XXIII. Brief.

Beantwortung des Vorigen von dem Herrn v.F.

[289] den 15 Dec.


Werther Freund,


Ich gerieth durch Ihren Brief in große Bestürzung, da ich wahrnahm, daß mein Gerichtshalter sich sollte haben einfallen lassen, Ihnen Ihre Liebste abspänstig zu machen, und dadurch einem Manne, den ich sehr hochschätze, Gelegenheit zu geben, sich entweder zu Tode zu grämen, oder doch in Verzweiflung zu gerathen. Weil Sie mir die Ehre anthaten und bei mir Hülfe suchten, auch mir und allen meinen Vorfahren einen sonderbaren Trieb zur Gerechtigkeit beilegten, wodurch meiner Eigenliebe nicht wenig geschmeichelt[289] wurde: so nahm ich mir von Stund an vor, Sie zu überzeugen, daß ich nicht aus der Art geschlagen bin, sondern meinen Vorfahren in der Liebe zur Gerechtigkeit nichts nachgebe, oder wohl gar in dieser Tugend sie noch übertreffe. Ich ließ meinen Gerichtshalter in dem Augenblicke, da ich Ihren Brief gelesen hatte, zu mir kommen, um ihn wegen seines bösen Vorhabens Sie zu einen unglücklichen Liebhaber zu machen, zur Rede zu setzen, und da ich von ihrer gerechten Sache beinahe überzeugt war, so nahm ich mir vor, ihn alsbald aus meinen Diensten zu entlassen, wenn er nicht in sich gehen, und von seinem Anschlage in continenti abstehen wollte. Hören Sie nur, was ich für eine Procedur mit ihm vornahm. Herr Gerichtshalter, sagte ich mit einem sehr sträflichen Gesichte, habe ich sie nicht in meinem District zum Richter gesetzt, um die Gerechtigkeit aufs genaueste auszuüben. Er antwortete ja. Ist es wohl erlaubt, fuhr ich fort, daß der, der über Recht und Gerechtigkeit halten soll, selbst ungerecht handeln darf? Antwort nein. Warum haben sie dem Herrn Magister Lampert seine Liebste abgespannet, und dadurch seine Liebe und alle seine süßen Hoffnungen krebsgängig gemacht? Ich ärgere[290] mich wenn ich vernehme, daß jemand in meinem Gerichtsbezirk einen Strohhalm sich zueignet, der ihm nicht gehöret, und sie wollen sich das Herz eines Frauenzimmers zueignen das der Herr Magister gebildet hat, und darauf er bereits ein jus quaesitum zu haben glaubt? Anstatt über diesen Vortrag zu erschrecken fing er an abscheulich zu lachen, wodurch ich noch mehr entrüstet wurde, aber er ließ es hierbei nicht bewenden, er fing an sich so geschickt zu vertheidigen und den statum controversiae dergestalt zu formiren, daß ich den Leviten im Sinne behalten mußte, den ich ihm zu lesen gedachte, und nur froh war, daß er nicht von mir verlangte alles was er gethan hatte, gut zu heißen. Patron, sagte er, der Herr Lampert muß in der Liebe und in der Kenntniß des menschlichen Herzens, sehr unerfahren seyn, so gelehrt er auch aussiehet, wenn er glaubt daß ihn Hannchen jemals mit ihrer Gunst beehret hat. Sie ist ihm schon gram gewesen da sie noch bei ihm in die Schule gegangen ist, und nachher da er angefangen hat ihr dann und wann etwas verbündliches nach seiner Art zu sagen, ist er ihr ganz unerträglich worden. Sie hat ihm mehr als einmal mit dürren klaren Worten gesagt, daß sie lieber den Nachtwächter als[291] ihn lieben wollte; allein nach seiner Erklärungskunst hat er auch aus diesen Worten etwas vortheilhaftes für sich erzwingen wollen, oder hat sich wenigstens eingebildet, daß sie sich nur verstellte. Ich will zwar nicht leugnen, daß der Herr Magister dieses Frauenzimmer eher geliebt als ich, daran aber liegt ganz und gar nichts, man muß sehen was auf ihrer Seite geschehen ist. Sie hat mir mehr als einmal gestanden, daß Herr Lampert jederzeit das Unglück gehabt hätte, ihr als ein Liebhaber zu misfallen, ob sie ihm gleich übrigens in seinen Würden ließ, auch nicht in Abrede seyn wollte, daß sie sich manchmal an ihm belustigte weil er so witzig wäre, daß kein königlicher lustiger Rath drolligtere Einfälle haben könnte. Da nun also, fuhr er fort, ihr Herz res nullius war, so hieß es nach der juristischen Regel cedit prius occupanti, ich suchte es zu erobern und war hierinne nicht unglücklich. Gegenwärtig gehört es mir zu; Jungfer Hannchen und ich haben einander eine ewige Treue gelobet, ich habe vor einigen Tagen ordentlich durch einen guten Freund bei ihrem Vater um sie anhalten lassen, worauf ich von dem Herrn Pastor Wendelin die Antwort erhalten, daß heirathen ein schweres Werk sey, er wollte mit seiner Tochter die Sache überlegen und erstlich[292] beten, in acht Tagen sollte ich darauf selbst nach Karafeld kommen und das Jawort in eigener Person abholen. Der Herr Pastor sicher schon im prophetischen Geiste voraus daß unsre Heirath im Himmel gemacht ist, deswegen weiß er bereits die Wirkung seines Gebetes und hat mir schon einen Termin beschieden, die Sache ins reine zu bringen. Ich gestehe Ihnen, werther Freund, daß ich über diese Dinge, welche mein Gerichtshalter vorbrachte noch bestürzter war als über Ihren Brief, vorhero hatte ich Ihnen vollkommen Recht gegeben und war auf ihrer Seite, nun schien es, daß Ihr Rival ein besseres und gegründeter Recht als sie zu dem strittigen Frauenzimmer hätte. Inzwischen wollte ich Ihre Parthie nicht sogleich verlassen, und ersuchte ihn mir den Gefallen zu erweisen, von dieser Heirath abzustehen und Ihnen die Beute zu überlassen: er beschwor, mich aber bei dem Triebe zur Gerechtigkeit, den ich von meinen Ahnen ererbet hätte, keine solche Ungerechtigkeit gegen ihn zu begehen und meine Vorfahren dadurch in der Erde zu beschimpfen. Ich würde, wenn ich unpartheiisch dächte, selbst erkennen, daß er seine Braut mit dem besten Recht besäße, und drang so heftig auf den angeführten juristischen Canon, daß ich nicht ein Wort gegen ihn aufbringen konnte. Ich fand[293] mich von seiner gerechten Sache vollkommen überzeugt, und verschwieg ihm dieses nur aus Freundschaft gegen Sie. Indessen zweifle ich nicht, daß Sie nach Ihrer Scharfsinnigkeit im Disputiren im Stande wären, neue Zweifel bei mir zu erregen und dem Gerichtshalter sein Recht von neuem abzudisputiren, ich thue Ihnen dahero den Vorschlag einen gelehrten Kampf mit Ihrem Rival hier anzustellen und die Mitglieder der Julianenakademie, oder in so fern diese Ihrem Gegner partheiisch scheinen möchten, andere gelehrte Männer zu Schiedsrichtern zu erwählen, die ich auf einen Tag, der Ihnen beliebt, zu mir will bitten lassen, alsdenn sollen Sie mit ihrem Contrepart ihre Händel durch einen gelehrten Zweikampf schlichten, wer den andern die Braut abdisputiret, mag sie heimführen. Sie sehen, daß ich für Sie nichts weiter thun kann, die gute Sache wird ganz gewiß nach Ihrem Wahlspruch siegen, ich werde mit Vergnügen sehen, wenn Sie ihren Gegner so eintreiben, daß er nicht ein Wort mehr gegen Sie aufbringen kann: sollte ihnen aber dieses widerfahren, so können Sie versichert seyn, daß ich Sie aufrichtig bedaure, und alsdenn wird dieses mein Trost seyn, daß ich eine vortreffliche Satyre von Ihnen zu Gesichte bekomme, die Sie auf denjenigen zu verfertigen sich entschlossen[294] haben, der bei Hannchen glücklicher seyn würde als Sie. Gelingt Ihnen hierdurch Ihr Vorhaben, daß Ihr Nebenbuhler sich darüber zu Tode ärgert, so dürfen Sie das Spiel nur da wieder anfangen wo Sie es jetzo gelassen haben, und alsdenn werden Sie doch auf die eine oder andere Weise in Ihrer Liebe glücklich seyn. Beim Schlusse meines Briefes fällt mir noch ein sehr gutes Mittel ein, wie Sie sich um Ihre Schöne verdient machen und Ihren Rival für seine Verwegenheit züchtigen können, Sie haben ja noch den Säbel, den Sie als Husar ehemals geführet haben, glücklicher Weise hat es sich gefügt daß mein Gerichtshalter auch einige Jahre unter den Husaren gedienet hat, wie wäre es, wenn Sie, anstatt sich mit ihm in einen Gelehrten Weltstreit einzulassen, auf gut husarisch auf den Hieb eins mit Ihm wagten? Es wird mir ein besonderes Vergnügen seyn diesen Scharmützel beizuwohnen. Wenn Sie in meinem Gebiethe ihre Sache ausmachen wollen, so verspreche ich Ihnen, im Fall Sie Ihren Gegner aus den Sattel heben, frei und sicher Geleit: sollte Ihnen dieses aber selbst begegnen, so mache ich mich anheischig, ohngeachtet der Aussprüche des tridentinischen Concilii, Ihnen ein ehrliches Begräbniß zu verschaffen, wenigstens würde man auf diese Weise am ersten sehen,[295] wer das vollkommenste Recht zu dem Frauenzimmer hat. Ich überlasse Ihnen die Wahl von diesen Vorschlägen Gebrauch zu machen oder nicht, und erwarte Ihre Antwort. Uebrigens verharre ich


Dero

geneigter Freund

v.F.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 289-296.
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