X. Brief.

Das Fraülein v.W. an das Fräulein v.S.

[91] den 26 Nov.


Was werden Sie noch aus mir machen, loses Fräulein! Sie, und der Herr Baron, spielen Comödien, daß man Bücher davon schreiben könnte. Ich glaube, Sie haben sich beide vorgenommen, Ihre Nachbarschaft rund um sich her in Verwirrung zu setzen, und Niemand zu schonen, wenn Sie nur etwas zu lachen bekommen. Wenn[91] ich nur eine sträfliche Mine annehmen könnte, so hätte ich Lust, Ihnen einmal den Text recht zu lesen. Der Brief mit dem Einschluß, welchen Sie mir heute zugeschickt haben, hat wunderliche Erscheinungen bei mir hervorgebracht, ich habe über beide gelacht, den Kopf geschüttelt, ich bin halb erzürnt bei einigen Stellen gewesen, ich bin wieder gut worden; ich habe sie noch einmal gelesen, und habe mich niedergesetzt, Ihnen darauf zu antworten; ich bin aber jedesmal zweifelhaft aufgestanden, ohne zu wissen, was ich über die Innlage für ein Urtheil fällen sollte. Mehr als einmal hab ich einige Stellen darinnen verbessern wollen, ich hatte bereits die Feder angesetzt, um ganze Seiten auszustreichen, und sie zu verändern: aber ich habe es immer wieder unterlassen, weil ich nicht wußte, womit ich den leeren Raum füllen sollte. Nun es mag alles bleiben, ich will Ihnen aber meine Kritik darüber machen, eben so wie über Ihren Brief, und dadurch werde ich diesen zugleich beantwortet haben. Ich[92] sehe wohl, daß es mit der Liebe Ihres Herrn Oncles nur Spaß ist, oder daß Sie und der Herr Baron einen Spaß daraus machen wollen, da Sie diese Sache nun unter den Händen haben, ich bin darüber erfreuet: aber vorher war es in der That kein Spaß. Es sind noch nicht gar acht Wochen, da Sie über dieses Capitel mir ein so zweifelhaftes Gesicht machten, daß ich es Ihnen ansehen konnte, wie sehr Sie meinetwegen besorgt waren. Wenn Sie und der Herr v.F. nicht alle Kräfte und Ihre ganze Kunst der Intrigue aufgebothen hätten, mich zu befreien, so würde ich jetzt sonder Zweifel Frau v.N. Für eine so gute Bemühung muß ich Ihnen ja wohl etwas zu lachen geben, und wider meinen Willen eine Rolle, die Sie mir in dem Lustspiele auftragen, übernehmen. Ich verspreche diese so gut zu spielen als mir möglich ist, nur daß es immer ein Spiel bleibt, und nicht etwan wieder Ernst daraus wird. Ich bedaure es, wenn Sie meinetwegen den Herrn von N. ein so schweres Gebot auferleget[93] haben, von der Gesellschaft zu bleiben, dieses wird ihm vermuthlich sehr beschwerlich gewesen seyn. Ich verlange nicht, daß er so eingeschränket werde, sonst stehet er Ihnen gewiß nicht lange zu Gebothe. Seine Gegenwart ist mir niemals beschwerlich, so lange ich nichts davon zu befürchten habe, welches ich jetzt nicht vermuthe. Wir werden nächstens einen Besuch in Kargfeld ablegen, ich werde mitgehen, um dem Herrn v.N. eine unschuldige Freude zu machen. Prägen Sie ihm nur ein feines, steifes, zurückhaltendes Wesen ein, und versichern Sie ihn, daß dieses das beste Mittel sey, von mir recht viel freundliche Gesichter zu bekommen.


Sie suchen doch auch alle Gelegenheit auf, sich lustig zu machen, und wenn Ihnen aller Stoff zu fehlen scheinet, so sind Sie es über sich selbst, das ist in der That ein artiger Charakter, der mir gefällt. Das Schicksal entferne uns nie von einander: wenn ich jemals Ihren Umgang vermissen sollte, so würde[94] ich das allerschätzbarste, das ich besitze, verlieren. Weil einmal die Planeten unter uns einiger lustigen Aufmerksamkeit sind gewürdiget worden, so will ich mir die Freiheit nehmen, über eine Stelle des Ihrigen, eine Anmerkung zu machen, doch in einen gelehrten Streit lasse ich mich durchaus nicht ein, wenn ich auch einen Preiß von einer Akademie der Wissenschaften dadurch zu verdienen wüßte. Was machen Sie Sich für einen seltsamen Begriff von einem lachenden Freier! Sie verstehen darunter einen halbigten Liebhaber, der keinen Ernst braucht? Unglückliche Deutung! Gehen Sie zum Herrn Lampert, und lassen Sie Sich die Sache erklären, er wird es Ihnen ganz anders sagen. Sie sind lustig, aufgeräumt, Sie lachen gerne: gleich und gleich sucht sich. Der Mann, den Sie einmal glücklich machen sollen, wird in seinem Charakter Ihnen ähnlich seyn. Sie bekommen einen muntern, aufgeräumten, lachenden Freier, er Ihnen das Leben so angenehm macht, als Sie es allen, die Ihren[95] Umgang genießen, zu machen wissen. Wollen Sie nun weiter mit dem ehrwürdigen Sterndeuter zanken, der Ihnen so viel gutes geweissaget hat? Es hat mir nicht an Neugierde gefehlet, Ihren Planeten ganz zu lesen, und die bösen Schicksale, die nach Ihrem Urtheile darinne sollen enthalten seyn, zu erfahren, oder ihnen mit einer guten Auslegung zu statten zu kommen; aber da ich eine sehr schlechte und mangelhafte Edition von einem Calender habe, darinne diese unbetrüglichen Weissagungen fehlen: so muß ich wider Willen dem Befehle nachleben, Ihren Planeten nicht zu lesen.


Thun Sie nur nicht so böse, daß ich dem Major etwas von Ihnen vorgeschwatzt habe. Sie urtheilen recht, daß ich ihn dadurch für seinen Vorwitz habe bestrafen wollen; aber ich bin darinne nicht mit Ihnen einerlei Meinung, daß ich daran Unrecht gethan habe. Ich glaube vielmehr allen Verdacht dadurch von Ihnen entfernt zu haben. Er konnte[96] denken, wir hätten von Ihm gesprochen, da wir heimlich mir einander redeten; er konnte dieses aber nicht mehr denken, da ich es ihm öffentlich sagte, daß wir es gethan hätten. Wenn es wahr gewesen wäre, so würde ich es ihm gewiß verschwiegen haben. Vermuthlich sahe er es ein, daß ich ihn für seine Neugierde, dadurch habe wollen ein wenig büßen lassen; sollte es aber nickt geschehen seyn, so will ich, wenn er mich wieder fragt, was wir von ihm gesprochen hätten, meinen Fehler wieder gut zu machen, etwas recht schönes erdenken, das Sie zu seinem Vortheile sollen gesagt haben. Aber warum dringen Sie denn so sehr darauf, daß ich Ihre Unschuld retten soll? Fräulein, Fräulein! wenn Sie mir etwas verheimlichen, so vergebe ich es Ihnen nicht.


Dem Herrn Baron machen Sie mein bestes Compliment. Sagen Sie ihm, daß ich seine guten Bemühungen mir vielem Danke erkenne; aber ich bin wenig mit den Maaßregeln[97] zufrieden, die er anwendet, seine gute Absicht zu erreichen. Warum braucht er so zweideutige Ausdrücke, die den Herrn v.N. entweder gegen mich oder den Major aufbringen können? Wer weiß, ob er nicht dadurch in die Versuchung geräth, seinem eignen Kopfe zu folgen, und wenn er sich nicht mehr in der Irre herum führen läßt, die rechte Spuhr wieder zu suchen, wodurch es ihm an, ersten gelingen könnte, sein Vorhaben auszuführen, oder doch wenigstens mir Angst zu machen. Ich merke wohl, daß der Herr Baron durch die Verzögerung ihn ermüden will. Es ist dieses ein sehr guter Einfall, aber wann dem Herrn v.N. etwas in den Kopf gesetzt wird, das ihn aufbringen kann, so verläßt ihn seine Gedult ganz sicher, und er wird hernach alles anwenden, sein Schicksal entschieden zu sehen, welches auf der einen oder der andern Seite Verdruß erwecken könnte, und diesen vermeide ich gerne. Doch das ist noch nicht alles, was mir am wenigsten gefällt, ist dieses, daß ich so[98] abgeschildert werde, als wenn der Major in besonderm Ansehen bei mir stünde. Ich bin in diesem Stück etwas zärtlich, wenn Sie über so etwas mit mir scherzen, so kann ich gleiches mit gleichem erwiedern, und das bleibt unter uns; wenn aber mehrere Personen an diesem unschuldigen Scherz Antheil nehmen, so entstehet daraus ein Gerüchte, und das wünsche ich eben nicht. Die Auslegung über die unschuldige Frage, wie sich Ihr Herr Oncle befände, ist höchstleichtfertig. Ich lasse mir diesen Scherz desto leichter gefallen, da ein solcher Verdacht, daß ich nach einer Erbschaft sollte begierig seyn, nicht leichtlich im Ernste von mir wird gefaßt werden, es kann auch dieser Einfall, in der Absicht, in welcher er ist angewendet worden, vielleicht von einigem Nutzen seyn. Aber ich weiß nicht, was ich mit den Ohrenringen anfangen soll, ich kann die Absicht, warum der Herr v.F. mich damit hat beschenken lassen, nicht errathen. Sollte es deswegen geschehen, damit Ihr Herr Oncle[99] aufgemuntert würde, mir in der That ein Geschenke zu machen, so würde ich dadurch in die äußerste Verlegenheit gesetzet werden, ich könnte es nicht annehmen, und auch nicht ohne Beleidigung zurück geben, ich würde also auf die eine und auf die andere Art anstoßen. Ueber dieses, wenn der Herr von N. gegen die Frau v.W. etwas davon gedächte, so würde ich ein scharfes Examen von ihr auszustehen haben, sie würde es nicht glauben, daß es nur ein Mährgen ist. Sie wissen, was man für Mühe anzuwenden hat, ihr etwas auszureden, das sie sich zu glauben oder einzubilden, einmal vorgenommen hat. Wenn Sie nicht versichert sind, daß ich davon nichts zu befürchten habe, so streichen Sie diese Stelle ganz aus. Ich ersehe am Ende des Schreibens an den Herrn v.N. daß er nur eine Staatskrankheit angenommen hat. Nun bedaure ich ihn desto mehr, und wenn es nicht meine eigne Person beträfe, so wollte ich eben das thun, wozu Sie Sich anheischig gemacht haben, und alles beitragen,[100] seine Wünsche zu erfüllen. Den Augenblick erfahre ich etwas ganz neues, der Major bat Befehl erhalten, wieder zu seinem Regimente zurückzukehren. Er ist nur vor einer Stunde hier gewesen, und hat es meinem Vater gesagt. Ich bin am Ende meiner Gedanken und meines Briefs, und kann in der Eil keinen bessern Ausdruck finden, solchen dadurch zu schlüßen, als die Versicherung, daß ich Sie mit der aufrichtigsten Zärtlichkeit liebe


J.v.W.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 91-101.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeschichte

Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeschichte

Der historische Roman aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges erzählt die Geschichte des protestantischen Pastors Jürg Jenatsch, der sich gegen die Spanier erhebt und nach dem Mord an seiner Frau von Hass und Rache getrieben Oberst des Heeres wird.

188 Seiten, 6.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon