X. Brief.

Fräulein Amalia an das Fräulein v.W.

[50] Kargfeld, den 19 Oct.


Das ist eine schreckliche Verwirrung in dem Hause! Alles läuft wider einander. Zu keiner ungelegnern Zeit hätte ich einen Besuch in Kargfeld abstatten können als heute. Um nicht in dem Getümmel erdruckt oder beschädiget zu werden, habe ich mich in Tante Kunigunden ihre Zelle geflüchtet, und will mich für langweiliger Zeit mit der Beschreibung dieses unerwarteten Zufalls beschäftigen. Haben Sie die Geduld, mir zuzuhören, ich will Ihnen die Sache vom Anfang bis auf den gegenwärtigen Augenblick erzählen. Sie wissen, daß mein Oncle von seiner Unpäßlichkeit vollkommen wieder hergestellet ist. Er ließ uns deswegen auf heute zu sich einladen, um wegen[51] seiner glücklichen Genesung, allerley Lustbarkeiten anzustellen. Meine Schwester und ich haben uns eingefunden. Der Baron hatte sich schon auf heute bei einem Freunde versprochen, und will, wenn er sich von seiner Gesellschaft loßreißen kann, erst gegen Abend kommen. Alles war bei unserm Oncle, wie zur Begehung eines Festes zugeschickt. Der Herr v.H. der nie gesünder gewesen, als seitdem er auf seiner Heimreise von Wilmershausen mit dem Pferde gestürzet hat, war nebst seinen beiden Brüdern auch zugegen. Mein Oncle wollte einen Ball anstellen, um jedermann zu zeigen, daß er wieder wohl zu Fuße sey. Vorhero sollte ein vortrefliches Concert, von der Composition eines Lorenz Lobesans, wozu der Magister Lampert den Text verfertiget hatte, aufgeführet werden. Man entdeckte allenthalben Zeichen der lebhaftesten Freude. Unter einem künstlichen Präludio, wozu der Cantor alle sieben Register der Hausorgel meines Oncles gezogen hatte, wurden bereits die Instrumenten gestimmet; zwölf Adjuvanten strichen schon[52] die langen goldgelben Haare aus dem Gesichte, um die Noten desto besser sehen zu können; zwei davon bemüheten sich, alle vorräthige Luft in dem Musikzimmer einzuathmen, und setzten bereits ihre Waldhörner an, um sie durch lebhafte Töne wieder auszulassen. Jedermann hatte seinen Platz eingenommen, und Lampert, der die Partitur führte, war eben im Begriff, den linken Fuß und die rechte Hand aufzuheben, um durch einen nachdrücklichen Tritt und Schlag das Zeichen zum Anfange einer lermenden Fuge zu geben: da der Jäger des Majors v. Ln. in das Zimmer geführet wurde, der meinem Oncle einen Brief überbrachte, den er mit einer ernsthaften und verächtlichen Mine entsiegelte. Er hatte ihn nicht so bald gelesen; als er seine Cantate voll Verdruß auf den Tisch warf und eiligst nebst dem Magister das Musikzimmer verließ, um mit ihm, wie er sagte, über eine Sache von der äußersten Wichtigkeit zu rathschlagen. Jedermann erwartete ihre Wiederkunft mit einer solchen Begierde, als wenn man hätte wollen Hanns[53] Norden sehen in seinen Krug steigen. Der Cantor ließ dann und wann die große Orgelpfeife brummen, um sie an ihre Rückkehr zu erinnern; allein vergebens. Tante Kunigunde kam nach Verlauf einer halben Stunde zurück, und meldete, daß wegen eines wichtigen Zufalls die Aufführung der Cantate diesmal unterbleiben müßte. Sie sagte dieses mit einer so ängstlichen Stimme, daß der Cantor mit den weisesten seiner Adjuvanten anfing, die Köpfe zusammen zu stecken, und allerlei politische Betrachtungen hierüber anzustellen. Wigand, Jacob, Heinrich liefen unterdessen Trepp auf Trepp nieder, und trugen sich mit Degen und Pistolen. Die unverständigen Musikanten, die die Ursache dieser Bewegungen nicht einsehen konnten, verbreiteten auf einmal das furchtbare Gerüchte, der Feind wäre schon im Anmarsch. Alles gerieth darüber in Aufruhr; jeder wollte der erste bei der Thür seyn, um sich zu retten. Die Angst machte, daß man nur auf seine eigene Sicherheit dachte. Es galt hier kein Ansehen der Person. Ich schätzte mich[54] also glücklich, daß ich noch zu rechter Zeit, durch eine Nebenthür, mich aus dem Gedränge machen konnte.


Sie werden leicht einsehen, was diesen Aufruhr veranlasset hat. Mein Oncle hat den Fehdebrief von dem Major erhalten. Ich bin darüber sehr bestürzt, so wenig Sie es auch an meinem Briefe wahrnehmen können. Den Scherz bei Seite gesetzt, so können Sie glauben, daß diese Aufforderung das ganze Haus meines Oncles in Verwirrung gesetzet hat. Die Aufführung des Concerts wurde dadurch unterbrochen; aus dem Balle wird auch nichts; die Geiger und Pfeifer sind aus dem Hause getrieben; das lermende Vergnügen hat auf einmal mit einer traurigen Stille gewechselt. Mein Oncle befindet sich noch immer nebst dem Herr v.H. und seinen Brüdern in einer tiefen Berathschlagung. Wigand ist die einzige lebendige Creatur, die einiges Geräusche macht. Er sitzt im Hofe und putzt das Gewehr. Alleweile schleift er einen abscheulichen laugen verrosteten Degen. Ich[55] denke noch immer, daß die ganze Sache ein bloßes Spielgefechte seyn soll, und daß sich der Major, nur um Ihrer Frau Mutter gefällig zu seyn, entschlossen hat, meinem Oncle ein Cartel zuzuschicken. Er scheint doch ein Mann zu seyn, der die Geister prüfen kann, und wird also leicht einsehen, daß seine Ehre bei dieser Schlägerei nicht viel gewinnen wird. Wenn er es ernstlich meint, so verdient er deswegen verachtet zu werden, und wir wollen uns beide alsdenn vereinigen, um ihm aus jeder Mine lesen zu lassen, was er für eine kleine Figur in unsern Augen macht. Ich erwarte die Ankunft des Barons mit der größten Ungeduld. Er hat mir sein Wort gegeben, daß aus diesem Handel kein Unglück entstehen soll; ich werde ihn dabei halten. Wenn es in seinem Vermögen stehet, so erfüllt er gewiß sein Versprechen. Sehen Sie, ich bin nicht so schlimm, als Sie denken, ich lasse mir die Verdrüßlichkeit meines Oncles sehr zu Herzen gehen, und ich weiß nicht, was ich drum geben wollte, wenn ich im Stande wäre, sie den Augenblick[56] zu haben: aber ich kann mich des Scherzes so wenig dabei enthalten, als Tante Kunigunde der Thränen; doch diese werden die Sache nicht mehr verbessern, als sie mein Scherz schlimmer macht. Sie würden selber mit lachen, wenn Sie hier wären. Es werden nicht Anstalten zu einem Duell gemacht, sondern zu einem Kriege. Wenn das Faustrecht noch im Schwange gienge, so glaubte ich, der Major hätte meinen Oncle befehdet, mit 30 reißigen Knechten gegen ihn auszuziehen. Es werden alle Schwerdter, Degen und Pistolen, in ganz Kargfeld zusammen gebracht, daß man, im Fall der Noth, eine Rotte Knechte damit bewaffnen könnte. Man sagt mir, daß mein Oncle im Begriff sey, einen Boten an Ihren Herrn Vater abzuschicken. Ich bekomme dadurch eher als ich vermuthete, eine Gelegenheit, Ihnen meinen Brief einhändigen zu lassen. Damit Sie aber doch bey den kritischen Umständen, worinnen sich mein Oncle befindet, nicht ganz ruhig seyn mögen: so will ich Sie nur daran erinnern, daß Sie die erste Gelegenheit[57] gegeben haben, ihn darein zu verwickeln. Ich würde Ihnen nicht diese Erinnerung machen, wenn ich nicht wünschte, daß Sie die Sorge über den bevorstehenden Zweikampf meines Oncles, mit mir theilen sollten. Wenn ich unruhig bin, so sollte die ganze Welt unruhig seyn, wenn es nach meinem Sinne gienge. Vergeben Sie diese kleine Bosheit, wenn es ja eine seyn soll


Ihrer

aufrichtigen Freundin

Amalia v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 50-58.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.