XII. Brief.

Der Hr. v.N. an den Major v. Ln.

[63] Kargfeld, den 20 Oct.


Mein Herr,


Was gehet Sie mein Brief an, den ich an meinem Freund den Herrn v.W. geschrieben habe, und wer hat Ihnen das Recht gegeben, die Ehre seiner Gemahlin zu vertheidigen? Habe ich Sie beleidiget, so ist ihr Gemahl Mannes genug, diesen Schimpf zu rügen, ohne einen fremden Beistand nöthig zu haben. Wollen Sie Sich für Ihre Muhmen und Vettern schlagen, zumal wenn sie einer Vertheidigung ganz unwürdig sind: so werden Sie viel zu schaffen haben, und doch wenig Ehre dabei erjagen. Daß ich vor einigen Wochen, in Wilmershausen eine kleine Unruhe verursachet habe, darüber haben Sie gar nichts zu[64] sagen: wenn es der Herr v.W. als Wirth leiden konnte, so können Sie als ein Gast auch darzu stille schweigen. Zu dem bin ich für meine Ausschweifung schon gnug bestrafet worden: meine Knochen haben mir einen Monat lang allen Gehorsam aufgekündiget gehabt, und ich muß ihnen noch ziemlich gute Worte geben, wenn sie mich ein paar hundert Schritte fortschleppen sollen. Was ich von Ihnen und der Frau v.W. geschrieben habe, das sind blos meine Gedanken gewesen, und Gedanken sind Zollfrei. Ich habe Ihnen ja nichts Schuld gegeben, und wenn ich es auch gethan hätte, was wäre es denn nun? Wenn Sie ein gut Gewissen haben, so brauchen Sie nichts zu fürchten; sind Sie aber nicht sicher, so thäten Sie besser, Sie schwiegen. Da ich Ihnen nun also nicht gnugsame Ursache gegeben habe, sich für beleidiget zu halten: so achte ich mich auch nicht verbunden, Ihre Ausforderung anzunehmen. An meiner Herzhaftigkeit zweifelt Niemand, und Sie sollten derjenige seyn, der sich am wenigsten an mich wagte,[65] da ich mich noch gar wohl erinnere, daß ich Ihnen bei dem Herrn v.W. erzählte, wie manchen braven Kerl ich das Lebenslicht ausgeblasen habe, und daß ich sogar einen meiner Gegner, der für Schrecken zum Fenster hinaus sprang, zwischen Himmel und Erde, nicht anders als ein Vogel in der Luft, erlegt habe. Ich würde mit Ihnen gewiß auch kurz Federlesen machen, und nicht das geringste Bedenken haben, mich noch einmal herum zu schlagen: wenn ich nicht nach der Zeit verständiger worden wäre, und nunmehro einsähe, daß der Zweikampf eine alte gothische und barbarische Gewohnheit ist, welche man mehr zu unterdrücken als aufrecht zu erhalten verbunden ist. Lesen Sie Herr Gevatter Grandisons Leben; so werden Ihnen die Augen aufgehen, und Sie werden erkennen, daß ein solcher unchristlicher und abentheuerlicher Gebrauch anfängt, aus der Mode zu kommen, seitdem vernünftige Männer einen bessern Weg gefunden haben, ohne Blutvergießen, ihre Händel durch gütliche Vergleiche beizulegen. Mit einem Worte,[66] ich komme nicht nach Schönthal als ein Schläger, wenn ich ja noch komme. Indessen weiche ich Niemand aus, und werde mich meiner Haut tapfer wehren, wo Sie mich anfallen. Mein Rath wäre, daß Sie es nicht versuchten. Ich denke immer, die gerechte Sache wird siegen, und es konnte leicht kommen, daß ich Ihnen den Hals bräche, ehe Sie Sichs versähen. Wie gesagt, beleidigen laß ich mich nicht, wenn Sie also noch einige Ueberlegung haben: so stehen Sie von Ihrem bösen Vorhaben ab, und besuchen Sie mich auf eine freundschaftliche Art, damit ich Sie überzeugen kann, daß ich mir ein Vergnügen daraus mache, zu seyn


Ihr

ergebenster Diener

v.N.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 63-67.
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