III. Brief.

Der Herr v.N. an den Baron v.F.

[26] Kargfeld, den 30 Nov.


Werthester Freund,


Sie werden sich verwundern, daß ich an Sie schreibe, da wir uns doch mündlich miteinander besprechen könnten;[26] es ist wahr, ich habe keine Abhaltungen, Sie zu besuchen, ich werde es auch vielleicht heute oder morgen thun, und es kann seyn, daß ich Ihnen meinen Brief selbsten zustelle: aber dem ungeachtet wird er nicht überflüßig seyn. Ich will Sie wegen einer gewissen Sache, die mir am Herzen liegt, zu Rathe ziehen, und bitte mir diesen schriftlich aus. Wenn wir uns mündlich über diese Angelegenheit besprechen wollten, so könnte leichtlich ein Wort das andere geben, Sie kennen meine Gewohnheit, daß ich mir nicht gern widersprechen lasse, zum Disputiren hab ich kein sonderliches Talent empfangen, und unrecht habe ich auch nicht gerne: inzwischen denke ich, einen schriftlichen Widerspruch eher zu verdauen als einen mündlichen. Lassen Sie Sich also die Sache vortragen. Sie wissen wohl, daß ich nach dem Beispiele meines Herrn Gevatters mich habe verheirathen wollen, im Anfang that ich es nur, um meinem Muster ähnlich zu werden, und meine Handlungen mit den seinigen vollkommen übereinstimmend[27] zu machen; Da ich aber endlich einsahe, daß meine häuslichen Umstände es nicht länger leiden wollten, ohne Frau zu leben, und überdieses die Possen mir anfingen zu gefallen: so that ich, wie Sie wissen, mit Ernst zur Sache, und hoffte, damit bald zu Rande zu kommen. Allein ich weiß nicht, wie sich seit dreißig Jahren die Welt verändert hat, was man damals in einem Tage ausrichten konnte, dazu braucht man jetzt ein Jahr, und wenn man alles gethan hat, und sich keine Mühe verdrüßen lässet, und endlich das Ding bei Lichte besiehet, so weiß man nicht, ob man verrathen oder verkauft ist. Mir wenigstens gehet es jetzt so, ich weiß nicht, ob ich eine Braut habe oder nicht. Inzwischen bin ich kein Feind von der Mode, und wenn es so seyn muß, daß man bei der Liebe, wie im Kriege, oft eine ganze Campagne mit dem Feinde harcelliret, ohne daß es zu einer entscheidenden Action kommt, so lasse ich mir es auch gefallen, wenn sich nur der Sieg auf meine Seite lenkt. Aber hier ist der Knoten.[28] Hören Sie ein Wort im Vertrauen! Lampert hat mir wunderliche Dinge von dem Major in den Kopf gesetzt. Er ist ein schlauer Kaper, und macht Jagd auf das Fahrzeug, das für meine Rechnung gehöret, ich denke er hat es schon beim Leibe, und wird es bald für eine gute Prise erklären. Das wäre ein schlimmer Streich, wenn er meine Byron entführte, es stehet Gefahr dabey, ob ich sie wieder erhaschen würde, wie Herr Grandison die seinige. Doch diesem Uebel kann schon vorgebogen werden, nur so, daß ich nicht mit ihm in neue Händel verwickelt werde: das wäre eine Abweichung von Sir Carln, dieser hat nur einen einzigen Zwist mit Sir Hargraven gehabt, und hernach blieben sie gute Freunde. Doch das wird sich schon geben. Was meinen Sie, habe ich die Sache bei meiner Heirath am rechten Orte angegriffen, oder nicht? Ich versprach mir einen guten Fortgang von meinem Vorhaben, ich dachte, Herr Grandison hat alle Mädchens fesseln können, eine ist ihm einige hundert[29] Meilen nachgelaufen, eine andere ist gar über ihn närrisch geworden, und seine Frau hat vor Sehnsucht einen Anfall der Schwindsucht bekommen, daß er nicht so bald als sie: gewünschet, Hochzeit gemacht. Ich habe mein Gedächtnis, meine Leidenschaften, meinen Körper strappaziret wie die Hunde, um ihm so ähnlich zu werden, als mir möglich gewesen; ich habe meine Wirtschaft, und überhaupt alles, was nur einer Veränderung fähig ist, nach dem Geschmack des Herrn Grandisons eingerichtet; von mir bis auf meinem Wigand, den ich Jeremias nenne, ist alles Grandisonisch, und es fehlet mir nichts, als ein Fresko, den ich mir auch noch anzuschaffen gedenke: dem ungeachtet will es bei den Mädchens nicht recht mit mir fort. Ich habe hinüber meine eigene Gedanken, und glaube, unsere Nymphen sind nicht sein genug, die Schönheiten des Verstandes, die bei andern Nationen am ersten in die Augen leuchten, zu empfinden. Herr Grandison ist auch in Deutschland gewesen, aber ich habe[30] in seinem Buche nichts finden können, daß sich ein deutsches Frauenzimmer in ihn vergafft hätte, und es scheinet, daß er sich deswegen auch so bald wieder aus unserm Vaterlande fortgemacht hat, weil er darinne nicht sein Conto gefunden. Indessen ist es doch ein Wunder, daß seine Geschichte bei unserm Frauenzimmer so vielen Beifall gefunden hat, da man weder das Original noch die Kopie nach Würden schätzet. Ich vermuthe daher ganz sicher, daß wenn ich bei dem Fräulein v.W. und ihrer Mutter, meinen Liebesantrag nach deutschem Gout gemacht, und die Gespenstererscheinung und dergleichen Possen weggelassen hätte: so würde ich bei der Mutter und Tochter weit eher zum Zweck kommen seyn, denn was den Vater betrifft, der würde zufrieden gewesen seyn, wann ich auch auf türkische Manier um seine Tochter geworben hätte. Deswegen habe ich den Vorsatz gefaßt, ob gleich Lampert sehr darwider eifert, meinen Kopf einmal aufzusetzen, und wie es Sitte ist in unserm Lande,[31] um das Fräulein v.W. ordentlich werden zu lassen. Sie sollen noch diesen Winter bei mir einen Pelz verdienen, und wenn ich ihn auch sollte aus Siberien holen lassen. Ich habe nicht ein so enges Gewissen, daß ich mir es gleich zu einem Verbrechen anschreiben sollte, wenn ich auf dem Wege, worauf ich bisher Fuß vor Fuß dem Herrn Grandison, nach seinem eignen Geständnisse, gefolget bin, auch dann und wann aussteche, und meine eigne Gleise mache. Mein drolligter Kerl von einem Magister will dieses zwar nicht gut heißen, und drohet sogar, in Grandisonhall mich deswegen zu verklagen: aber wenn ich ihm vorwerfe, daß er sogar ein Pasquill auf den Baronet geschrieben hat, so muß er schweigen. Dieser Vorwurf ist ein eiserner Rinken für diesen Bär, dadurch ich ihn, wenn er anfängt zu brummen, sogleich beruhigen kann. Sagen Sie mir doch, ob Sie für nöthig halten, daß ich einen Deputirten an den Herrn v.W. und seine Frau abschicke um noch einmal für mich um das[32] Fräulein anzuhalten, oder ob ich dieses in eigner Person thun soll; desgleichen, wie man es heut zu Tage anfängt, sich bei den Mädchens einzuschmeicheln, ob es noch Mode ist, das Kammermädchen zu bestechen, Nachtmusiken zu bringen, Bälle anzustellen, und was dergleichen Tändeleien mehr sind. Ich habe bisher alles dieses unterlassen, weil Herr Grandison bei seiner Henriette dergleichen nicht gethan hat. Entdecken Sie mir richtig ihre Gedanken über meine Freierei, auch ihren unvorgreiflichen Rath, wie ich es anfangen soll, daß ich meinen Vogel abschieße, und nicht etwan die Pferde hinter den Wagen spanne. Tadeln und loben Sie meine bisherigen Unternehmungen wie Sie wollen. Widerrathen Sie mir aber ja nicht die Fortsetzung meiner Liebe, wenn Sie mein Vertrauter seyn wollen. Fräulein Amalia hat es gethan, und mir dadurch ein heftiges Podagra erregt, wenn Sie auf ihre Seite treten, so bekomme ich den Schlag. Ich will meinen Willen haben, und eine Frau, wenn ich aber sollte[33] durch die Körbe springen, wie ein Böttger durch die Reife, so sage ich es Ihnen zum Voraus, das es mit mir ärger wird als mit allen Mädchens, die sich in Sir Carln verliebt haben. Machen Sie mir gute Hoffnung, geben Sie mir gute Anschläge, unterstützen Sie meine Desseins; entwerfen Sie einen ganz neuen Operationsplan, wenn der bisherige Ihnen unbrauchbar scheinet, und halten Sie mir ein Bein, daß ich mich völlig in den Sattel schwingen kann. Dadurch will ich sehen, ob Sie die Ergebenheit für mich haben, die Sie mir so oftmals zugeschworen, da Sie an eben der Krankheit lagen. Damals war ich Arzt, und schaffte Ihnen eine Frau, schaffen Sie mir nun auch eine, und leben Sie wohl

v.N.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 26-34.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Die Reise nach Braunschweig

Die Reise nach Braunschweig

Eine Reisegruppe von vier sehr unterschiedlichen Charakteren auf dem Wege nach Braunschweig, wo der Luftschiffer Blanchard einen spektakulären Ballonflug vorführen wird. Dem schwatzhaften Pfarrer, dem trotteligen Förster, dem zahlenverliebten Amtmann und dessen langsamen Sohn widerfahren allerlei Missgeschicke, die dieser »comische Roman« facettenreich nachzeichnet.

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon