XIX. Brief.

Herr Lampert Wilibald an den Pastor Loci.

[244] Vom Hause, den 8 Dec.
[244]

Hochgeehrtester Herr Pastor,


Es ist eine Sache von äußerster Wichtigkeit, die mich nöthiget, die Feder zu ergreifen, und Ihnen das schriftlich zu entdecken, was meine Bescheidenheit mündlich zu thun verbiethet. Der Buchstabe wird nicht schamroth, nach dem Ausdrucke des Fürstens der Redner und Briefsteller aus dem Alterthume, ich aber würde es werden, wenn ich Ihnen das mündlich, sagen sollte, was Sie schon lange wissen. Die verborgene Flamme, welche bisher nur unter der Asche geglimmet, und die Sie selbst weislich unterhalten haben, fängt nun an lichterloh zu brennen, und da ich in Gefahr stehe, davon verzehret zu werden, so rufe ich Sie um Hülfe an; denn Sie alleine sind im Stande, mich von dem Untergang zu befreien, der mich zu bedrohen scheinet. Ihnen ist die Neigung, die ich jederzeit gegen Dero wohlgezogene Jungfer Tochter gespühret habe, zur Gnüge bekannt. Es ist Ihnen nicht[245] unangenehm gewesen, wenn ich Ihnen verblümt habe zu verstehen gegeben, daß ich wünschte in Ihnen einen Papa zu verehren. Jetzt ist es einmal Zeit, daß ich dieses Geständniß, daß ich Jungfer Hannchen liebe, und keine andere, als sie, jemals für meine Gattin erkennen werde, mit klaren dürren Worten thue, die keiner Verdrehung unterworfen sind. Ich würde mit dieser Erklärung noch eine Zeitlang hinter dem Berge gehalten haben, wenn eine gewisse Figur eines Rechtsgelehrten, der immer um die Pfarre herum schwärmet, mir nicht einige Unruhe machte, daß ich mich also genöthiget sehe, Ihnen diese cathegorische Erklärung zu thun, daß ich Ihre Jungfer Tochter liebe, und mir hierauf eine cathegorische Antwort ausbitte. Ich sage Ihnen nichts neues, ehemals, da Jungfer Hannchen noch bey mir in die Schule ging, unterredeten wir uns bereits davon. Sie nahmen meinen Antrag zwar nur als einen Scherz an, und dachten nicht, daß ich als ein Philosoph in die Zukunft[246] einen Blick werfen, und darinne mein Schicksal lesen könnte. Ich wendete allen möglichen Fleis bei diesem schönen Kinde an, um ihr die Grundsätze, welche man von einer tugendhaften Frau verlanget, wohl einzuprägen, damit ich dereinst durch ihren Besitz mich für den glücklichsten Mann auf der Erden schätzen könnte. Aus dieser Ursache wollte ich auch nie einiges Lehrgeld von Ihnen annehmen, weil ich mir feste vorgenommen hatte, diese Rahel Ihnen selbst abzuverdienen. Da Jungfer Hannchen die Jahre erreicht hatte, die sie meinem Unterrichte entzogen, unterließ ich nicht, meine Dienstleistungen gegen Sie zu verdoppeln. Wenn Ihre podagrischen Zufälle Sie abhielten, Ihr Amt zu verrichten: so war ich immer bereit, Sie zu unterstützen, und seitdem Sie diese Bereitwilligkeit bei mir bemerkten, wurden Sie das Podagra fast niemals los. Endlich glaubte ich berechtiget zu seyn, mir wenigstens einige Hoffnung für meine Bemühungen machen zu dürfen, und nahm mir[247] die Freiheit, Ihnen den Vorschlag zu thun, mich bey Ihrem herannahenden Alter zu Ihrem Amtsgehülfen annehmen zu lassen. Weil Sie mir aber sagten, daß es damit noch Zeit hätte, und daß Ihnen der bloße Name eines Substituten unerträglicher ins Gehör fiele, als der ärgste Fluch, weil Sie eine solche Antipathie gegen diese Art Leute bey sich verspürten, daß Sie allezeit einen podagrischen Anfall bekämen, wenn sich einer von dieser Gattung Leute vor Ihnen blicken ließ; so gedachte ich von diesem Vorhaben gegen Sie weiter nichts, und begnügte mich an Ihrer bloßen Freundschaft und an dem Zutritte, den Sie mir in Ihr Haus verstatteten. Seitdem aber mein Principal auf meine geschehene Vorstellung gut befunden, so wohl an seiner Person als auch in seinem Hause verschiedene Veränderungen vorzunehmen, so haben Sie diese für lauter Ketzereien gehalten, und ein besonderes mürrisches Betragen gegen mich beobachtet, daß ich glaube, wenn Sie ein Ketzerlexicon schrieben, so würde ich[248] darinnen gewiß einen Platz bekommen. Doch weil ich Ihren wunderlichen Sinn mehr dem Alter als einem Hasse gegen meine Person beymaß, so ertrug ich alles mit einer mehr als stoischen Gelassenheit, denn Sie gaben mir doch dann und wann wieder einen freundlichen Blick, wenn ich Ihnen Ihr Amt erleichtern half. Unterdessen habe ich seit einiger Zeit wahrgenommen, daß Jungfer Hannschen, wenn ich Sie besuche, so bald Sie ihr nur einen Wink mit den Augen geben, sich aus der Gesellschaft schleicht, oder wenn sie auch da bleibt, so präsentiret sie mir nicht mehr einen Fidibus, zum Zeichen, daß ich die Erlaubniß habe, in ihrer Gegenwart eine Pfeife Toback anzustecken; ja was das meiste, so hat sie seit einiger Zeit die Gewohnheit, unter meinen Predigten einzuschlafen, oder gar nicht in die Kirche zu kommen. Sie will auch keinen Spaß mehr von mir vertragen, und meine lustigen Einfälle, die ich dann und wann habe, wenn ich auf guter Laune bin, werden von ihr nicht mehr belacht, oder[249] wenn sie ihnen den Beifall nicht versagen kann, so nimmt sie eine so gezwungene lächelnde Mine an, daß ich daraus deutlich abnehmen kann, daß ihre Gesinnungen gegen mich die sind, die sie ehmals waren. Aus allen diesen Umständen kann ich für mich eben nichts vortheilhaftes schließen, und diese Dinge befremden mich um so mehr, je weniger ich mir etwas vorzuwerfen habe, dadurch ich eine Kaltsinnigkeit verdienet hätte. Da Sie mir nun niemals verbothen haben, Ihre Jungfer Tochter zu lieben, so mache ich daraus den sichern Schluß, daß ich hierzu Ihre Einwilligung erhalten habe, denn qui tacet, consentire videtur, ja Sie haben mich einmal öffentlich auf dem Schlosse allhier, da Sie den Wein mit ausproben halfen, den die fremden Truppen bei ihrer Retirade im Stiche gelassen, mit dem Namen eines Sohnes beehret. Sie werden sich noch zu erinnern belieben, daß Sie einmal sagten: Herr Sohn, wir thun des guten zu viel, ein andermal ein mehreres; ich habe zur Gnüge, lieber[250] Herr Sohn. Solche günstige Adspecten, verliehre ich nicht gern aus dem Gesichte, und trug dahero dieses schmeichelhafte Compliment sogleich in mein Diarium ein. Nun hoffe ich zwar nicht, daß Sie Ihre Neigung von mir abgewendet haben, allein da mir seit einiger Zeit eines und das andere zu Ohren kommen ist, daß ich mich weder in Sie noch Dero Jungfer Tochter zu finden weiß; so habe ich nöthig gefunden alles, was in dieser Sache unter uns vorgegangen, durch eine kurze Wiederholung Ihnen wieder ins Gedächtnis zu bringen, damit, wenn mißgünstige Leute Sie bereden wollten, auf die Hinterbeine zu treten, wie man zu sagen pflegt, Sie sich eines bessern besinnen, und mir Ihr Wort halten, widrigenfalls würden Sie einen schweren und langwierigen Proceß mit mir bekommen, welchem Sie doch grämer sind als einem Substituten. Aus dieser Absicht, und damit ich weiß, wie ich meine Maaßregeln einzurichten habe, will ich hierdurch in optima forma um Ihre Jungfer[251] Tochter nochmals anhalten, und versehe mich bald einer schriftlichen oder mündlichen Antwort, die, wie ich hoffe, mein Gemüth, das durch allerlei Gerüchte aus dem Gleichgewichte ist gebracht worden, wiederum beruhigen werde. Ich thue Ihnen zugleich nochmals den Vorschlag, mich zu Ihren Amtsgehülfen anzunehmen, und damit Sie sehen, daß mich nicht der Eigennutz hierzu antreibt, so will ich hiermit Verzicht auf alle Pfarreinkünfte thun, so lange Sie am Leben sind, welches der Himmel noch lange bewahren wolle. Mein Principal ist entschlossen, mir die Function, worinnen ich gegenwärtig stehe, zu lassen, folglich kann ich mich wohl ernähren. Hannchen wird als meine Frau Ihnen nicht einen Heller mehr Aufwand machen, als jetzo, da sie Ihre Jungfer Tochter ist, sie bleibet an Ihrem Brode und führet Ihr Hauswesen. Wegen der zu hoffenden Posterität dürfen Sie sich keine Sorge machen, ehe es so weit kommt, kann sich vieles ändern, findet sich indessen das Häsgen, so findet[252] sich auch das Gräsgen. Ich getraue mir übrigens die Pflichten eines Amtsgehülfen von Ihnen, eines Haushofmeisters und eines Hausvaters ganz commod, und ohne daß eine der andern Eintrag thut, zu erfüllen. Daß die von den beyden ersten Gattungen sich wohl mit einander vereinigen lassen, davon habe ich Ihnen schon gnug Beweise gegeben, und mit der letztern hat es ohnedem keine Schwürigkeit. Machen Sie mich durch eine Antwort nach meinem Wunsche so vergnügt, als ich Ihre Jungfer Tochter für die übrige Zeit ihres Lebens vergnügt zu machen gedenke, und geben Sie mir die Erlaubniß, daß ich mich in der That nennen darf


Ihren

gehorsamen Sohn

M.L.W.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 244-253.
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