XV. Brief.

Lampertus Wilibald, der freien Künste Magister, entbiethet seinen Gruß Herrn Theobald Ecken, wohlverdientem Schul- und Singemeister zu Wilmershaußen.

[162] Ehrengeachteter guter Freund,


Gleichwie die hohen Cedern auf dem Libanon und die weitausgebreiteten Eichen in den Wäldern, nicht allein in das Regnum vegetabile gehören, sondern auch den Isop auf der Mauer und den verachteten Wacholderstrauch für ihre Mitbrüder und Reichsgenossen erkennen müssen: also gehören auch nicht allein große und berühmte Lehrer hoher Schulen und in großen Städten, sondern auch geringe und verachtete Schulmeister auf dem Lande zu der Republick der Gelehrten. Ja ich behaupte mit[163] Bestande der Wahrheit, daß diese Dii minorum gentium mehrern Nutzen stiften, wenn sie der um sie her versammleten Jugend von einem niedrigen Drehstuhle lehren, wie viel neun mal neun ausmachet, als jene stolzen Männer, die von einem erhabenen Catheder das x = y + z herabschreien, und weil diese hottentottische Sprache niemand als sie selbst verstehet, sich eine mehrere Unfehlbarkeit als der römische Pabst zueignen wollen. Weil es nun so gut als bewiesen ist, daß er und seine Herren Collegen sammt und sonders, welche ihrem Amte mit Treue und Eifer vorstehen, zu den Gelehrten gehören: so folgt daraus, daß er und seine Herren Amtsbilder, an allen Ehren und Lorbeerkränzen, welche die Gelehrten erhalten, ihren billigen Antheil haben. Es ist zwar nicht zu läugnen, daß bisher der Neid der Gelehrten, welche in hohen Aemtern sitzen, keinen von den geringern gelehrten Mitbürgern zu den Altären der Pallas hat hinzunahen lassen, um für sein Opfer den Cranz[164] zu erhalten. Allein, Dank sey es unsern erleuchteten Zeiten, daß diese Tirannen aus der gelehrten Republick verjaget worden sind, und das gelehrte Bürgerrecht jedem die Vorzüge verspricht, die bisher nur wenige, die sich über andere hinweggedrungen, sich zugeeignet haben. Ich habe es unternommen, eine Reformation in der gelehrten Welt vorzunehmen, und die öffentliche Freiheit wieder herzustellen. Damit ich ihm, werther Freund, viel mit wenigen Worten sage, so soll er es wissen, daß mein vortreflicher Principal entschlossen ist, nach dem Beispiele anderer grossen Herren, und ins besondere seines Herrn Gevatters, eines Großbrittannischen Baronets, wenn er weiß, was das für ein Mann ist, auf seinem hochadlichen Rittersitze eine Akademie zu errichten, in welche nicht allein große und vornehme Herren, als Grafen, Edelleute, Räthe, Professors, Doctores und Magistri, sondern auch Pastores, Schulmeister, ja selbst gelehrte Bauern zu Mitgliedern ausgenommen werden. Nach reiflicher Ueberlegung[165] hat man für gut befunden, auch ihm eine Stelle in dieser neuen Akademie anzuweisen. Obgleich keine öffentliche Proben seiner Gelehrsamkeit und tiefen Einsicht in die Wissenschaften der Welt vor Augen liegen: so hat man doch, wegen seines in der gelehrten Welt berühmten Namens, ihm dieser Ehre theilhaftig machen wollen; denn einer von seinen Anherren, der es wenigstens dem Namen nach ist, war vor Zeiten ein gewaltiger Disputator, daß er sich auch unterstanden hat, mit dem Doctor Luthern anzubinden. Damit er auch wisse, was es eigentlich heist, ein Mitglied einer gelehrten Gesellschaft zu seyn: so soll er freundlich wissen, daß er, so bald ihm die Akademie diese Ehre ertheilet hat, gleichsam ein Professor worden ist; denn er hat die Macht, in dieser gelehrten Versammlung wöchentlich einmal zu erscheinen, und wenn die Reihe an ihm ist, solche mit einer gelehrten Abhandlung zu unterhalten, da denn alle Anwesende seine Zuhörer sind, und ihn als den Lehrer betrachten. Es ist dieses keine[166] geringe Ehre, das kann er glauben, dem Herrn Pfarr ist solche nicht ertheilet worden, und wenn er es genau suchen wollte, so müßte ihn dieser, außer auf den Amtwegen, zur rechten Hand gehen lassen, künftige Mittwoche kann er sich in seinem schwarzen Mantel hier einfinden. Es versteht sich von selbst, daß er sich so schön anputzen muß als wenn er zur Hochzeit bitten wollte. Damit ihm auch sogleich, beim Eintritt in die Akademie, eine Ehre widerfähret, so habe ich den Auftrag, ihm hierdurch anzukündigen, daß er auf diesen Tag eine Vorlesung halten soll, und zwar, weil man sich wegen seines gelehrten Namens viel von ihm verspricht, so wird ihm aufgegeben, eine Lobrede auf den selgen Herrn Händel, königlich-großbrittannischen Hof- und Leibmusikus, welcher vor einiger Zeit ad Patres gegangen ist, zu halten, worinne er zugleich erweisen kann, daß die Natur, und nicht die Kunst, einen Virtuosen bildet. Er wird sich hoffentlich befleißigen, diese Rede so auszuarbeiten, daß sie allenfalls dein Drucke[167] übergeben werden kann. Eine weitere Nachricht, besonders von den auszutheilenden Prämien bin ich mündlich zu ertheilen so bereit als willig. Lebe er wohl.


* * *


Zu der Eröffnung

Der auf dem hochadlichen Rittersitze zu N. hall errichteten Julianenakademie, ladet alle vortrefliche Mitglieder, Beförderer und Liebhaber der Wissenschaften hierdurch geziemend ein; und handelt beiläufig von der Tirannei der Mode, untersucht und beantwortet auch zugleich hierbei die Frage: Ob die Welt allezeit barbarisch gewesen, wenn die Gelehrten Bärte getragen haben

M.L.W.


Wer da läugnen wollte, daß die Mode nicht einer grausamen Sirene ähnlich[168] sey, welche durch ihre äußerliche Gestalt die Menschen an sich lockt, und gleich einem Ungeheuer, wenn sie sich hinzunahen, um es genau zu betrachten, sie verschlingt: der würde dadurch zu erkennen geben, daß er unter die Abc schützen aller menschlichen Erkenntniß gehöre. Es ist eine bekannte und von allen Vernünftigen erkannte Wahrheit, daß die Mode es eben so zu machen pflegt, wie die Tirannen der griechischen und römischen Republiken. Diese schmeichelten sich erst bei dem Volke durch allerlei glatte Worte und Versprechungen ein, und wenn sie die Herrschaft erhielten, als denn war es um die Freiheit gethan. Eben die Bewandniß hat es mit der Mode, wenn sie durch ihr gefälliges Ansehen die Menschen bezaubert hat: so herrscht sie despotisch und gebiethet über den Verstand und Willen. Alles muß sich ihr unterwerfen, und selbst die Beherrscher der Völker dürfen es nicht wagen sie ungestraft zu beleidigen. Ja, da sie über den Verstand zu herrschen sich unterwindet: Was Wunder! daß sich auch die[169] Sitten ihr unterwerfen müssen, dergestalt, daß sie solche nach ihrer Fantasie bald sanfter bald wilder macht, und ihnen mir einer der Zauberkraft der Circe ähnlichen Macht, bald diese bald jene Gestalt zu geben weiß.

Die gelehrte Republick, die durchaus keinen Oberherrn vertragen kann, muß gleichwohl die Gesetze derselben eben so wohl als das schöne Geschlecht verehren, und je weniger die Gelehrten Gesetze erkennen wollen, desto nachdrücklicher verlangt sie die Befolgung derselben. Ein Mädchen das sich wider die Mode auflehnet, wird belacht; ein Gelehrter, der ihre Gesetze verachtet, hat Leib- und Lebensgefahr deswegen zu besorgen. Wenn Doris in dem Nachtzeuge ihrer Aeltermutter erscheinen wollte, so würden sie höchstens nur die Kinder auf der Gasse auszischen; wenn aber ein Gelehrter die aus der Mode gekommenen Lehrsätze der alten Ketzer oder der Platonischen Philosophen wieder wollte aufleben lassen, und in Activität setzen, so würde man ihn steinigen.[170]

Um diese wunderbaren Erscheinungen zu erklären, muß man wissen, daß alles, womit sich die Mode beschäftiget, das äußerliche oder das innerliche des Menschen betrifft. Zu der ersten Gattung gehöret die Kleidertracht, allerlei Gebräuche und Gewohnheiten, die zum Nutzen oder zum Vergnügen und der Verschönerung des Körpers erfunden werden. Zu der zweiten Gattung aber wird alles das gerechnet, was die Seele und ihre Eigenschaften, als Verstand, Willen und Gedächtniß betrifft. Giebt die Mode ein Gesetz von der ersten Gattung, so werden diejenigen, die darwider handeln, gelinder bestraft; wenn sie aber etwas feste setzt, daß den zweiten Punkt betrifft, so straft sie die Uebertreter ihrer Gesetze aufs strengste. Gesetzt sie will, daß der Verstand etwas als wahr oder falsch erkennen soll, daß der Wille etwas verlangen oder verabscheuen, oder das Gedächtniß etwas behalten oder vertrigen soll; so muß dieses aufs genaueste befolgt werden, oder sie übt die strengste Rache an den Ungehorsamen.[171] Wir wollen dieses durch ein paar Beispiele deutlich machen. Da die Mode wollte, daß man sich die Erde so rund als einen Teller vorstellen sollte, wurde ein ehrlicher Bischoff, der sie so rund als eine Kugel machte, und aus dieser Ursache Gegenfüßer statuiere, verbrannt. Da es einmal Hexen geben sollte, würde der, welcher sie geläugnet hätte, als ein Bösewicht ihnen auf den Scheiterhaufen haben Gesellschaft leisten müssen. Heut zu Tage, da sie aufgehöret hat, die alten Mütter zu verfolgen, darf Niemand Hexen glauben, oder diese und jene Unholdin der Obrigkeit anzeigen, wenn er gleich versichert ist, daß sie bös Wetter macht, und Menschen und Vieh bezaubert, widrigenfalls stehet er in Gefahr, als ein unverschämter Diffamator, in Ketten und Banden geschlossen, oder wohl gar als ein Injuriant an den Pranger gestellet zu werden. Ein Professor würde vom Dienste gesetzt werden, wenn er untersuchen wollte, wie viel Engel auf der Spitze einer Nähnadel tanzen könnten, ehemals da[172] die Mode eine solche Untersuchung billigte, würde ein Gelehrter dadurch eine Professur nebst dem Titul eines Doctoris seraphici erhalten haben. Die neuesten Zeitungen melden, daß ein Student ist entleibet worden, weil er keine Harmoniam praestabilitam hat glauben wollen; der Baron von Wolf mußte Landflüchtig werden, weil er sie lehrte.


Wenn die Mode im äußerlichen etwas befiehlt, so verfährt sie mit den Uebertretern ihrer Gesetze nicht so gar strenge, ob es gleich nicht an Beispielen fehlet, da sie auch das rauhe herausgekehret hat; doch gemeiniglich werden sie dadurch gezüchtiget, daß man sie verlacht, oder auszischt. An und für sich selbst betrachtet, liegt zwar des heiligen römischen Reichs Wohlfahrt nicht daran, ob man zwei oder drei Zipfel in die Perucken knüpft, ob man den Hut auf dem Kopfe oder unter dem Arm trägt; ob man den Bart wachsen oder abnehmen läßt: allein die Mode will[173] ihr Recht haben, und man muß es so machen, wie sie es befiehlt, wenn man nicht in Schimpf und Schande bestehen will.


Jedermann wird leicht begreifen, daß wenn die Mode, in der Art zu denken, etwas verändert, wenn sie neue Lehrsätze oder neue Rechte auf die Bahn bringt, solche Neuerungen in die Sitten der Menschen großen Einfluß haben. Ein neuer Grundsatz, oder ein einziges Gesetz kann die Menschen wild und grausam oder auch sanft und wohlgesittet machen: die Gelehrten sind aber nicht einerlei Meinung, ob eine kleine Veränderung der Mode im äußerlichen, auch einen Einfluß auf die Sitten habe. Was liegt daran, ob das schöne Geschlecht, Sonne, Mond und Sterne im Gesichte trägt, ob sich die Schönen rothe, blaue oder grüne Backen machen, ob die großen Perucken, oder die krausen Haare unsrer süßen Herren besser gefallen; ob wir allein das Recht haben, zu Pferde zu sitzen, oder ob die Schönen auch reiten dürfen: hierauf[174] aber wird mit Recht geantwortet, daß diese Dinge keine solche Kleinigkeiten sind, als man gemeiniglich glaubt, daß man allerdings hieraus das Genie der Menschen, und folglich auch ihre Sitten, beurtheilen könne; ja daß die Kleidertracht, die Sitten vielleicht eher als Lehrsätze zu reformiren, und sie sanfter oder wilder zu machen, vermögend sey.


Allein wenn auch alle Gelehrten einerlei Meinung wären, daß von dem äußerlichen in der Mode ein gewisser Schluß könnte gemacht werden: so würde aus Mangel der hierzu erforderlichen Regeln, die noch nicht gnugsam entwickelt sind, doch ein großer Streit entstehen, ob aus dieser oder jener Gewohnheit eines Volkes, für die Sitten etwas gutes oder nachtheiliges könne geschlossen werden. Eben deswegen sind die gelehrten Untersuchungen erfunden worden, die entscheiden sollen, wo bei zweifelhaften und schweren Materien, sich die meisten Gründe der Wahrscheinlichkeit hinlenken. Denn ob es mit Untersuchung[175] der gelehrten Streitfragen eben die Bewandniß hat, als mit den unzähligen Disputationen, die jährlich auf Akademien gehalten werden, die mehr ein gelehrtes Spiegelfechten, als ein ängstlicher Kampf für die Ehre der Wahrheit genennet zu werden verdienen: so sind sie doch nicht ohne allen Nutzen; denn einmal werden diejenigen, welche solche Untersuchungen anstellen, in ihrer Meinung, sie mag nun für oder wider die Wahrheit seyn, treflich bestärket, daß sie sich dasjenige, was sie auf dem gelehrten Kampfplatz oder in Schriften vertheidiget haben, sich hernach nicht abstreiten lassen, und wenn sie den Kopf darüber verlieren sollten. Zum zweiten zeigen solche Schriften von dem Fleiße und der Scharfsinnigkeit ihrer Verfasser, und verschaffen ihnen oftmals kein geringes Ansehen.


Solcher Streitfragen giebt es unter den Gelehrten mehr als Sterne in der Milchstraße befindlich sind, und die im vorhergehenden Satz angeführte Bewegungsgründe haben[176] uns gleichfalls angetrieben, nur die wichtigsten zu untersuchen. Es ist bekannt, und zum Theil schon oben angeführet, daß die Mode nicht nur mit den Lehrsätzen der Gelehrten, sondern auch mit dem äußerlichen Ansehen derselben, oft wunderlich gespielet hat, besonders hat sie sich belustiget, das Haupt dieser ehrwürdigen Leute, worinne sie den köstlichen Schatz der Gelehrsamkeit bewahren, bald auf diese bald auf jene Art zu schmücken, daß es auch einem Protheus schwer fallen sollte, diese verschiedenen Gestalten alle nachzumachen. Jedes Jahrhundert hat die Gelehrten in einer andern, ja wohl gar in verschiedenen Gestalten gesehen. Einmal sind sie in langen Bärten und herabhangenden, ungekämmten Haaren erschienen, ein ander mal sind beide abgestutzt worden, wieder zu einer andern Zeit hat man Scheitel und Kinn beschoren. Bald haben sie durch Zipfelperucken und Schnurrbärte sich ein Ansehen gegeben; bald hat sie ein kleines Zwickbärtgen geschmückt; ein andermal haben sie den[177] Bart abnehmen lassen und das Haar gekräuselt, und hernach das Haupt sich bescheeren lassen und den Bart in Locken gelegt. Es fehlet so viel, daß aus diesen Veränderungen nicht sollte ein sicherer Schluß auf die Beschaffenheit der Gelehrsamkeit und der Sitten gemacht werden können, daß solche vielmehr hierzu die vollkommenste Anleitung geben.


Wir finden verschiedene Epochen, seitdem die Welt bevölkert ist, in welchen die Menschen gesitteter als zu andern Zeiten gewesen sind, und wir finden auch im Gegentheil verschiedene schlimme Zeitläufte, in welchen die Welt in ihre vorige Barberei zurückgefallen ist. Viele Gelehrte sind der Meinung, die guten Sitten und die Gelehrsamkeit hätten allezeit ihr Haupt empor gehoben gehabt, wenn das äußerliche Ansehen der Menschen sanfter und zärtlicher gewesen; sie wären aber aus der menschlichen Gesellschaft verdrungen gewesen, wenn man sich ein wildes und furchtbares Ansehen gegeben. Da sich[178] noch die Menschen in Thierhäute kleideten und in Wäldern und Hölen wohnten, waren die Gelehrten nicht gewohnt in barbara und celerent zu schlüßen. Man wußte zu der Zeit noch nichts von der Kunst die Haare zu kräuseln oder den Bart zu scheeren. Mit der Zärtlichkeit der Sitten entstund auch eine gewisse Zärtlichkeit in der Tracht. Man war nicht mit dem Ansehen zufrieden, das die Natur den Menschen ertheilet, man nahm die Kunst allenthalben zu Hülfe. Die natürliche Erkenntniß war nicht mehr zureichend, sie mußte durch die Kunst erweitert werden, und die natürlichen Sitten, worinne Einfalt und Aufrichtigkeit herrschte, bekamen durch den Anstrich der Kunst eine freiere aber gefährlichere Gestalt. Wenn die Menschen anfangen zu künsteln so künsteln sie in allem, und dieses erstreckt sich folglich auch auf die Gestalt.


Hieraus folgt, daß man von der äußerlichen Seite des Menschen richtig auf das innerliche[179] schlüßen kann. Es fragt sich nun hierbei, ob wir unser jetziges äußerliches Ansehen oder unsere Tracht zum Muster nehmen dürfen, wenn wir die Sitten der Vorwelt beurtheilen wollen? Ueberhaupt wird diese Frage verneinet, die Kleidertracht ist bei uns so vielen Veränderungen unterworfen und oft so wunderbar, daß man uns, wenn man überhaupt einen Schluß davon machen wollte, einen Monat für gesittete Völker halten, und den andern für Tartarn und Kalmucken erkennen würde, und in eben diesen Fehler würden wir auch verfallen, wenn wir andere eben so beurtheilen wollten. Wenn aber die Frage so bestimmt wird: ob wir in der äußerlichen Tracht nicht etwas als ein Principium cognoscendi annehmen können, den Zustand der Sitten und Gelehrsamkeit daraus zu beurtheilen: so wird dieses allerdings von verschiedenen Gelehrten behauptet, und haben den Bart der Männer als den Erkenntnißgrund des Zustandes der Sitten und Gelehrsamkeit angenommen, weil dieser nie eine Veränderung[180] erlitten als bis diese letztere gleichfalls eine Veränderung erlitten haben. Viele neuere Gelehrte sind der Meinung, daß ein geschornes Kinn allezeit den Wissenschaften und Sitten vortheilhaft gewesen, daß hingegen der Bart jederzeit ein Zeugniß von der Barbarei der Menschen abgeleget habe, wie sie denn das Wort Barbarus von Barba herzuleiten kein Bedenken getragen haben. Da nun die Gelehrten diejenigen sind, welche in den Zustand der Sitten und der Gelehrsamkeit den größten Einfluß haben, und man von den Veränderungen in der Mode, denen sie selbst unterworfen gewesen, auf jene am sichersten schlüßen kann: so hat man die Streitfrage aufgeworfen: ob die Welt barbarisch gewesen, wenn die Gelehrten Bärte getragen, und man hat dieses gemeiniglich bejahet. Ich will jetzo mit Erlaubniß dieser Herren das Gegentheil darthun, und solches verneinen.


Um der guten Ordnung keinen Eintrag zu thun, wollen wir erstlich einen kurzen Auszug[181] von den merkwürdigsten Veränderungen, der Bärte der Gelehrten von Erschaffung der Welt bis auf unsere Zeiten beibringen, und mit solchen den Zustand der Sitten und Gelehrsamkeit vergleichen. Wir finden so wenig Ursache uns dieser Unternehmung zu schämen, daß wir keinen schicklichern Gegenstand zu dieser Einladungsschrift haben antreffen können. Sollte inzwischen der Zoilus und Momus ihr ungezäumtes Maul darüber rümpfen: so wollen wir ihnen ins Ohr sagen, daß ein Gelehrter sogar einen Tractat von den Schuhen der Alten geschrieben hat, welche doch vermuthlich dem Barte den Rang nicht werden streitig machen. Ja was noch mehr! Haben wir nicht einen gelehrten Vorgänger aufzuweisen, der ein eignes Buch von dem Barte an das Licht gestellet hat?


Wir wollen die Untersuchung, ob Adam im Paradiese einen Bart getragen hat, zu einer eignen Untersuchung verspahren und[182] nur anmerken, daß die alten Väter alle in Bärten abgemahlet werden. Es war in den alten Zeiten ein großer Schimpf, wenn ein Mann seines Bartes beraubet wurde oder wenn er gar keinen hatte, und kommt mir daher sehr glaublich vor, daß die, welchen die Natur diesen Schmuck versaget, sich künstliche Bärte ansetzen ließen, und sich damit schmückten, wie wir heut zu Tage mit den Perucken zu thun pflegen. Man hielt dieses Vorrecht der Männer für dem schönen Geschlecht in solchen Ehren, daß man den Bart mit Salben bestrich, oder wenn er im Alter grau wurde, solchen färbte. Die alten Philosophen suchten sich dadurch in besonderes Ansehen zu setzen. Wer den größten Bart unter ihnen besaß und den schlechtesten Mantel trug, bekam die meisten Zuhörer, eben so wie zu unsern Zeiten die Hörsäle am meisten angefüllet sind, wo die größte Perucke auf dem Catheder stolziret. Die alten Römer ließen den Bart stehen und eben so lange stund auch ihre Freiheit und die guten[183] Sitten, da jene abnahmen, fingen auch diese an in Abnahme zu kommen, bis sie endlich eben so wie der Bart plötzlich verschwanden. Der Kaiser Hadrian stellte zwar diesen Schmuck der römischen Bürger aber nicht ihre Freiheit wieder her. Die Kirchenväter trugen Bärte und dieser Schmuck wurde hernach durch viele Jahrhunderte beibehalten, bis endlich die Mode nach ihrer Caprice sie bald uns Exilium schickte, bald wieder zurück berief: sie blieben aber doch im Pesseß ihrer Rechte bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts, da man anfing mit grausamer Tirannei bald hier bald da etwas davon abzuzwacken, bis sie zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts ganz aus der gelehrten Republick sind verwiesen worden. Die Schweizer, die das Lob haben, daß sie nicht leicht eine neue Mode aufkommen, aber auch keine alte gern in Verfall gerathen lassen, hielten ehemals ihre Bärte in solchen Ehren wie ihre Freiheit, daß auch selbst das schöne Geschlecht ganz davon eingenommen war. Lesenswürdig[184] ist es, was ich bei einem glaubwürdigen Autor hiervon gefunden. Ein Französischer Abgesandter, der an einem Schweizer einen außerordentlich langen Bart bemerkte, wollte ihm solchen, als eine Rarität, abkaufen, dieser aber hielt ihn für ein Gliedmaß seines Leibes, und folglich war er ihm unschätzbar. Doch nach einer langen Disputation, mit dem Abgesandten, worinne dieser mit einem Argument von hundert Louis d'ors bewieß, daß der Bart kein Glied des Leibes wäre, ließ der Schweizer sich überwinden, und verhandelte seinen Bart, welcher noch, wie glaubwürdige Personen berichten, in der königlichen Kunstkammer zu Paris zu sehen ist. Allein da der arme Schweizer vergnügt, über den guten Handel, nach Hause kam, so that seine Frau das mit seinem Scheitel, was der Abgesandte mit seinem Kinn hatte vornehmen lassen, sie fiel ihm in die Haare und in kurzer Zeit war sein Kopf so kahl als sein Gesicht, ja sie ließ sich von Tisch und Bette so lang von ihm scheiden, bis ihm Haar und Bart wieder gewachsen war.
[185]

Aus dem angeführten erhellet, daß die Bärte mehrentheils im Gebrauch gewesen, und daß man auch ihnen oft große Hochachtung erwiesen hat. Lasset uns nun sehen wie die Sitten und die Gelehrsamkeit beschaffen gewesen, wenn die Welt bärtig gewesen. In Griechenland blüheten ehemals die Wissenschaften und die Gelehrten trugen Bärte, wenigstens gilt dieses von den Philosophen, die damals den größten Theil von der gelehrten Welt ausmachten. Die Sitten der Griechen waren so fein, ihre Gesetze so vollkommen, daß Griechenland eine hohe Schule der Ausländer wurde, und man allenthalben die Gesetze dieses Landes einführte. Ein Beweis, daß gute Sitten und Bärte sich wohl mit einander vertragen können.


Rom war lang ein gesitteter Staat und die Wissenschaften hatten sich längst um das Capitol gelagert, ehe man anfing den Männern ihren Schmuck zu rauben und die Bärte zu verheeren. Zwar könnte man den Einwurf[186] machen, daß eben zu der Zeit, da Rom anfing auf den Gipfel seiner Größe zu steigen, die Bärte abgeschafft wurden, und daß besonders diese Mode in das güldne Zeitalter der gelehrten Sprache fällt, ja daß eben dieses auch von unsrer Zeit eintrifft. Jetzt da die Sitten und die Gelehrsamkeit wiederum empor gestiegen, herrscht das tirannische Scheermesser abermal über unser Kinn; allein nichts ist leichter als diesen Einwurf zu widerlegen. Erstlich bemerken wir überhaupt, daß er gar nicht wider unsern Hauptsatz gerichtet ist: denn da wir weiter nichts beweisen wollen, als daß der Satz falsch sey, wenn vorgegeben wird, daß die Welt allezeit barbarisch gewesen wäre, wenn die Gelehrten Bärte getragen hätten, so können wir es zugeben, daß es Zeiten gegeben hat, da die Welt gelehrt und gesittet gewesen, wenn die Bärte in der gelehrten Republick nicht sind gedultet worden. Aber wir wollen es nur gestehen, daß wir wirklich die Meinung hegen, daß bärtige Gelehrte für die Sitten und Gelehrsamkeit[187] jederzeit ein gutes Zeichen gewesen, daß hingegen ihr plattes Kinn beiden nichts gutes verkündiget habe. Wir geben zu, daß zu der Zeit, wenn die Gelehrten keinen Bart getragen haben, dann und wann die Welt gesittet und gelehrt geschienen hat; aber eine andre Frage ist es, ob sie es auch wirklich gewesen ist, ich, meines Ortes, behaupte das Gegentheil. Nie hat es in den Wissenschaften so viele Stümper gegeben, und nie ist Falschheit, Betrug, Verstellung und Bosheit mehr im Schwang gewesen, als wenn das männliche Geschlecht sich ein weibliches Ansehen gegeben hat. Eben dieses gilt auch von Rom, da man den Bart ablegte. Es ist wahr, Horaz, Virgil, Cicero, Cäsar lieferten der Welt Muster der Dichtkunst, Beredsamkeit und Historie; aber keine Regel ist ohne Ausnahme. Neben, ihnen lebte eine unendliche Menge Meistersänger, elender Schwätzer und Zeitungsschreiber, und die Sitten waren zu der Zeit in einem solchen Vorfalle, daß Cicero selbst Mörder, Rebellen und Diebe[188] vertheidigte, Cäsar solche schöne Thaten beging und Flaccus die verbuhltesten Liedergen von seiner Leier hören ließ.


Schade ist es, daß wir diese schöne Materie jetzt nicht weiter verfolgen können. Unterdessen bleibt unser patriotischer Wunsch dahin gerichtet, daß die Gelehrten einmal das Joch der Mode, die ihnen ihren ehrwürdigsten Schmuck geraubet, hat abwerfen, die Bärte wieder aufleben lassen, und dadurch einen neuen Beweis geben, daß die Welt nicht barbarisch ist, wenn die Gelehrten Bärte tragen.


Ich schreite nun mit Vergnügen zum Zweck meiner Abhandlung, welcher dieser ist, die Eröffnung der gelehrten Gesellschaft, welche Seine Gnaden, Herr Ehrhard Rudolph v.N., Erb-Lehn und Gerichtsherr auf Kargfeld und Dürrenstein, unter dem Namen der Julianen Akademie auf erstbemeldetem seinem Rittersitze aufzurichten, und mit seiner hohen Protection zu beehren entschlossen ist, anzukündigen.[189] Eine so patriotische Gesinnung als diese, ist zwar über alles Lob erhoben, und ich würde eine Thorheit begehen, wenn ich mich bemühen wollte, diesen edelmüthigen Entschluß, der sein eigner Lobspruch ist, nach den Regeln der Redekunst herauszustreichen. Vielmehr will ich den aufrichtigsten Wunsch thun, daß diese gelehrte Gesellschaft, welche seit Erschaffung der Welt die erste, die in hiesiger Gegend durch eine genauere Verbindung mit der Erweiterung der menschlichen Erkenntniß sich beschäftiget, gleiche Schicksale mit der römischen Republick haben möge. In ihrer Entstehung sind beide einander ähnlich, Romulus zog einen Haufen Leute an sich, die nirgend eine Heimath hatten und in den holen Wegen die Reisenden um ein Allmosen bathen, daß diese ihnen nicht verweigern durften. Es waren Leute, die wegen ihrer Profeßion von den alten Innwohnern des Lateinerlandes verachtet wurden, mit welchen Romulus seinen Staat bevölkerte. Mein Patron hat es fast auf gleiche Weise[190] gemacht: die gelehrte Gesellschaft bestehet aus Gliedern, die, einige wenige ausgenommen, das gelehrte Bürgerrecht nicht erhalten haben, und also bisher in der gelehrten Republick auch keine Heimath hatten. Er richtet, als ein zweiter Romulus, eine neue Colonie von Gelehrten an, die jetzo noch von den alten Gelehrten verachtet werden. Doch wie Rom immer größer wurde und endlich die Herrschaft über die Welt erhielt: so wird, wenn mich meine Ahndung nicht täuschet, auch diese kleine Republick der Gelehrten ihr Ansehen so ausbreiten, daß sie sich nach und nach auf den höchsten Gipfel ihrer Hoheit empor schwingen wird.


Morgen ist der merkwürdige Tag, an welchem obenbemeldter Rittersitz des Herrn v.N. zu einem Heiligthume der Wissenschaften soll eingeweihet werden, und bei dieser Gelegenheit werden sich zween geschickte und beredte Männer hören lassen, nämlich: Tit. plen. Herr Balthasar Eccius, wohlmeritirter[191] Cantor zu Wilmershaußen, wird in einer Lobrede auf den verstorbenen Herrn Händel erweisen, daß die Natur, und nicht die Kunst, einen Virtuosen bildet. Wenn dieser den Rednerstuhl verlassen hat, so wird Herr Valentin Striegel, wohlverdienter Schulmeister in Dürrenstein etwas von den Alterthümern dieses Orts auf die Bahn bringen. Den Beschluß dieser Feierlichkeit wird M.L. Wilibald dadurch machen, daß er die Statuten der neuen Akademie und die Mitglieder derselben bekannt machen wird.


Alle vornehme Gönner, Mäcenaten und Musenfreunde, denen diese Einladungsschrift zu Gesichte kommt, werden demnach geziemend eingeladen, diese Feierlichkeit durch ihre zahlreiche Gegenwart zu vermehren, und zwar diejenigen, die ein Exemplar in Goldpappier eingebunden erhalten, haben die Freiheit, zu Pferde oder vermittelst eines Fuhrwerks hier zu erscheinen; die aber nur ein schlechtes bekommen, können sich dieses zur[192] Rachricht dienen lassen, daß man sie, um allem unnöthigen Aufwande vorzubeugen, zu Fuße erwartet. Alle aber werden gebethen sich aufs späteste um zwei Uhr Nachmittags allhier einzufinden. Oeffentlich bekannt gemacht, den dritten December.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 162-193.
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