XXII. Brief.

Lampert Wilibald an den Herrn v.F.

[282] den 14 Dec.


Die Neigung zur Billigkeit und Gerechtigkeit ist in Dero Hochadlichem Hause eine so bekannte Tugend, daß auch Ihre vortrefflichen Ahnen davon verschiedene Zunahmen erhalten haben. Einer Ihrer löblichen Vorfahren hieß Justus v.F. oder der Gerechte, ein anderer nennt sich in einem Vertrage, den er mit den Vorfahren meines Patrons errichtet hat, Aeques, welches ohne Zweifel Aequs, oder der Billige, heißen soll, und keinesweges, wie einige glauben, eine fehlerhafte Schreibart des Wortes Eques seyn mag, wodurch man diesen Herrn einer groben Unwissenheit beschuldigen würde. Sie haben sich auch jederzeit, beflissen, die Gerechtigkeit in den Ihrer Gerichtsbarkeit unterworfenen Orten aufs genaueste[283] und sorgfältigste auszuüben, und dadurch bewiesen, daß Sie auf eine rühmliche Art in die Fußstapfen Ihrer vortrefflichen Anherren getreten sind. Der Geringste Ihrer Unterthanen kann sich rühmen, daß ihm nie der Weg zur Gerechtigkeit versperret ist, und der angesehenste derselben darf sich nicht erkühnen, eine Ungerechtigkeit zu begehen, wenn er nicht die nachdrücklichste Ahndung davon besorgen will. Die Gewogenheit, womit Sie mich jederzeit beehret haben, läßt mich hoffen, daß ich von Ihnen eben das erwarten kann, was Sie dem geringsten Ihrer Unterthanen nicht versagen, und darinne bestehet, daß man ihre Gerechtigkeit anflehen darf, wenn man von bösen Leuten angetastet wird, und schleuniger Hülfe vonnöthen hat.


Ich sehe mich genöthiget, gegen Ihren Gerichtshalter eine gerechte Klage zu erheben, welcher kein Bedenken trägt, das an mir im Großen selbst auszuüben, was er täglich an andern mit so vielem Eifer im Kleinen bestraft.[284] Wenn sich jemand erkühnet, einige Rüben von dem Acker seines Nachbars sich zuzueignen, so pflegt er dieses aufs härteste zu bestrafen, wenn er aber selbst das Eigenthum eines andern sich zueignet, so macht er hierüber nach seinem weitläuftigen juristischen Gewissen sich nicht den geringsten Kummer. Ew. Gnaden kann so wenig als jemanden in der hiesigen ganzen Gegend unbekannt seyn, daß ich schon seit einigen Jahren ein ehrliches Absehen auf die Jungfer Tochter des Herrn Pfarr Wendelins allhier gehabt habe, sie zu ehlichen, und mich ihrem Vater als einen Substituten beifügen zu lassen. Er hat mir auch so viele gute Vertröstungen diesfalls gegeben, daß ich nicht mehr an der Erfüllung meines Wunsches zweifelte. Ich glaube nicht, daß ich tadelhaft bin, mich eher um die Quarre als um die Pfarre beworben zu haben, denn außerdem daß dieses jetzt die allgemeine Mode ist, und allezeit von hundert meiner Herren Collegen neun und neunzig seyn werden, die sich ein Bisgen[285] verplämpert haben, ehe sie zu einer Bedienung gelangen, so kan auch Niemand einsehen, was daher für großes Unheil erwachsen sollte. Es ist vielmehr ganz löblich, daß man sich in Zeiten um eine Liebste bewirbt, denn wenn man einmal ins Amt kommt, und die Geschäfte und Sorgen sich mehren, so hat man nicht Zeit, ans heirathen zu denken, und ehe man sichs versiehet, hat man sich ins Hagestolzenrecht geschworen. Genug, ich hatte mir Jungfer Hannchen zu meiner zukünftigen Gattin ausersehen, allein verschieden gute Anstalten, womit ich mich einige Zeit zum Besten meines Patrons und des Publici beschäftigte, setzten das Ziel meiner Wünsche etwas weiter hinaus, als ich im Anfang dachte. Inzwischen da ich mir schmeichelte, daß mein Glück gewiß genug wäre, sahe ich diese Verzögerung ganz gleichgültig an: weil ich voraus sahe, daß vielerlei nützliche Projecte, deren Ausführung Mühe und Sorgfalt erforderte, unterbleiben würden, wenn ich einmal verglichet wäre,[286] und im Amte stünde; doch wider mein Vermuthen fand ich mich in dieser süßen Hoffnung getäuschet. Ich brachte nicht nur in sichere Erfahrung, daß Dero Gerichtshalter, ungeachtet es ihm zuverläßig bekannt war, daß ich Jungfer Hannchen als mein Eigenthum betrachtete, sich die Freiheit genommen, sie insgeheim zu verehren, sondern es hat auch derselbe sich erkühnet, durch einen Abgeordneten sein Wort gestern bei ihrem Vater anbringen zu lassen, und will mir also wider meinen Dank diesen Bissen vor dem Maule hinwegnehmen. Es heißt zwar nach dem Sprüchworte: inter arma silent leges, und er scheinet die Absicht zu haben, von diesem alten Canon Vortheil zu ziehen: allein wenn dem also ist, so wird er selbst bekennen müssen, daß er jetzo auch unter die unnützen Meublen gehöret, und er kann seine Gerichtsstube nur immer zuschlüßen. Da ich nun seit vielen Jahren auf dieses Frauenzimmer eheliche Absicht geheget habe, und zwar ehe er noch an sie hat denken können;[287] sie auch wegen meines getreuen Unterrichtes, den ich ihr gratis ertheilet, mir mehr als ihrem leiblichen Vater schuldig ist, weil man nach dem Ausspruche des großen Alexanders denen Eltern nichts als das liebe Leben, denen Lehrmeistern aber, daß man wohl lebet, zu verdanken hat: so habe ich gleichsam ein jus quaesitum auf sie erlanget, und werde mich von meinem Rechte durch einen andern nicht abtreiben lassen. Zu der Gerechtigkeitsliebe Ew. Gnaden habe ich das gute Vertrauen, daß Sie ihre Autorität in dieser Sache zu interponiren, und diesen Verwegenen von seinem bösen Vorhaben abzuhalten Sorge tragen werden. Aus dieser Ursache ersuche ich Hoch dieselben unterthänig, nachdrückliche Dehortatoria an meinen Rival entweder mündlich oder schriftlich ergehen zu lassen, damit ein solches unerhörtes Factum der Gerechtigkeit zur Schande nicht von einer Person, die zur Aufrechthaltung derselben bestimmt ist, vollbracht, und mir dadurch ein unersetzlicher Verlust verursachet werde. Eine[288] solche Gnade will ich mit goldenen Buchstaben in das Buch der Unvergeßlichkeit eintragen, und verharre mit der vollkommensten Hochachtung


Ew. Gnaden

unterthäniger Diener

M.L.W.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 282-289.
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