XIV. Brief.

Das Fräulein v.W. an das Fräulein v.S.

[70] Den 23 Oct.


Sie empfangen hier die beiden Einschlüsse Ihres gestrigen Briefes mit vielem Danke zurück. Ich traue es dem Major zu, daß er die ganze Sache als ein Schattenspiel treiben will, um meiner Mutter etwas vorzuspiegeln, dadurch ihre Rache einigermaßen befriediget wird, und dadurch er sich in der guten Meinung befestiget, die sie jetzo von ihm heget. Sie irren Sich sehr, wenn Sie glauben, daß er die Freundschaft mit meiner Mutter meinetwegen zu unterhalten suche, ich muß Ihnen diesen Irrthum benehmen. Ich mache mir schon Sorge, daß ich Ihre Gewogenheit darüber einbüßen könnte, wenn dieser Gedanke einmal bei Ihnen Wurzel gefasset hätte. Der Major stehet bei Ihnen ganz wohl angeschrieben, wie[71] ich merke, ich werde mich also vor Ihrer Eifersucht hüten. Diese werde ich, wie ich hoffe, nicht zu befürchten haben, wenn Sie die Absicht des Majors wissen, warum er die Freundschaft meiner Mutter beizubehalten sucht. Sie hat aus dem Lehngute, welches ihm neulich zugefallen ist, noch ein Capital von 6000 Thalern zu fordern. Sie ist ihm nie recht gut gewesen, weil sie glaubt, daß ihr Oncle, der Vater des Herrn v. Ln., sie und ihre Schwester bei einer Erbschaft sehr verkürzt habe. Sie hat ihm deswegen das Capital schon seit einiger Zeit aufgekündiget, um sich, wegen des alten Verdrusses, einiger maßen an ihm zu reiben. Er hat, wie Sie wissen, vor ein paar Monaten seine Equipage verlohren, und ist deswegen hauptsächlich hieher auf sein Gut gegangen, um sich solche von neuem anzuschaffen. Dieses und die Anforderung meiner Mutter, wenn sie darauf hätte bestehen wollen, würden ihn in Weitläuftigkeiten gesetzet haben; er würde ein starkes Capital haben aufnehmen müssen, um beide Posten davon zu bestreiten.[72] Er dachte deswegen auf Mittel sich aus dieser Verlegenheit zu ziehen, und suchte meine Mutter durch ein höfliches Bezeigen zu gewinnen, daß sie jetzo nicht in ihn dringen möchte, ihr das Capital abzutragen. Einigermaßen hat er sie gewonnen, aber noch nicht völlig; sie verspricht ihm einige Nachsicht zu geben, wenn es ihre Umstände leiden wollten, das Geld noch eine Zeitlang zu missen. Sobald er ihr aber die geringste Gelegenheit zu einem Verdrusse giebt: so wird sie das Geld nicht eine Stunde länger entrathen können. Schreiben Sie also dieser Ursache allein alle seine Beeiferungen zu, sich ihr gefällig zu machen.


Ich muß Ihnen wegen einer kleinen Schmeichelei verbunden seyn, Sie schenken dem Major Ihre Achtung, weil er so von mir urtheilet, wie Sie glauben, daß ich es verdiene. Sie handeln sehr großmüthig; aber ich denke, er hat mir diese Ehre nicht alleine zu verdanken; Die persönlichen Eigenschaften tragen zu dem Urtheile, welches[73] man über die Leute fällt, auch oft etwas bei. In einem Stücke bin ich nicht mit Ihnen zufrieden. Sie haben nicht die besten Begriffe von mir. Sie fragen mich: ob mir das Herz nicht stärker schlägt, wenn ich höre, daß sich Jemand in Lobsprüche über mich heraus läßt, wollen Sie mir dadurch einen Vorwurf meiner allzugroßen Eigenliebe machen? Haben Sie davon Beweise in Händen, daß ich mir etwas darauf habe zu gute gethan, wenn ich bin gelobet worden? Ich denke nicht, seitdem ich aus der Schule bin, hat man mir nie etwas zu meinen Lobe ins Gesichte gesagt, darauf ich hätte können stolz seyn. Dort verdiente ich manchmal von meinem Informator eine kleine Lobrede, wenn ich den langen Psalm ohne Anstoß herbeten konnte. Ich will es Ihnen gedenken, daß Sie mich für ein so ruhmräthiges Mädchen halten. Warum nicht auch für falsch? Die Ruhmrätigen und Falschen stehen sonst immer bei einander. Bald hätte ich Lust, eine Lanze mit Ihnen deswegen zu brechen. Dieser Ausdruck, der Ihnen eigenthümlich[74] zustehet, gefällt mir besser, als das Speerrennen des Majors. Ich muß hier noch ein Wort von den beiden Briefen der Duellanten gedenken. Halten Sie nicht einen für so drolligt wie den andern? Wenn der Major so dächte, wie er hier geschrieben hat, so würden weder Sie noch ich, ihn uns einander zum Anbeter aufdringen wollen. Ich wenigstens würde glauben, Sie durch einen solchen Scherz zu beleidigen. Heute las er meiner Mutter das Original des einen, und die Abschrift des andern Briefes vor. Ich war gegenwärtig; ob mich meine Mutter gleich in ihrem Herzen weg wünschte. Ich stellte mich, als wenn ich etwas ganz neues hörte, und keine Abschrift von diesen Briefen zu Gesichte bekommen hätte. Meine Mutter vergnügte sich so sehr über die Antwort des Majors, daß sie ihn mehr als einmal Herzensmann nennte. Sie ist die rachsichtigste Frau in ganz Deutschland. Ich hätte es nicht gedacht, daß ihr Zorn so lange dauern könnte. Ich wagte es, da der Major das Zimmer verlassen hatte, ihr ein wenig[75] ins Gewissen zu reden. Sie können sich stellen, gnädige Frau, sagte ich, als wenn es ihr rechter Ernst wäre, daß der Herr v. Ln. ihren Zwist mit dem Herrn v.N. ausfechten sollte. So viel ich einsehe, gründet sich ihr Unwille gegen den Herrn v.N. hauptsächlich auf seine Aufführung bei der neulichen Gasterei. Sie wollen seine Vergehungen ahnden, und der Major hat sich erbothen, diese Beleidigenden so anzunehmen, als wenn sie ihn selbst angiengen. Ich kann mir nicht einbilden, daß ihn der Herr v.N. besonders beleidiget hat.


Ja, das hat er gethan! Wenn sie wissen sollten wie er sich vergangen hat, so würden sie erstaunen – den heillosen Brief – Doch was soll ich ihnen die albernen Possen erzählen, es ist auch eben nicht nöthig, daß Sie alles wissen. Genug, er muß bestrafet werden.


Sie müssen ihm eine Schwachheit zu gute halten. Sie kennen ihn ja von vielen Jahren her, und wissen, daß er es nicht so[76] böse meint, wenn er auch gleich seine Worte nicht allemal auf die Waagschaale legt.


Ich glaube, sie nehmen seine Parthie? Denkt doch! läßt das nicht, als wenn Sie in ihn verliebt wären? Nehmen sie ihn! Unter dieser Bedingung will ich mich wieder mit ihm aussöhnen, um der Freundschaft willen werde ich es freilich so genau nicht nehmen dürfen. Als Schwiegermutter will ich ihm verzeihen.


Sie hätte in der That diesen Punkt nicht berühren sollen. Beschämte sie sich nicht dadurch selbsten, daß sie mir einen Mann hatte aufdringen wollen, der ihr selbst unleidlich war? Legte sie nicht dadurch ein Zeugniß wider sich selbst ab, daß sie nur um mich zu peinigen, diese Heirath hatte stiften wollen? Allein das ist ihre Sache nicht, daß sie so weit herum denken sollte.


Sie scherzen, sagte ich, und wenn sie scherzen, so ist ihr Zorn vorbei. Ich habe ohnedem nie recht glauben können, daß es ihr[77] Ernst gewesen ist, wenn Sie dem Herrn v. Ln. aufgemuntert haben, an den Herrn v.N. Händel zu suchen.


Wie? was? Ich sollte den Major aufgemuntert haben, an Ihrem Schatze Händel zu suchen? das ist mir nicht in die Gedanken gekommen. Ich verlange nichts von ihm, als daß er meine Ehre zugleich mit der seinigen vertheidigen soll. Er muß ihm Satisfaction geben, wenn er ein rechtschaffener Cavalier seyn will. Er hat ihn beleidiget.


Aber bedenken sie, daß aus diese Sache ein Unglück entstehen könnte, und daß sie sich ewig ein Gewissen daraus zu machen hätten, wenn – –


Ha ha! Sie predigen, glaube ich gar? Wie lange ist es, daß sie unter die Pietisten gerathen sind? Machen sie sich aber nur nicht zu viel Sorge um ihren Liebsten, es wird keiner von beiden auf dem Platze bleiben. Der Major ist so grimmig nicht, und der furchtsame v.N. wird seinem Gegner[78] auch keine tödtliche Streiche beibringen. Es ist eben nicht auf Leben und Tod angefangen; aber wenn man alle Beleidigungen mit dem Mantel der christlichen Liebe zudecken wollte: so käme es endlich dahin, daß man jedem Unverschämten zum Gespötte diente, das muß nicht seyn.


Das darf auch nicht seyn. Es giebt unterdessen wohl andere Wege, dadurch man dieses Uebel vermeiden kann. Ich dächte, wenn man den Herrn v.N. wollte zu erkennen geben, daß man mit seinem Bezeigen nicht zufrieden wäre, so dürfte man nur seine Gesellschaft vermeiden, und ihn den Zutritt in unser Haus versagen. Aber zwei Personen wegen einer Kleinigkeit, die man übersehen könnte, in Lebensgefahr zu setzen, das heißt, die Sache zu weit treiben. Sie glauben, der Herr v.N. wäre furchtsam, ich will es zugeben; aber die Furchtsamen, wenn sie sich in Gefahr sehen, sind der Verzweifelung nahe. Wie? wenn nun ein Unglück entstünde?[79] Solche Vorstellungen muß man sich nicht machen. Es wird nicht gleich ein Unglück entstehen. Und wenn es auch so wäre, so ist die Sache nicht zu ändern, davor sind sie Cavaliers. Wissen sie nicht, was der Major in seinem Briefe an den Herrn v.N. sagt: es ist ein altes Herkommen, daß der Adel keine Beleidigungen auf sich sitzen lassen darf, wir haben es nicht aufgebracht, wir wollen es auch nicht wieder abbringen.


Ich beruhigte mich hierbei, ohne diese Unterredung weiter fortzusetzen, und schätzte mich außerordentlich glücklich, daß ich derselben war gewürdiget worden. Sie scheint nicht so blutgierig als ich geglaubt hatte. In der That sucht sie nichts, als dem Herrn v.N. eine Furcht einzujagen, um ihn gegen sich in Respect zu erhalten. Wenn es also auch nicht zu einer Schlägerei kommt, und die Sache nur so beigeleget wird, daß dadurch ihre Ehre wieder hergestellet scheinet; so wird sie sich, wie ich hoffe, beruhigen. Mein Vater ist seit einigen Tagen über diese[80] Sache sehr mit ihr zerfallen. Seit dem 19 dieses, da der Herr v.N. einen Boten an ihn abgeschickt hat, welcher mir zugleich Ihren Brief von Kargfeld überbrachte, hat er sich in seine Studierstube verschlossen. Sie werden sich erinnern, daß er seine Werkstatt so nennet, wo er seine Wachtelgarne stricket, und die künstlichen Vogelbauer verfertiget. Er hat nicht einmal mit uns gespeiset, sondern sich das Essen hinauf bringen lassen. Die Verdrüßlichkeiten, worein er auf Antrieb seiner Gemahlin seinen Freund verwickelt siehet, gehen ihm sehr zu Herzen; um aber nicht in einen Hauskrieg verwickelt zu werden, worinnen er gewiß den kürzern ziehen würde, will er sich nicht weiter in diese Händel mischen. Der neue Verwalter, und Jacob, unser Jäger, machen jetzo seine Gesellschaft aus. Seine Gemahlin hat ihn noch nicht in seiner Einsiedelei besucht. Wenn sie ihm etwas zu hinterbringen hat, so braucht sie dazu ihre Tochter; und weil ich die nächste Nachbarin meines Vaters bin, wir wohnen in einen Stockwerke, so läßt er mich meistentheils[81] rufen, wenn er meiner Mutter etwas zu sagen hat. Was ist es doch für eine elende Gemüthsberuhigung für ein paar Eheleute, die gegen einander aufgebracht sind, wenn sie miteinander eine Zeitlang schmollen; da sie doch zum Voraus sehen, daß sie sich gewiß wieder aussöhnen müssen, wenn sie nicht für ihre übrige Lebenszeit unglücklich seyn wollen. Ich bin versichert, daß mein Vater und seine Gemahlin, ihre Aussöhnung wünschen; aber keines will einen Durchbruch machen, und dem andern das erste gute Wort geben. Ich will von diesen verdrüßlichen Dingen nichts mehr gedenken, mein angefüllter Bogen erinnert mich an etwas angenehmers, dieses bestehet darinne: daß ich die Ehre habe mit einer unverletzlichen Freundschaft gegen Sie zu verharren

Dero

ergebenste Dienerin

Juliane v.W.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 70-82.
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