IV. Brief.

Der Herr v.F. an den Herrn v.N.

[34] Schönthal, den 21 Nov.


Sie verbinden mich unendlich, daß Sie mich in einer Sache zu Ihrem Vertrauten machen, von der ein großer Theil Ihrer Ruhe und Ihres Glückes abhängt, und ich werde meinen Vorwitz und meine Geschicklichkeit, so viel ich davon besitze, aufbiethen, um Sie zu überzeugen, daß Sie Ihr Vertrauen nicht übel angewendet haben. Sie haben mir einen doppelten Auftrag gethan, Ihnen meine Gedanken über Ihre bisherigen Unternehmungen in der Liebe gegen das Fräulein v.W. glücklich zu seyn, zu entdecken, und wie Sie Sich ausdrucken, einen neuen Operationsplan zu entwerfen, um diese Angelegenheit nach Ihrem Wunsche zu Ende zu bringen. Das erste will ich[35] sogleich nach Ihrem Verlangen befolgen, und an dem andern will ich Tag und Nacht arbeiten, um ihn so vollkommen zu machen, daß Sie all einem glücklichen Fortgang nicht zweifeln dürfen. Herr Lampert, den ich als die Triebfeder aller Versuche ansehe, Ihre Liebe glücklich zu machen, verdient Ihre Gewogenheit im höchsten Grad, er hat Ihr Vorhaben auf eine wunderbare und ganz neue Art auszuführen gesucht, und wenn es ihm nicht vollkommen geglückt hat: so liegt die Schuld ganz und gar nicht an dem Plan und dessen Ausführung, sondern vielmehr, wie Sie vortreflich anmerken, an dem verdorbenen Geschmack unserer Schönen, die mehr auf die Person sehen, die Ihre Gunst suchet, als auf die Art mit welcher sie dieses thut. Unser Frauenzimmer ist noch nicht philosophisch genug, die Vorzüge des Geistes über die Vorzüge des Körpers zu setzen. An einen Liebhaber, der ihnen gefällt, ist alles artig, alles sinnreich, und aller Witz gehet verlohren, wem die Person nicht gefällt. Wenn[36] Ihre Absicht einigermaßen fehlgeschlagen ist, da an Ihrer Person nichts auszusetzen ist, so kommt dieses daher, weil Sie gar zu geschwinde Progressen in der Liebe haben machen wollen. Ich habe Ihnen dieses mehr als einmal zu verstehen gegeben. Hätten Sie das Fräulein erstlich zu gewinnen gesucht, und wenn Sie von ihrer Gewogenheit überzeugt gewesen wären, um sie werben lassen: so würden Sie jetzo nicht ungewiß seyn, ob Sie eine Braut haben oder nicht. Sir Carl beobachtete diese Regel genauer, er wendete sich nicht eher all die Freunde seiner Henriette, bis er gewiß war, daß sie ihm für allen Mannespersonen den Vorzug gab. Sie haben, wie ich glaube, nur im Anfang die alte Regel vor Augen gehabt, daß eine günstige Mutter auch eine günstige Tochter machen kann; allein da Sie hernach nicht einmal dieser Vorschrift gefolget sind, sondern die Frau v.W. gegen sich unwillig gemacht haben: so ist es Ihnen desto schwerer worden, Ihre Absicht zu erreichen. Doch diese Regel[37] der Alten ist heutiges Tages ganz aus der Mode kommen, die Töchter sind nicht mehr so fromm oder so einfältig, daß sie ihre Liebe nach den Absichten der Mutter verschenken sollten, sie haben dieses Joch längstens abgeworfen, und seitdem sind sie so widerspenstig worden, daß sie alle diejenigen hassen, welche die Mutter sich zu Schwiegersohnen wünschen, wenigstens lassen sie sich nicht leicht einen Liebhaber anspringen. Sie haben in der That ein böses Spiel in Händen: die Gunst der Mutter ist verlohren, und die Gewogenheit der Tochter haben Sie nie besessen. Sie verstehen mich wohl, daß ich unter der ersten einen großen Grad der Freundschaft, und unter der andern eine wahre Zuneigung meine. Ein Mann, der weniger Herzhaftigkeit besäße als Sie, würde sich verlohren schätzen, und an eine Sache, die so entfernt ist, als der Friede, gar nicht weiter gedenken. Eine Liebe, die sich nur mit Möglichkeiten beschäftiget, gehöret unter die süßen Träume und für die Philosophen. Solche unglückliche[38] Liebhaber sind wie die Goldmacher, die Zeit und Geld verschwenden, das große Geheimniß zu entdecken, und durch den letzten Proceß nicht weiter kommen, als durch den ersten. Doch hierdurch will ich keinesweges ihre Unternehmung tadeln, oder den guten Ausgang derselben in Zweifel ziehen, ich habe vielmehr die beste Hoffnung, daß alles nach Wunsche ausschlagen wird, und lasse es gegenwärtig meine vornehmste Beschäftigung seyn, dieses aufs sicherste und geschwindeste ins Werk zu sehen. Eine Nacht bin ich darüber schon um den Schlaf kommen, ohne das geringste zu erfinden, und diesen Vormittag habe ich auch mit so tiefen Betrachtungen zugebracht, als des Cartes, da er seine Welt erschuf, ob ich gleich noch nicht die rechte Spur entdeckt habe, wie die Sache, Ihre Schöne zu fesseln, am besten anzugreifen ist. So viel habe ich durch mein Nachdenken heraus gebracht, daß das Spiel von neuen muß angefangen werden, wenn Sie etwas dabey gewinnen wollen. Ich will mich mit Ihrer Erlaubniß hinter[39] Ihren Stuhl stellen, damit ich es desto leichter übersehen kann, und wenn Sie meinem Rathe folgen, so denke ich, daß Sie noch den Pot ziehen sollen. Ich verfalle hier auf meine gewöhnliche Anspielung, wir haben hierzu gleiche Fähigkeit, nur daß wir in Ansehung der Gegenstände von einander abweichen. Es ist nichts in der Welt, das Sie nicht mit etwas aus der Kriegskunst vergleichen könnten, und ich finde in allen Dingen etwas ähnliches mit dem Spiele. Erlauben Sie, daß ich meine Vergleichung fortsetze. Wenn Sie einen geschickten Spieler vorstellen wollen, so dürfen Sie nicht erschrecken, wenn Sie auch dann und wann einmal abgetrumpfet werden, die gefährlichsten Spiele gehen oft am besten. Werden Sie auch nicht ungedultig oder verzagen Sie an ihrem Glück, wenn Ihnen nicht gleich alles nach Wunsche gehet, oder wenn Sie nicht vom Anfang gewinnen, gute Spieler sehen dieses niemals gerne. Tarazzoni verlohr vor sechs Jahren, im Anfang des Carnevals[40] zu Venedig zwanzig tausend Ducaten, und hatte beim Schluß achtzig tausend gewonnen. Ich denke Sie sollen nicht ohne Gewinnst aufsteigen, wenn Sie nur nicht zu hitzig anfangen, oder wie Sie bisher gethan haben, zuviel auf einmal hazardiren. Dieses würde geschehen, wenn Sie entweder in Person oder durch einen andern, nochmals um das Fräulein zu voreilig wollten anhalten lassen, ehe Sie gewiß sind, daß Sie derjenige sind, den sie unter allen Mannspersonen am meisten schätzt. Setzen Sie auch nicht zu viel Vertrauen in sich selbsten, ich will Ihnen schon einen Wink geben, wenn die Reihe an Ihnen ist, durch den letzten Trumpf, den Sie bis zuletzt in der Hand behalten müssen, dem Spiel ein Ende zu machen.


Diese allgemeinen Regeln sind zwar an sich gut genug: aber ihre Anwendung ist schwer, wenn man sie in der Liebe brauchen will. Ich bemühe mich jetzt, die Karte so zu[41] mischen, daß ich Ihnen ein leichtes Spiel verschaffe; aber ich verspreche Ihnen dieses nicht gewiß. So viel kann ich Ihnen sicher versprechen, daß ich alles thun will, was mir in dieser Sache zu thun möglich ist. Sie fragen mich, ob die alten Kunstgriffe sich bei den Schönen durch Bälle und andere Lustbarkeiten in Gunst zu setzen, noch eben die Dienste haben, die sie ehedem leisteten, ich getraue mir diese Frage mit ja zu beantworten. Das Frauenzimmer besitzt noch alle die Neigungen, die sie vor dreyßig oder vor hundert Jahren besaßen, das Vergnügen ist ihr Leben, und wer ihnen dieses verschafft, den können sie nicht hassen. Ich rathe Ihnen, keine Gelegenheit vorbei zu lassen, dem Fräulein v.W. alles ersinnliche Vergnügen zu machen, und insonderheit darauf zu sehen, daß es nach dem besten Geschmack eingerichtet ist. Ich würde Ihnen keinen Beifall versprechen, wenn Sie nach dem Beispiele unsrer Ahnen mit einer Cither unter das Fenster Ihrer Gebietherin schleichen, und sie durch[42] eine traurige und mit vielen harmonischen Seufzern untermischte Arie, im Schlafe stöhren wollten. Dieser zärtliche Liebesantrag, der ehedem Wunder gethan, würde jetzt mehr schädlich als nützlich seyn. Man muß die Sache auf eine andere Art angreifen, ich will Ihnen einmal einen Vorschlag thun. Künftigen Freitag ist der Geburtstag des Fräuleins, wie wär es, wenn Sie ihren Hofpoeten, durch ein paar Gläser ermunterten, ein Glückwünschungsgedichte zu verfertigen, um das Fräulein damit anzubinden? Sie dürfen mir leicht ein gut Wort geben, so feiere ich das Geburtsfest hier in Schönthal, und bitte sie alle zu Gaste, aber alsdenn werden Sie Sich auf eine feine Galanterie gefaßt halten, wenn Sie gegenwärtig seyn wollen, die Sie ihrem Glückwunsche beifügen, dadurch sie erkennen kann, wie hoch sie von Ihnen geschätzt wird, und deswegen finde für gut, daß sich das Geschenke am Werthe nicht unter fünfzig Thaler belaufen darf, sonst haben Sie Sich keinen freundlichen Blick zu versprechen.[43] Wollen Sie aber spärlich haushalten, so können Sie eine Staatskrankheit annehmen, und alsdenn ist das Gedichte, das aber mit einem wohlgesetzten Brief muß begleitet seyn, schon alleine zureichend. Ich werde nicht ermangeln, besonders wenn Sie abwesend sind, und ich mich also keiner Schmeichelei verdächtig mache, Sie aufs beste herauszustreichen, und diesen klugen Einfall zu loben; auch Ihnen hernach getreulich zu melden, was zu Ihrem Vortheile gesprochen wird. Ich verspreche mir von diesem Anschlage viel gutes, wenn er gut ausgeführet wird. Prägen Sie dem Herrn Lampert wohl ein, daß er in das Gedichte nichts zum Lobe der Frau v.W. mit einfließen läßt, Sie wissen, daß das Fräulein nicht gut mit ihr stehet. Doch wenn ein unschuldiger lustiger Gedanke über sie, der aber doch nicht sonderlich beleidigen kann, mit darinne angebracht würde, so könnte dieses denselben vielleicht desto mehrern Beifall verschaffen. Noch einen Punkt will ich berühren,[44] ehe ich schließe, Sie haben mich in Ihrem Schreiben darauf geführet. Sehen Sie ja zu, daß Sie Sich das Kammermädchen des Fräuleins günstig machen. Ein solches Mädchen ist eine Person von Wichtigkeit in dergleichen Angelegenheiten. Diese Creaturen besitze, gemeiniglich das Vertrauen ihrer Gebietherin, und ihr Gutachten giebt oft der Sache einen bessern Ausschlag, als das Responsum einer ganzen Juristenfacultät einem Proceß. Sie sind eben das in Liebeshändeln, was die femmes gardées im l'hombre, der Skies und Pakat im Tarock und die Läufer oder Springer im Schachspiel sind. Es würde nicht überflüßig seyn, wenn Sie durch Geschenke das Mädchen des Fräuleins zu gewinnen suchten; allein weil Sie, wie ich weiß, davon nicht viel halten, auch leichtlich ein anderer Sie überbiethen könnte: so habe ich einen Vorschlag, der viel sicherer ist, dieses Mädchen in Ihr Interesse zu ziehen. Der Magister Lampert muß seine Leidenschaft für die Tochter Ihres Pfarrers Dero Vortheil[45] aufopfern, er muß wenigstens eine Zeitlang sich stellen, als wenn er eben die Rolle bei der Kammerjungfer spielen wollte, die Sie bey dem Fräulein haben. Ihm als einem schlauen und gelehrten Manne, der auch seinen Liebesanträgen eine logikalische Stärke geben kann, wird es nicht schwer fallen, seinen Endzweck zu erreichen, und alle Anschläge, die vielleicht von der Gegenparthei auf das Fräulein gemacht werden könnten, zu entdecken, und fruchtlos zu machen. Sollte Herr Lampert Schwürigkeiten machen, wie ich denn vermuthe, daß er eher würde zu bewegen seyn, noch ein Pasquill auf den Herrn Grandison zu verfertigen, als seiner Liebste untreu zu werden: so müßte er auf ähnliche Art, wie er von dem Rittmeister Salmonet genöthiget wurde, seinem Willen Folge zu leisten, dahin angehalten werden, Ihren Vortheil seiner Neigung vorzuziehen. Doch dieses alles ist nur, wie Sie auch ausdrücklich von mir verlanget haben, mein unvorgreiflicher Rath, und es stehet Ihnen frei,[46] in wie fern Sie ihn befolgen wollen oder nicht. Ich werde mir es indessen zu einer ganz besondern Ehre anrechnen, wenn Sie davon Gebrauch machen; doch gebe ich mich zufrieden, wenn Sie andere Maasregeln ergreifen. Gelangen Sie bald zu ihrem Zweck auf einem Wege, der Ihnen am besten gefällt, dieses ist der aufrichtige Wunsch


Ihres

gehorsamen Dieners

v.F.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 34-47.
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Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
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