XI. Brief.

Fräulein Amalia an das Fräulein v.W.

[58] Schönthal, den 22 Oct.


Geben Sie Sich zufrieden, mein Kind, und machen Sie Sich wegen der Händel unsrer beiden Anverwandten[58] weiter keine Sorge. Wir haben nichts zu fürchten; wenigstens bin ich seit gestern geneigt, dieses zu glauben. Wissen Sie es schon, daß der Major uns gestern einen Besuch gegeben hat? Eine wunderbare Frage, als wenn es Ihnen etwas unbekanntes wäre, ohnfehlbar haben wir Ihnen diesen freundschaftlichen Besuch zu danken. Doch, wer weiß, Sie hätten mir wohl ein Wort davon gemeldet. Ich will Ihr Stillschweigen so annehmen, als wenn Sie noch nichts davon wüßten, und ich werde den Major aus einem vortheilhaftern Gesichtspunkte betrachten können, wenn ich glaube, daß er aus eigner Bewegung zu uns gekommen ist. Im Vertrauen, der Baron fing es an, übel zu nehmen, daß er schon einen Monath hier ist, ohne ihn einen Besuch gegeben zu haben. Er entschuldigte sich deswegen sogleich bei seiner Ankunft, und seine Entschuldigung fand Beifall, sie war gegründet. Ich bekam eine bessere Meinung von ihm als ich bisher gehabt hatte, und ich fange es an zu bereuen, daß ich ihn einen prahlenden Soldaten[59] genennet habe. Man darf von Ihnen nur so urtheilen, wie Sie es verdienen, um meine Achtung zu erhalten. Glauben Sie es nur, ich ließ meinen Groll gegen den Major sogleich fallen, da er sich für Sie er klärete, und Ihre Parthie gegen Ihre Mutter ergriff. Er ließ sich über Sie in viele Lobsprüche heraus –. Werden Sie nicht ungehalten auf mich, wenn ich jetzo einmal die Person der Fräulein Anna Howe spiele, und Sie frage: ob Ihnen nicht das Herz bei diesen Zeilen stärker schlägt? Ich bin sehr verwegen, strafen Sie mich, wenn ich es verdiene – Ich will nicht weiter in Sie dringen; ich will es Ihnen aber doch ins Ohr sagen, daß Sie einen eifrigen Verehrer an dem Herrn v. Ln. bekommen haben. Bei aller seiner Mühe, seine Leidenschaft zu verstecken, kann man ihm bis auf den Grund des Herzens sehen. Wenn er gegen Ihre Frau Mutter eben so offenherzig ist, als gegen den Baron: so getraue ich mir im voraus zu prophezeien, daß die Freundschaft zwischen beiden am längsten gedauert hat.[60] Er erzählte mit einer lobenswürdigen Freimüthigkeit, daß ihn die Frau v.W. verleitet hätte, unserm Onkle eine Ausforderung zuzuschicken. Er hätte seine Ursachen gehabt sich nicht durch seine Widerspänstigkeit ihr misfällig zu machen. Können Sie diese Ursachen wohl einsehen? Ich kann es –. Es wäre gar nicht seine Absicht, dasjenige, wodurch er sich von dem Herrn v.N. beleidiget halten könnte, zu rächen. Der Mann hat seine Würmer, sagte er, man muß seine Schwachheit übersehen. Wenn ihn auch das nicht bereits einer vollkommenen Verzeihung würdig machte, daß er ein Anverwandter des Barons wäre: so würde ihn doch sein wunderbarer Charakter genugsam für aller Rache schützen. Er wäre auf eine sonderbare Art in das Lustspiel gezogen worden, welches mein Oncle zum Vergnügen seiner Freunde und Nachbarn aufführte: er wünschte nun auch seine Rolle so zu spielen, daß er sie mit Beifall endigte. Unser Oncle schien keine Lust zu haben, sich mit ihm herum zu balgen. Er hätte ihm einen Brief[61] zugeschickt, davon der Magister Lampert schien der Concipient zu seyn. Er suchte, den Zweikampf von sich abzulehnen, und führte allerlei Gründe an, daß man denken sollte, er wäre unter die Herrnhuter gerathen; der Major aber hätte ihm wieder geantwortet, daß es zwischen ihnen beiden nun einmal so weit gekommen sei, daß einer den andern aus dem Sattel heben müßte. Schon in dem ersten Fehdebriefe wäre Schönthal zum Kampfplatze vorgeschlagen worden, obgleich die Frau v.W. dazu eine Gränzscheide ausersehen gehabt hätte. Der 25 October wäre, wie dem Baron schon würde bekannt seyn, zum Termine des Zweikampfs anberaumt. Der Baron möchte der Sache nur so einen Schwung geben, daß die Sache auf eine scherzhafte Art geendiget würde, und daß es so schien, als wenn beide Theile mit Ehren aus dem Handel geschieden wären.


Ich konnte nicht immer gegenwärtig seyn, um zu hören, was der Major mit dem Baron[62] vor einen Entwurf machte. So viel weiß ich, daß heute mit dem frühesten der Baron nach Kargfeld gereiset ist, um alles der Abrede gemäß einzurichten. Sie sind gewiß eben so begierig als ich, den Ausgang dieses Zwistes zu vernehmen, ich werde Ihnen mündlich oder schriftlich davon einen getreuen Bericht abstatten. Das Schreiben meines Oncles an den Major, und die Antwort auf dasselbige, lege ich hier bei. Senden Sie mir beide, nebst ein paar Zeilen von Ihrer Hand zurück; angenehmer wird es mir aber seyn, wenn Sie Sich die Mühe nehmen wollen, solche selbsten zu überbringen


Ihrer

ergebensten Dienerin

Amalia v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 58-63.
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