XVIII. Brief.

Antwort auf den vorigen Brief.

[215] Ehrengeachteter Hochgelahrter

Günstiger guter Freund,


Ich hätte wohl Ursache, ihm die Gefälligkeit, warum er mich ersuchet, abzuschlagen; er weiß es am besten, wie er mich gemartert hat, da ich ehemals an seine Stelle kommen sollte, weil er bei dem Herrn v.N. in Ungnade gefallen war, und von seinem Dienste sollte abgesetzt werden. Er biß damals um sich wie ein wilder Kater, und[215] spielte mir noch dazu den schlimmen Streich, daß er, da ich die Probe thun mußte, das Clavier an der Orgel mit Terpentin oder Vogelleim, was es war, beschmieret hatte, daß mir die Finger darauf kleben blieben, und ich glücklich umwarf. Wegen der telemannischen Kirchenstücke habe ich, da der erste Groll vorbei war und er bei seinem Dienste blieb, wie ich bei dem meinigen, mir Salvo nore, die Beine bald abgelaufen, ich habe ihm himmelhoch gebethen, mir solche, gegen ein gutes Gratial, zukommen zu lassen, weil unsere Herrschaft mit meiner Composition niemals recht ist zufrieden gewesen: aber da half weder bitten noch flehen, es war als wenn ich zu einem Stein redte. Wenn er politisch gewesen wäre, so hätte er denken sollen, eine Hand wäscht die andere, wer weiß, wo ich den ehrlichen Mann auch einmal wieder brauche, ich will ihm aus dieser Noth helfen, wer weiß hilft er mir aus einer andern. Wenn ich gleiches mit gleichem vergelten wollte, so würde er mit einer abschläglichen Antwort müssen[216] zufrieden seyn, ich bin aber nicht so gesinne, und habe ihn schon lange alles vergeben, welches er unter andern auch daraus abnehmen kann, daß ich ihm alle Jahr zur Kirmse habe bitten lassen, ob er gleich wegen der alten Pike noch nicht über meine Schwelle kommen ist. Um ihn zu überzeugen, daß ich es gut mit ihm meine, will ich ihm alles getreulich entdecken, wie ich es mit meiner Rede angefangen habe. Ich höre zwar, daß es unter den Gelehrten Mode ist, daß sie ihre besten Fechterstreiche gern für sich behalten, und sie niemanden leichtlich offenbaren: doch weil er mir versprochen hat, verschwiegen zu seyn und das Geheimniß bei sich zu behalten, so will ich ihm kürzlich melden, wie ich es mit meiner Rede, die der Herr Magister gelobt hat, gemacht habe. Es ging mir im Anfang eben so wie ihm, ich wußte nicht, wo ich es angreifen sollte, den Text, den mir der Herr Magister vorgeschrieben hatte, zu erklären. Ich ging zum Herrn Pfarrer, um mich bei ihm Raths zu erholen, und ihn um ein Buch[217] zu bitten, das ich bei meiner Arbeit, brauchen könnte; allein dieser war böse, daß er nicht auch ein Mitglied worden war, und wollte mir durchaus kein Buch leihen, ob er deren gleich über ein Halbschock besitzt, und manche in Jahr und Tag nicht braucht. Hierauf verfügte ich mich zu unsern Fräulein und bat sie um das Buch, das sie braucht, wenn sie Briefe schreibt und ihr nichts einfallen will, sie gab mir dieses ohne Schwürigkeit. Ich übersende es ihm im Vertrauen, er muß es aber ja wohl bewahren, daß es nicht schmutzig wird und ein Dinten- oder Oehlfleck hinein kommt. In diesem Buche sind alle Wörter enthalten, die zu einer Rede gehören, es ist dahero ein vortrefliches Werk, welches alle Arbeit leichte macht. Man darf nur die Worte aufschlagen, wie sie einen von ungefehr in die Augen fallen, und diese hernach mit einander verbinden, so ist die Rede fertig. Da ich gehört habe, daß man sich bei einer Rede, vor allen Dingen, um ein Thema bekümmern muß, eben so wie in der Musik,[218] welches man hernach ausführet: so suchte ich erst in dem Buche mein Thema zusammen, das waren die einzelnen Worte die ich von ungefehr aufschlug. Diese schrieb ich fein ordentlich, wie sie mir das Glück bescheret hatte, auf ein Pappier, und studirte hieraus meine Rede zusammen. Es kostete freilich hin und wieder viel Kopfbrechens, weil manche Worte sich weder zusammen schicken noch reimen wollten, doch da ich mir vorgenommen hatte, nichts in dem Thema zu ändern, so künstelte ich so lange bis alles zusammen paßte. Damit ihm alles deutlich wird, so habe ich meine Rede abgeschrieben und derselben das Thema beigefügt, woraus ihm alles verständlich werden muß. Künftige Mittewoche, wenn ich aus der Akademie komme, will ich bei ihm einsprechen, und die Kirchenstücke abholen, welche er, sobald sie abgeschrieben sind, ohne Schaden wieder haben soll. Unser Herr Pastor hat einen gewaltigen Groll auf mich geworfen, daß ich mit in der Akademie bin und er nicht. Wie[219] ist denn der seinige diesfalls gegen ihn gesinnet? Ich habe vier Groschen aus der Kirche für den Weg prätendiret, den ich nun wöchentlich von hier nach Kargfeld thun muß, aber der Herr Pastor will es durchaus nicht in der Kirchrechnung paßiren lassen, keine Frohndienste laß ich mir warlich nicht aufbürden. Legt sich der Herr Pfarr mit mir nicht bald zum Zweck, so will ich ihn schon kriegen, ich habe ihn sein Amt müssen führen lernen, und nun will er über mich herrschen. Die Welt wird doch immer schlimmer. Nebst einem schönen Gruß von meiner Frau bin ich


Des Herrn

dienstwilliger

B.E.
[220]

* * *


Daß die Natur und nicht die Kunst einen Virtuosen bildet, erweist in einer Rede Balthasar Eck, treufleißiger Cantor und Schuldiener in Schönthal.


Hokuspokus.

Affenspiel.

Advocat.

Kalendermacher.

Aufblehen.

Untervogt.

Austrinken.

Saitenspiel.

Halskaufe.

Stempel.

Unterminiren.

Altfränkisch.

Zipperlein.

Bratenwender.

Heufuder.

Goldschmidt.

Holzhacker.


Die edle Musika ist eine von den freien Künsten und keinesweges ein verächtliches Handwerk oder eine Brodtlose Kunst, dergleichen es welche giebt, die Leute ums Geld zu bringen oder sie zu vexiren. Von diesem Schlage sind die Kartenspiele, die Kartenkünste worauf etliche Leute sich so viel[221] wissen, und was dergleichen Gaukeleien mehr sind, womit die Hokuspokusmacher umzugehen wissen; allein sie verdienen nicht einmal den Namen der Künste, sondern sollten vielmehr Aeffereien oder Affenspiele genennet werden. Ein Musikus ist ein ehrbarer Mann, der seine Kunst gelernet hat, nicht allein den Leuten die Zeit zu vertreiben, sondern auch vielerlei Gutes zu stiften: denn man kann, vermöge der Musik, Krankheiten heilen, die Zauberei vertreiben, gute Gedanken einflößen, und dergleichen mehr, das ein andrer wohl muß unterwegen lassen. Aber nicht jeder, der etwas auf einem Instrumente herstümpern kann, ist im Stande dieses zu thun, sondern nur große Musikverständige, die man Virtuosen nennet, können solche herrliche Dinge ausrichten. Dergleichen Leute werden nun, wie die Erfahrung lehret, nicht durch die Kunst hervorgebracht, sondern sie müssen von Natur ein gutes Geschick haben, wenn was rechtes aus ihnen werden soll. Dahero hat die Musik vor andern Künsten[222] etwas zum Voraus, wem die Natur nicht ein Geschick zur Musik verliehen hat, der bleibe immer davon oder erwähle ein anderes Metier. Aus dieser Ursache schickt sich auch nicht jeder zur Musik, es kann einer eher ein Doctor und Professor werden auf einer Universität, als ein tüchtiger Cantor. Bei jenen kommt es auf Geld und gute Worte oder auf gute Patronen an, hierdurch kann einer unter den Gelehrten alles werden was er nur will, aber du magst spendiren wie du willst, du magst den Schulzen und Kirchpatron zum Pathen haben, wenn dir die Natur keine gute Stimme in die Kehle und keine Hurtigkeit in die Hände und Füße gegeben hat, daß du nicht laut genug vorsingen, kein Trillo schlagen und keine tüchtige Fuge auf der Orgel herrasseln kannst: so nehmen dich die Bauern nicht zum Cantor, und wenn du könntest die Kieselsteine in Gold verwandeln. Wo die Kunst alles thut, da ist die Natur überflüßig, und wo die Natur alles wirket, da braucht es keine große Kunst. Ein Advocat, zum[223] Exempel, ist ein arte factum, er mag eine natürliche Gabe zum Plaudern und Zanken haben, oder von Natur so sanftmüthig seyn wie ein Lamm, wenn er in seiner Kunst ausgelernet hat, so gewinnt er die schlimmsten Processe. Woher kommt das? Aus keiner andern Ursache, als weil er durch die Kunst aus weiß hat lernen schwarz machen, und ihm, gleich wie einem Staar, die Zunge gelöset ist, daß er reden kann was er will. Allein laßt ihn einmal einen Triller schlagen, so werdet ihr sehen, daß er dieses zu thun nicht im Stande ist, wenn die Natur seine Kehle nicht dazu aptiret hat. Es hat mit einem Musikus eben die Bewandniß wie mit einem Kalendermacher, dieser mag rechnen können wie er will, er mag den Himmel durch sieben und siebenzig Ferngläser beschauen, dem ungeachtet wird das Wetterprognosticon nicht zutreffen, oder die Prophezeihung von Krieg und Frieden in Erfüllung gehen, wenn ihn nicht die Natur zu einen Kalenderschreiber gebildet und ihm die Gabe, zukünftige Dinge vorherzusagen,[224] verliehen hat. Hieraus erhellet, was ein Musikus in eigentlichem Verstande, welchen man gemeiniglich einen Virtuosen nennet, für ein Mann ist, und daß solche Leute billig in Ehren zu halten sind, auch ihnen ein reichlich Auskommen muß verschaffet werden, denn sie wachsen nicht so zahlreich wie die Schwämme, und können auch nicht durch die Kunst hervorgebracht werden wie die Orgelpfeifen, sondern die gütige Natur bringt sie nur dann und wann hervor, wenn sie ihr Spiel haben, will wie die Weidenrosen, oder die Kornstengel mit hundert Aehren. Das wissen diese Herren auch gar wohl, darum blehen sie sich nicht selten auf wie die Untervögte, und haben ihre Mucken wie die Pferde, die den Sonnenschuß bekommen. Ich könnte von ihrem Eigensinne manches artige Stückgen anführen, wenn ich mich nicht der Kürze befleißigen wollte. Nur einger im Vorbeigehen zu gedenken, so sind einige Virtuosen so eigensinnig, daß sie sich durchaus nicht wollen hören lassen, so lange sie ein volles[225] Glas im Gesichte haben. Ich kenne einen Schulmeister, der mein Freund ist, der diesen Wurm auch hat und allen Gläsern erst auf den Boden siehet, ehe er seine Violine stimmt, welches denen, die von seiner Kunst etwas hören wollen, oftmals theuer genug zu stehen kommt, weil er auf einen Sitz mehr austrinken kann als zehen Schnitter in der Erndte. Andere lassen sich nicht anders als durch Schläge bewegen, ihr Saitenspiel anzurühren, und thun das gezwungen, was man weder durch gute Worte noch durch Verheissungen von ihnen erhalten kann. Einige haben die wunderliche Gewohnheit an sich, daß sie sogleich aufhören zu spielen, wenn sie gelobt werden, und hingegen fortfahren, wenn man sie für Stümper und Hümpeler hält. Ich habe auch von einem Virtuosen sagen hören, daß er sich allezeit, wenn er ganz besonders durch seine Geschicklichkeit sich hätte hervor thun wollen, in den größten Gesellschaften entkleidet habe, als wenn er zu Bette gehen wollte. Ein loser Vogel hätte[226] ihm aber einmal, da er von seiner Kunst ganz bezaubert gewesen, die Kleider versteckt, daß er im kalten Winter halb nackend hätte nach Hause gehen müssen, und über diesen Spaß seine künstlichen Finger erfrohren hätte. Einmal da sich ein Virtuos in hiesiger Gegend einfand, habe ich es mit meinen Augen gesehen, daß er seine Perucke an die Erde warf, die Halskrause abriß, den Rock auszog und die Weste aufknöpfte, wenn er ein Stück spielte, das sich besonders ausnehmen sollte. Hierauf ging er in Stube auf und nieder, trat seine Perucke und Kleider mit Füssen, und konnte es durchaus nicht vertragen, wenn sie jemand aus dem Wege räumen wollte. Es ist gewiß, daß jedermann, der kein Virtuos ist, für unsinnig würde gehalten werden, wenn er solche Virtuosenstreiche machen wollte, ohne einer zu seyn, aber bei diesen gehört es mit zu ihrem Wesen, daß sie dann und wann etwas seltsames von sich blicken lassen, und man muß es mehr unter ihre Tugenden als Fehler rechnen, große und berühmte[227] Leute dürfen sich auch immer etwas mehr herausnehmen als andere, und ihre Fehler sind wie die Narben, die manche Gesichter mehr verschönern als verstellen. Unsre Zeiten sind nicht arm an Virtuosen, und unser Vaterland hat davon auch eine große Anzahl aufzuweisen. Viele davon kenne ich von Person, viele dem Namen nach, einige aus ihren Werken, einige sind mir auch ganz und gar unbekannt. Wenn sie freilich alle mit einem Stempel gezeichnet wären, wie die Geleitszeddel, so würde man es jedem ansehen, wer ein Virtuose ist, oder dafür will gehalten seyn. Ich könnte viele mit Namen nennen und sie dadurch in hiesiger Gegend bekannt machen, doch weil ich sie nicht alle kenne, so will ich, damit es keinem verdrüßt, alle, außer einem einzigen, auf den ich eine Lobrede halten soll, mit Stilleschweigen übergehen. Er heist Herr Händel, und soll, wenn anders den Zeitungen zu trauen ist, nicht mehr am Leben seyn. Ich habe ihn nie mit Augen gesehen, ob ich gleich in meinem Leben[228] viel Leute gesehen habe; aber seit einiger Zeit habe ich von ihm reden hören, er soll ein Gastmahl des großen Alexander Magnus so künstlich in Musik gesetzt haben, daß einen alsbald zu hungern anfängt, wenn man dieses Stück spielen hört. Man erzählet überhaupt von ihm, daß er durch die Harmonie der Saiten die Gemüthsneigungen der Menschen dergestalt hätte unterminiren können, daß jedermann nach seiner Pfeife habe tanzen müssen, und deswegen ist es ihm auch etwas leichtes gewesen, die Gunst der großen Herren zu erhalten. Er durfte nur das Clavier unter seine Finger und das Pedal unter seine Füße bekommen, so konnte er mit seinen Zuhörern machen, was er wollte, spielte er ein trauriges Stück, so klang dieses erbärmlich, daß jedermann anfing zu weinen, spielte er lustiges, so hüpften seine Zuhörer wieder wie die Aelstern, wollte er haben, daß sie sich sollten bei den Köpfen kriegen, so spiele er einen Marsch, und durch eine Aria war er im Stande sie wieder vollkommen zu besänftigen. Ob er[229] ein Freund von neuen Moden gewesen, läßt sich nicht gewiß bestimmen, weil er aber am Hofe gelebt hat, so scheint es, daß er sich auch eben nicht ein altfränkisches Ansehen gegeben. Obgleich einige vorgeben wollen, er wäre mit dem Zipperlein behaftet gewesen: so kommt mir dieses doch ganz unglaublich vor, weil ich noch nie einen Menschen gekennet habe, der davon einigen Anstoß erlitten, wenn er das Pedal fleißig getreten hat. Dieses mag für dismal genug seyn von diesem Ehrenmanne, der unter die ansehnlichen Mitglieder dieser Akademie gewiß würde seyn aufgenommen worden, wenn er nicht zu frühzeitig aus der Welt hätte wandern müssen. Aus dem angeführten ist unschwer zu ermessen, daß ein Musikus nichts kleines ist, sondern daß man ihn vielmehr als ein Wunder der Natur betrachten und in Ehren halten muß. Es ist zu bedauren, daß nicht alle Leute dieses erkennen, sonst würden sie nicht gegen einen Musikverständigen so stolz thun. Mancher, der nicht im Stande ist einen Braten am[230] Spiese herum zu wenden, bildet sich so viel ein, daß es Roth thäte, ein Heufuder wich ihm aus, und gleichwohl nehmen sich solche Leute immer am ersten die Freiheit, Virtuosen zu beurtheilen, sie auszulachen, uns über sie zu kritisiren. Es ist aber am besten gethan, wenn man sich von diesen Leuten nicht anfechten läßt, und dabei denkt wie Goldschmidts Junge. Das Reden kann man den Leuten nicht verwehren, auch der geringste Holzhacker redet oftmals nach seinem Holzhackerverstande, von den wichtigsten Staatsaffairen, dem ungeachtet verliehren diese dadurch nichts von ihrer Wichtigkeit.


* * *


Die Alterthümer in und um Dürrenstein aufgesucht und beschrieben, von Valentin Striegeln, Schulmeister daselbst.


Das Alter soll man ehren, dieses ist, hochansehnliche Versammlung, wie ihnen[231] wohl wird bekannt seyn, eine alte Regel und auch eine löbliche und herrliche Gewohnheit, die aber, leider, nicht allezeit beobachtet, sondern vielmehr von der muthwilligen Jugend aus den Augen gesetzt und verachtet wird. Leute die es besser verstehen, haben diese Vorschrift beständig vor Augen, sie ehren nicht nur die Alten, sondern auch alles was alt ist, oder doch von den lieben Alten herstammt. Meine selige Großmutter hatte noch eine Patrontasche aus dem dreißigjährigen Kriege, die ein Soldat, der bei ihr im Quartier gelegen, vergessen hatte, diese hielt sie in solchen Ehren, daß sie keinem andern Behältniß als dieser ihr altes Geld anvertrauen wollte, und in der Erbschaft ist darüber ein solcher Streit entstanden, daß der Proceß viele Jahre gedauert hat, nachdem aber Richter und Advocaten sich in das alte Geld, das in solcher gewesen, ganz friedlich getheilet, ist die leere Patrontasche bei der Familie geblieben, wie denn solche noch bei mir als eine Seltenheit zu sehen ist. Das Alter ist klüger als die[232] Jugend, es ist ehrwürdiger, ja es ist überhaupt vollkommener, als das, was noch jung ist, oder doch noch nicht lange gedauret hat, aus dieser Ursache muß es also billig höher geschätzt werden, als die Jugend. Man siehet unter andern dieses auch an dem alten Gelde, solches stehet in viel größerm Werth als das neue; der alte Wein wird jederzeit dem jungen vorgezogen; die alte Liebe rostet nicht, nach dem bekannten Sprichworte, das ist, sie verlöscht niemals ganz und gar, sondern glimmet immer fort wie das Feuer unter der Asche. Weil nun das Alter so ehrwürdig ist, so darf es niemanden verdacht werden, wenn man diejenigen Dinge, welche alt sind, und von unsern Vorfahren herstammen, besonders hochschätzt, sie oft betrachtet, und ihr Andenken zu erhalten suchet. Da nun das hochadliche Gerichtsdorf Dürrenstein, einen besondern reichen Schatz von alten Ueberbleibseln und merkwürdigen Dingen aufzuweisen hat: so habe ich mir keine Mühe verdrüßen lassen, von allen diesen Dingen genaue Erkundigung[233] einzuziehen, um mich um diesen Ort, wo ich gebohren bin, und woselbst meine Vorfahren, seit der allgemeinen Völkerwanderung, gewohnet haben, einiger maßen verdient zu machen.


Billig sollte ich meine Untersuchung von der Kirche anfangen, da aber diese bei Menschengedenken, durch eine Feuersbrunst ist verzehret worden, und noch bis jetzo keine neue hat können erbauet werden, so ist von derselben nichts merkwürdiges übrig ge blieben, das unter die Antiquitäten könnte gezählet werden, als das Kirchenbuch, welches, dem äusserlichen Ansehen nach, sehr alt ist, doch läßt sich das Jahr, in welchem solches in die Kirche ist gebracht worden, nicht bestimmen, denn die ersten Blätter sind herausgerissen, und die darauf folgenden sind, weil meine Vorfahren die Herren Schulmeister, vermuthlich oft zum Zeitvertreibe darinne studiret haben, dergestalt makuliret, daß man nur mit großer Mühe ein und das andere Wort noch lesen kann.[234] Uebrigens siehet man daraus, daß Kargfeld schon ehemals gelehrte Schulmeister gehabt; denn einer, der ungefehr vor hundert und mehr Jahren mag gelebt haben, hat alles, was sich in dem Dorfe merkwürdiges begeben, nicht nur fleißig eingetragen, sondern auch gelehrte Anmerkungen, Randglößlein und Verse hinzugesetzt, wie aus folgenden Beispiel zu ersehen. Den 20. Nov. das Jahr ist nicht hinzugefügt, wurde der grobe Flegel, Steffen der Schmidt, mit einer Leichenpredigt beerdiget. Hierbei sind folgende Verse am Rande zu lesen:


Hier liegt der Schmidt zu meiner Freud,

In dieser kleinen Grube.

Macht mir so manches Herzeleid,

Der arge böse Bube.

Thät einst mit einem eisern Stab

Viel Streiche auf mich führen.

Nun da er lieget in den Grab

Kann er kein Glied mehr rühren.
[235]

Ein anders. Den 12 August ließ Hanns Höniger, sonst vermuthlich Waldesel genannt, sein Söhnlein Hännsgen taufen, hatte ein loses Maul, daß ich dem großen Herrn die Kirche nicht gleich eröffnet, wie er es haben wollen. Am Rande ist folgendes Glößlein zu lesen. Damit nicht jemand denkt, ich hätte diesem Manne obigen Namen aus Feindschaft aufgebürdet, so will ich beweisen, daß seine Vorfahren so geheißen haben. Sein Vater ist Thorschreiber gewesen, sein Großvater ein Advocat, sein Urgroßvater ein Arzt, er stammt also aus einer gelehrten Familie. Da es nun sonst gebräuchlich gewesen, daß diese sich lateinische Namen gegeben, so haben es die Vorfahren dieses Mannes vermuthlich auch so gemacht, sie hießen Waldesel und nennten sich lateinisch Onager, welches in der geschwinden Aussprache onger gleichsam oniger geklungen hat, hierzu ist mit der Zeit noch ein H gesetzt, und das o Wohlklangshalber, in ö verwandelt worden, da habt ihr Höniger aus Onager ohne Schwürigkeit.[236] Ich wende mich von diesem Buche zur Schulwohnung, welche nicht mit abgebrannt, und das älteste Haus im Dorfe ist, so voller Antiquitäten steckt daß das ganze Gebäude als ein Ueberbleibsel aus dem Alterthum angesehen werden kann, besonders da seit Menschengedenken nichts daran ist gebauet und gebessert worden, daß zu besorgen ist, es werde einmal unversehens über Haufen fallen, und die Hoffnungsvolle liebe Schuljugend, nebst allen übrigen Menschen und Vieh, so darinne sind, lebendig begraben. In diesem Schulhause ist noch bei Lebzeiten meines Vaters eine gebrochene Thür gewesen, welche die Eigenschaft an sich gehabt, daß sich an solcher eine Art von Gespenstern frühe am Neujahrstage, wenn zum erstenmal in die Kirche geläutet worden, in Gestalt der Personen, welche das Jahr über gestorben sind, haben blicken lassen, welche über die untere Hälfte der Thür hinein in das Haus gesehen haben, und alsbald darauf verschwunden sind. Hieraus haben die Schulmeister sogleich, einen[237] Ueberschlag machen können, ob das Jahr fett oder mager an Accidenzien seyn werde. Doch seitdem diese Thür Anno Neune durch einen gewaltigen Sturmwind eingeworfen worden, und eine neue an deren Stelle kommen ist, will sich heut zu Tage Niemand mehr daran sehen lassen. An dem alten Kirchthurm soll ein Schallloch gewesen seyn, wo man, wenn man den Kopf hindurch gesteckt, alles hören können, was im ganzen Dorfe ist gesprochen worden, wenn die Leute auch gleich heimlich mit einander geredet haben, aber dieses Schallloch ist eben so wohl als der Thurm mit verbrannt. Der Wetterhahn auf den Thurme ist so künstlich zugerichtet gewesen, daß er allezeit gekrähet hat, wenn der Schulmeister oder Schulze habe sterben wollen, oder wenn ein andres großes Unglück den Ort bevorgestanden hat. In der Nacht vorher, ehe das Feuer ausgebrochen, hat er auch dreimal laut gekrähet, daß er von vielen Leuten ist gehöret worden. Vor dem Dorfe auf dem Wege nach Kargfeld, rechter Hand[238] stehen drei steinerne Kreuze, und man ist nicht einig, was sie eigentlich bedeuten sollen, einige sagen, es wäre im dreißigjährigen Kriege eine Schlacht bei Dürrenstein gehalten werden, in welcher drei große Generals geblieben, die an dem Orte wo die Creuze stünden, wären beerdiget worden, andere sagen, diese Creuze wären in einer Nacht einmal aus der Erde gewachsen, wie die Schwämme, worauf der dreißigjährige Krieg alsdenn entstanden wäre. Einige schreiben denenselben allerlei Kräfte zu. Wer zu dreimal dreienmalen um solche herumlaufen kann, und zwar in einem Othen, der soll einen großen Schatz heben, der, wie man sagt, darunter verbogen liegt. Wer zornig ist und über den größten von diesen Steinen zwölf mal wegspringt, dem soll die Bosheit vergehen, etliche Innwohner probiren dieses auch mit ihren bösen Frauen, und nöthigen sie darüber zu springen, so oft sie vorbei gehen, wovon sie unvergleichlich fromm werden sollen. Zwischen Dürenstein und Schönthal auf halben Wege stehet[239] der sogenannte Wunderbaum, welcher von einem unglücklichen Prinzen, der seine Liebste, die eine verwünschte Prinzeßin gewesen, hier wieder angetroffen hat, und zum Andenken von ihm hieher soll seyn gepflanzet worden. Die Rede gehet, daß er, anstatt der Birnen, einmal Aepfel tragen würde, und alsdenn würden die Weiber in der ganzen Welt einen gräßlichen Aufstand erregen, um sich die Männer unterthänig zu machen. Bei diesem Baume würde eine große Schlacht gehalten werden, und obgleich die Weiber unterliegen würden, so sollten sie doch die Herrschaft erhalten. Einige sagen, die Prophezeihung wäre schon erfüllt, andere, sonderlich Weiber, hoffen noch darauf, und meinen, die Prophezeihung müßte nun bald eintreffen, weil der Baum, wegen großen Alters, nicht lange mehr stehen könnte. Baldrion, der Wagner hat eine seltsame Antiquität in seinem Hause, die er vorzeigt, wenn man ihm ein gut Wort giebt oder etwas zum Brandeweine spendiret. Es ist solches ein Nagel, womit sein Großvater[240] die Pest, welche damals in sichtbarer Gestalt als ein blauer Dunst im Dorfe herumgegangen, in einer Kammer seines Hauses in einen kleinen Spalt eingenagelt hat, daß sie nicht wieder herauskann. Der Nagel steckt noch in der Wand, und habe ich solchen oftmals gesehen. Desgleichen wird in der Gemeinenlade noch ein Pfefferkuchen gewiesen, der von dem Mehle gebacken ist, dergleichen es vorzeiten einmal hier geregnet hat. Da sich auch einen als sehr viele Wölfe in hiesiger Gegend haben sehen lassen, welche in den Schäfereien großen Schaden gethan, sonderlich auch den jungen Mädchens nachgeschlichen, solche geherzt und gedrückt, aber ihnen sonst kein Leid zugefüget: so hat ein Mädchen aus unserm Dorfe einem solchen Wolfe einsmals ein Ohr abgeschnitten, welches sich hernach in ein Menschenohr verwandelt hat, wie diese Geschichte in der Gemeindestube abgemahlt noch auf den heutigen Tag zu sehen ist. Eben daselbst in der Gemeinenlade finden sich auch einige Steine, mit welchen der Kobold,[241] der in dem Gemeinde-Brauhause seine Wohnung vor Zeiten aufgeschlagen gehabt, nach den vorübergehenden Leuten geworfen, auch den dasigen Schulmeister, welcher mit Segensprechen ihn hat vertreiben wollen, eine solche Kopfnuß versetzet, daß er in einem Backtroge hat müssen nach Hause getragen werden. Auch könnte man mit unter die Alterthümer zählen den üblen Geruch, der in der großen Stube in Peter Langhansens Hause anzutreffen ist. Die Ursache davon ist diese: es waren einmal in dieser Stube in der Osternacht ein Haufen junger Leute, die früh morgens wollten die Sonne tanzen sehen. Um Mitternacht kam der Böse mit seinem Pferdefuße und langen Schwanze unter sie getreten, und fragte, was sie da machten, als sie sich nun fürchteten, und über diesen häßlichen Anblick sich kreuzigten und segneten, ist er zwar bald wieder verschwunden, hat aber einen solchen Gestank hinterlassen, der noch immer nicht aus der Stube kann vertrieben werden, ob man schon mehr als[242] einen Malter Wacholdern darüber verräuchert hat. Die Reisenden und Antiquarii pflegen sich aus Curiosität allezeit dahin zu verfügen, um von der Gewißheit dieser Sache Erkundigung einzuziehen, und bezeugen einmüthig, daß sich alles in der That so befinde, und diese Historie keinesweges unter die Mährgen gehöret. Wenn ich weitläuftig seyn wollte, so könnte ich nun zu den lebendigen Antiquitäten schreiten, und die alten Greiße beiderlei Geschlechts, welche in unserm Orte ziemlich zahlreich anzutreffen sind, nach einander beschreiben. Weil dieses aber auch zu einer andern Zeit geschehen kann, so will ich es jetzo unterlassen, und nur überhaupt anmerken, daß manche große Stadt nicht so viele alte Leute aufzuweisen hat, als unser Dorf. Deswegen stehet auch eine ehrbare Gemeinde in dem Rufe der Klugheit, wie denn andere Oerter, die grösser und ansehnlicher sind, wenn schwere und wichtige Händel vorfallen, bei uns sich Raths zu erholen pflegen. Auch verstehen sich unsere[243] Leute meisterlich aufs Wetter, weil wir so viel hundertjährige Calender aufzuweisen haben. Unser Dürrenstein hat seit undenklichen Jahren, in Ansehung der Gerichtsbarkeit, zu der Familie unsers gestrengen Junkers des Herrn von N. gehört, und sich dabei ziemlich wohl befunden. Wir wünschen dahero nichts mehr, als eine rechtmäßige Vermehrung und Fortpflanzung dieser adlichen Familie, von welcher unser gestrenger Junker der letzte Zweig ist. Deswegen wünschen wir ihm nicht nur eine junge Gemahlin, sondern hoffen auch, bei unsern Lebzeiten in diesem ehelichen Lustgarten so viele Sprößlein zu erblicken, als unser Dorf Alterthümer aufzuweisen hat.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 215-244.
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