewaffnet. Der gewöhnlichen Wirklichkeit ferner stehend, auf idealen Sonnenhöhen, wandelt die sanftgezügelte Sprache des Tasso und der Iphigenia dahin, während feinausgebildet, mit allen Rücksichten der Gesellschaft, die Wirklichkeit ihren angemessenen Stil im Wilhelm Meister und den Wahlverwandtschaften sich erschafft. Der Roman ist diejenige Kunstform, in welcher die Einheit von Poesie und Prosa schon durch die Idee des Kunstwerkes selbst geboten wird, indem die realen und gegebenen Lebensverhältnisse sich darin mit den höheren und allgemeinen Anforderungen der Weltansicht[350] durchdringen. Die dichterische Prosa des Werther setzte sich aber in den beiden andern Romanen Goethe's auf ein geklärteres und ruhigeres Maaß der Diction zurück und fesselte die poetischen Ausschweifungen durch den geselligen Ton und Anstand der Darstellung, der eine bedeutsame Heranbildung auch des deutschen Privatlebens bezeichnet. Das radicale Element im Werther, das auch im Stil allen frei umherschwärmenden Natur- und Frühlingstrieben der Subjectivität folgt, ordnet sich im Wilhelm Meister und den Wahlverwandtschaften mit Grazie den Bedingungen der Gesellschaft unter, die mit aristokratischen Einflüssen die feingeschliffene Schreibart behaucht. Doch nimmt die Prosa auch hier nach Maßgabe des Inhalts einen größeren oder geringeren Schwung, und versagt sich bei einer Erhebung ihres Gegenstandes keine Blüthen und Farben der Sprache, obwohl stets innerhalb einer leisen Nüancirung gehalten. Diese Nüance zu treffen, ist die eigentliche Kunst derjenigen Prosa, welche zur Form für das poetische Kunstwerk geworden ist, aber diese übrig bleibende Gränze zwischen Poesie und Prosa ist nicht anders bestimmbar,[351] als nach den Gesetzen der Individualität und des von ihr behandelten Gegenstandes, aus denen jedesmal der richtige Darstellungston hervorgeht. Die höchste Periode der Ausbildung für die Prosa beginnt aber dann erst, wann, wie jetzt, die dynamische Verschiedenheit der poetischen und prosaischen Formen sich aufgehoben hat. Die Prosa dringt nun in alle Gattungen der productiven Literatur ein, und wird jedes Inhalts in eigenthümlicher Weise mächtig, indem sie selbst, nach diesem Inhalt sich mannigfach wandelnd, unter den verschiedensten Aufgaben den größten Reichthum in Wendungen, Sprachtönen und Harmonie der Darstellung offenbart. Goethe aber belebte seine Prosa auch durch viele poetische Freiheiten der Grammatik, und die Kritiker jener früheren Periode klagten ihn namentlich wegen des zu häufigen Gebrauchs von affectirten Ellipsen an. –

Fußnoten

1 Vgl. Goethe's Schrift: Winkelmann und sein Jahrhundert, S. 427 und 464; doch gehört die letztere Stelle einem eingelegten Aufsatz an, der, wenn wir nicht irren, von F.A. Wolf herrührt. Um die Würdigung der Schreibart Winkelmanns hat sich Joh. Schulze, der Mitherausgeber seiner Werke, verdient gemacht.


Quelle:
Theodor Mundt: Die Kunst der Deutschen Prosa. Berlin 1837, S. 352.
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Die Kunst Der Deutschen Prosa: Aesthetisch, Literargeschichtlich, Gesellschaftlich (German Edition)

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