XL. Brief.

Der Magister Wilibald an den Baron v.F.

[295] Kargfeld den 19 Septembr.


Reichsfreihochwohlgebohr.

Herr, Gnädiger Herr.


Eu. Reichsfreihochwohlgebohr. Gnaden pflegen oftmals diesen sehr weisen Spruch im Munde zu führen: Ein Wort ein Wort, ein Mann ein Mann, und[295] dieser vortreffliche Wahlspruch erinnert mich an ein Versprechen, das ich vorgestrigen Tages Denenselben, in dem Speisesaale des Herrn v.W., in Gegenwart einer hochansehnlichen Gesellschaft gethan habe; und ich erfülle es mit desto größerm Vergnügen, theils um dadurch zu beweisen, daß ich ein Mann von Parole bin, theils um dadurch Gelegenheit zu bekommen, mich in einigen Stücken, die mir sind zur Last geleget worden, zu rechtfertigen. Ob ich gleich so wenig dabei gleichgültig seyn konnte, da Eu. Hochwohlgebohr. gefiel, von dem großen Freunde meines Gönners kein gar zu vortheilhaftes Urtheil zu fällen, daß ich dadurch auf das lebhafteste gerühret wurde: so muß ich es doch herzlich beklagen, daß Sie einige Worte, die ich in guter Meinung wohl bedächtlich vorbrachte, und welche gar nicht dahin abzielten, Eu. Hochwohlgebohr. zu beleidigen, ungnädig empfanden. Ich glaube indessen, daß ich eine vollkommene Vergebung alles dessen, wodurch ich Hochdieselben beleidiget haben soll, erhalte, wenn ich Sie aufrichtig versichere, daß es[296] mir nie in den Sinn gekommen ist, Dero Ehre und Ruhm jemals im geringsten anzutasten. Per me semper honos nomenque Tuum laudesque manebunt. Dieses habe ich nun meines Erachtens in Richtigkeit gebracht. Ich sehe Eu. Gnaden wieder als meinen Mäcenan, ich sage gleichsam zu Ihnen, wie jener große Dichter zu diesem: O et praesidium et dulce decus meum! In diesem Vertrauen gegen Sie, wag ich es, Dero Schutz und Hülfe in einer Sache anzuflehen, die mich sehr beängstiget. Seyn Sie doch, gnädiger Herr, seyn Sie doch, ich bitte Sie, ein großmüthiger Georg, der den Lindwurm, der an meinem Herzen naget, ritterlich besieget. Ich weiß, daß das Fräulein v.S. gewohnt ist, an ihren Herrn Bruder in Engelland alles zu berichten, was in unsrer Gegend sich zuträgt; ich weiß auch, daß der Herr v.S. seine Briefe allen Freunden in Grandisonhall zeiget. Es ahndet mir, daß das Fräulein alles, was bei der Gasterei des Herrn v.W. vorgefallen, vom Anfang bis zu Ende, an den jungen Herr Baron schreiben wird. Sie verstehet die[297] die Kunst, Sachen, die von keiner Wichtigkeit sind, auf einer Seite vorzustellen, daß sie das Ansehen wichtiger Begebenheiten erreichen. Wie leicht könnte es seyn, daß sie aus Mangel richtiger Begriffe, den Becher der Fröhlichkeit, welcher bei der Tafel des Herrn v.W. fleißig herum gieng, mit dem Laster der Trunkenheit verwechselte. Nichts würde mir empfindlicher seyn, als wenn der Doctor Bartlett mich, der ich mir eine Ehre daraus mache, in seine Fußtapfen zu treten, und alle meine Handlungen nach den seinigen einzurichten, für einen Trunkenbold und Weinsäufer ansehen sollte. Was würde dieser redliche Mann denken, wenn er solche Dinge von mir hörte? würde er sich nicht schämen, mir die Ehre eines Mitglieds einer berühmten königlichen Gesellschaft erworben zu haben? Ich will es zwar gerne zugeben, daß ich mich eben so wenig bei der Gasterei des Herrn v.W. in statu integritatis befand, als die übrigen vornehmen Gäste; aber dadurch wird noch keinesweges eingeräumet, daß man sich an diesen frohen Tage bezecht hätte. Indessen[298] höre ich unter der Hand, daß die Frau v.W. einige ihrer Gäste, und mich insbesondere, mit solchen Ehrentiteln überhäuft, die nur für niederträchtige Gemüther und für die Schenke gehören. Ich weiß, daß die Verwechselung der Begriffe von dem Freudentrunke und der Trunkenheit, an diesen falschen Urtheilen Schuld sind. Um nun diesem Uebel in Zukunft vorzubeugen, und meine Ehre und guten Namen dadurch, sowohl in hiesiger Gegend, als auch bei mei nen Gönnern in Engellend, aufrecht zu erhalten; so habe ich es gewagt, angebogne kurze Beantwortung der Frage: Ob bei der Gasterei des Herrn v.W. der Becher der Fröhlichkeit zuweit sey getrieben worden oder nicht, zu entwerfen, und diese Abhandlung Eu. Hochwohlgebohr. unterthänig zuzueignen. Werden Sie die Gnade für mich haben, und aus dieser kleinen Schrift dem Fräulein v.S. für welcher, wenn ich es aufrichtig gesiehen soll, ich mich am meisten fürchte, ingleichen bei Gelegenheit der Frau v.W. deutliche Begriffe von dem himmelweiten Unterschiede[299] zwischen einem Trunkenbolde und einem, der den Becher der Fröhlichkeit kostet, beizubringen sich die Mühe geben. Werde ich dadurch von der Sorge, daß meinem guten Namen ein Klebesieckgen möchte angehangen werden, befreiet: so verspreche ich nicht nur meine Dankbarkeit gegen Eu. Gnaden auf alle nur ersinnliche Art und Weise zu Tage zu legen, sondern ich werde dadurch auch aufgemuntert werden, mehrere dergleichen nützliche Unternehmungen zu wagen. Ich verharre mit vollkommenster Hochachtung,


Eu. Reichsfreihochwohlgebohr.

Meines gnädigen Herrn

unterthäniger Diener

L. Wilibald Phil. D.
[300]

Einschluß des vorigen Briefs.

Kurze und bescheidene Beantwortung der Frage: Ob bei der Gasterei des Herrn v.W. der Becher der Fröhlichkeit zuweit sey getrieben worden oder nicht?


§. 1.


Was der Becher der Fröhlichkeit sey.


Ein Becher wird im weitläuftigen Verstande jedes Gefäße genennet, woraus man zu trinken pfleget, oder kürzer, ein Becher ist ein Trinkgeschirr. Der Wein ist ein Saft, welcher aus Trauben gepresset und in großen Gefäßen, die man Fässer nennet, in unterirrdischen Gewölbern oder Kellern zum Gebrauche aufbehalten wird. Die Alten hielten es zwar damit anders; sie zogen den Wein auf Flaschen, und verwahrten ihn in dem obern Theile, oder auf dem Boden ihrer Häuser. Die Fröhlichkeit ist eine Beschaffenheit des Gemüths, welche uns eine Zeitlang aller Sorgen vergessen macht, und unsere Gedanken nur mit angenehmen Empfindungen beschäftiget. Der Becher der Fröhlichkeit (poculum[301] hilaritatis) ist also der Genuß des Weins, aus einem Trinkgeschirr, den man so lange fortsetzet, bis man spüret daß das Gemüthe vollkommen aufgeräumet ist, oder bis man eine vollkommene Heiterkeit im Gemüthe empfindet.


Anmerkungen.


Die erste. Weil der Becher der Fröhlichkeit das Gemüthe aufheitert, so werden die, welche ihn trinken, illuminati, das ist, Aufgeheiterte oder Erleuchtete genennet.

Die zweite. Einer, der keinen Wein trinket, heißt Abstemius. Leute von der Art, die sich muthwillig um eine solche Ergötzlichkeit dieses Lebens bringen, als das Weintrinken ist, sind nicht klug, ergo sind die Türken nicht klug.


§. 2.


Wer der Erfinder davon gewesen.


Noah, der zweite Stammvater des menschlichen Geschlechts, hat den Weinbau erfunden.[302] Er trank den Wein aus einer doppelten Absicht, erstlich um der Schwäche seines Magens dadurch zu statten zu kommen, zum andern, um dadurch seine Bekümmerniß, daß er seine guten Freunde hatte sehen im Wasser umkommen, durch Wein zu lindern. Wenn er seinen Becher aus dieser Absicht ansetzte, so trank er das poculum hilaritatis, und weil dieses Niemand vor ihm that, so war er mithin der erste. Es ist also klar, daß Noah der Erfinder des Bechers der Fröhlichkeit gewesen ist.


§. 3.


Wie vielerlei derselbe sey.


Wir haben ein zweifaches poculum hilaritatis, ein grösseres (majus) und ein kleineres (minus). Dieses letztere bestehet darinne, wenn man ein Glas Wein mehr trinket, als es die Nothdurft erfordert. Der gemeine Mann nennet dieses einen Trunk über den Durst. Jenes kann nur Statt finden, wenn man mit dem Vorsatze trinket, aufgeräumt zu werden, und mithin muß der Genuß des[303] Weins so lange fortgesetzet werden, bis man diesen Entzweck erreichet hat.


§. 4.


Wie man beide den größern und den kleinern Becher brauchen soll.


Des kleinern Bechers der Frölichkeit kann man sich so oft bedienen als man will; aus dem größern aber muß man kein Handwerk machen; sonst wird aus dem Becher der Fröhlichkeit ein Becher der Trunkenheit. (Poculum hilaritatis conuertitur in poculum ebrietatis.)


Anmerkungen.


Die erste. Die Gelehrten, welche mit dem Kopfe arbeiten, und einer Aufmunterung ihrer Lebensgeister öfterer als andre nöthig haben, dürfen den größern Becher der Fröhlichkeit so oft versuchen, als sie es gut befinden ihre Lebensgeister aufzumuntern. Einfolglich gilt bei ihnen eine Ausnahme.

Die zweite. Das poculum hilaritatis majus ist die Hippokrene der Poeten.


§. 5.


Das vorhergehende wird weiter ausgeführt und bestätiget.
[304]

Es erhellet aus der Vernunft und Erfahrung, daß man nicht nur Wein trinken könne, um den Durst zu löschen, sondern daß dieses auch geschehe, um sich zu erquicken. Man pflegt im Sprichworte zu sagen: Vinum est lae senum, das ist, Wein thut den Erwachsenen eben die Dienste, als Milch den Säuglingen. Wer sich nun am Weine erquicket, dessen Gemüthe wird munter; wer sein Gemüthe durch den Wein ermuntert, ohne dabei seiner Sorgen zu vergessen, der trinkt den Becher der Frölichkeit, und zwar den kleinern. Alle Moralisten, sowohl Theologi als Philosophi stimmen darinne überein, daß es erlaubt sey, diesen kleinern Becher, wenn und so oft man will, zu versuchen, denn er dienet zur Erhaltung des menschlichen Lebens und der Gesundheit; alleine wegen des größern sind die Gelehrten nicht einerlei Meinung. Einige, und zwar die strengsten Moralisten, verwerfen solche in ihren Schriften ganz; sie thun es aber nur zum Scheine, und machen sich kein Bedenken, ihn dann und wann selbsten auszuleeren. Die gelindern lassen solchen,[305] wiewohl nicht mit offenbaren Worten, (aperte.) jedoch aber stillschweigend (tacite) zu. Es wird nöthig seyn, um dieses zu bestätigen, ein oder anderes Beispiel hiervon aus den Schriften eines großen Kirchenlehrers anzuführen. Dieser ernsthafte Mann, da er bereits in einem wichtigen Amte stund, schreibt an einem Orte, in seinem Tractätlein von der Einbildung folgendes. Ich muß hier, spricht er, Kurzweilitatis gratia erzählen, was sich mit mir zugetragen, als ich zu Königsberg studirte. Nachdem ich mit vornehmen Bürgern bekannt worden, wurde ich zuweilen Erlustirens halber, in ihre Lusthäuser außer der Stadt geführet, und wenn sie ihre Flaschenfutter aufthäten, war dieses allezeit die erste Frage, wie mir der Wein schmeckte? Wenn ich denn den sauern Wein, so halber Krautlache (war) lobte: soffen sie sich so voll als die Bürstenbinder, und wurden von lauterer Opinion voll und toll. Hier muß man wohl bemerken, daß die Redensarten: sich so voll sauffen als die Bürstenbinder, von lautererer Opinion voll und toll werden, in[306] etwas uneigentlichem Verstande müssen genommen werden, wie es auch aus der Natur der Sache schon genugsam erhellet. Denn man weiß, daß sich so arme Leute, als die Bürstenbinder sind, nicht in Wein bis zur Vollheit bezechen können, und von lauterer Opinion wird man sich nicht leicht einen Rausch trinken. Wenn also der gelehrte Mann, der dieses schreibt, jetzo leben sollte, so würde er sagen: und wenn ich den sauren Wein lobte, so gefiel ihnen dieses sowohl, daß sie darüber ganz lustig wurden, und den grössern Becher der Frölichkeit mit einander ausleerten. Ich will doch noch ein Beispiel aus eben diesen Autore von gleichem Schlag anführen, es stehet gleich auf der folgenden Seite des obenangezogenen Tractätleins, die Worte lauten also: Gestern, als ich auf meinem großen Stuhle eingeschlafen (war) träumte mich, ich war ist einem herrlichen Pallast, da hörte ich den Abdanker seine Oration halten, in welcher er den Hochzeitgästen Dank sagte, daß sie sich einstellen und mit ihrer Gegenwart solche (Hochzeit helfen zieren wollen;[307] führte dabei an, sie wollten bedenken, daß anjetzo das Martinsfest wäre, wollten demnach wacker herum trinken, daß kein Tropfen darinne (in dem Fasse oder Becher) blieb. Denn, sagte er, der Sauerkopf Seneca, der, der alle Berge eben tragen wollen, hat selbst zuweilen gesoffen, daß er den Fuchsen geschossen und über eilfe geworfen, (was diese Ausdrücke bedeuten, ist schon oben bei dem Bürstenbinder erkläret,) und das sollte eine vortreffliche Medicin seyn, aller vornehmsten Arzenei Doctorn Meinung nach. Alexander der Große hat nie eine Feldschlacht angetreten, er habe denn zuvor tapfer gesoffen. Wer sollte sich aber dessen schämen, was Seneca, was Alexander M. was Cato gethan? Und solche Vorgänger zu haben, ist nicht allein wohl zu verzeihen, sondern noch wohl lobenswerth. So weit unser Autor. Hieraus leuchtet nun ganz deutlich in die Augen, daß der Becher der Frölichkeit stilleschweigend gebilliget wird, und dieses läßt sich hauptsächlich aus drei Gründen beweisen, I.) Weil der Autor beiden angezogenen Stellen kein ungleiches Urtheil beifüget,[308] und also durch sein Stilleschweigen die Sache billiget, denn qui tacet consentire videtur II.) Weil er es selbst veranlasset hat, daß die Bürger in Königsberg sich besoffen haben wie die Bürstenbinder, oder eigentlich zu reden, daß die Bürger in Königsberg den größern Becher der Frölichkeit versucht haben. III.) Weil er sich kein Bedenken macht, einen Traum zu erzählen, der eine Aufmunterung zum Gebrauche desselben enthält. Er würde diesen Traum gewiß verschwiegen haben, wann er befürchtet hätte, dadurch eine Aergerniß anzurichten, da er aber dieses nicht gethan hat; so ist es außer allem Streit, daß er nichts darwider einzuwenden hatte. Welches zu erweisen war.


Anmerkung.


Wenn es also die Moralisten verstatten, dann und wann so tief in das Glas zu gucken, daß man den Fuchsen schießt und über eilfe wirft; so ist es klar, daß es erlaubt sey, den größern Becher der Frölichkeit zur Ergötzung des Gemüths zu gebrauchen.
[309]

§. 6.


Was die Trunkenheit sey, item ein Trunkenbold, Vollzapf etc.


Die Trunkenheit entstehet entweder durch den gar zu öftern Gebrauch des Bechers der Frölichkeit, (§. praeced.) wenn man alle Tage will Martini machen, wie man im gemeinen Leben zu reden pflegt; oder wenn man das poculum hilaritatis zu weit treibt, daß die Heiterkeit des Gemüths sich verlieret, wenn man durch die Weindünste benebelt wird. Ein Trunkenbold, gleichsam der dem Trinkbecher hold ist, oder ein Vollzapf, ist ein Mensch, der eine Fertigkeit besitzt, alle vollen Gläser auszuleeren, und der also mit trinken nicht eher abläßt, bis er schwarz und weiß, Tag und Nacht nicht mehr unterscheiden kann.


§. 7.


Daß die Trunkenheit ein Laster sey, und viel Unglück stifte.


Wer so viel trinkt, daß die Heiterkeit seines Gemüths dadurch unterdrücket wird, der verlieret den Entzweck des Bechers der Freudigkeit,[310] und schwächet dabei seine Gesundheit und sein Vermögen. Es kommt oftmals dahin, daß solchergestalt ein reicher Crassus ein Friedrich mit der leeren Tasche wird,1 einfolglich beleidigt ein Trunkenbold die Pflichten gegen sich selbst, mithin ist er lasterhaft, und die Trunkenheit selbst ein Laster. Ein Laster kann nichts anders als Unheil anstiften, folglich stiftet die Trunkenheit viel Unheil an. Daß dieser Satz der Wahrheit vollkommen gemäß s.y, solches lehret nicht nur die tägliche Erfahrung, sondern es kann auch durch sehr viele Beispiele bestätiget werden. Auszugsweise will ich davon doch etliche anführen. Zu Bacharach, einem Städtlein in der Pfalz, welches seinen Namen daher erhalten, weil guter Rheinwein daselbst wächst, und es gleichsam Bacchi ara, oder ein Altar des Weingottes ist, wohnte vorzeiten ein grosser Schwelger, der sein einziges Vergnügen in dem Keller nicht anders als ein Fisch im Wasser fand. Einsmals gieng obgedachter Temulent ins Weinhaus, und fing an, die Zeit mir Zechen und andrer Kurzweile zu vertreiben,[311] übte sich auch so fleißig in der Gläserausleerung, daß er einen guten Rausch bekam. Immittelst wurde die Weile seinem schwangern Weibe zu Hause sehr lang, welche sich hin begab, ihren vollen Nabal heimgehen zu heißen; er verehrte sie aber mit etlichen Maulschellen, und warf ihr einen Haufen Flüche und Scheltworte an den Hals. Sie ging hierauf ihres Weges, den gottlosen Mann unter den andern Trunkenbolden lassend. Nach Verlauf etlicher Viertelstunden hat sie ein überaus abscheuliches Monstrum oder Mißgeburt zur Welt gebracht, welches alle Anwesenden in höchstes Schrecken versetzte. Dessen Gestalt war also beschaffen: forne an dem obern Theile des Leibes sahe es einem Menschen ähnlich, hinten hinab aber, und unten, einer Schlange, und hatte einen Schwanz bei drei Ellen lang. Indem man nun nicht weis, was man mit diesem Ungeheuer anfahen soll, kömmt der volle Zapfen nach Hause. Die schreckliche Mißgeburt gab, so bald sie ihn sahe, einen Schlangen ähnlichen Laut von und warf sich mit großer Ungestüm an des[312] Fluchers 'Hals, umhüllete denselben etliche mal mit dem Giftschweife, verwundete ihn auch mit verschiedenen Stichen; daß der gottlose Mensch seinen Geist aufgab, und die tolle und volle Seele dem Teufel in die Wäsche schickte2. Ein anders. Nicht weit von Jena wohnte vorzeiten ein Trunkenbold, der, wenn er sich besoffen hatte, mit Jedermann zanken und hadern mußte. Einsmals begab sichs, daß er toll und rasend den Wirth in der Schenke mit seinen Gästen fressen wollte. Die Frau heulte und bat, er sollte mit ihr nach Hause gehen, sie wollten zu Hause ein Kännlein Wein mit einander ausstechen. Der volle Narr aber wollte nicht, sondern schlug das Weib gar übel, und lief zum Tische, als wollte er zehn volle Bauern mit einem Streich erschmeißen; es traf ihn aber einer mit einer Kanne dermaßen vor den Kopf, daß er alsbald umfiel und starb, und weil man zuvor die Leuchter ausgelöschet hatte, ist noch nicht erfahren worden, wer diesen thörigten Hund erworfen hat3. Noch eins zur Zugabe. Zu Meinigen im Hennebergischen[313] war einmal ein Mann, Hanns Vierdümpfel benannt, welcher sich lieber in Bier- und Brandeweinhäusern, als in der Kirche finden lies, dieser hat sich einmal dermaßen mit Brandewein angefüllet, daß ihn derselbe das Herz abgebrannt hat.4.


§. 8.


Ob bei der Gasterei des Herrn von W. der Becher der Frölichkeit oder der Becher der Trunkenheit Statt gefunden habe? Letzteres wird verneinet.


Nachdem nun das nöthige zur Beantwortung unserer aufgeworfenen Frage vorausgesetzet worden, so wird es leicht seyn, solche gründlich, und zwar verneinend, zu beantworten: Das Maas des Bechers der Frölichkeit ist bei der Gasterei des Herrn v.W.[314] nicht überschritten worden. Dieses beweisen wir so: Nur der macht sich des Lasters der Trunkenheit schuldig, welcher so viel trinket, daß die Heiterkeit des Gemüths dadurch unterdrucket wird, oder welches einerlei ist, daß er Tag und Nacht, schwarz und weiß nicht mehr unterscheiden kann. (per §. 6 & 7.)

Bei der Gasterei des Herrn v.W. hat Niemand so viel getrunken, daß dadurch sein Gemüthe dergestalt wäre benebelt worden, daß er schwarz und weiß, Tag und Nacht, nicht mehr hätte unterscheiden können: (per experient.)

Also hat sich auch Niemand bei der Gasterei des Herrn v.W. des Lasters der Trunkenheit schuldig gemacht. Oder auch so: Wenn wahr ist, daß die Trunkenheit allemal viel Unheil stiftet, wie solches aus dem vorhergehenden §. nicht kann geleugnet werden: so würde folgen, daß aus der Gasterei des Herrn v.W. vielerlei Unglück müßte erwachsen seyn, wenn bei solcher die Trunkenheit geherrschet[315] hätte. Da aber bis jetzo noch kein Ungeheuer dadurch ist ausgebrütet, auch Niemand mit der Kanne dermaßen an den Kopf getroffen worden, daß er davon gestorben wäre; am allerwenigsten aber durch die Vielheit des Getränkes Jemand um Leib und Leben kommen ist: so bleibet es dabei, daß man die Gränzen des Bechers der Frölichkeit nicht überschritten hat. Hat sich nun Niemand des Lasters der Trunkenheit bei der Tafel des Herrn v.W. schuldig gemacht; ist aber gleichwohl ein Glas Wein mehr getrunken worden, als zu des Leibes Nahrung und Nothdurft gehörte; so folgt daraus, daß der größere Becher der Frölichkeit, nicht aber, wie fälschlich vorgegeben wird, der Becher der Trunkenheit von einer hochansehnlichen Gesellschaft zu einer unschuldigen Gemüthsergötzlichkeit ausgeleeret worden. W.z.e.w.


§. 9.


Beschluß.


Solchergestalt wäre also die Ehre der vortrefflichen Gesellschaft in Wilmershausen gerettet,[316] und die hochansehnlichen Glieder derselben von dem Verdachte eines Fehlers befreiet, welchen nur niedrige Gemüther begehen können. Es ist also nichts anders, als eine pure lautere Verläumdung und Unwahrheit, wenn man sich nicht entblödet, zu sagen, daß einige der anwesenden Gäste in Wilmershausen rechte Trunkenbolde und Vollzapfen gewesen wären; ich sage, es ist dieses nichts anders, als eine Verläumdung und Erdichtung, die bei einer genauen Untersuchung der Wahrheit nicht Stich hält, und welcher man sicher widersprechen kann. Denn da zur Gnüge bewiesen worden ist, daß kein Mensch von allen Anwesenden den Becher der Frölichkeit zu weit getrieben habe; so fällt die Beschuldigung der Trunkenbolde für sich selber hin. Wo die Trunkenheit nicht Statt findet, da kann auch kein Trunkenbold seyn, cessante caussa cessat effectus. (Man besehe hiervon Danzii Grammat. hebr. §. 17. caut. 7). Ich weis, daß das ganze erlauchte Publicum, der Wahrheit gemäs, von diesem Vorgange urtheilen, und mehr dieser aufrichtigen[317] Schutzschrift, als einem flüchtigen Gerüchte, aus dem Munde übelgesinnter Personen Beifall geben wird. Es ist mir zwar sehr empfindlich, daß böse Zungen von einer vornehmen Gesellschaft, in welcher ich mich selbst zu befinden die Ehre hatte, nachtheilige Unwahrheiten auszusprengen, sich kein Bedenken machen, und ich denke mehr als einmal an die Worte: Dorn und Disteln siechen sehr, falsche Zungen noch vielmehr, noch wollt ich lieber in Dorn und Disteln baden, als mit falschen Zungen seyn beladen. Inzwischen, da ich es doch nicht dahin bringen werde, allen Leuten das Afterreden zu verbiethen; so will ich zusehen, ob ich wenigstens ihren offenbaren Spöttereien und üblen Nachreden Einhalt thun kann, wenn ich diesen Fluch über sie ausspreche, welchen schon vor mir ein berühmter Schriftsteller5, wegen seiner Neider und Misgünstigen, jenem gekrönten Haupte abgeborget hat: Honni soit qui mal y pense!

Fußnoten

1 Besiehe hiervon P. Lambec. de biblioth. caes. lib. II. c. 8.


2 M. Janson in Mercur. Gallobelgie.


3 M. Wolfgang Bütner in epit. histor.


4 M. Joh. Seb. Günthers Meining. Chron.


5 Siehe hiervon Zieglers Vorrede zu seiner Asiatischen Banise.


Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 318.
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