XXVI. Brief.

Fräulein Amalia an ihren Bruder.

[171] Schönthal, den 9. Sept.


Fräulein Julgen ist eben von mir weg, ich schicke mich dahero an, meinem geliebtesten Bruder von den hiesigen Begebenheiten, meinem Versprechen gemäß, getreue Nachricht zu ertheilen. Ich weiß nicht, ob ich meine Erzählung von dem Fräulein von W. oder von unserm Oncle anfangen soll, beide geben mir sehr viel Materie an die Hand. Nur ein paar Worte von Fräulein Julgen. Die gottlose Stiefmutter will sie durchaus in einen Stift thun, sie kann sie nicht vor Augen sehen. Die böse Frau ist ein rechtes Marterholz für das gute Kind. Diesen Morgen kommt sie in ihr Zimmer: Ich werde Ihnen Glück wünschen müssen, liebes Julgen, der Herr von N. unser guter Freund und Nachbar wird mit ehestem um sie anhalten.[172] Gestehen Sie es nur, Sie sind Ihm nicht gram, ich merkte es wohl, beim Feuerwerke, wie Sie doch so schlau lächeln konnten, wenn er scherzte. Nicht wahr, Sie sind Ihm ein Bisgen gut? Die unverschämte Frau! das liebe Kind mit einem Liebhaber, der Ihr Großvater seyn könnte, zu peinigen, Sie kann es nicht verantworten. Sie spricht, Julgen hätte die Wahl, entweder in den Stift zu gehen, oder den Herrn v.N. zu heirathen. Sie scherzet in der That, der Scherz ist aber so unrecht angebracht, daß das Fräulein sich zu Tode darüber ärgern möchte. Ich weiß daß du meiner Freundinn dein ganzes Mitleiden schenken wirst. Ich will diesen traurigen Affect nicht weiter regen; unser Oncle liefert scherzhaftere Auftritte, durch die Niemand sonderlich beleidiget wird; inzwischen wünschte ich doch, daß wir nicht auf Kosten des Bruders unsrer Mutter lachen dürften. Nun ist die Sache nicht mehr zu ändern, wir würden uns vergebens bemühen, ihm eine Grille, die er sich so feste in den Kopf gesetzt hat, auszureden. Manchmal kommt es mir vor,[173] als wenn er wirklich Vortheil daraus gezogen hätte. Er flucht in der That nicht mehr so grimmig, wenigstens nicht mit so anstößigen Worten als ehedem.

Neulich hat er in seinem Hause wiederum eine Aenderung vorgenommen; der Coffee ist daraus verbannet worden. Frühe Thee, Nachmittags Thee, auf den Abend Thee; es mag kommen wer da will, der muß Thee trinken. Warum? Sir Carl Grandison trinkt vor und Nachmittage Thee, und in Engelland ist es Mode, die Gäste mit Thee zu bedienen. Unser Oncle trinkt alle Tage eine ziemliche Portion davon. Nun, denke ich, hat er sich eher für der Wassersucht, als für der Schwindsucht zu fürchten. Vor einigen Wochen, da er eben anfieng zu grandisoniren, erzählte er mir, daß er vorgestern den Anfang gemacht hätte, seine Leidenschaften zu überwältigen, dieses gab uns zu einer Unterredung von einem seltsamen Innhalte Anlaß, der noch einen seltsamern Erfolg hatte. Ich schrieb sie auf, sobald ich nach Hause kam, um dir solche mitzutheilen. Hier ist sie.

[174] Der Oncle. Das sollen Sie sehen, Fräulein Base, daß ich alle meine Leidenschaften, noch vor Ausgang der Woche, völlig in meiner Gewalt haben will.

Amalia. Das ist ein sehr edler Entschluß, Herr Vetter, der Ihnen wirklich Ehre macht; gesetzt, daß Sie auch mit dieser Unternehmung nicht so schleunig zu Werke gehen könnten, als Sie wohl denken.

Der Oncle. Nein nein, wenn ich mir etwas vornehme, so muß es durchgesetzt werden, es koste auch was es wolle. Das wäre der Teuf – –, das wäre doch viel, sage ich, wenn ein Mann der in Italien mehr als 100 Köpfe commandiret hat, seinen eigenen Schädel nicht könnte zurechte bringen!

Amalia. Erlauben Sie, Herr Vetter, ich halte es viel leichter, andrer Leute Köpfe zu commandiren, als seinen eigenen.

Der Oncle. Was der Donnerstag und das Wetterglas wäre es denn auch für eine Kunst, wenn es keine Schwürigkeiten hätte.[175] Ich weiß wohl, daß sich meine Leidenschaften, die Canallien, wider mich empören werden; aber der Himmel sei ihnen gnädig, wo sie sich regen. Ich habe wohl eher einen Eisenfresser von einem Kerl, der nur so aussahe, als wenn er mit meinem Commando nicht zufrieden wäre, krumm schließen, und unter die Pritsche werfen lassen, sollte ich denn nicht meine närrischen Affecten eben sowohl bezwingen und unter die Bank stecken können?

Amalia. Ich habe das beste Zutrauen zu Ihnen; und wenn ich mir gleich nicht vorstellen kann, daß Sie so geschwinde von sich Meister werden: so hoffe ich doch, daß Sie es, in kurzer Zeit, mit Bezwingung Ihrer Leidenschaften, sehr weit bringen werden.

Der Oncle. Nicht doch, nicht doch! Was ich einmal gesagt habe, dabei bleibt es. Die Hunde, die bösen Leidenschaften, müssen vor Sonnabend Abend alle dort in meiner Schwester Strickbeutel stecken. (ich lachte.) – Sie lachen? – Wollen Sie mir nicht glauben? Wohlan, Sie sollen Wunder und Zeichen sehen.[176] Sie denken, es wäre etwas, das ich mir gar nicht abgewöhnen könnte – – Der Brandewein – Nicht wahr? Sie haben Recht, es wird eine große Ueberwindung kosten. Das, und noch ein paar eingewurzelte Hausflüche sind noch Ueberbleibsel von dem Soldatenleben. Aber bei meiner Ehre, diesen habe ich bereits den Laufzettel gegeben, und mit jenem werde ich kurz Federlesen machen.

Ich war in der That sehr froh, daß er diesen Vorsatz hatte. Wenn es doch sein könnte, dachte ich. Ich muß ihn bei diesen guten Gedanken zu erhalten suchen, ich reizte seine Ehrbegierde.

Amalia. Alles will ich Ihnen gern glauben; aber daß Sie diesen heldenmüthigen Entschluß glücklich ausführen sollten, das traue ich Ihnen nicht zu. Indessen ist Ihr Vorsatz, eine Gewohnheit zu unterlassen, die Ihrer Ehre oft Eintrag gethan hat, so vortrefflich, daß er, wenn er auch gleich nicht zur Wirklichkeit käme, Ihre Ehre doch in meinen Augen wieder herzustellen scheinet. Ich kann[177] nicht leugnen, Leute die dem Trunke ergeben sind, und besonders ein Getränke lieben, darinne sich nur der Pöbel übernimmt, sind mir verächtlich, sie mögen seyn wer sie wollen. Sehen Sie, ich rede offenherzig, Herr Vetter; ich rede so mit Ihnen, wie ich mit dem Sir Grandison reden würde, wenn ich ihn jemals trunken gesehen hätte.

Mein Oncle stieg stillschweigend auf, und gieng aus den Zimmer, ich dachte er wäre böse. Kurz darauf kam er wieder mit der gewöhnlichen Flasche im linken Arme, und einem Römer in der Hand. Er setzte Beides auf den Tisch.

Der Oncle. Nun sollen Sie sehen, daß ich im Stande bin, dasjenige auszuführen, was ich mir einmal vornehme. Hier an diesen Werkzeugen des Teufels, (er wies auf die Flasche und das Glas) will ich eine schreckliche Execution ausüben.

Er eilte damit zum Fenster, ich hielt ihn zurück. Lassen Sie Ihre Rache nicht auf[178] die Unschuldigen fallen. Was hat die arme Flasche gethan, daß Sie so barbarisch mit ihr umgehen wollen? Wenn Sie eine Rache üben wollen, so thun Sie es an ihrem Feinde, denn Getränke, das die Flasche aufbehält, dieses verdienet ihren Unwillen.

Ich nahm die Flasche, und wollte den Brandewein zum Fenster hinaus schütten.

Der Oncle. Leichtfertige Base, was wollen Sie machen, Sie werden doch nicht Gottes Gabe auf die Gasse schütten?

Amalia. Ja, das will ich. Es wird in Absicht auf den Misbrauch, der damit vergehen könnte, ein gutes Werk seyn, wenn ich es wegschütte.

Der Oncle. Nein, ich werde nicht zulassen, daß Sie meinetwegen sündigen. Ich will das Bisgen Couragewasser, das noch in der Flasche ist, austrinken, dieses wird meinen Muth stärken, daß ich in dem Vorsatze beharren kann, dieses schädliche Getränke auf ewig zu verschwören.

[179] Amalia. Mein gutes Zutrauen gegen Sie wird sich wieder verliehren, wenn Sie dieses thun. Haben Sie ohne Ihren Leibtrank nicht Muth genug ihre bösen Leidenschaften zu beherrschen; so werden Sie bei demselbigen noch viel weniger im Stande seyn Ihr Vorhaben ins Werk zu richten.

Der Oncle. Ha, ha! Bäsgen, über ihre Rockenphilosophie lache ich. Meine Ehre setze ich zum Pfande, daß ich meinem Leibtranke heute gute Nacht gebe.

Er schenkte sich in der Geschwindigkeit ein Glas nach dem andern ein, trank auf ein ewiges Lebewohl, auf Nimmerwiedersehen, auf das glückliche Halsbrechen seiner Flasche, und s.w. Da sie leer war, schien er tiefsinnig zu werden, er gieng dreimal die Stube auf und ab, mehr als einmal öffnete sich sein Mund zum Reden, er war aber nicht im Stande ein Wort hervorzubringen. Endlich fieng er plötzlich an: Nichts! Keine Einwürfe! Entferne dich auf ewig du Ungeheuer von einer Leidenschaft. (Er ergriff die Flasche.) Lebe wohl du redliche Gefehrtin meiner Tage.[180] Du mein Labsal hast mich oft ergötzet. Dein Nektar erwärmte mich, da ich über den kalten Alpen stieg, und erquickte mich, wenn mich die Sonnenhitze in Italien entkräftet hatte. Ich beweine dein Schicksal, meine beste Freundinn: aber es ist besser, daß ich dir den Hals breche, als daß du mir eine betrübte Erinnerung, oder wohl gar wiederum ein quälendes Verlangen nach den Wohlthaten erregest, die ich ehedem aus dir genossen habe. O Grandison, Grandison! Wüßtest du meinen heroischen Entschluß, du würdest ihn billigen. Er riß das Fenster auf, und warf die getreue unschuldige Flasche mit dem Römer wider eine unbarmherzige Mauer, daß beide in tausend Stücke sprangen. Ich ließ ihn gehen. Bis hieher ist er seinem Vorsatze getreulich nachgekommen, und hat nicht das geringste Verlangen nach seiner Panacee, wie er es nennte, merken lassen. Dahero trinkt er eine abscheulige Menge Thee und ein gut Glas Wein. Seine Gesundheit hat nichts gelitten. Manchmal komme ich auf die Gedanken, daß wir unserm Vetter ein rechtes Freundschaftsstückgen,[181] durch deine Erfindungen erwiesen haben; manchmal bin ich aber auch auf uns alle böse. Du hattest einmal in einem Briefe den Tod der Frau Shirley berichtet, unser Vetter legte deswegen tiefe Trauer an, wir trauerten nicht, und fuhren nach Kargfeld, um einen Besuch bei ihm abzulegen. Solltest du wohl glauben, daß er uns den Thorweg vor der Nase zumachen ließ? Wir mußten umwenden. Meine Schwester und ich verschworen es, seine Thürschwelle jemals wieder zu betreten. Mein Schwager hat seinen Spaß darüber. Er zog sich den andern Tag schwarz an, als wenn seine Mutter gestorben wäre, wir mußten unsres Protestirens ungeachtet mit ihm fahren. Verwünscht! Ich mußte eine schwarze Florkappe überhengen; meine Schwester auch. Nic habe ich mich so sehr geschämet als damals. Das ist wohl die erste alte Frau aus einem Roman die wirklich ist betrauret worden. Unser Oncle ließ gar läuten; und wenn der Pfarrer wäre zu bewegen gewesen, so hätte die gute Frau eine Gedächtnißpredigt, und[182] eine Parentation bekommen. Ueber diesen Possen ist die Glocke in Kargfeld gesprungen, unser Oncle soll eine neue gießen lassen oder die Bauren wollen ihn verklagen Es gehet die Rede, der Magister hätte der Gemeinde in Kargfeld unter dem Fuß gegeben, sie sollten eine Bittschrift an den Sir Grandison aufsetzen, und um eine Collecte für die Kirche bei ihm anhalten; vielleicht ist es etwan schon geschehen. Der Pastor Wendelin hat am Sonntage vor 8 Tagen, unsern Vetter dergestalt abgekanzelt, weil es eben der Text so mit sich brachte, daß alle Bauren nach dem adlichen Stuhle gesehn haben. Von unsern Familien Umständen weiß ich nichts zu sagen, als daß meine Schwester immer bishero gekränkelt hat. Es kann seyn, daß unser Oncle in einem halben Jahre zweimal Gevatter wird. Nun habe ich mich von Neuigkeiten so ausgeleeret, daß ich nichts mehr zu sagen weiß, als eine alte Wahrheit: daß nie ihren Bruder zu lieben aufhören wird, dessen

aufrichtig ergebene Schwester

Amalia v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 171-183.
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