IX. Brief.

An den Herrn v.N. von dem Herrn v.F.

[81] den 26 Nov.


Recht gut so! Ich wünsche Ihnen Glück zu dem guten Anfang Ihres Spiels oder des Feldzuges, wie Sie Ihre Liebe nennen wollen. Sie haben sich wohl gehalten, und werden nun bald mehrere Progressen thun. Weil ich Ihnen einen Bericht abzustatten habe, der Ihnen nicht misfallen[81] kann: so hoffe ich, daß Sie mir diesmal alle Locos communes, die mir etwan entwischen möchten, gern verzeihen werden, doch werde ich mich dafür, so sehr ich kann, in Acht nehmen. Ich will mich eben nicht so genau an Ihre Vorschrift binden, um Ihnen nach der Ordnung zu melden, wie Ihre Prose und Verse sind aufgenommen worden, was man darüber gesagt hat, und was die verliebte Mine, die Sie haben anstiegen lassen, für Wirkung gethan: ich will Ihnen aber doch auch keinen Umstand, der Ihnen nur einiger maßen vortheilhaft ist, verschweigen. Der Einfall durch eine Pastete einen Liebesantrag zu thun, ist der vortreflichste von der Welt, Sie hätten Ihrer Geliebten solchen nicht artiger in die Hände spielen können. Das Fräulein schien ganz entzückt, da sie eine so vortrefliche Nahrung für den Geist in einem Behältnis entdeckte, das nur einige leckerhafte Bissen für den Mund einzuschließen schien. Das feindselige Messer hätte zwar beinahe ein großes Unglück angerichtet, und[82] den ganzen Planeten von Ihrem Briefe weggeschnitten: doch der getreue Sylphe des Fräuleins wollte sie nicht um das Vergnügen bringen, dieses Meisterstück des Witzes und einer gesunden Auslegungskunst zu lesen; der Brief und das Gedichte kam mit einer kleinen Verwundung, die einem Ehrenzeichen gliech, davon. Die Neugierde aller Anwesenden war so groß, daß die wichtigsten Gespräche dadurch unterbrochen wurden, und einige Minuten ein tiefes Stillschweigen über die Gesellschaft ausgebreitet war, bis sich solches in ein lautes Gelächter und frohlockendes Händeklatschen verwandelte, das einen allgemeinen Beifall anzuzeigen schien. Man konnte sich lange nicht vergleichen, wer die Ehre haben sollte, beides das Gedichte sowohl als das Schreiben öffentlich vorzulesen. Daß es geschehen sollte, darüber war man einig, obgleich das Fräulein Einwendungen dagegen machte. Endlich fielen die meisten Stimmen für den Major aus, welcher beschämt schien, daß er eine so schöne[83] Gelegenheit als der Geburtstag des Fräuleins war, aus den Händen gelassen, ihr seine Hochachtung wodurch zu bezeigen, da Sie Sich derselben so vortreflich zu bedienen gewußt hatten. Zu seiner Bestrafung mußte er ein Herold Ihres Witzes werden, er mußte lesen, so gern er diese Ehre verbethen hätte. Zu Ihrem Troste kann ich es sagen, daß das Fräulein, so lange er las, kein Auge von ihm verwendete, und daraus machte ich den Schluß, daß ihr alles sehr wohl gefiel. Die ganze Gesellschaft sprach von Ihnen sehr vortheilhaft, und selbst der Major mußte Ihnen Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Das Fräulein sagte zwar nichts zu Ihrem Lobe: sie dachte aber desto mehr. Die Frau v.W. gestund, daß sie niemals die Gabe der Dichtkunst bei Ihnen vermuthet hätte, daß sie aber Sie um desto höher schätzte. Sie wünschte zugleich das Vergnügen zu haben, sich mit Ihnen in einen neuen Zwist verwickelt zu sehen, damit sie die Ehre hätte, eine poetische Abbitte und Ehrenerklärung zu erhalten.[84] Ihr Gemahl machte die Lobsprüche, die man Ihnen ertheilte, dadurch desto ansehnlicher, daß er Ihre Gesundheit ausbrachte, die rund um die Tafel fleißig nachgeholet wurde. Ungeachtet ich alle Mühe angewendet habe, das Herz des Fräuleins auszukundschaften, um zu erfahren, was Ihr Angebinde auf solches eigentlich für eine Wirkung gethan: so bin ich doch nicht vollkommen glücklich hierinne gewesen. Wenn ich von den, äußerlichen urtheilen wollte, so könnte ich Ihnen viel versprechen; allein die Schönen sind Meisterinnen in der Verstellungskunst. Sie wurde roth, da sie den Glückwunsch auf ihren Geburtstag fand, und lachte, da sie unter dem Schreiben Dero Namen erblickte. Sie gab auf alles genau Achtung, da der Major las, und da er hernach beide Stücke ihr wieder auf einem Teller überreichte, so nahm sie solchen mit einer freundlichen Mine zurück. Alles dieses läßt sich so vortheilhaft für Sie erklären, als der Planet für das Fräulein. Noch mehr, sie trunk Ihre Gesundheit, sie[85] lobte Ihre Aufmerksamkeit, dieses war zugleich ein Vorwurf für den Major wegen seiner Nachläßigkeit, daß er, der sie beständig begleitet wie ein Trabante seinen Planeten, nicht einmal ihrem Geburtstage nachgespüret hatte. So eine gute Gelegenheit kommt nicht alle Tage, sein Wort auf eine gute Art anzubringen. Sie hat Fräulein Amalien gefragt, wie Sie Sich befänden, ob Ihre Krankheit von Folgen zu seyn schien. Man könnte glauben, daß sie diese Frage aus Eigennutz gethan hätte, um die Erbschaft, die Sie ihr zugedacht haben, bald hoffen zu können, ja man könnte hierinne dadurch bestärket werden, daß sie sich auch unter der Hand erkundiget, ob Sie seit ihrem ersten Geburtstage, nicht wieder an Ihren letzten Willen gedacht hätten; allein solche hypochondrische Gedanken müssen einen Verliebten nicht einfallen, man kann auch von diesen Worten eine vorteilhafte Auslegung machen. Ueberhaupt läßt sich von dem vortreflichen Charakter des Fräuleins nicht vermuthen,[86] daß sie wünschen sollte bald Ihre Erbin zu werden. Alle diese Spuren sind mir aber noch nicht hinreichend, einen sichern Schluß daraus herzuleiten, daß Sie schon ihre Gewogenheit besitzen, ich will lieber nichts daraus schlüßen, als Gefahr laufen, falsch zu urtheilen. Wenn Ihnen das Glück günstig ist, so wird es uns schon andere Proben liefern, daraus wir die Zuneigung des Fräuleins vollkommener und sicherer schlüßen können. Wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, so verhalten Sie Sich eine Zeitlang nur ruhig, und wenn Sie auch in ihrer Gesellschaft sind, so beobachten Sie ein gleichgültiges Wesen: man stürmet nicht immer bei einer Belagerung, man sitzt auch wieder eine Zeitlang stille, um neue Kräfte zu sammlen, und hernach einen unvermutheten und desto kräftigern Angriff zu thun. Die Frau v.W. ist Ihnen, so viel ich ihr habe abmerken können, noch immer nicht recht gut, es liegt nichts daran, ihre Gunst verspricht Ihnen ohnehin keinen sonderlichen Vortheil.[87] Sie thun indessen wohl, wenn Sie, als ein Politikus, eine Staatsfreundschaft mit ihr unterhalten. Wenn Sie bei dem Herrn v.W. einen Besuch abstatten, so will ich Sie mit Ihrer Erlaubniß begleiten, damit ich jede Mine und jede Bewegung des Fräuleins ausstudiren kann, um eine Gewißheit dadurch zu erhalten, was für Gesinnungen sie von Ihnen hegt.


Fräulein Amalia bringt mir jetzt eine schlimme Nachricht, sie hat eben einen Brief von dem Fräulein v.N. erhalten, darinnen ihr diese berichtet, daß sie heute früh aus ihrem Tische ein zusammengerolltes Pappier angetroffen, und bei Eröffnung desselben, ein vortrefliches französisches Sonnet nebst ein paar demantnen Ohrenringen gefunden hat. Sie sind abgestochen; Ihr Rival hat einen höhern Trumpf eingesetzt. Das Fräulein hat eine sehr große Freude über das Geschenke. Ihr Lobgedichte, das sie sehr heilig in ihrem Putzschrank aufzuheben versprach, fallt nun gewiß[88] in das unterste Fach, wenn es noch drinnen bleibt. Wo sollten die Ohrengehänge anders herkommen als von dem Major? Ja ja, er hat die rechten Schliche inne, wie man die Schönen bezaubern kann. Er verstehet das Spiel aus dem Grunde, jetzt sitzt er im Vortheile und wird sich schwerlich daraus vertreiben lassen. Doch das Spiel ist noch nicht verlohren, Sie sitzen nur hinter der Hand, und an Ihnen ist nunmehro die Reihe, ihn wieder abzutrumpfen. Wir wollen die Sache schon wieder ins Gleiß bringen, wenn Sie nur Standhaftigkeit gnug besitzen, die widrigen Zufälle, die in dergleichen Umständen sich oft begeben, zu ertragen, ohne an Ihrem Glück zu verzweifeln. Ich bin immer unglücklich im Vergleichen, so viel Geschmack ich auch daran finde. Ich habe Ihre Liebe, in so ferne sie thätig ist, mit dem Spiel verglichen: jetzt, da Sie Sich nach meinem Entwurf etwas leidend verhalten müssen, kommt sie mir vor wie das Podagra. Gedult und ein wenig Schreien sind hierbei[89] die besten Arzeneien. Ich rathe Ihnen beides, das erste, um der Sache gelassen zuzusehen, bis das Schicksal Ihren Rival aus der hiesigen Gränze entfernet, und das andere, um ihre Schöne, wenn sie über Ihre Unempfindlichkeit und Härte klagen, dadurch zum Mitleiden zu bewegen. Unterdessen daß Sie in einer gewissen Unthätigkeit sich befinden, will ich desto geschwinder seyn im Kabinet, und wie die Minister, wenn die Generals in Winterquartieren schmaußen, den Plan entwerfen, den Sie hernach ausführen sollen. So bald Sie Ihre Staatskrankheit Abschied nehmen lassen, so besuchen Sie mich, und bringen Sie Ihren Favoriten den Herrn Lampert mit, damit wir alles gemeinschaftlich überlegen, und wegen Ihren Angelegenheiten ordentlichen Rath halten. Ich verspreche Ihnen, allen Fleiß und alle Aufmerksamkeit anzuwenden, ihre Wünsche[90] zu vergnügen, um Sie dadurch zu überzeugen, daß ich kein blos Compliment mache, wenn ich mich nenne


Dero

gehorsamsten Diener

v.F.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 81-91.
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Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
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