XIV. Brief.

Das Fräulein v.W. an das Fräulein v.S.

[151] den 1 Dec.


Gestern Abend ist hier einschrecklicher Diebstahl verübet worden – – –. Das ist nichts neues, werden Sie denken bei Erblickung dieser Zeilen, es sind heute Steckbriefe hier gewesen. Ein Knecht stiehlt einem Alten sein Geld und ein Pferd, um mit seinem Raube desto geschwinder fortzueilen, das wird der Innhalt eines weitläuftigen Briefes meiner Freundin an mich.[151] Ich glaube, das Mädchen wird mir noch Mordgeschichte erzählen. Das wäre mir recht, daß ich mich an solchen nichtswürdigen Dingen blind lesen sollte. Ich wette, das sind Ihre Gedanken gewesen bei Eröffnung meines Briefes. Ich habe großes Mitleiden mit dem armen Manne, der vergangene Nacht einen Theil seines Vermögens verlohren hat; allein Sie haben sich geirret, es war weder meine Absicht Ihnen eine unglückliche Begebenheit, die Sie vermuthlich schon wissen, zu widerholen, noch weise Betrachtungen darüber anzustellen. Diese darf ich nur anbringen, wenn ich wünsche, daß meine Briefe sollen ungelesen bleiben. Es können sich an einen Orte und zu gleicher Zeit Begebenheiten von einerlei Art zutragen, dieses ist wirklich hier geschehen. Es ist gestern ein doppelter Diebstahl hier verübet worden, aber nicht von einer Person, noch in einem Hause. Von dem geringern spricht jedermann, es ist darüber ein Unglück in dem Orte, als wenn eine Million aus einem königlichen[152] Schatz wäre entwendet worden; der größere ist nicht einmal bei den Gerichten angezeiget worden, der Dieb ist noch hier und hat die Verwegenheit mit seinem gestohlnen Gute sich groß zu machen. Denken Sie nur über die Begebenheit! Ich erhielt gestern Ihren Brief nebst den verschiedenen eingeschlossenen Schriften etwas späte. Ich war begierig diese zu lesen und nahm mir vor das beigelegte Liedgen bis zuletzt zu versparen, nicht als einen leckerhaften Bissen, den man verzehret, wenn man schon satt ist, sondern weil ich den Innhalt bereits aus Ihrem Briefe errieth. Ich war noch nicht ganz fertig mit Lesen, da ich gerufen wurde und sorgte dafür alles in Sicherheit zu bringen, ehe ich das Zimmer verließ; aber das Liedgen, das ich in das Clavier geleget hatte, vergaß ich unglücklicher Weise. Ich war nicht gerade in das Speisezimmer gegangen, sondern ich hatte noch eins und das andere im Hause zu besorgen. Diese Verzögerung macht, daß der Major, welcher gegen Abend wieder zu uns[153] kommen war, selbst auf meine Stube gehet, um mich herunter zu führen, und wie er mich nicht findet und mein Clavier offen stehet, so spielt er etwan ein Stückgen und findet das Liedgen. Der Innhalt hat ihn vermuthlich bewogen, es zu sich zu nehmen, ich habe den Verlust auch nicht eher gemerket als heute früh, da ich es lesen wollte. Ich bin in einer entsetzlichen Verlegenheit deswegen und weil ich den Innhalt davon aus Ihrem Schreiben schlüßen kann: so werde ich mich heute nicht für den Major können sehen lassen ohne roth zu werden. Ich wollte lieber einen Dieb, den ich mit Steckbriefen könnte verfolgen lassen, in meinem Zimmer gesehen haben als einen, dem ich nicht einmal seinen Diebstahl Schuld geben, oder ihn der Obrigkeit zur Bestrafung in die Hände liefern darf. Erweisen Sie mir doch, mein liebes Fräulein, einen zwiefachen Gefallen, ich bitte Sie, geben Sie mir wegen meiner Unachtsamkeit einen derben Verweis, und schicken Sie mir aufs eiligste eine andere Abschrift des Liedgens,[154] damit ich daraus sehe, ob ich meine Unruhe zu vermehren oder zu vermindern Ursache habe. Gewissermaßen wäre ich berechtiget mit Ihnen zu schmälen, daß Sie mir durch Ihre Leichtfertigkeit ein solches Unheil zugezogen haben. Wenn ich es thun wollte oder Herzhaftigkeit genug besäße, so hätte ich keine unrechte Erfindung im Kopfe mich ein wenig an Ihnen disfalls zu rächen. Ich dürfte den Major über seinen Raub nur zur Rede setzen; ich könnte ihm sagen, ich wäre im Begriff gewesen, Ihnen seine Abreise zu melden, und weil ich glaubte, daß Sie Sich darüber betrüben würden, so hätte ich Ihnen zum Trost das Liedgen mitschicken wollen, das er in meinem Clavier gefunden. Wahrhaftig, ich muß Ihnen diesen Streich spielen, um mich aus dem Handel zu ziehen. Er dürfte, wenn ich ein gänzliches Stillschweigen beobachtete, auf die Gedanken gerathen, als wenn mir seine Abreise so nahe gieng, daß ich ihm zu Ehren ein Abschiedsliedgen hervorgesuchet hätte. Es ist am besten, daß ich ihm[155] diese ungegründeten Gedanken benehme, und die Sache für einen Scherz ausgebe, den ich mit Ihnen habe treiben wollen.


Sie bedauren, daß Sie durch die Abreise des Majors um das Vergnügen kommen ihn zu einem Mitgliede in der Akademie des Herrn v.N. aufnehmen zu lassen, um sich an den schönen Reden, die Sie ihn haben wollen halten lassen, zu erbauen: Sie können diese Freude noch haben; er wird sich noch einen ganzen Monat hier aufhalten. Allein wenn Sie ihn auch zu einem Mitgliede ernennen ließen, so würden Sie doch keine Reden von ihm hören: er würde vermuthlich ein Ehrenmitglied werden. Soviel ich aus dem Aufsatze des Herrn Lamperts ersehen habe, gehören nur Pachter und Schulmeister unter die ordentlichen Mitglieder der neuen Akademie. Ich habe mich über diesen Entwurf, und über die Art, wie er soll ausgeführet werden, überaus vergnügt. Weil ich mich eben so gar sehr darein vertieft hatte, ging es mir[156] wie es den tiefsinnigen Leuten zu gehen pfleget, da ich dachte, ich hätte alles aufs beste gemacht, hatte ich das vornehmste vergessen und mich nicht darauf besonnen das Pappier mit dem Liedgen in meinen Schrank zu schliessen. Ich will Ihnen Ihre Lust nicht verderben, und es beruhet nur auf Ihnen, weint Sie die Akademie wollen eröffnen lassen, Sie dürfen mich nebst meinen Eltern nur einladen. Weil der Herr Baron selbsten eine Stelle unter den Mitgliedern einnehmen will, so habe ich nichts darwider einzuwenden, daß Sie meinem Vater die Präsidentenstelle zugedacht haben. Ich errathe Ihren sehr leichtfertigen Bewegungsgrund hierzu, und Sie thun sich vermuthlich auf diesen Einfall viel zu gute; mir als einer Tochter würde es aber sehr übel anstehen, wenn ich mit Ihnen zugleich lachen wollte, diese Ernsthaftigkeit werden Sie mir aber gewiß vergeben. Der Herr F. hat in seinem Schreiben all den Herrn Lampert eine sehr lebhafte Satyre angebracht, über die seltsamen Anschläge desselben. Der[157] Entwurf einer Frauenzimmerakademie, der Ihnen angedichtet wird, macht den seinigen sehr lächerlich, und wenn er dieses nicht einsiehet, so hat er nicht Ursache sich für scharfsinnig zu halten: wenn er es aber merkt, daß er Ihnen nur zum Spiele dienen muß, woran ich nicht zweifele: so wird alles dadurch rückgängig werden, und Sie kommen um alle die schönen Reden, die Sie erwarten.


Jetzt hat mich eben der hiesige Cantor verlassen, der mich, wie Sie wissen, im Clavier unterrichtet, ich bin dadurch an der Vollendung meines Briefes gehindert worden, und nun mag er auch eine Stelle darinne einnehmen. Er entdeckte mir als ein großes Geheimniß und mit einer Freude, der keine gleich ist, daß er mich am längsten wurde unterrichtet haben; er hätte einen anderweitigen Ruf zu einem großen Ehrenamte. Ich glaubte, daß ihm eine andere Gemeinde zum Schulmeister verlangte und wünschte ihm hierzu Glück: er eröffnete mir aber, daß er, so viel[158] er einsehen könnte, Professor auf der neuen Akademie werden sollte, die der Herr v.N. in Kargfeld errichten würde. Ob er gleich in der Schule nur bis in die vierte Classe kommen wäre und das Latein niemals hätte vertragen können: so hätte er doch Lust ein vornehmer und gelehrter Mann zu heißen. Er zweifelte auch nicht, daß er seinem neuen Amte mit Segen vorstehen könnte, weil der Herr Magister Lampert ihn versichert hätte, daß er mit Recht unter die Gelehrten zu zählen sey. Hierbei gab er mir zu verstehen, daß ich mich zeitig nach einem andern Lehrmeister umsehen könnte, indem es wider seinen Respect laufen würde, als ein Professor auf dem Clavier zu informiren wie ein elender Schulmeister. Ueber dieses mangelte ihm hierzu auch die Zeit: er müßte künftige Woche seine gelehrte Probe thun und eine Lobrede auf einen Virtuosen halten, der Händel geheißen hätte. Ich verwunderte mich über sein Glück ungemein, und fragte, was er denn zum Lobe dieses Virtuosen sagen wollte, ob ihm seine Lebensumstände[159] bekannt gewesen wären, oder ob er etwas von seiner Composition gesehen hätte. Er verneinte beides und gestund, daß weil es ihm jetzt noch an guten Büchern fehlte, sein Amt im Anfang ihm sauer ankommen würde, er ersuchte mich deswegen, weil er sähe, daß ich immer in Büchern läse, ihm einige zu lehnen, die er bei seiner Arbeit zu Rathe ziehen könnte. Es war mir unmöglich das Lachen hierbei zu verbergen; doch um dem ehrlichen Manne seine eingebildete Freude nicht zu stöhren, die nach Ihren Grundsätzen, unter allen Gütern, die wir besitzen, das vorzüglichste ist, ließ ich ihn in seinem süßen Irrthume, und machte ihm nur eine Erklärung von seiner neuen Würde, daß er ohne Abbruch derselben hier wohnen, Schulmeister bleiben, auch mich ferner informiren könnte; wegen des verlangten Buches aber verwies ich ihn zum Pfarrer. Allein er beschwerte sich sehr über diesen, daß er ihn wegen seines Glücks beneidete, ihm auch den Gebrauch seiner Bücher zu dieser Absicht abgeschlagen,[160] und scharf verbothen hätte, die neue Ehre anzunehmen, vermuthlich, wie er hinzu fügte, weil der Herr Pfarr nicht auch zum Professor wäre nichtig befunden worden, und ihn also gleichfalls von dieser Würde wollte ausgeschlossen sehen. Weil er mir nun heftig anlag, ihm eilt Buch zu lehnen, und ich kein anderes besitze, das ein gelehrter Ansehen hat als mein französisch deutsches Wörterbuch, worinne auch griechische und hebräische Worte mit vorkommen: so packte ich ihm dieses auf, und er versicherte mich, daß dieses eben das rechte Buch wäre, das er verlangt hätte. Nun bin ich eben so begierig als Sie, die gelehrte Akademie eröffnet zu sehen. Ich übersende Ihnen hier zugleich den Brief des Herrn Lamperts an den hiesigen Cantor, wodurch dieser in die irrige Meinung gerathen ist, daß er sollte Professor werden.


Ich höre, daß wir diesen Nachmittag einen Besuch in Schönthal ablegen werden; das hätte ich sollen zwo Stunden eher wissen, um[161] mir die Mühe zu erspahren einen langen Brief zu schreiben. Doch damit ich nicht etwas vergebliches unternommen habe, bin ich entschlossen, Ihnen nichts mündlich von dem, was ich geschrieben habe, zu entdecken, vielleicht schickt es sich auch nicht, daß wir aus der Gesellschaft gehen, um allein miteinander zu sprechen. Wenn ich Ihnen meinen Brief in eigner Person bringe, so werde ich dadurch Gelegenheit bekommen, Ihnen mündlich zu versichern, daß ich bin


Ihre

aufrichtigste Freundin

J.v.W.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 151-162.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Wolken. (Nephelai)

Die Wolken. (Nephelai)

Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon