2.

[371] Der Ineinsbildung von Poesie und Prosa in der productiven Literatur ist an Bedeutsamkeit gleichzusetzen das Verhältniß, welches die Prosa oder die Sprache des wirklichen Lebens zur Weltbildung und den gesellschaftlichen Bedürfnissen aufzeigt. Nur wenigen Schriftstellern verdankt die deutsche Darstellung eine höhere Entwickelung des Welttons, eine weltmännische Freiheit und Feinheit der Bewegung, die schon deshalb eine seltene oder künstlich hervorgebrachte Erscheinung unter uns ist, weil nur Schriftsteller literarisch, aber keine andern Einflüsse darauf zu wirken vermögen. Die gesellschaftlichen Mittel, unsere Sprache zu bilden und geschickt zu machen, sind bei uns gering anzuschlagen. Unsere Frauen haben nie einen Einfluß auf die deutsche Sprache gehabt, was sehr zu beklagen ist,[372] wenn man sich denkt, was aus den Unterhaltungen mit einer Aspasia gebildete Griechen ihrer Zeit für Vortheile auch in dieser Hinsicht gezogen. Die höher gebildeten deutschen Frauen zeichnen sich meistentheils mehr in der Fertigkeit aus, irgend eine fremde Sprache zu erlernen und geläufig zu sprechen, als die deutsche Sprache auch nur richtig zu handhaben, vielweniger das weibliche Naturell in ihr abzuprägen. Die Schriftsteller hingegen gerathen da, wo sie eine gesellschaftliche Leichtigkeit und Ungezwungenheit der Darstellung erstreben, bei weitem eher in ein burschikoses Element hinein, und zeigen einen garçonartigen Charakter der Schreibart, einen ungebundenen Junggesellenstil mit offenem Hals und herausflatterndem Hemdkragen. –

Der Einfluß Wieland's und Thümmel's auf einen gewissen weltmännischen Atticismus der deutschen Darstellung ist in unserer Literatur zuerst zu nennen. Das französische Element, das sonst nur immer eine Trennung unserer Sprache und Culturzustände bewirkt hatte, erhielt seine erste productive Verarbeitung in der deutschen Bildung durch Wieland, der, nachdem er eine ziemlich schwerfällige[373] und moralisch correcte Jugendperiode seiner Schriftstellerei überstanden, plötzlich den Weg der Grazien und der freieren spielenden Weltweisheit betrat. Wieland schrieb freilich meistens eine schlechte, weitschweifige und schwerverdauliche Prosa, die nicht einmal rein von französischen Wörtern war, aber sein stilistisches Verdienst ist hier nicht sowohl gemeint, als vielmehr der freibeweglichere Charakter und Schwung, den die deutsche Darstellung überhaupt durch ihn gewann. Viel höher und origineller in der Schreibart steht Thümmel da, dies wahrhafte Lebensgenie, dessen farbenstrotzender Pinsel sinnliche Lebendigkeit, gesellige Anmuth und einen feindurchbildeten Weltton in die Darstellung brachte. Thümmels Prosa hat meisterhafte Züge, voll poetischer Leidenschaft behält die Diction doch ihr harmonisches Maaß, und die Sprache schafft oft die treffendsten Bezeichnungen und Wendungen für neue Verhältnisse. Natur- und Reiseanschauungen fließen mit frischen Farben in seinen Stil über. Durch diese beiden Schriftsteller lernte die deutsche Sprache Vieles sagen, was ihr sonst fremd gewesen war, auch das Leichtfertige und Frivole, nicht[374] in Fischart's Manier, sondern mit dem feinen, lächelnden Anstand des Weltmanns. Diese Art des gebildeten Cynismus, wie sie in Thümmel sich äußerte, trat zum erstenmal in deutscher Sprache auf, in einem modernen Gewande sind wir ihm neuerdings wieder in der Gestalt des Verfassers der Briefe eines Verstorbenen begegnet. Fürst Pückler läßt sich in vieler Hinsicht mit Thümmel vergleichen, obwohl der Verstorbene ein höher entwickelter Typus des Reisenden im mittäglichen Frankreich ist, sowohl was die breitere Grundlage der Zeitbeziehungen als der Gesellschaftsverhältnisse betrifft. Der vornehme Cynismus des Verstorbenen redet die Sprache einer bestimmten sociellen Sphäre, die sich darin abdrückt, die Sprache der exclusiven Gesellschaft, wie sie in ihrer bevorzugten Nonchalance sorglos und doch mit einer gewissen gemessenen Haltung sich gebärdet. Als Prosaist ist Thümmel vorzuziehen, er hat eine gewähltere Sprache, poetische Kraft der Schilderungen, feine Motive und Melodie des Stils, aber Pückler zeigt eine größere Individualität in seiner im Einzelnen vernachlässigteren Schreibart. An Unschuld und Durchtriebenheit, Ironie[375] und Zartgefühl hält sich der Genius beider Schriftsteller vielleicht die Wagschaale, aber Pückler stellt charakteristischer und an bestimmten Gesellschaftszuständen dar, was Thümmel allgemeiner in den Regionen der Phantasie schweben läßt. Der Weltmann in Thümmel ist mehr Dichter als in Pückler, der Roué in Pückler ist auf geistvollerem Raisonnement gegründet als in Thümmel. Zwischen beiden Charakteren liegt die gesellschaftliche Bildung und Gesinnung, welche Goethe's Schreibart nach dieser Seite hin repräsentirt, mitteninne auf einer leise bewachten Gränzlinie. Thümmel und Pückler bewahren den Anstand in ihren Ausdrucksformen oder corrigiren seine innere Verletzung durch die äußere Grazie. Goethe behandelt das Zweideutige, wenigstens in seinen Romanen, lieber in Andeutungen mit unnachahmlicher Geschicklichkeit, als daß er seine Phantasie in Einzelausführungen glänzen ließe. Thümmel will oft glänzen, Pückler durch stimulirende Mittel reizen, Goethe will gefallen. Jene möchten die gesellschaftlichen Rücksichten ebenso gern durchbrechen im nämlichen Moment, wo sie ihnen schmeicheln, Goethe sucht sich immer in[376] einen lösenden Einklang damit zu setzen und das Widerstrebende an den Normen seiner Individualität auszugleichen. Das Normale in Goethe's Stil und Gesinnung giebt ihm eine größere Gleichförmigkeit, und haucht seiner Prosa zuweilen etwas von feiner Canzlei über, wo die andern regelloser mit ihren Sätzen umherschweifen. Goethe's Naturell kehrt in der Geselligkeit am meisten das Behagliche und Behäbige heraus, und schafft sich auf diesem Grunde auch manche charakteristische Sprachformen, die ihm eigenthümlich sind. Das Wort behäbig selbst, die häufige Verbindung der Adjectiva mit gar, Formen wie hüben und drüben und viele ähnliche, die eine bequeme Beschaulichkeit ausdrücken, sind durch ihn beliebt geworden. Auch fremde Wörter verschmäht Goethe in seiner Diction nicht, wo sie ihm in das gesellschaftliche Behagen des leichten Redeflusses hineinpassen. Die gesellschaftliche Schreibart der Deutschen leidet überall an Sprachmengerei, und wird, aller absichtlichen Mühe ungeachtet, viele ihr nöthigen Bezeichnungen sobald nicht darüber hinausbringen. Thümmel hat es in der Reinheit des geselligen Stils am weitesten[377] gebracht, und wo er französische Ausdrücke einstreut, thut er es weniger aus Angewohnheit und Bequemlichkeit als im Fluge des Uebermuths, der nach den piquantesten Bezeichnungen hascht. Pückler dagegen überläßt sich in aller Naivetät dem Extrem einer Sprachmischung, die zuweilen barbarisch aussieht, doch verräth er auch oft einen feinen Takt dabei, daß er gerade die zweideutigen Partieen vorzugsweise mit französischen Wörtern färbt, und dadurch gefälliger und anständiger über das Anstößige weggleitet, wobei Einem mitunter eine Bemerkung von Leibnitz einfällt, der in seinen »Unvorgreifflichen Gedanken« (§. 71.) sagt: »ich habe es zu Zeiten unsrer ansehnlichen Haupt-Sprache zum Lobe angezogen, daß sie nichts als rechtschaffene Dinge sage, und ungegründete Grillen nicht einmal nenne (inepta ignorat.) Daher ich bei denen Italiänern und Frantzosen zu rühmen gepflegt: Wir Teutschen hätten einen sonderbaren Probierstein der Gedanken, der andern unbekandt; und wann sie denn begierig gewesen etwas davon zu wissen, so habe ich ihnen bedeutet, daß es unsre Sprache selbst sey, denn was sich darinn[378] ohne entlehnte und ungebräuchliche Worte vernehmlich sagen lasse, das sey wirklich was Rechtschaffenes.« – In der französischen Sprache ist es jedoch vornehmlich die Fähigkeit, die Dinge leicht zu bemänteln, welche sie zur Sprache der Frivolität und Zweideutigkeit geschickter macht als die deutsche; an sich selbst kann man gewiß nicht behaupten, daß die deutsche Sprache keuscher sei und weniger aufgelegt zum Cynismus, als die der übrigen neueren Völker. Die derbe Schmiede deutscher Ausdrücke in dieser Sphäre macht vielmehr die Vermittelung des französischen Leichtsinns, der nur zu spielen scheint, wo das deutsche Wort schreckenerregend ist, wünschenswerth, und Leibnitz selbst bemerkt zu seiner Zeit, in der von ihm angeführten Schrift (§. 112.): – »daß einige Sinn-reiche Teutsche Scribenten, und unter ihnen der sonst Lob-würdige Herr Weise selbst, diesen merklichen Fehler noch nicht abgeschafft (den auch etliche Italiener behalten), daß sie etwas schmutzig zu reden kein Bedenken tragen, in welchem Punct ich hingegen die Frantzosen höchlich loben muß, daß sie in öffentlichen Schriften nicht nur solche[379] Wort und Reden, sondern auch solchen Verstand vermeiden, und daher auch in den Lust- und Possenspielen selbst nicht leicht etwas Zweideutiges leiden, so man anders, als sich gebühret, gemeynet zu sein vermercken könne. Welchem löblichen Exempel billich mehr als bisher geschehen, zu folgen, und zumahl heßliche Worte, ohne sonderbare Nothdurfft, nicht zu dulden. Es ist freilich in der Sitten-Lehre mit Sauberkeit der Worte nichts ausgerichtet, es ist doch aber auch solche kein geringes.« –

Unter den Schriftstellern des achtzehnten Jahrhunderts, welche Weltbildung und feinen Gesellschaftston in ihren Werken ausprägten, ragte auch Justus Möser hervor, der Verfasser der osnabrückischen Geschichte und der patriotischen Phantasieen. Möser war zugleich Staats- und Geschäftsmann, und übertrug zuerst die Eindrücke eines ausgebreiteten Welt-und Menschenverkehrs, politischer und bürgerlicher Berührungen, in die deutsche Darstellung. Mit populairer Treuherzigkeit verbindet er die feinsinnigsten Motive, phantasiereiche Ausführung, witzige Beleuchtung, und ironische[380] Ueberlegenheit, die sich einen sorglosen Anstrich zu geben weiß. Der gelegenheitliche Charakter seiner Schriften, die er meistentheils bei städtischen und amtlichen Anlässen verfaßte, macht sie um so anziehender, indem sie dadurch dem Leben und den geselligen Verhältnissen näher stehen. Möser war ein heller und umfassender Kopf, mit scharfer Beobachtung durchdringt er die vaterländischen Zustände, wie die geheimen Winkel der menschlichen Herzen, und stellt seine lichtvollen Einsichten in einem sehr gehaltenen und graziös bewegten Stil dar. Seine Schreibart ist ebenso gebildet und besonnen wie seine Auffassung, rein und correct in ihren Formen, es ist die Schreibart ächt weltmännischer Bonhommie, die erste Verklärung des officiellen und diplomatischen deutschen Stils. In dieser Reihe kann auch Zimmermann, der über den Nationalstolz, über die Einsamkeit und über Friedrich den Großen geschrieben, genannt werden, obwohl der vornehme Weltton, dem er in seinen Schriften nachstrebte, mehr in einer krankhaften Ausartung bei ihm er scheint. Zimmermann steht als ein Opfer der Eitelkeit auch in[381] seinem Stil da. Es giebt Schriftsteller, welche ihre Subjectivität auch in der Schreibart mit einer prickelnden und äffischen Selbstgefälligkeit und Selbstbespiegelung zur Schau tragen, und Zimmermann's krankes Gemüth, das sich vor eigener Ueberschätzung nicht zu lassen wußte, zeigt den ausgebildetsten Typus einer solchen Erscheinung.

Bedeutsamer in jeder Hinsicht für die hier angeknüpfte Betrachtung ist Peter Helfrich Sturz, der zu seiner Zeit einen großen Ruhm der eleganten und feinen Schreibart besessen, und diesen noch heut in einem eigenthümlichen Grade behaupten kann. Sturz war ein Mann der guten Gesellschaft, der in der großen Welt und auf Reisen sich vielfältig gebildet hatte, wie besonders seine Briefe aus Frankreich und England, die er im Jahre 1768 geschrieben, beweisen. Seiner sehr absichtsvollen Schreibart merkt man die fremde und namentlich in französischen Einflüssen gewiegte Bildung an, durch die er sich seinen deutschen Gesichtskreis erweitert hatte, in glänzenden Antithesen reihen sich seine Gedanken aneinander, Effecte, ein piquantes Colorit, hinreißende Wendungen, auffallender[382] Ausdruck der Meinungen, werden erstrebt, aber alle diese Elemente sind mit außerordentlichem Takt und harmonischer Abrundung ineinandergearbeitet. Ein sicherer Weltblick, mit Wärme des Herzens und erregbarer Phantasie verbunden, schaut klug und umsichtig aus seinen Darstellungen hervor, am glücklichsten aber baute er in seiner Biographie des Grafen von Bernstorf ein bis dahin noch kaum betretenes Gebiet der Darstellung an. Man muß sich wundern, daß Friedrich der Große diesem Schriftsteller, dessen freigebildete Weltmanier ihm zusagen mußte, bei seiner Revüe der deutschen Literatur gar keine Aufmerksamkeit schenkte, was er jedoch, wenn er ihn gekannt, ohne Zweifel gethan haben würde.1

In der hier verfolgten Richtung tritt Varnhagen [383] von Ense mit höherer und bewußterer Kunstvollendung ein, getragen von den reicheren Elementen, welche die moderne Anschauung und Zeitbildung einem solchen Alles verarbeitenden Geist zuführen mußte. Varnhagen schreibt nicht nur schön, seine Conception und Anschauung ist zugleich immer ein Meisterstück der Berechnung und ordnet als der innere Werkmeister die Sätze wie zu einer taktischen Demonstration. Möser und Sturz sind in dieser Sphäre einer verklärten officiellen Darstellung die wahlverwandten Vorgänger Varnhagen von Ense's, aber er übertrifft sie an künstlerischer Einfalt der Behandlung und an universeller Weltansicht. Den Einflüssen des Staats- und Weltmanns auf die Darstellung hat sich bei ihm ein goethe'sches Element zugesellt, das, auf dem Grunde seines eigenen Naturells charakteristisch durchbildet, seinen Stil in der Mitte erhält zwischen poetischer und diplomatischer Wirkung. Diese Mischung ist so originell und fügt sich so sehr zu einer entschiedenen Individualität zusammen, daß man Varnhagen's Stil nur mit Unrecht unter die Nachahmungen des goethe'schen reihen kann, obwohl ihm[384] das öfters geschieht. Auch im Einzelnen ist mancher Unterschied in der Schreibart, wie viele Vortheile auch Varnhagen darin Goethen abgesehen, doch folgt Varnhagen in der reinlichen Sculpturarbeit seines Stils bis auf leise Wortschnitzereien seinen eigenen Motiven, die er nach dem Gegenstande und der damit beabsichtigten Wirkung abmißt. In diesem Schriftsteller sind Elemente gegeben, um eine ganz neue Seite der deutschen Literatur hervorzubilden. Ueber die Schule seines Stils hat er selbst, in einem Privatbriefe aus Ems (vom 6. August 1836.), einige merkwürdige Bekenntnisse gethan, bei Gelegenheit einer Aeußerung Gutzkow's, der, in seinen Bemerkungen über den deutschen Stil, die neueste Hinneigung Laube's zu dem vornehmen und goethisirenden Stil heraushebt, und diesen tadelt, daß er Goethen durch die dritte Hand d.h. erst durch Nachahmungen Varnhagen's, nachahme. Varnhagen von Ense sagt dagegen unter Andern Folgendes, das wir zugleich aus Interesse der allgemeinen Bildungselemente des modernen Stils, die dabei zur Sprache kommen, hersetzen: – »Welcher Art mein[385] Stil sei, wüßte ich schwer anzugeben, ich bediene mich seiner, wie er sich gerade bietet, und wenn ich beim Schreiben den Ausdruck besonders wählen und bisweilen suchen mag, so geschieht es gewiß nur, um der Sache gemäß richtig und klar zu sprechen, nicht aber des Schmuckes wegen. Daß aus Standpuncten und Gesinnungen, welche sich zu Goethe bekennen, auch dessen Schreibart einigermaßen hervorgehen könne, ist nicht zu verwundern, und welcher Deutsche hat nicht auf diese Weise mehr oder minder von Goethe gelernt und angenommen? Wenn aber, unter solcher Bedingung, auch mir sein Stil hat wohl gelingen können, und sogar bis zur Täuschung – wie denn einer seiner letzten kritischen Aufsätze, worin niemand eine zweite Hand unterschieden hat, zu einem starken Drittheil von mir ist2 – so dünkt[386] mich doch gar nicht, daß mein Stil überhaupt dem Goethe'schen sich anschließe. Absichtlich gebildet hat er sich nach ihm am wenigsten, und schon in frühester Zeit war nach ganz andern Mustern seine Richtung bestimmt. Denn, nachdem ich lateinische Prosa und deutsche metrische Versuche vielfach durchgeübt, waren zunächst Klopstock, Lessing und Voß meine Vorbilder, darauf eine Zeitlang – nicht eben zum Gewinn – Schleiermacher, endlich aber in einigem Betracht Fichte, in anderm Friedrich Schlegel, Gentz, und insbesondere noch Voltaire, Diderot und Montesquieu, denen, wie den Franzosen überhaupt, in solchem Betreff ich ungemein viel schuldig zu sein bekenne. Daß Goethe hiebei nicht ausgeschlossen sein konnte, ist schon zugestanden, allein zur bloßen Form ließ sein Wesen nicht füglich abgesondert sich verbrauchen; was ich ihm, und ebenso Rahel'n, auch in Hinsicht des Stils Belehrendes zu verdanken habe, gründet sich auf Nachahmung beider am wenigsten.« –

Unter den Erscheinungen der neuesten Zeit, welche hieher gehören, ist auch die gesellschaftliche[387] Virtuosität in mehreren Darstellungen von Eduard Gans, namentlich in seinen »Rückblicken auf Personen und Zustände«, hier zu nennen. Gans hat in diesen Skizzen einen ächten humanen Salonton getroffen, der mit anziehender Leichtigkeit Menschen und Verhältnisse behandelt, übersichtlich und fertig Alles gruppirt, was sich der Beobachtung darbietet und in treffender Kürze, ohne nach der einen Seite zu tief, oder nach der andern zu weit zu gehen, die Gestalten zusammenfaßt und abfertigt. Die Einfachheit und Unbefangenheit seiner Schreibart ist kunstvoller, als sie in ihrem leichten Hinwurf für den ersten Augenblick erscheint. Der Charakter der ganzen Mittheilung hält sich in der Tonart des Gesprächs, man sieht den sprechenden, nicht den schreibenden Autor. Mit mehr koketten Manieren erstrebt Rumohr in seiner Darstellung den Saloncharakter, aber er erreicht die vielseitige Beweglichkeit und Harmlosigkeit von Gans nicht. Rumohr hat den vornehmen Stil einseitig cultivirt, und das goethe'sche Behagen, das er dazu genommen, sitzt ihm etwas steif und ist nicht recht verarbeitet. –[388]

Eine gesellige Seite des deutschen Lebens, die sich in der Literatur am reichsten erschlossen hat, stellt sich in den Briefen dar, in deren vielfältigen Sammlungen in der letzten Zeit ein wahrer Nationalschatz zu Tage gefördert worden. Seitdem Gellert als Reformator des deutschen Briefstils aufgetreten und ihn durch die Annäherung an das wirkliche und gesellige Leben von der Pedanterie des Ceremoniells möglichst zu emancipiren gesucht, begann die deutsche Subjectivität sich freier an dieser Form zu entfalten. Durch die Musterbeispiele, die Gellert aufstellte, würde freilich die Briefschreibekunst nie eine höhere Grundlage gewonnen haben, wenn es nicht in der nationellen Natur gelegen, mit mehr Ausführlichkeit und Behagen ihr Innerstes und Persönliches in Briefen zu ergießen, als es ihr im mündlichen Gespräch und Verkehr bequem ist. Die einzelne Gehaltlosigkeit vieler Briefsammlungen, deren Hervortreten unserer Zeit aufbehalten gewesen, kann im Allgemeinen die große Bedeutung nicht schmälern, welche diese Literatur der Briefe als Ueberlieferungen zu unserer Culturgeschichte, als Familiennachrichten aus dem innern[389] Hauswesen unserer Nationalliteratur, zu behaupten berechtigt ist. Man hat mit Recht bemerkt, daß die Briefe der Deutschen die Stelle der Memoiren bei ihnen vertreten, doch wird, bei immer mehr entwickeltem Sinn für öffentliches und weltthümliches Bewegen, auch die Form, in der wir über uns selbst zu sprechen fähig sind, sich erweitern und plastischer ausbilden. Denn soviel ist gewiß, daß unsere Nachkommen wenigstens von der heutigen Generation keine solche Briefsammlungen überliefert erhalten werden, in der sich alle unsere Lebensbezüge und jeder kleine Winkel unserer Stuben- und Herzensverhältnisse ebenso abschilderten, als in jenen zumeist aus dem vorigen Jahrhundert datirenden Briefen mit so behäbiger Ausführlichkeit und Redseligkeit der Mittheilung geschieht. Die Sitten ändern sich hierin, und es scheint, daß wir heutzutage weder Zeit noch Laune und Stimmung mehr dazu haben, so viele und lange Briefe über uns und das Unsrige zu schreiben, als man sonst in Deutschland gethan. Die einsame Stille der Briefsituation im gesprächlichen Ergehen mit einem abwesenden Gegenstande sagte aber der ganzen[390] Anschauungsweise des vorigen Jahrhunderts zu. Der unmittelbare und lebendige Dialog konnte dagegen nie eine recht eigenthümliche, natürliche Form gewinnen, am allerwenigsten, wo er mit künstlicher Nachbildung Plato's zum Relief wissenschaftlicher Untersuchungen dienen sollte. Solger hat in seinem Erwin ebensowohl wie in den philosophischen Gesprächen, was die Form anlangt, nur todtes Maschinenwerk geliefert. –

Eine andere Herausbildung des individuellen Nationallebens in der Darstellung geschieht durch die Beredtsamkeit, welche Wilhelm von Humboldt3 sehr treffend eine Verknüpfung der Prosa mit dem Volksleben nennt. Doch steht das moderne Leben nach dieser Seite abgeschnitten da, wo im Alterthum große Zusammenhänge stattfanden. Die antike Beredtsamkeit war allerdings mit dem Nationalleben so eng durchdrungen, daß man, wie in der Volkspoesie, gewissermaßen eine mythische Periode derselben annehmen kann, wo es keine literarische Verbreitung der Redekunst gab, sondern[391] dieselbe rein inmitten der Bedürfnisse der Gesellschaft verbraucht und entwickelt wurde. Unter den modernen deutschen Zuständen ist es fast nur die Kanzel, welche dies Talent weiterträgt und mit dem Volksleben in einer bestimmten Verbindung erhält. Die Beredtsamkeit der deutschen Kanzel ist aber für die Bildung der Sprache und Darstellung selten von gutem Einfluß gewesen, und hat oft dazu beigetragen, den deutschen Stil zu verderben, namentlich durch eine unnatürliche und unabsehbare Periodenverwickelung. Schon Herder eiferte in seinen Fragmenten zur deutschen Literatur (dritte Sammlung S. 359 fg.) gegen die ciceronianische Affectation der deutschen Kanzelredner. »Wo – ruft er aus – schleppt sich die Sprache mehr als auf den Kanzeln? Hier, wo man das Verständliche des Vortrages so oft darein setzt, mit einem Schwall von Worten nichts zu sagen, den Perioden in seine fürchterlichen Glieder zu ordnen, um einen panischen Schauder einzujagen. Wie oft hört man einen Gedanken nach diesem Zuschnitt: ›Wenn wir uns umherschauen – wenn wir – wenn wir weil es – so werden wir gewahr, daß die[392] Menschen Sünder sind‹ –; dies ist die gewöhnliche homiletische Schlachtordnung, die Bindewörter und Beiwörter und Hülfswörter und Synonymen und periodische Theile in Ueberfluß hat, um den Mangel an Gedanken zu verbergen; die das Ohr übertäubt, um nicht die Leere des Verstandes zu zeigen; dies ist der fließende Vortrag, der vor dem Essen heilsamen Appetit und nach dem Essen einen sanften Schlaf machet. Aber nicht bloß bei diesen seichten Homileten, sondern selbst bei glücklichen Rednern muß man es oft beklagen, daß ihr Stil gleich von seiner zarten Jugend an sich nach dem Latein gebildet, daß der periodische Ceremonieenzwang, der in Schulen von lateinischen zu deutschen Chrien steiget, noch manchmal bei den besten Gedanken durchblickt.« –

Fußnoten

1 Vgl. indeß einen interessanten Brief über Sturz, im deutschen Museum, St. X. 1781. den der Staatsminister von Hertzberg auf Veranlassung einer Anfrage, warum Sturz in der Schrift sur la litérature allemande gar nicht erwähnt worden, geschrieben; wieder abgedruckt bei L. Meister, Friedrichs des Großen wohlthätige Rücksichten auch auf Verbesserung teutscher Sprache und Literatur (Zürich, 1787.) S. 85. fg.


2 Wir glauben nicht fehlzugehen, wenn wir hier, als Cicerone interpretirend, die Recension Goethe's über die Monatsschrift des böhmischen Museums nennen, die zuerst in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik abgedruckt stand, und nachher auch in der letzten Ausgabe von Goethe's Werken aufgenommen wurde. Th. M.


3 Ueber die Kawi-Sprache, Einleitung, S. CCLX.


Quelle:
Theodor Mundt: Die Kunst der Deutschen Prosa. Berlin 1837, S. 393.
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