XVII. Brief.

Herr Lorenz Lobesan, Cantor zu Kargfeld an Herrn Balthasar Ecken, wohlverdienten Cantor und Schulmeister zu Wilmershaußen.

[208] Hochgelahrter Hoch- und Wohlfürsichtiger,

Hoch- und Kunsterfahrner Herr Collega,


Derselbe wird im Besten vermerken, daß ich ihm mein Anliegen offenbare und mir seinen guten Rath über eine Sache ausbitte, die mich weder ruhen noch rasten läßt. Es ist ihm bewußt, daß ich in acht Tagen eine Predigt nach dem Fuße halten soll, wie er und der Herr Schulmeister gestern in dem Saale unsers gestrengen Junkers ablegten. Ich habe mir bisher zwar[209] ein Gewissen gemacht, dem Herrn Pfarr ins Amt zu fallen und einen Hofprediger, auf dem Schlosse unsers Junkers, abzugeben; aber weil sich andere kein Gewissen daraus machen, auch überdem diese Predigten ganz anders beschaffen sind, als die man in der Kirche hält, und die Kanzel eine ganz andere Figur hat: so glaube ich, daß mir eben das erlaubt ist, was andere meines gleichen thun dürfen. Zu dem Ende habe ich mich niedergesetzt und habe hin und her gesonnen, um eine solche Predigt, wie die seinige war, zu entwerfen, und den Text, den mir der Herr Magister vorgeschrieben, zu erklären. Es wird ihm, sonder Zweifel, noch erinnerlich seyn, daß mir der Herr Magister gestern Abend beim Weggehen sagte, ich sollte untersuchen, ob das ut re mi fa sol la oder das c d e f g zur Benennung der Töne in der Musik bequemer sey. Ich weiß in meinem Leibe keinen Rath, was ich in dieser kützlichen Materie anfangen soll. Der Herr Magister ist mir sein Tage nicht recht gut gewesen, darum[210] läßt er mich über den schwersten Text predigen. Gleichwohl will ich nicht gerne mit Schimpfe bestehen, und ein paar parfumirte Handschuhe, wie er bekommen hat, wären mir auch willkommen. Es ist aber nicht recht, daß der Herr Magister mir, als einem alten Manne, so schweere Dinge aufbürdet, daß mir ganz schwindelt wird vor den Augen, und ein kalter Schweiß vor die Stirn tritt, wenn ich an diese Arbeit gedenke. Ich habe überdem noch bei meinem Alter ein gewisses Malheur an mir, daß mir oftmals die Gedanken vergehen, besonders wenn ich etwas aus dem Kopfe entwerfen will. Neulich hatte ich einmal vergessen, daß es Sonntag war, ohngeachtet ich den Tag vorher das Kirchenstück probiret hatte, und wenn mich der Herr Pfarr nicht an das Läuten hätte erinnern lassen, denn meine Frau hatte es auch vergessen, so wäre keine Kirche gehalten worden. Einmal mochte ich in der Kirche ein Bißgen eingeschlummert seyn, es war vergangenen Sommer in der Erndte, und da ich erwachte,[211] hatte ich vergessen, daß der Herr Pfarr auf der Canzel stund, fing dahero mitten unter der Predigt mir lauter Stimme an den Choral zu singen, bis ich meinen Irrthum, mit großer Bestürzung, inne wurde, und hernach, wegen dieses Naturfehlers vieles ausstehen mußte. Das paßiret mir oftmals, wenn ich gar nicht mit dem Kopfe arbeite, geschweige wenn ich Briefe schreiben oder etwas anders aus dem Kopfe machen soll, wenn ich drei oder vier Zeilen zusammen gesetzt habe, so bin ich so müde, als wenn ich zur Frohne hätte dreschen müssen. Die gemeinen Leute wollen es nicht glauben, daß unser einer auch sein Pfund auf sich hat, und nicht spazieren gehet. Der Kirchvater Kleinmann war neulich bei mir, da sprachen wir eins und das andere, von ungefähr kamen wir auch auf die Schuldiener zu reden. Herr Cantor, sagte der Tölpel, er hat ja wohl seine gute Sache, wenn unser einer auf der Straße liegen und auf der Kriegsvorspanne sich von den Soldaten muß Rippenstöße geben lassen,[212] so sitzt er zu Hause auf seinen Drehstuhle wie ein vornehmer Herr, schwatzt den Kindern was vor, und dafür muß ihn die Gemeinde ernähren. Hört, guter Freund, sagte ich, ihr redt wie ihrs versteht, wenn ihr einen Tag auf meinem Stuhle sitzen und mit dem Kopfe arbeiten solltet, so würdet ihr anders schwatzen, Kopfarbeit ist gar eine schwere Arbeit. Unter uns, ich glaube daß ein Schulmeister ein viel schweerer Amt hat als ein Pfarrer, der predigt ein paar mal in der Woche, und damit gut. Wir müssen sechs Tage Schule halten, und den Sonntag müssen wie singen daß wir schwarz werden möchten. Ja, was das meiste, die Herren Pfarrer haben viele lateinische und gelehrte Bücher, da können sie leicht etwas daraus herschwatzen, wir haben aufs höchste den Catechismus und müssen alles aus den Kopfe machen, dazu kommt die Musik, das Hochzeitbitten und dergleichen, daß einem das Stückgen Brod sauer genug wird, und doch soll unser einer keine Arbeit haben. Aber daß ich wieder zur Sache[213] komme, Herr Cantor, wo hat er doch die wunderschöne Rede hergenommen, die er gestern hielt? Er kann wohl noch gar Pfarrer werden, die vornehmen Leute hatten an ihm ihre einzige Freude, so schön hat er es gemacht. Sey er doch so gut und stecke er mir es im Vertrauen, wie er es angefangen hat, diese schöne Rede zu Stande zu bringen. Es bleibet unter uns, er kann sich darauf verlassen, daß ich es keinem Menschen mehr sagen will, das Geheimniß soll mit mir sterben. Wenn er etwan ein Buch hat, worinne dergleichen Reden stehen, so leihe er mir es ein paar Tage, ich will es ihm ohne Schaden wieder zustellen, und verspreche nicht mehr daraus zu nehmen, als zu einer Rede nöthig ist. Will er mir aber den Liebesdienst thun, und mir die ganze Rede machen, so will ich es mit Danke erkennen, und ihm dafür den Telemannischen Jahrgang, darum er mich so[214] oft gebethen, zur Abschrift mittheilen. In Erwartung gefälliger Antwort, verharre


Des Herrn

dienstwilliger

L. Lobesan.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 208-215.
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