XX. Brief.

Herr Wendelin der Aeltere an Herrn L. Wilibald M.

[253] Vom Hause den 8 Dec.


Als einsmals der große Alexander mit dem Darius, Könige in Persien, Krieg führte, schickte der letztere dem ersten einen Beutel mit Mohnsaamen, und ließ ihm sagen: Siehe, so viel streitbare Männer kann ich gegen dich ins Feld führen, als du hier Mohnkörnlein vor dir siehst. Alexander nahm eine Handvoll in den Mund, und indem er sie verzehrte, sagte er: Die Anzahl ist groß, aber die Kraft ist geringe. Hierauf schickte er dem Darius einen Beutel voll Pfefferkörner zur Vergeltung seines Geschenkes, und ließ ihm sagen: Versuche diese, die Anzahl ist geringe, aber die Kraft ist desto größer. Sie kommen mir vor, wie der Darius, Sie schütten einen ganzen Sack[254] voll Dienstleistungen und Gefälligkeiten vor mir aus, die Sie mir wollen erwiesen haben. Ich kann nicht in Abrede seyn, daß nach Ihrer Rechnung eine große Anzahl herauskommt, doch die Erheblichkeit davon ist nicht größer als die Kraft des Mohnsaamens. Wenn ich mit Ihnen eine Abrechnung halten wollte, so könnte ich die Gefälligkeiten, die ich Ihnen erwiesen habe, von vielen Jahren her erzählen, und Ihren kleinen Dienstleistungen, die Sie mir wollen erwiesen haben, entgegen stellen. Sind jene an der Zahl nicht so groß, so sind sie es in Ansehung der Wichtigkeit, daß ich sie wohl mit den Pfefferkörnern des Alexanders vergleichen kann. Legen Sie einige Proben meiner Gewogenheit auf die Zunge einer gesunden Prüfung, um ihnen einen Geschmack abzugewinnen, so werden Sie finden, daß sie kräftiger und vortrefflicher sind, als alle Ihre kleinen Bemühungen für mich, die Sie größtentheils freiwillig übernommen haben, und dafür ich Ihnen nur aus Höflichkeit bin verbunden gewesen.[255] Ich sehe dahero gar nicht ein, aus was für einem Grunde Sie eine Belohnung verlangen, wie der Erzvater Jacob; Sie haben mir meine Rahel noch lange nicht abverdienet und werden sie auch ihr Tage nicht verdienen. Nehmen Sie nicht übel, daß ich dieses rund heraus sage, ich bin nicht fähig mich zu verstellen, ich rede so wie ich es meine. Zwar kann ich nicht umhin, die christliche Absicht die Sie gegen meine Tochter hegen, mit Danke zu erkennen, und ich wollte wünschen, daß ich mich im Stande sähe, Ihnen zu willfahren; allein da Sie jetzt noch keine Versorgung haben, denn was Ihren Vorschlag betrifft, sich mir substituiren zu lassen, so heißt es damit, wie gebethen, abgeschlagen; da auch über dieses meine Tochter zu Ihnen keine besondere Neigung spühret, ob sie Sie gleich übrigens in Ihren Würden läßt; hiernächst sehr gefährlich scheinet, wenn ich einem Menschen mein Kind anvertrauen wollte, der die gefährlichsten und irrigsten Grundsätze heget, wodurch ein schwaches[256] Werkzeug leichtlich kann verführet werden: so können Sie leicht selbst den Schluß machen, daß wir wohl nie genauer werden vereiniget werden, als durch das Band der Freundschaft, wenn dieses noch bey Ihren Grundsätzen länger bestehen kann. Mein unmaßgeblicher Rath wäre also dieser, sie sähen sich nach einer andern Parthie um, oder verbanneten noch so lange die Heirathsgedanken aus Ihrem Gemuthe, bis Sie eine Frau ernähren könnten.


Einigermaßen finde ich mich von Ihnen beleidiget, daß Sie mir meine Tochter abdringen wollen, wenn Sie mir unter die Augen sagen, daß Sie bereits meinen väterlichen Consens, sie zu heirathen, stillschweigend erhalten hätten. Sie mißdeuten ein unschuldiges Wort, das Sie einmal von mir aufgefangen haben, und ziehen daraus einen höchstirrigen Schluß. Ich will nicht in Abrede seyn, daß ich Ihnen einmal den Namen eines Sohnes beigelegt habe, wiewohl ich mich[257] dessen nicht erinnere: Ich habe es aber nicht in der Absicht gethan, wie Sie sich einbilden. Habe ich Sie so genennet, so ist dieses in Ansehung meines Alters geschehen, das mich berechtiget, Sie, der Sie jünger sind als ich, eher einen Sohn als Bruder zu nennen, und dadurch habe ich Ihnen nur meine Freundschaft bezeigen wollen. Damit Sie sehen, daß aus diesem Worte gar nichts zu machen ist, so will ich Ihnen nur das rechte Verständniß eröffnen. Wenn ich Sie meinen Sohn nenne, so betrachte ich Sie allezeit als meinen Beichtsohn, und in diesem Verstande nenne ich auch den Schäfer und den Nachtwächter meinen Sohn. Gesetzt, aber nicht zugegeben, daß ich einmal nicht abgeneigt gewesen wäre, Sie zu meinem Eidam anzunehmen, so waren Sie damals noch nicht von dem schädlichen und gefährlichen Gifte der Irrthümer, die Sie jetzt öffentlich verteidigen, angesteckt, wenigstens brauchten Sie mehrere Vorsichtigkeit, Ihre gefährlichen Meinungen zu verbergen. Weil ich Ihnen[258] nichts böses zutraute, so verstattete ich Ihnen dann und wann, zu Ihrer eignen Uebung eine Predigt abzulegen, und diese Gefälligkeit, die ich Ihnen hierinne erwies, rücken Sie mir nun mit Unrecht als eine große Dienstleistung auf. Wenn ich gewußt hätte, was in Ihrem Herzen verborgen war, so hätte ich Sie niemals die Canzel betreten lassen, noch vielweniger würde ich die theuren Pfänder meiner Ehe Ihrem Unterrichte anvertrauet haben. Meinen Sohn haben Sie völlig verdorben, er disputirt mit mir oftmals von Dingen, die gar nicht in seinen Kram gehören, und wenn ich ihn frage, wo er die verdammten ketzerischen Argumente her hat, die er mir vorleget, so giebt er zwar vor, daß er diese schönen Sächelgen auf der Universität gelernet habe: aber ich weiß es besser, von Ihnen kommt dieser Unrath. Unsere Universitäten sind, Gott Lob, noch nicht so verderbt, wie es ehemals die hohe Schule zu Paris war, wo der Satan in eigener Person soll gelehret haben. Wenigstens kann ich mir nicht einbilden, daß[259] heutiges Tages solche Dinge auf hohen Schulen gelehret werden, wie Ihnen im Kopfe stecken. Halten Sie mir diesen Eifer zu gute, es ist ein gerechter Amtseifer. Meinem Mädchen haben Sie auch, wie ich jetzt inne werde, verschiedene seltsame Dinge in den Kopf gesetzt, daß ich das Unkraut, das Sie gesäet haben, nun mit vieler Mühe wieder ausrotten muß. Sie hat sich noch niemals unterstanden sich mir zu opponiren, aber jetzt thut sie es auch wie ihr Bruder. Da ich neulich das gottlose Buch, wodurch unser Herr Kirchpatron eben so wie Sie in viele gefährliche Irrthümer ist gestürzet worden, bei ihr gewahr wurde und mit Recht vermuthete, daß sie leichtlich mit dem pestilenzialischen Gifte der Neuerungen und Thorheiten, wozu dieses Buch verführet, könnte angestecket werden, so wollte ich ihr solches nehmen und in den Ofen schmeißen. Sie unterstund sich aber, nicht nur mich davon abzuhalten und sich meinem Vorhaben zu widersetzen, sondern hatte auch die Verwegenheit, die Lehrsätze[260] und den Innhalt desselben zu vertheidigen, ja mir sogar zuzumuthen, ich sollte die Skarteque, die so vieles Unglück in hiesigem Orte und besonders auf dem Edelhofe angerichtet hat, selbst lesen. Ich bezeigte ihr aber über diese Zumuthung einen solchen Eifer und erklärte ihr das vierte Gebot so scharf, daß sie sich seitdem nicht unterstanden hat, wieder einen Blick in das leichtfertige Buch zu thun. Urtheilen Sie hieraus selbst, ob ich Ihnen so großen Dank schuldig bin als Sie glauben, und ob Sie eine solche Belohnung, welche Sie von mir verlangen, verdienet haben oder jemals verdienen können. Meine Kinder haben Sie mit Irrthümern angefüllet, und ich bin froh, daß ich zu rechter Zeit hinter Ihre Schliche gekommen bin, damit Sie nicht noch die ganze Gemeinde verführen. Nach Ihrem bisherigen Betragen, wenn Sie auch entschlossen wären Ihre Aufführung zu ändern, werde ich Ihnen nie auf eine andere Art den Namen eines Sohnes ertheilen können, als wie Sie ihn bereits erhalten haben.[261] Meine Tochter ist nicht für Sie und Sie nicht für meine Tochter, ich wiederhole dieses nochmals. Mit dieser Antwort beruhigen Sie Sich, ohne weiter in mich zu dringen, ich sage es Ihnen zum Voraus, daß alle Ihre weitern Bemühungen werden, fruchtloß seyn. Gedenken Sie indessen eine Anforderung an mich zu haben, die gerecht und billig ist, so kommen Sie zu mir, wir wollen unsere Rechnungen gegen einander machen und zusehen, wer dem andern herausgeben muß.


Weil ich doch einmal die Feder ergriffen habe, so will ich dieser Gelegenheit mich bedienen, Ihnen im Vertrauen zu entdecken, daß Sie Sich und Ihrem Patron keine Ehre durch die Neuerungen machen, die Sie seit einiger Zeit hier angefangen haben. Sie dienen jedermann zum Gelächter, und die Leute weisen mit Fingern auf Sie. Neulich kamen ein paar Reisende zu mir, die mit Fleiß durch hiesigen Ort ihren Weg genommen hatten, um, wie sie sagten, den seltsamen Magister[262] zu sehen, der sich durch allerlei lächerliche Possen so hervor thäte, daß man von ihm in der ganzen Gegend spräche. Ein guter Freund von mir, der sich auf der Akademie aufhält, wo sie promoviret haben, berichtete mir neulich, daß die philosophische Facultät Ihnen den Gradum nebst dem Magisterringe, den Sie mit so vielen Stolze am Finger führen, wieder abzufordern im Begriff wäre. Ich kann Ihnen nicht verhalten, daß Sie diese Beschimpfung wohl verdienten. Gewissenswegen rufe ich Ihnen zu: Lassen Sie ab von den Neuerungen, die nur Schaden anrichten und unsere Gemeinde verwirren. Sie haben bisher viel böse Thaten ausgeführt: unsern Kirchthurm haben Sie um eine Glocke gebracht; den Schulmeister bei Ihrem Patron so eingeschwärzt, daß der arme Mann bald einmal Prügel bekommen hätte, welches er mir mit Thränen geklagt. Der Gemeinde haben Sie viele neue Fröhnen aufgebürdet, der Bader hat Ihretwegen ins Loch kriechen sollen,[263] jetzt martern Sie die armen Schuldiener in der Nachbarschaft, daß sie wöchentlich einen beschwerlichen Weg thun müssen, dabei bilden Sie ihnen wunderliche Dinge und einen seltsamen Stolz ein, daß sie sich gegen ihre Pfarrherren auflehnen und nicht mehr Gehorsam leisten wollen. Mit einem Worte, Sie fangen so viel Unheil an, und ich muß täglich so viel Klagen über Sie hören, daß, wenn dem Unwesen nicht bald gesteuret wird, der gänzliche Ruin unsrer Gemeinde dadurch zu befürchten stehet. Ich will zwar von Ihnen nach der christlichen Liebe das beste hoffen, und zweifle noch nicht an Ihrer Besserung; aber ich kann nicht umhin, Ihnen die Gedanken zu eröffnen, worinne ich stehe, daß Sie vielleicht gar unter dem Scheine, einige unwissende Leute gelehrt zu machen, eine alte Ketzerei, wovon Sie, wie es scheinet, vollstecken, unter diesen einfältigen Leuten aufwärmen wollen. Ich warne Sie als ein guter Freund, von diesem bösen Vorhaben abzustehen, oder ich kann Ihnen nicht[264] gut dafür seyn, daß Sie sich durch solche gefährliche und weitaussehende Dinge viel Verdruß und Unheil zuziehen werden. Der ich übrigens, wenn Sie angeloben, sich zu bessern, verharre


Ihr

aufrichtiger Freund

Wendelin P.L.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 253-265.
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