VI. Brief.

Von ebendemselben an den Herrn v.F.

[53] den 25 Nov.


Sie haben mir gestern wissen lassen, daß Ihre Gäste, die Sie eingeladen haben, heute alle erscheinen würden. Ich bin darüber erfreut. Den Major Ln. hätten Sie nur weglassen sollen, er gehöret ohnedem nicht in unsere geschlossene Gesellschaft. Ueberhaupt dächte ich, er könnte wieder zu seinen: Regiment gehen, ich wollte der schweren Zeit ungeachtet, gern eine Compagnie Franzosen bei nur überwintern lassen, wenn er nur dadurch genöthiget wurde, die hiesige Gegend zu verlassen. Man weiß indessen nicht, wie bald sich das Blättchen wenden kann. Ich halte es zwar allezeit mit den hohen Alliirten, so bald aber mein Vortheil mit ins Spiel kommt, so trete ich zur französischen Partei. Jetzt würde ich es gerne sehen,[54] wenn die ersten einmal verlöhren, damit der verwünschte Major mir nur aus den Augen käme. Wer weiß, ob er es nicht ausspionirt hat, daß heut der Geburtstag des Fräuleins ist, und sich etwan einfallen läßt, sie mit etwas angenehmern als ein paar Bogen Pappier anzubinden. Ich stehe disfalls in grosser Sorge. Das ist sicher, daß er mit der Freundlichkeit und Politesse gegen die Mutter, die Tochter meint. Er hat die Regel, die ich nach Ihrem Urtheil soll übertreten haben, besser in Acht genommen. Wenn er sich auf kein Angebinde gefaßt gemacht hat, so ist es mir gewissermaßen lieb, wenn er siehet, daß ich ihm den Rang abgelaufen habe. Damit die Freude desto unvermutheter kommt und größer wird, so bin ich auf den Einfall gerathen, ein Pastetengehäuse verfertigen zu lassen, worinne der Brief nebst dem Carmen befindlich ist, wie denn der Ueberbringer dieses Briefs solches in seinem Korbe trägt, welches sorgfältig muß herausgenommen und auf der Tafel gerade an den[55] Ort gesetzet werden, wo das Fräulein zu sitzen kommt. Tragen Sie Sorge, daß sich Niemand an diesem Schaugerichte vergreift, sondern das Fräulein ersucht wird, die Pastete vorzulegen, da wird sie die Bescheerung schon finden. Sie denken vielleicht, ich käme mit meinem Angebinde ganz wohlfeil weg, glauben Sie es nicht. Lampert hat mehr als einen halben Eimer Wein darüber ausgezecht, und deswegen auch, wie ich vermuthe, auf allen Seiten sowohl in dem Briefe als in dem Gedichte von Wein gesprochen. Er hat aber demungeachtet seine Sache treflich gemacht, und besonders in dem Briefe so viel rührende Stellen angebracht, die das Fräulein ohne Bewegung nicht hat lesen können. Besonders ist die Auslegung ihres Planeten recht nach meinem Gusto gerathen. Es ist zwar nicht alles so wie in dem Briefe stehet; aber es ist doch alles gut, und kein Umstand unwahrscheinlich. Wenn ich gleich ihren Geburtstag noch nie gefeiert habe, so hätte ich es doch thun können, bekräftigen Sie nur[56] alles recht treuherzig, woran sie etwan zweifelt. Die Liebenden glaubten ehedem einander alles, was sie sich sagten, wenigstens thaten sie so. Ich zweifle nicht daran, daß dieses auch noch jetzt Mode ist. Morgen oder aufs längste übermorgen, erwarte ich ihren schriftlichen oder mündlichen Bericht, wie mein Angebinde ist aufgenommen worden, was man darüber gesagt hat, und was es für eine Wirkung gethan. Mischen Sie aber keine locos communes, wie der Magister Ihre Betrachtungen nennet in den Brief, sie gerathen Ihnen selten zu meinem Vortheil, und mit verdrüßlichen Dingen habe ich nicht gerne etwas zu schaffen. Trinken Sie dem Herrn v.W. einen guten Rausch zu, und versichern Sie beiläufig seine Gemahlin, insonderheit aber das Fräulein von meiner Ergebenheit.

v.N.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band3, Eisenach 1762, S. 53-57.
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