VII. Brief.

Der Herr v. N. an den Herrn v. S . .

[36] Kargfeld den 14. Mai.


Geliebter Neveu,


So ist denn die Geschichte mit Sir Carl Grandisonen wirklich wahr? Ich habe zeithero, als ein kluger Mann, noch immer daran gezweifelt: weil ich niemals gewohnt bin, alles bey der Erde weg zu glauben: allein Ihr letzter Brief an den Magister hat mich völlig convinciret. Dem will ich den verdammten Häls brechen, welcher nunmehro weiter etwas wieder die Gewisheit der Sache einwenden wird. Vor allen Dingen, sehn Sie zu, daß Sie den Mann selber sprechen. Der Kaufmann, bei welchen Sie wohnen, scheint mir nach Ihrem Berichte, ein ehrlicher Pursch zu seyn. Er wird Sie, wie der Engel den Tobias, sicher nach Grandisonhall bringen, und darauf bedacht seyn, daß Sie unterwegs kein Wallfisch frist.[37]

Wenn Sie dort sind; so machen Sie an den Herrn Grandison und an seine Henriette von mir ein dienstfreundliches Kompliment. Merken Sie dabei auf alles, was in seinem Schlosse, an seinen Bedienten, und vornehmlich an seiner Person, anzumerken würdig ist. Ich weiß zwar einen großen Theil aus dem Buche; allein Specialia, mein lieber Vetter, Specialia sind es, die ich wissen will. Verstehen Sie mich wohl? z.E. Hält er viel Jagdhunde? was sind seine Jäger für Kerls? wer spielt die Orgel, wenn Concert ist? was macht die alte Frau Shirley? Ist der Lady G. ihr Meerkätzgen zur Meerkatze geworden? Lebt die alte poßierliche Tante Lore noch. Von allen diesen Dingen dependirt gegenwärtig gar viel: und wenn mein Vorhaben glücklich von Statten gehet; so bin ich zwischen hier und Weinachten ein zweiter Grandison: ja, vielleicht treibe ich die Sache noch höher. Lassen Sie Sich aber gegen Niemanden nichts merken. Verschwiegenheit ist das Wesentliche bei großen Unternehmungen. Der Magister Lampert thut mir hierbei[38] gute Dienste. Er ist selbst von der ganzen Affaire so eingenommen, daß ich mir keinen drolligtern Kerl wünschen könnte, als ihn.

Mein Rath wär, Sie blieben einige Monate zu Grandisonhall –, manchmal können Sie auch nach Shirleymanor geben, wenn Ihnen die Zeit zu lang wird. Hüten Sie Sich aber für dem verdammten Greville: es ist ein Schläger. Fragen Sie doch auch nach den leidigen Vetter Eberhard, ob er vielleicht in seinem Ehestande auch untertaucht? Meinen Gruß an den Herrn Reves und Frau Reves, wie auch an den spaßhaften Oncle Selby. Den Mann möchte ich ein mal hier bei mir haben, ich wollte ihm so zusaufen, daß er den drätschen Himmel nicht erkennen sollte. Adieu, lieber Vetter. Ich bin Ihr guter Freund

v.N.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 36-39.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.