XVIII. Brief.

Der Hr. v.S. an den Hrn. v.N.

[160] Londen den 3. 4. 5. Nov.


Ehe ich noch das Creditiv von Ihnen als Dero Abgesandter an die englischen Freunde erhielt, hatte ich mich bereits, unter der Hoffnung, daß Sie es billigen würden, eigenmächtig dazu aufgeworfen. So bald Sir Carl von Shirleymanor zurück kam, entdeckte ich ihm, daß ich entschlossen wäre, England in kurzem zu verlassen, und bath mir hierzu seine Erlaubniß aus. Er ertheilte mir solche sehr ungern, und versicherte[160] mich, daß er es gerne sehen würde, wenn ich den Winter über bei ihm bleiben wollte. Ich merkte, daß er mir von Tag zu Tage gewogener schiene, vermuthlich Ihrentwegen. Ich mußte ihm versprechen, wenigstens vor Ausgang des Octobers nicht abzureisen, wozu ich auch gerne meine Einwilligung gab. Unterdessen fing ich bereits in der Mitte des abgewichenen Monats an, meine Abschiedsvisiten zugeben, und damit ich im Stande wäre, Ihnen davon einen getreuen Bericht abzustatten; so habe ich darüber ein ordentliches Tagebuch geführet, welches ich Ihnen hier mittheilen will.


Den 16 October kam ich in Selbyhausen an, um mich der kleinen Colonie der Anverwandten von der Lady Grandison, die von Grandisonhall am weitesten entfernt sind, zu empfehlen. Oncle Selby hatte nicht so bald die Ursache meiner Ankunft erfahren, so sagte er zehnmal in einem Othen: Was der Daus! und wollte nichts von meinem Abschiede wissen noch hören, seine Dame und[161] Fräulein Lucia baten mich gleichfalls recht sehr, in England zu überwintern. Fräulein Lucia sagte, sie hätte sich vorgenommen, den Winterlustbarkeiten in Londen beizuwohnen, und hätte geglaubt, ich würde sie in die Komödie und auf die Masqueraden begleiten. Ich schloß daraus, daß sie mir eben nicht abgeneigt wäre. Wenn sie nicht weiter an vierzig als an dreißig wäre, wer wüßte, ob nicht ein Paar aus uns werden könnte; ich möchte dem Herrn Grandison gern etwas näher angehen als die Christenheit. Wäre aber das nicht eine vortrefliche Partie für Sie? Wenn sie meine Tante werden könnte, so wollte ich mein halbes Vermögen unter die Armen austheilen. Ihren Charakter kennen Sie, und an ihrer Person ist nichts auszusetzen. Sie hat sich in allen Briefen an Lady Grandison nach Ihnen erkundiget, und ich mußte ihr Dero Person vom Kopf bis auf die Füße beschreiben. Sie kann sehr künstlich in Wachs poußiren und hat nach meiner Beschreibung einen Abdruck von Ihnen verfertiget, der dem Original ziemlich[162] gleich ist; ja sie hat diesem Bilde sogar einiger maßen ein Leben gegeben; man darf nur an einem Pferdehaar ziehen, so bewegt es Hand und Fuß und verdrehet auch auf eine verliebte Art die Augen. Von mir hat sie zwar auch einen Abdruck gemacht: sie hat aber lange nicht so viel Mühe darauf verwendet, als auf den Ihrigen. Ich habe meine Gedanken darüber gehabt, ohne Zweifel seufzet das gute Kind nach Ihnen. Machen Sie sie glücklich. Sie werden bei ihrem Besitz den Himmel auf Erden haben, und Ihr Ruhm wird in England auf den höchsten Gipfel steigen, wenn Sie dieses unüberwindliche Fräulein, das mehr als ein halb Schock Körbe ausgetheilet hat, besiegen. Sie schickt sich zu Ihren Jahren vollkommen, und ist für Sie weder zu jung noch zu alt. Das Fräulein, welches Sie für Ihre Henriette halten, erscheinet ohnedem nicht in dem Lichte einer Henriette Byron, da hingegen Lucia von der Lady Grandison nicht anders als der Mond von der Sonne so viele Strahlen empfangen hat, daß sie an dem[163] Firmamente der Schönen alle übrige Sterne verdunkelt.


Den 18. Oct. Heute habe im einen Mann kennen lernen, den ich zu sehen so lange vergeblich gewünschet habe. Der Oberste Greville stattete bei dem Herrn Selby einen Besuch ab. Ich entsetzte mich über das furchtbare Ansehen dieses Mannes, er kam zu Pferde. Da er im Hofe abstieg, schütterten die Fenster von dem schrecklichen Gewichte seiner Stiefeln. In dem Saale, wo sich die Gesellschaft befand, ist eine gebrochene Thür. Von ungefehr war nur die eine Hälfte eröffnet, er brach mit solcher Heftigkeit herein, daß er die andere Hälfte der Thür mit sich nahm, und das Schloß beschädigte. Er warf seinen Huth, nachdem er gegen die Gesellschaft ein Kompliment gemacht hatte, mit solcher Heftigkeit auf den Tisch, daß das eiserne Kreuz davon absprang, und fing dergestalt an auf die Franzosen zu fluchen, daß mir Angst und bange dabei wurde. Er liegt schon seit drei Monaten an den Küsten,[164] um eine feindliche Landung zu verwehren, und ärgert sich außerordentlich, daß er seine Tapferkeit noch nicht hat zeigen können. Er sagte, die Rede gienge, sein Regiment sollte mit nach Deutschland übergesetzt werden. Ich mußte ihm deswegen Ihren Namen und Aufenthalt sagen, welches er sogleich in seine Schreibtafel eintrug, um bei seiner Ankunft in Deutschland Ihnen einen Besuch abzustatten. Ich wundere mich nun nicht mehr, daß er eben so wenig als Herr Orme in seiner Stutzperucke und rothen Augen in dem Herzen einer Henriette einen Eingang gefunden hat. Zwischen ihm und dem Herrn Grandison ist kein geringerer Unterschied als zwischen Nacht und Tag. Mit Fräulein Lucien und Kätchen Holles machte er sich immer etwas zu schaffen; aber er scherzte eben nicht auf die feinste Art. Da ich es indessen einmal wagte, über einen seiner Spase, des Frauenzimmers wegen, nicht zu lachen, so gab er mir ein Gesichte, daß ich dachte, er würde den Augenblick von Leder ziehen. Einmal zog er Fräulein Lucien eine Nadel[165] aus dem Strumpfe, und da sie darüber unwillig wurde, nahm er ihr noch darzu den Knaul vom Schoße und ließ es seinem Budel einige mal apportiren. Kätchen Holles mußte auch vieles von ihm ausstehen. Er goß ein ganzes Fläschgen voll Lavendelwasser über sie her, weil sie sich über den Geruch seiner thranigten Stiefeln beschwerte. Hören sie, sagte er zu mir, was denken sie von mir, halten sie mich nicht für den unbescheidentsten Mann in England? Ich machte einen Reverenz und lächelte. Sie haben Recht, fuhr er fort, vielleicht bin ich es jetzo, besonders gegen das sogenannte schöne Geschlecht; vor diesem aber war ich es nicht, die Verzweiflung hat mich dazu gebracht, daß ich dem Frauenzimmer einen unaufhörlichen Krieg angekündiget habe. Bedauren sie mich, daß ich so unglücklich bin, kein Vergnügen in der Welt zu genießen, als dieses einzige, wenn ich das Frauenzimmer gegen mich so aufbringen kann, daß sie drohen, mich mit den Augen todt zu schlagen. Aber glauben sie wohl, daß mir eine den Gefallen erweißt[166] und über mich zornig wird? Nein, das Vergnügen kann ich nicht erleben! So ein unglücklicher Hund bin ich, und so einen abscheulichen Groll hat das Frauenzimmer jederzeit gegen mich gehabt, daß zu der Zeit, da ich wünschte, daß mir die Mädchen günstig wären; mich keine lieben wollte und jetzo, da ich wünschte, daß sie mir alle spinnefeind wären, will mich keine hassen. Fräulein Lucia und Holles lachten in der That über ihn; es schien aber, als wenn sie unter diesem angenommenen Lächeln nur ihren heimlichen Groll gegen ihn verbergen wollten. Oncle Selby, der ihm im Herzen nicht günstig ist, belachte, aus einer furchtsamen Gefälligkeit allen beleidigenden Scherz seines ungestümen Nachbars über laut. Herr Greville kann es noch bis auf diesen Tag nicht verwinden, daß ihm Sir Carl einen Arm ausgerenket hat; er ist dergestalt ausgedehnet worden, daß er eine gute Viertelelle länger ist als der andere. Wenn er aufgerichtet stehet, so kann er wie Artaxerxes Longimanus das Knie erreichen, er ist auch bei der Armee unter[167] dem Namen des Langhändigen bekannt. Wenn ich Lust gehabt hätte, Kriegesdienste anzunehmen, so würde ich unter seinem Landregimente, das in Kriegszeiten allemal beritten gemacht wird, jetzo Cornet seyn. Er both mir seine Dienste an und versprach, mit der Zeit einen braven Mann aus mir zu machen. Er wünschte nichts mehr, sagte er, als Sie kennen zu lernen, er weiß, daß Sie unter einem Eugen gefochten, und glaubt, daß Sie diesem Helden alle seine Kunstgriffe und Kriegeslisten abgelernet haben. Er vermaß sich hoch und theuer, wenn er Ihre Kriegswissenschaft besäße, so wollte er mit seinem Regimente sich nach Amerika überschiffen lassen, diesen Welttheil als ein zweiter Vespuz erobern, ihn umtaufen und nach seinem Namen nennen. Gegen Abend verließ er Selbyhausen, und nach seinem Abschiede war es daselbst so stille, als wenn ein ganzes Regiment Soldaten ausmarschiret wäre. Ich bat Fräulein Lucien, diesen Kriegsmann gleichfalls in Wachs zu poußiren, und mir damit ein Geschenke zu machen;[168] sie will ihn aber dieser Ehre nicht würdigen.


Den 19 thaten wir eine kleine Spazierfahrt nach Shirleymanor, um das prächtige Epitaphium in Augenschein zu nehmen, welches Sir Carl seiner Schwiegermutter, der selgen Frau Shirley, errichten läßt. Viele gelehrte Männer sind der Meinung, daß die vortrefliche Inscription des sinnreichen Herrn M. Lamperts von ungleich größerm Werth sey, als die künstliche Arbeit, welche man hierbei gleichsam verschwendet. Ein italiänischer Baumeister der die Anlage zu diesem ruhmvollen Denkmaale gemacht hat, und noch bis jetzo die Aufsicht über das Werk führet, nahete sich mit vieler Ehrerbietung, vielleicht aus Antrieb des Herrn Selbys zu mir, und ersuchte mich, ihm das Portrait des Herrn Verfassers der Inscription zu verschaffen; er wäre entschlossen, sagte er, die Gestalt eines Engels, der oben an die Verzierung angebracht werden sollte, darnach zu bilden. Ich war über diesen Antrag, die Gestalt[169] meines verdienstvollen Lehrers verewiget zu wissen, so gerührt, daß ich in der ersten frohen Entzückung mich beinahe übereilet, und dem Künstler seine Bitte zugestanden hätte. Da ich aber hernach etwas genauer erwog, daß das Epitaphium aus schwarzen Marmor bestund, und der gemeine Mann leichtlich aus Irrthum diese ehrwürdige Gestalt des Herrn Lamperts mit einem Mohren, oder noch mit etwas schlimmern hätte verwechseln können: so suchte ich eine Entschuldigung diese Bitte abzulehnen.


Nachdem wir in der Cederstube den Thee getrunken hatten, so schnitt der freigebige Oncle Selby einen ziemlichen Span aus der Vertäfelung dieses Zimmers aus, und verehrte mir solchen zu einem Zahnstocher. Diese Ehre wiederfähret auf Befehl Sir Carls allen Fremden, die von einer edlen Neubegierde angetrieben, dieses durch seine Geschichte so berühmt gewordene Haus besuchen, und ich fand, daß bereits ein ganzes Bret weggeschnitten war. Ehe wir wieder[170] auf den Wagen stiegen, um nach Selbyhausen zurück zu kehren, führte mich Herr Selby noch in die kleine Hauskapelle; sie wird itzo nicht gebraucht; indessen ist sie so geräumig, als eine mäßige Dorfkirche in Deutschland. Sie hat eine vortrefliche Orgel, welche Sir Carl vor einem Jahre nach Grandisonhall in sein Musikzimmer bringen, und die seinige davor in diese Capelle wollte setzen lassen; allein der Pastor, dem Shirleymanor als ein Filial zustehet, fing heftig an darwider zu schreien, und drohete, ihn öffentlich für einen Kirchenräuber zu erklären, wo er sein Vorhaben ausführen würde. Sir Carl hat der Schwachheit dieses Mannes nachgegeben, und also ist es unterblieben. Das sehenswürdigste Stück in dieser Kapelle war die Masquenkleidung der Lady Grandison, als einer arkadischen Prinzeßin, worinne sie von Sir Hargrave Pollexfen war entführet worden. Die selge Frau Shirley hat sie zum ewigen Andenken hier aufzuhängen befohlen, damit die Nachkommen bei Erblickung dieser Kleidung an die Gefahr und an die wunderbare Errettung[171] ihrer Henriette erinnert werden möchten, eben so wie man zu gleicher Absicht in Deutschland ehemals die Ordenskleider einiger aus den Klöstern entsprungenen Nonnen in den Kirchen aufbehalten hat.


Der 20 war zum Abschiede bestimmt. Oncle Selby weinte wie ein Kind, da ich anfing, mein weitläuftiges und wie ich hoffe wohl ausstudiertes Abschiedskompliment herzubeten. Er drehete sich mehr als zehnmal unter meiner Harangue auf dem Absatze herum, um seine Thränen zu verbergen, die ihm aber doch immer über die dicken Backen herab rolleten. Im Anfang wollte er zwar noch Scherz machen: verrammelte Thür und Thor, rief zum Fenster hinunter, da ich aufstund Abschied zu nehmen; da er aber hernach sahe, daß es Ernst war, wollte er sich über meine Abreise nicht zufrieden geben. Seine Dame und die Fräuleins beobachteten mehrere Anständigkeit. Ich hatte zum Unglück nur auf ein Kompliment studiret, und konnte für die Fräuleins nicht sogleich ein[172] neues erdenken; ich bewegte also nur gegen sie die Lippen und machte dazu ein Halbdutzend Reverenze. Die Fräuleins beobachteten eben dieses gegen mich und beantworteten jeden Reverenz mit einem ellentiefen Knicks. Hundert Empfehlungen wurden mir von allen und ins besondere von Fräulein Lucien an Sie aufgetragen. Herr Selby schwur, wenn er noch vor seinem Ende Sie bei sich zu bewirthen das Glück haben könnte, so wollte er mehr darauf gehen lassen, als Sir Carls Hochzeit gekostet hätte.

Den 22 ließ ich mich bei dem Lord W. melden, nachdem ich Tages vorher in Londen angelanget war. Er kam mir bis an die Treppe entgegen gefahren. Weil er als ein Erzpodagrist seine Füße nicht wohl brauchen kann: so hat er sich einen Stuhl mit kleinen Rädern verfertigen lassen, der einen Himmel, gleich einem Baldachin hat. Auf diesem Stuhle ruhet er wie ein asiatischer Prinz auf seinem Throne. Zween seiner Bedienten, denen er eine Art von Kutschgeschirre hat machen lassen, müssen ihn im ganzen Hause[173] herum fahren. Diese Erfindung hat mir so wohl gefallen, daß ich Ihnen das Model davon wünschte. Der Lord versicherte, daß er wegen dieser Bequemlichkeit seine podagrische Zufälle gar nicht mehr achtete, und nur wünschte, sich noch zwanzig Jahr dieses Fuhrwerks bedienen zu können. Er prieß sich glücklich, und erhob seinen Neveu, den Baronet, daß er ihm eine Gemahlin verschafft hätte, die ihm den Rest seines Lebens so angenehm machte, als er sich solches vorher selbst unangenehm gemacht hätte, und er gab mir den Rath, wenn ich mich einmal zu verheirathen gedächte, so sollte ich ja keinen andern als Sir Carln zu meinem Freiersmann wählen. Er eröffnete mir, mit einer Zufriedenheit über sich selbst, daß seitdem er angefangen hätte, diesen seinen Neffen als das Vorbild seiner Handlungen zu betrachten, so befänd er sich in einer recht stoischen Gemüthsruhe. Er ersuchte mich zugleich, ihm nur Nachricht zu ertheilen, wie weit es mein Herr Oncle in der Nachahmung dieses grossen Mannes gebracht hätte. Aus dem Lobe,[174] welches ihm Sir Carl oftmals selbst beileget, sagte er, muthmase ich, daß er sehr glücklich darinne ist. Bezeigen sie Ihm deswegen meine Beifreude, und muntern sie ihn auf, in seinem guten Vorhaben fortzufahren. Beim Abschiede begleitete er mich auf eben die Art wie beim Empfange auf seinem podagrischen Staatswagen mit vieler Höflichkeit über den Saal bis an die Treppe zurück.


Den 23 machte ich mich auf den Weg nach Beauchampshire und langte den 24 daselbst an. Sir Beauchamp hatte es sich gar nicht versehen, daß ich noch eine besondere Reise zu ihm thun würde, um von ihm Abschied zu nehmen und er schien darüber ganz außerordentlich vergnügt. Nach den ersten Umarmungen erkundigte er sich sogleich nach Ihnen, und fragte mich, ob Sie den Zwang noch aushalten könnten, den Sie Sich unfehlbar, um in den Wegen Sir Carls zu wandeln, anthun müßten. Ich sagte, Sie wäre vollkommen Herr über sich[175] selbst, und also käme es Ihnen nicht schwerer an, ihr Herz nach dem Herzen Sir Carls zu bilden, als alle ihre äußerlichen Umstände nach dem Geschmack dieses außerordentlichen Mannes einzurichten. Er erstaunte über ihre Standhaftigkeit, und gestund, daß die Deutschen zur Nachahmung geschickter wären als die Britten. Wenn ich, sagte er, nach dem Urtheile Sir Carls mir schmeicheln kann, ihm einigermaßen ähnlich geworden zu seyn: so muß ich zugleich gestehen, daß ich in England der einzige bin, der den Fußtapfen desselben glücklich gefolget hat. Denken Sie nicht, daß ich dieses aus Eitelkeit sage, es kann mir daher in keinerlei Absicht ein Verdienst erwachsen: ich habe nichts gethan, als wozu ich bin verbunden gewesen. Jedermann hat eine Pflicht auf sich, seine innerlichen und äußerlichen Vollkommenheiten nach Möglichkeit zu befördern: aber nur ein Sir Carl ist im Stande, diese Pflicht zu erfüllen. Es haben sich in England mehr als tausend Leute auf dem Pfad der Tugend gemacht, um den Baronet zu folgen; keiner[176] aber hat diese Laufbahn vollendet, ich selbst folge ihm nur von ferne, wie Petrus. Oder wollen sie, daß ich die unbändigen Leidenschaften der Menschen mit einem Strome dergleichen soll, über welchen man schwimmen muß, um an das Gestade der Vollkommenheit zu gelangen; so ist es an dem, daß viele, da sie Sir Carln haben landen sehen, kühn genug gleiches gewaget haben: sie sind aber alle von der Gewalt desselben schnell fortgerissen worden, und ich selbst scheine nur auf einer Sandbank zu ruhen, da hingegen Ihr Herr Oncle mit Riesenschritten diese feindseligen Wogen durchwadet und bereits einen Fuß an das Trockene gesetzet hat – – Wir unterredeten uns noch eine gute Weile über diese Materie, bis wir endlich beide nichts mehr davon zu sagen wußten, und genöthiget wurden, etwas anderes aufs Tapet zu bringen. Ob ich gleich dem Herrn Beauchamp Dero Schloß, die Einrichtung des Musikzimmers, die Bildergalerie und alle dazu gehörigen Stücke sammt und sonders über zehnmal aus den Briefen meiner Schwester[177] und des Herrn Lamperts beschrieben habe, daß ich dächte, er hätte sich längst müde daran gehört, so mußte ich ihm doch alles von neuem wieder erzählen. Er fragte ins besondere nach Ihrer Bibliothek. Ich wurde über diesen Punkt in einige Verlegenheit gesetzt, und fing an mich zu räuspern, damit ich einige Zeit gewinnen möchte, mich auf eine schickliche Antwort bey dieser Frage zu besinnen. Die Geschichte des Herrn Grandisons dient meinem Oncle statt aller Bücher, sagte ich, er hat sich zwölf Exemplare davon binden lassen, und diese erfüllen einige Schränke, er dienet damit jedermann, der dieses Hauptbuch zu lesen verlangt. Sir Beauchamp bedauerte, daß dieses vortreffliche Werk nicht gemeinnütziger gemacht, und auf eine solche Art eingerichtet würde, daß man es dem gemeinen Manne auch in die Hände spielen könnte, damit die Gesinnungen der Großmuth und der Tugend, die den Geringen im Volk kaum dem Namen noch bekannt wären allgemeiner würden, ich gab ihm Beifall. Er hat eine vortrefliche Bibliothek.[178] Die Bronzen des D. Bartletts und des Pater Marescotti geben solcher keine geringe Zierde, sie stehen gegen einander über mit offnem Munde, als wenn sie disputirten, der Pater macht ein schrecklich böses Gesichte. Die Bronze des Doctors ist von einer vortreflichen Composition, ein fehlgeschlagener Prozeß eines Goldmachers hat die Materie dazu geliefert. Sir Beauchamp führte mich aus der Bibliothek in sein Musikzimmer, und hatte die Gefälligkeit für mich, eine vortrefliche Motete abzuorgeln. Da wir aber beide alleine in dem Zimmer waren, so mußte ich mir gefallen lassen, die Stelle eines Calcanten zu vertreten. Bei unsrer Zurückkunft in das Besuchzimmer fanden wir die Lady Beauchamp daselbst, welche eben von einem Besuche, den sie bei einer ihrer Nachbarinnen abgeleget hatte, zurückkommen war. Der kleine Beauchamp mußte mir die Hand küssen. Sein Papa verlangte, ich sollte ihn examiniren, er bestund noch so ziemlich; doch konnte man es merken, daß sein Lehrmeister weder ein Lampert noch ein Bartlett war.[179] Seine Mama mit dem Finger in den Augen suchte ihre Freudenthränen über das geschickte Söhngen zu verbergen.


Den 25. Heute bekam Sir Beauchamp einen unvermutheten Gast an den Lord G. Seine Seele war von einem Wirbelwinde zerrissen, er hatte mit seiner Gemahlin Händel bekommen und war entflohen. Vor dem Richterstuhle Sir Carls darf von diesem unruhigen Paare keine Klage mehr angebracht werden, sie haben deswegen den Herrn Beauchamp zu ihrem Richter erwählet. Die muthwillige Ader Charlottens regt sich noch immer, obgleich bei andern Gelegenheiten als ehedem. Der Lord G. darf jetzo ungestraft in ihr Zimmer dringen, er darf sie auch einmal herzen, ohne eine Spötterei zu befürchten, über diese Dinge hat sie sich lange müde gescherzet; es fehlet ihr aber nicht an neuen Erfindungen, kleine Zankereien mit ihm zu unterhalten, und ihre Leichtfertigkeit ist ihm jetzo desto empfindlicher, weil sie einige Jahre so fromm wie ein Lamm gewesen[180] ist, und nur seit einiger Zeit wieder angefangen hat, ihrem Muthwillen den Zügel zu lassen. Diesmal war die Ursache ihres Zwistes diese: ihr Schoßhündgen war von einer Bremse in ihrem Zimmer erbärmlich gestochen worden, sie stellte sich über dieses Unglück ganz trostloß. Der Lord wollte sie zufrieden stellen; sie gab ihm aber Schuld, er hätte das Fenster mit Fleiß offen gelassen, damit er diesem Ungeziefer einen freien Zugang verschaffte, ihr Hündgen zu peinigen. Er schwur, daß er in Jahr und Tag nicht ein Fenster in ihrem Zimmer geöffnet hätte. Wenn sie in dem Zimmer wäre, sagte er, so sehnte er sich nicht nach dem elenden Zeitvertreib am Fenster zu gucken. Weit gefehlt, daß sie durch dieses schmeichelhafte Kompliment wäre beruhiget worden, so schalt sie ihn einen Arglistigen und einen Boßhaften, der sich ein Vergnügen machte, sie zu tücken, um sie hernach bedauern zu können. Ohngeachtet der Lord wußte, daß sie nur nach ihrer Art scherzte, durch die Länge der Zeit hat er endlich ihren Charakter ausstudiret:[181] so wollte er doch diese Beschuldigung, ob er gleich nur eine scherzhafte Beschuldigung war, nicht auf sich sitzen lassen. Er fing an sich zu rechtfertigen, sie hielt ihm Widerpart wie die Frau aus dem Gellert. Er wurde dadurch so aufgebracht, daß er mit zorniger Eilfertigkeit das Zimmer verließ, seinen Hengst zu satteln befahl und mit verhengtem Zügel nach Beauchampshire rennte, um seine Gebieterin daselbst zu verklagen. Herr Beauchamp fällete darauf das Urtheil, der Lord sollte so lange bei ihm bleiben, bis seine Gemahlin ihren Fehler erkennen und zur Strafe selbst nach Beauchampshire kommen würde, um sich mit ihm auszusöhnen. Dieses geschahe auch schon den Tag darauf am


26 October. So bald man Wind davon bekam, daß Lady G. im Anzuge begriffen wäre, bewaffnete sich der Lord mit einem steifen und ernsthaften Gesichte, er nahm die Gestalt eines erzürnten Ehemannes an, und eine Dame, die weniger Muth besessen hätte,[182] als die Lady G. würde ohne Zweifel bei dieser Amtsmine in Ohnmacht gefallen seyn. Da sie Herr Beauchamp aus dem Wagen hob, nennte sie ihn ihren Asmodi weil er ihrem Tyrannen bei sich Unterschleif gegeben hätte, und ihn mithin in seiner Boßheit verstärkte. So bald sie ihren Herrn ansichtig wurde, warf sie ihm einen solchen leichtfertigen zärtlichen Blick zu, der in einem Augenblicke, gleichsam mit einer Zaubermacht, seine Löwengestalt in einen furchtsamen Hirsch verwandelte. Er eilte hüpfend auf sie zu und druckte ihre Hand mit seinen Lippen. Nur einen Augenblick vorher rühmte er sich, wenn seine Gemahlin käme, wollte er aussehen wie Hercules, da er ausgegangen wäre, die Lernäische Schlange zu erlegen, und da sie kam, war er Hercules bei der Omphale. In dem Putzzimmer der Lady Beauchamp wurde über dieses seltsame Paar ein Ehegericht gehalten, und ich erhielt die Stelle eines Beisitzers. Beide Theile wurden nach einem kurzen Verhör versöhnet, und der Lady G. wurde auferlegt wenigstens in vier Wochen[183] nicht die geringste Leichtfertigkeit gegen ihren Herrn auszuüben, widrigenfalls sollte er befugt seyn, ein Vierteljahr lang sich von ihr von Tisch und Bette zu scheiden. Es wurde hierauf beschlossen, den folgenden Tag in Grandisonhall einen Besuch abzulegen. Weil die Gesellschaft wußte, daß ich dahin gehen würde, um von Sir Carln Abschied zu nehmen: so versprachen sie, mich dahin zu begleiten. Lady G. sagte, ich würde daselbst den Lord L. und seine Gemahlin antreffen, und nicht nöthig haben, ihnen eine besondere Visite zu Kollnebrocke, wo sie sich gemeiniglich aufhalten, abzustatten. Sie versprachen alle, bis zu meiner Abreise nach Londen bei Sir Carln zu bleiben, um diese wenigen Tage noch in meiner Gesellschaft zuzubringen. Das war für mich sehr vortheilhaft gesprochen, und ich sagte dafür das beste Danksagungskompliment, das mir der Magister Lampert jemals gelernet hat.


Den 27 trafen wir in Grandisonhall ein. Wir hatten unsere Ankunft bereits den Tag[184] vorher melden lassen. Ich schrieb einen besondern Brief an Sir Carln, und erbat mir die Erlaubniß, ihm nochmals meine Aufwartung machen zu dürfen, um ihm theils meine Danksagung für die freundschaftliche Bewirthung in seinem Hause mündlich abzustatten; theils aber auch als ein Abgeordneter meines Herrn Oncles denselben zu Fortsetzung seiner Freundschaft zu empfehlen. Ich hatte mich diesem meinen Charakter gemäß equipiret, und noch zwei Miethlaqueien angenommen. Sir Beauchamp borgte mir einige Handpferde mit prächtigen Decken, nebst zween Maulthieren, welche noch von dem Zuge, den er mit aus Italien gebracht hat, übrig sind. Ob sie gleich nur leere Körbe trugen: so machten sie doch meinem Aufzuge durch das vortrefliche Geläute, welches aus lauter silbernen Schellen bestund, und durch ihren hohen Federstutz ein vortrefliches Ansehen. Ich saß ganz alleine in des Herrn Beauchamps Staatswagen, welchen er so sehr schonet, daß er ihn seit seiner Vermählung nicht wieder gebraucht hat. Vor mir[185] befanden sich des Lord G. und des Herrn Beauchamps Kutschen, welche beide Herren die Gewogenheit hatten, nebst ihren Gemahlinnen mein Gefolge zu vergrößern. Die Maulthiere Pack-und Handpferde eröffneten den Zug, so wie eine Anzahl leerer Bagagewaagen, die noch aus dem Feldgeräthe des Urgroßvaters des Herrn Beauchamps abstammten, solchem mit einem starken Geräusche beschlossen. Auf der Gränze des Territorii Sir Carls wurde ich durch einen Ausschuß der angesehensten Unterthanen desselbigen in seinem Namen bewillkommet. Der Bürgermeister eines Fleckens der dem Baronet zugehöret, befand sich an ihrer Spitze und hielt an mich eine wohlgesetzte Rede. Er ist seiner Profeßion nach ein Balbierer und hat zugleich die Aufsicht über Sir Carls Hausapotheke. Ob er mich gleich sehr genau kennete, indem ich über ein Halbjahr sein Kundmann gewesen bin: so machte ihn doch das prächtige Ansehen, worinne er mich jetzo als einen Ambassadeur erblickte so verwirrt, daß er beim Anfang seiner Rede schon zitterte[186] und bebte und in der Mitte gar stecken blieb. Ich wurde dadurch gewarnet, mich seinem Scheermesser nicht wieder anzuvertrauen, er hätte mir aus Ehrfurcht die Kehle abschneiden können. Ich hielt aus meinem Wagen an diese Abgeordneten wieder eine kleine Gegenrede, und versicherte sie der Gnade meines Herrn Principals, und dankte für ihre Bemühung. Sie begleiteten mich hierauf mit entblößten Haupte zu beiden Seiten meines Wagens als eine Leibwache, bis in den Schloßhof zu Grandisonhall. Wir paßirten durch ein paar Dörfer, die der Gerichtsbarkeit des Baronets unterworfen sind, und er hatte befehlen lassen, daß man mir zu Ehren alle Glocken nach englischen Gebrauche läuten mußte. Dieses zog das neugierige Volk häufig herbei, jedermann wollte den Abgesandten sehen, es entstund ein solches Gedränge um meine Kutsche, daß ich einige mal halten ließ, damit nicht etwann ein Kind möchte ins Rad kommen. Unterdessen machten meine Trabanten ziemlich Platz. Einer davon that sich besonders hervor,[187] er hatte einen Reisehut, der mit einem breiten Aufschlage von Pelzwerk versehen war, da er nun aus Respect gegen mich sich nicht bedecken durfte: so brauchte er solchen als ein Gewehr, und schlug die Leute damit auf die Köpfe, wenn sie nicht Platz machten. Er erregte dadurch eine solche Furcht gegen sich, daß alles von einander flohe, so bald er nur seinen Reisehuth über den Kopf schwung, und alle Zuschauer bückten sich, nicht anders als ein Volk furchtsame Rebhüner, wenn der Stoßvogel über ihnen schwebt. Sie können sich mein Vergnügen nicht lebhaft genug vorstellen, welches ich empfand, da jedermanns Auge auf mich gerichtet war, ich war nicht wenig stolz darauf. Wer weiß, ob ein Spanischer Abgesandter, der seinen öffentlichen Einzug in Londen hält, sich so viel darauf zu gute thut, wenn man, um ihn zu sehen, Fenster miethet, als ich bei meinem feierlichen Einzuge in Grandisonhall. So viel ist gewiß, daß der stolze Michel, wenn ihm sein Vorhaben Herzog zu werden gelungen wäre, in seinem Staatswagen sich nicht[188] ärger hätte blähen können als ich es that. Einige Leute haben aus meiner nachdenklichen Mine schlüßen wollen, ich müßte Dinge von der größten Wichtigkeit bei dem Herrn Grandison anzubringen haben, und ein Gastwirth hat meine Leute den Tag darauf, da sie zu Biere gegangen waren, durchaus bezechen wollen, um von ihnen das Geheimniß herauszulocken. Man begnügte sich nicht, mich ans Ende des Dorfs zu begleiten, das Volk folgte meinem Wagen von einem Dorfe bis zum andern, und alle Augenblicke sahe ich die Menge gleich einem fortgewälzten Schneeball vergrößert. Wie eine wilde Fluth, die den Damm durchbricht mit einem furchtbaren Getöse daher rauscht und alles, was ihr vorkommt, mit sich fortreißt: so verschlang auch diese Woge des neugierigen Volks alle Wandrer in sich, die ihr unterweges aufstießen. Halten sie mir diese Ausschweifung zu gute, hier regt sich meine poetische Ader, und meine Gedanken bekommen wider Willen einen Schwung. Es stehet nicht in meiner Macht, solches zu verhindern,[189] die Erinnerung dieses glänzenden Auftritts bringet alle meine Lebensgeister in Bewegung, und in dieser Begeisterung schwingen sich meine Gedanken so kühn wie mein Ausdruck empor. Die Fußtapfen des Volkes gingen alle nach Grandisonhall zu und keine gieng rückwärts eben wie bei der Höle des Löwens in der Fabel. Ich dachte es würde meinem Herrn Principal sehr rühmlich seyn, und mich in den Augen der Unterthanen Sir Carls in einem noch glänzendern Lichte vorstellen, wenn ich den guten Leuten, die meinem Wegen nachzufolgen sich die Mühe nahmen, etwas zum besten gäbe. Mein Heinrich mußte deswegen alle Scheidemünze, die er bei sich hatte, und die sich ungefehr auf zwei Guineen belief, unter das Volk auswerfen; ich gab ihm aber zugleich die Lehre, solches auf eine anständige Art zu thun, und nicht mit einem bäuerischen Wesen Fäuste voll wegzuschmeißen, wie man eine Familie heishungriger Hüner füttert. Er befolgte meinem Befehl genau, und streuete alle funfzig Schritte nur eine Prise davon[190] aus; ich sahe aber mit Verdruß, daß meine Absicht doch nicht völlig erreicht wurde: der Mann mit seinen Reisehute wußte das Geld so künstlich damit aufzufangen, daß nur dann und wann ein Sechser fehl ging und die Erde erreichte. Weil ihn jedermann fürchtete, so wagte es niemand sich zu dem Ausspänder meine Freigebigkeit zu nahen, um etwas zu erhaschen. In dem Schloßhofe zu Grandisonhall paradirte die Kompagnie, welche Sir Carl zum Dienste seines Vaterlandes als ein wahrer Patriot auf seine Kosten angeworben hat. Ich hatte die Ehre mit klingendem Spiel und fliegender Fahne empfangen zu werden, die Officiers salutirten mich mit dem Esponton. Sir Carl empfing mich meinem Charakter gemäß und überhäufte mich Ihrentwegen mit Ehre. Doctor Bartlett vertrat die Stelle eines Ceremonienmeisters. Ich brachte mein Wort, unter der vortreflichsten Versammlung, die man finden kann, bei dem Baronet an, er erkundigte sich, ob Sie noch wohl auf wären, und gab mir die Versicherung,[191] daß er sich ein wahres Vergnügen daraus machen würde, Ihnen bei jeder Gelegenheit Beweise seiner Freundschaft zu geben. Lady Grandison, Lord L. und seine Gemahlin, empfingen mich gleichfalls mit vieler Hochachtung. Wir gingen hierauf zur Tafel; sie war so prächtig, daß man einen König daran hätte bewirthen können. Alexanders Gastmahl wurde dabei in dem Musikzimmer, welches an den Speisesaal stößet, aufgeführet. Sir Carl brachte Ihre Gesundheit unter Trompeten und Pauckenschall aus, dieses war gleichsam ein Intermezzo zu dem Singestücke. Es wurden hierbei einige kleine Canonen dreimal hintereinander abgefeuert und die Militz gab zugleich eine Salve aus dem kleinen Gewehr. So oft Ihre Gesundheit nachgeholet wurde, so oft wurden auch die Salven wiederholet; weiter aber wurde keine ausgebracht. Der Baronet hat als im weiser Mann sich, wie es scheint, eine Regel gemacht, nie etwas zu thun, daraus nicht einiger Nutzen entstehet, nach diesem Gesetze läßt er, wie Sie wissen,[192] seinen Pferden die Schwänze nicht stutzen, und nach eben diesem Gesetze ließ er auch seinen Leuten nicht mehr Salven geben als nöthig war, Ihnen eine Ehre zu erweisen, und sie zu gleicher Zeit im Feuern zu üben. Lady G. wagre es, ihres Bruders Gesundheit zu trinken, und wollte durchaus haben, daß dazu sollte gefeuert werden: der Baronet sagte ihr aber, man wäre aus Liebe gegen das Vaterland verbunden, ohne Noth nichts dazu beizutragen, daß der Preis des Pulvers gesteigert würde, und damit mußte sie sich beruhigen. Mich dünkt, das war von diesem großen Manne sehr vortreflich gedacht. Am Rande dieses Tages, welcher einem so glänzenden Vergnügen gewidmet war, zeigte sich noch eine kleine Wolke, die aber bald vorüber gieng. Nach der Tafel mußte die Militz ihre Manoeuvres machen. Jeder that sein Bestes, den Beifall der Zuschauer zu verdienen. Sie waren ziemlich fertig in den Handgriffen, jedoch da sie das Gewehr verkehrt schuldern sollten, versahe es einer, und schlug seinen Cameraden dergestalt mit[193] der Flintenkolbe vor den Kopf, daß er zu Boden sank. Die Bestürzung über diesen Zufall war allgemein, es fehlte nicht viel, daß Lady Grandison in Ohnmacht gefallen wäre. Wer nur ein Schwammbüchsgen bei sich trug, der holte es heraus und roch daran, um die durch das Schrecken verjagten Lebensgeister, wieder zurück zu rufen. Zum Glück war der Chirurgus noch bei der Hand, welcher sogleich aus Sir Carls Hausapotheke mehr als zehn Büchsen herbeiholete, aus welchen er den Verunglückten so lange salbte, bis er wieder zu sich selber kam. Sir Carl läßt ihn wegen dieses Unfalls, worzu er die Veranlassung glaubt gegeben zu haben, auf seine Lebzeit täglich eine Kanne Bier und eine Zeile Semmeln reichen.


Den 28. Heute hatten wir den artigsten Zeitvertreib, den man erdenken kann. Herr Grandison unterscheidet sich von dem größten Theile des englischen Adels dadurch, daß er keine von den Lustbarkeit, die man in den meisten adelichen Häusern für unentbehrlich[194] hält, in seinem Hause gestattet. Ehedem war er kein Feind von den so genannten unschuldigen Ergötzlichkeiten, man machte in seinem Hause ein Spiel, man sahe dann und wann ein Hahnengefechte, er gestattete auch ein Pferderennen, wiewohl er daran nie einen Gefallen hatte: allein seit einiger Zeit hat er dem ersten ganz und gar entsaget, seine besten Streithähne sind geschlachtet und verzehret, und das Wettrennen hat er schon seit einigen Jahren verschworen. Es darf keine Karte mehr in sein Haus kommen. Der Doctor Bartlett fand ehemals ein großes Vergnügen am Lombre, Sie wissen aus der Geschichte Sir Carls, daß der Doctorn gern spielet; allein er war einmal unglücklich, und verlohr an die Lady G. seine ganze Jahrbesoldung, welche ihm aber den Tag darauf das Geld großmüthig zurück gab. Von dieser Zeit an hat er dem Baronet das Spiel zuwider gemacht, und es wird in ganz Grandisonhall nunmehro für einen Zeitverderb gehalten. Hingegen wird das Tanzen gestattet: weil es zur Ermunterung des Gemüths[195] und zur Bewegung des Leibes dienet. Da der Doctor nicht mehr spielet, so hat er auf Bitte der Lady G. noch in seinen alten Tagen müssen tanzen lernen, er tanzt nur eine Menuet, aber mit einem recht guten Ansehen. Musik hört man in Sir Carls Hause alle Tage; jedoch da diese beiden Ergötzlichkeiten zu wenig sind, eine Gesellschaft zu unterhalten: so hat Sir Carl auch für eine vielfältigere Abwechselung des Vergnügens seiner Gäste gesorgt. Wir brachten dismal den Tag folgendergestalt hin. Vormittage beim Thee wurde die Londener Zeitung zugleich mit herum gegeben, man erzählte daraus die beträchtlichsten Umstände der ganzen Gesellschaft: denn das Frauenzimmer ließ die Zeitungsblätter für sich vorbeigehen. Der Hauptinnhalt unsres Gesprächs betraf ein reichbeladenes englisches Schiff, welches in einem französischen Hafen war aufgebracht worden. Sir Carl erzählte diesen Unglücksfall, und beklagte als ein Patriot den Verlust, den die Eigenthümer des Schiffs und des Vaterlandes dadurch erlitten hätten. Lord[196] L. der dem Baronet in den patriotischen Gesinnungen gleich kommen, wo nicht gar ihn übertreffen will, verwarf diese Nachricht, weil sie etwas nachtheiliges für das Vaterland enthielt, als eine Erdichtung. Lord G. fand in seinem Blatte wenige Zeit hernach aus Deutschland einen Artikel, daß es zwischen den Vortruppen der Alliirten und Franzosen etwas gesetzt habe, daß sich jene in etwas zurücke ziehen müssen, und ein Regiment Bergschotten dabei vieles gelitten hätte. Das ist abermals, sagte der Lord L. eine boßhafte Unwahrheit, man sieht es augenscheinlich, daß dem Zeitungsschreiber von Frankreich aus die Hände sind versilbert worden, man sollte ihm den Prozeß machen. Die Bergschotten sind nicht gewohnt, fügte er hinzu, die Hände in die Tasche zu stecken, wenn sie gegen den Feind geführet werden. Lord G. wollte ihn widerlegen und gab sich viele Mühe ihm begreiflich zu machen, daß, ungeachtet der Tapferkeit seine Landsleute, es doch wohl möglich wäre, daß sie einmal der Menge gewichen wären; er war aber[197] nicht zu bekehren, und wurde so eifrig, daß er den Lord G. der wider seine Neigung in der Hitze die französische Partei nahm, des Hochverraths würde beschuldiget haben, wenn Sir Carl nicht durch sein Ansehen die Sache noch zu rechter Zeit beigeleget hätte. Die Tafel war diesmal auf den ordentlichen Fuß eingerichtet, das ist, Sir Carls Lektor bestieg den kleinen Catheder in dem Speisesaale und las uns einige Stellen aus den kernhaftesten englischen Schriftstellern vor. Er ersetzte also die Stelle der Concertisten, die uns den Tag zuvor mit einer prächtigen Tafelmusik unterhalten hatten. Bei den ersten Gerichten, da die Zuhörer ihre Gedanken auf die Schüssel gerichtet hatten, würde eine trockene moralische Abhandlung keine Aufmerksamkeit verdienet haben, Sir Carl hatte deswegen die Verfügung gemacht, daß zuerst etwas munteres mußte vorgelesen werden, wir bekamen etwas aus Swifts Mährgen von der Tonne zu hören. Nach dem ersten Anbiß schlug Sir Carl mit der Gabel auf den Tisch, sogleich ergriff der Vorleser ein[198] andres Buch, es handelte von den Feldzügen der Engländer in Frankreich und mich dünkt, die damalige Lection begriff den Zeitpunct, welchen das Mädchen von Orleans berühmt machte. Eine vortrefliche Pastete brachte mich um den größten Theil dieser historischen Vorlesung. Bei der letzten Tracht, die meistens in Schaugerichten bestund, wurde, weil der Magen nunmehro befriediget war, für den Verstand am meisten gesorgt. Der Baronet gab wieder ein Zeichen mit der Gabel, und eine von den schönsten Stellen aus dem Milton, welche Herr Grandison selbst zu erläutern und aufzuklären sich die Mühe gab, machte den Beschluß. Das Frauenzimmer verließ hernach nach Englischer Mode die Tafel, um in dem Nebenzimmer den Thee zu trinken, da unterdessen die Tafel für die Herren von neuem mit Bouteillen besetzt wurde. Alle Arten von Weinen aus des Baronets Keller wurden ausgeprobt. Er eröffnete der Gesellschaft, daß er entschlossen wäre, heute die gewöhnlichen Preiße auszutheilen, die er jährlich den fleißigsten seiner[199] Unterthanen, und die sich vor andern besonders hervor thun, zu verehren pfleget, und ersuchte uns auf eine höchst verbindliche Art, ihm hierbei mit an die Hand zu gehen. Wir verfügten uns in den untern großen Saal, welcher mit allerlei Hausgeräthe, Kleidungsstücken und andern Nothwendigkeiten, nicht anders als ein Kaufmannsladen ausgezieret war. Herr Bartlett, des Baronets Secretär, ein Vetter des Doctors, überreichte Sir Carln das Verzeichniß derer Personen, welche sich der Preiße würdig gemacht hatten. Die Austheilung geschahe folgendergestalt:


1.) Thomas Mumford, Doctor Bartletts Schulmeister, erhielt für sich eine Baßgeige, und für seine Frau einen Muff: weil dieses Paar unter allen Unterthanen Sir Carls die Welt am meisten vermehret hatte. Die Frau Schulmeisterin war in Jahresfrist zweimal mit Zwillingen niedergekommen, und alle vier Kinder waren noch am Leben.
[200]

2.) Marmaduck Stephenson, einer von Sir Carls Pachtern, welcher in diesem Jahre die meisten Hamster gegraben, und auch die meisten Maulwürfe erlegt hatte, erhielt eine sauber geschnittene Flasche mit Silber beschlagen, welche mit dem besten Brandeweine gefüllet war.


3.) William Ameß, ein gewissenhafter Schneider, der am wenigsten in die Hölle geworfen, und deswegen die meiste Arbeit bekommen hatte, erhielt ein neues Bügeleisen nebst einem stählernen Fingerhut.


4.) Anna Burdens, eine bejahrte Frau, welche die meisten Eier zu Markte geschickt hatte, wurde dafür mit einer Brille und einer Würzschachtel begabt, und dadurch zur ferneren fleißigen Abwartung ihres Berufs aufgemuntert.

5.) Samuel Sattock, ein Weinschenke, der in Sir Carls Gebiete den meisten Wein ausgeschenket hatte, vielleicht weil er ihn am wenigsten verfälschte, wurde für seine[201] Ehrlichkeit mit einem blechernen Trichter und einem neuen Zählbrete belohnet.


6.) Maria Fischers, die im Rufe war, daß sie ein Geheimniß besäß, in der ganzen Provinz die schmackhafteste Butter zu verfertigen, bekam, ob gleich ihre Butter von ihren Nachbarinnen für Hexenbutter ausgeschrien wurde, ein halb Dutzend Muskatennüsse und ein blechernes Reibeisen.


7) Johann Higgins, ein Töpfer, der auf seine Schüsseln und Telier sehr künstliche Reime zu setzen pfleget, und auf allen Jahrmärkten deswegen großen Abgang seiner Waare hat, wurde von Sir Carln zum Poeten gekrönet, jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalt: daß er dieser Ehre sogleich wieder sollte verlustig seyn, wo er seine Verse an einem andern Orte, als auf seinen Schüsseln anbrächte. Es wurde ihm zugleich ein grosser Bierkrug mit einem zinnernen Beschläge zu seiner Hippokrene angewiesen und verehret.
[202]

8.) John Huberthorn, einer von des Baronets Forstbedienten, der einen Stahr, eine Amsel und einen Lübich so abgerichtet hatte, daß sie zusammen ein Trio pfeifen, bekam ein künstliches Weidemesser, nebst der Anwartschaft auf eine bessere Bedienung.


9.) Für einen berühmten Kalendermacher in Londen wurde der Globus bestimmt, den der Hauptmann Salmonet und Major Ohara bewundert haben. Es gehöret dieser Mann zwar nicht zu den Unterthanen Sir Carls: dieser glaubt aber, daß er eines Preißes dem ungeachtet würdig sey. Alle Hauswirthe in des Baronets Herrschaften haben nach ihrem einmüthigen Geständniß dieses Jahr den größten Nutzen von diesem Manne gehabt: Sein Wetterprognosticon ist auf ein Haar eingetroffen, und mithin haben sie sich mit ihrer Arbeit vollkommen nach der Vorschrift des Kalenders richten können. Der Lord L. gelobte diesem Ehrenmanne über das Geschenke des Baronets noch ein vortreffliches Sehrohr, welches er[203] besitzt: weil dieser Astronom mit der Sternseherkunst die in unsern Tagen so seltne Wissenschaft eines Astrologen verbindet, und aus der Constellation der Gestirne eine Prophezeihung von Krieg und Frieden an den diesjährigen Kalender hat drucken lassen, die bis auf den heutigen Tag sehr pünktlich eingetroffen ist.


10.) Ein gewisser Mann, der einmal hatte erzählen hören, daß Ludwig der Große an einem Galatage in einem Kleide von Spinnweben erschienen wäre, hatte durch langwierige Versuche es dahin zu bringen sich bemühet, diesem zarten Gewebe eine Festigkeit zu geben, um es wie Seide zu spinnen und zu verarbeiten, zu dem Ende hatte er viele Jahre lang die Wohnungen der Spinnen vergeblich zerstöret, und dieses unglückliche Geschlechte beinahe aus dem Gebiete des Baronets vertrieben. Endlich schien es ihm gelungen zu seyn, seine Absicht einigermaßen zu erreichen; er drang mit einem großen Geräusche durch die Menge von Leuten,[204] welche die Mildthätigkeit des Baronets, theils als Zuschauer, theils als würdige Besitznehmer seiner Wohlthaten, herbeigezogen hatte. Er wurde eingelassen und forderte einen Preis für seine Erfindung; da er zugleich die erste Zaspel seines Gespinnstes überreichte. Sir Grandison war geneigt, ihn solchem nach einer genauen Untersuchung zu ertheilen, er bekam eine ansehnliche Pelzperucke, um seinen Kopf für der Kälte des herannahenden Winters zu schützen, damit er zu mehrern dergleichen nützlichen Erfindungen geschickt bliebe.


Wenn würde ich fertig werden, alle die großmüthigen Geschenke, welche der Baronet allen und jeden machte, die Beweise ihres Fleißes oder ihrer sinnreichen Erfindungen aufstellen konnten, der Länge nach zu erzählen? Ich habe Ihnen hier nur einen kleinen Abriß von dem Eifer desselben gemacht, das Gute und Nützliche auf alle nur ersinnliche Art zu befördern. Die ganze Gesellschaft fand bei der Austheilung dieser Preiße[205] das vollkommenste Vergnügen. Oft setzte es einen kleinen Streit über die Wahl derselben; doch überhaupt muß man gestehen, daß die Belohnungen mit denen Personen, welche sie erhielten, immer ein ziemlich genaues Verhältniß hatten. Lady G. beschäftigte sich nach ihrer Leichtsinnigkeit über alle, die in das Zimmer traten, um einen Preis zu bekommen, Anmerkungen zu machen. Sie betrafen meistens die seltsamen Reverenze, die Lobreden derer auf Sir Carln, welche Preiße erhielten, ihren Gang und ihre Minen. Mir gefielen sie meistens, obgleich Sir Carl die wenigsten, weil sie alle sehr muthwillig waren, belachen wollte. Wenn Niemand ihr zu Gefallen lachte, so sahe sie nur ihren Herrn an, welcher aus einer schmeichelhaften Gefälligkeit sogleich bereit war, durch sein überlautes Gelächter ihren Scherz bei Ehren zu erhalten. Nach gethaner Arbeit, sagte der Baronet, ist gut feiern, wir begaben uns gegen sieben Uhr des Abends wieder in den Speisesaal und hernach wurde bis gegen Mitternacht getanzet.[206] Der Doctor eröffnete den Ball mit Sir Beauchamps Gemahlin, er würde auch ohne Zweifel bis auf den letzten Mann ausgehalten haben, wenn ihn nicht ein kleiner Zufall davon abgehalten hätte. Er wollte zu sehr bewundert seyn, und machte in einer Menuet eine so künstliche Wendung auf einem Fuße, daß er ihn darüber verstauchte. Der Baronet war aber so sorgfältig und ließ durch zween handfeste Bedienten, ungeachtet des Schreiens des guten Mannes, den verstauchten Fuß so lange ziehen bis er glücklich wieder eingerichtet war. Ich denke, der Doctor wird sobald nicht wieder tanzen.


Den 29. Abermal ein neues Vergnügen! Herr Grandison ist in Erfindungen, seine Gäste zu belustigen, unerschöpflich. Es scheint, daß er allen seinen Verstand angewendet hat, um mich noch zu guter letzt auf eine Art zu unterhalten, die fähig ist, von dem Vergnügen in Grandisonhall, mir einen solchen Eindruck zu machen, daß ich abwesend oftmals daran zurück denken soll. Er hat heute seinen Welschen[207] Thurm, der zu einer Sternwarte bestimmt ist, eingeweihet. Das ist ein sehr sehenswürdiges Stück; ob er gleich nicht nach dem ersten Entwurf des Baumeisters ist aufgeführet worden. Dieser Mann hatte den Einfall, ihn in Gestalt eines Sehrohrs aufzuführen, man sollte ihn auch nach Belieben vergrößern und verkleinern können, er wollte zu dem Ende ein Stockwerk in das andere verbergen, nicht anders als ein Perspectiv, das man ausziehen und auch wieder zusammen schieben und ins kleine bringen kann; Sir Carl aber, der nicht alleine künstlich, sondern auch dauerhaft bauen wollte, hat diesen Vorschlag verworfen und es bei dem alten gelassen. Demohngeachtet ist dieses Gebäude prächtig und kunstreich. Der Knopf wurde unter Trompeten und Pauckenschall hinaufgezogen, er ist so groß, daß er zu einer Vorrathskammer könnte gebraucht werden. Der Baronet will mit seinen besten Sachen darauf flüchten, und sich daselbst verstecken, wenn etwann bei jetzigen Kriegszeiten ein feindlicher Einfall geschehen sollte.[208] Er ersuchte mich, den Herrn Magister Lampert zu bitten, nebst einem Verzeichnisse von allerlei Merkwürdigkeiten zu verfertigen, um beides wie gewöhnlich in dem Knopfe dieses Thurms für die Nachkommen aufzubehalten. Sir Carl hatte zwar im Anfang dem Doctor diesen Auftrag gethan: er entschuldigte sich aber und schlug seinen Freund den Magister Lampert dazu vor, welcher Vorschlag auch sogleich gebilliget wurde. Wegen der vortreflichen Aussicht speisten wir dismal auf der Sternwarte. Die Speisen wurden mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, vermöge einer besondern Maschine, aus der Küche hinaufgezogen, daß also die Bedienten keine Beschwerung davon haben, wenn es ihrem Herrn beliebt, auf dem Thurme zu speisen. Wir ließen es uns allen auf dem Welschen Thurme recht wohl schmecken; ich glaube daß die reine Luft, welche man oben empfand, vieles dazu beitrug. Weil man nicht so viele Erddünste verschlucken durfte als in den untern Zimmern: so konnte man desto mehr Speise genüßen. Ich konnte mich nicht gnug[209] darüber verwundern, daß alle Gerichte zum Fenster hinein gebracht wurden, und auf eben diese Art trug man sie auch wieder ab, die leeren Buteillen flogen zum Fenster hinaus, und einige Augenblicke hernach erschienen sie wieder gefüllt. Es kam mir nicht anders vor als wenn ich mich in dem Zauberpallaste befänd, von welchen ich ehemals fast eben dergleichen Wunderdinge gelesen habe. Ein irrender Wandrer, erzählt man, lagerte sich, da ihm die Nacht in einem Walde übereilte, unter einen Baum, um den Tag daselbst zu erwarten. Er wunderte sich ungemein, daß er in einer kleinen Entfernung ein vortrefliches Schloß mit hohen Thürmen erblickte, welches er vorhero nicht bemerket hatte. Erfreut über diesen unerwarteten Anblick, nahm er sein abgeladenes Bündel wieder auf den Rücken und seinen Stab in die Hand, und eilte darauf zu, um in solchem eine bequemere Herberge zu finden. Er war nicht so bald an das Thor gelanget, als sich solches öffnete, er ging mit einer demüthigen Stellung hinein, um sich bei den Bewohnern desselben eine[210] Nachtherberge zu erbitten: allein wie erstaunte er nicht, da er keine lebendige Seele darinne antraf. Es lief ihm ein kalter Schauer nach dem andern über die Haut, endlich faßte er doch einen Muth und nahm das beste Zimmer, welches mit den herrlichsten Meubles versehen war, und von einer großen Menge Wachslichtern erleuchtet wurde, für sich ein. Wie glücklich wäre man hier, sagte er zu sich selber, wenn man in einem so prächtigen Pallaste auch eine gute Mahlzeit zu erwarten hätte. Er hatte dieses kaum gesagt, so öffnete sich das Fenster und eine Menge vortreflich zugerichteter Speisen kamen in eben dem Augenblicke durch solches, gleichsam auf den Flügeln des Windes getragen, zu ihm hinein. Er nahm dieses für eine Einladung zum Genuß derselben an, setzte sich an eine Tafel und ließ es sich wohl schmecken. Nachdem er die besten Weine versucht und sich mit dem schmackhaftesten Leckerbißlein gesättiget hatte, erhob sich alles wieder zum Fenster hinaus und verschwand. Ich dachte in der That auf der Sternwarte Sir Carls mehr[211] als einmal an diesen Wandrer und freuete mich, daß ich beinahe ein gleiches Wunderwerk gesehen hatte. Nach der Tafel ließ das Glockenspiel zum ersten male die vollkommenste Uebereinstimmung seiner Silberthöne hören. Bei der Melodie einer italiäschen Arie sang Sir Carl den Text dazu mit einer sehr anmuthigen Stimme und vieler Geschicklichkeit ab. Nachdem Tische und Stühle aus der astronomischen Wohnung waren weggebracht worden, hatte ich die Ehre, Lady Grandison zum Tanze aufzuziehen. Dieses ist das erste mal, daß ich nach dem Klange der Glocken getanzet habe. Um nicht eine Treppe von drei hundert Stufen abzusteigen, fuhr die ganze Gesellschaft eins nach dem andern, vermittelst der Maschine, durch welche die Speisen waren heraufgezogen worden, unter Trompeten und Pauckenschall von dem Thurme herab. Da ich dieses Luftschiff bestieg, gedachte ich an die Wunderkiste mit welcher ein morgenländischer Kauffmann, welcher den Mahomed vorstellen wollte, in den stählernen Pallast schiffte, worinne[212] ein alter argwöhnischer König seine schöne Tochter verschloß. Ich wünschte, daß diese, worinn ich mich befand, eben so beschaffen seyn möchte, ich hätte sie dem Baronet gewiß entführt, und wer weiß, an was für einem guten Orte ich mich jetzo befänd. Dieser Tag endigte sich also mit allgemeinen Vergnügen; ich konnte aber nicht ohne Grauen an den folgenden gedenken, den ich zum Abschiedstage bestimmt hatte. So wie ein armer Päbstler, der sich mitten im Genuß der Güter dieses Lebens zur Abreise in jene Welt anschicken muß, mit Schrecken dem Feuermeere des Fegefeuers entgegen siehet, auf welchem er Jahrhunderte hindurch herumschiffen soll: so sahe ich mit bestürztem Augo dem Tage entgegen, welcher mich des Vergnügens in dem glänzenden Grandisonhall berauben und aus der Gesellschaft tugendhafter Weisen in das Geräusche der Welt zurück bringen sollte – –. Abermals ein poetisches Bild! Der Abschied in Grandisonhall hat einen solchen Eindruck bei mir[213] gemacht, daß mein Gemüthe noch voll Bewegung ist.


Den 30 Octobr. Erwarten Sie nicht von mir, hochgeschätzter Herr Oncle, einen vollständigen Bericht der Begebenheiten dieses merkwürdigen Tages, mein Gemüthe würde nicht stark genug seyn, eine lebhafte Vorstellung der zärtlichen Trennung von so vielen verehrungswürdigen Freunden noch einmal zu ertragen. Gnug, am 30 October verließ ich unsern gemeinschaftlichen Gönner. Meinem Charakter, als einem Abgesandten von Ihnen, gemäß, erhielt ich eine öffentliche Abschiedsaudienz. Die ganze Gesellschaft hatte das Gesichte in weiße Schnupftücher versteckt, welche seit der Trauer um die selige Frau Shirley nicht waren gebraucht worden, um bei meiner beweglichen Abschiedsrede die Thränen damit aufzufangen. Sir Carl und seine würdige Gemahlin befahlen mir an Sie tausend Komplimente, und baten sich sehr angelegentlich die Unterhaltung eines Briefwechsels mit Ihnen aus. Der[214] Doctor Bartlett versicherte, daß ihm nichts angenehmer seyn würde, als wenn er sich mit Ihnen durch den Mund seines Freundes, des weisen Herrn Magister Lamperts, unterreden, und Sie von der Hochachtung seines Gönners schriftlich versichern dürfte. Er brachte zugleich feine Dinge von der nutzbaren Erfindung des Schreibens vor, und rühmte die Vortheile der Neuern, die sie in dieser Kunst über die Alten erlangt hätten. Diese, sagte er, hätten sich mit Baumrinde, Eselshaut und Wachstäfelgen behelfen müssen: da hingegen die edle Schreiberei ein weit besseres Ansehen erhalten hätte, seitdem das Pappier wäre erfunden worden, und die Gänse uns ihre Kielen zu den nöthigsten Werkzeugen dieser Kunst geliehen hätten. Die ganze Grandisonische Familie segnete mich und Sie zugleich in meine Seele. Lady G. warf mir noch, da ich auf den Wagen stieg, einen sanften Kuß zu, um Ihnen solchen zu übersenden; allein solche Kleinigkeiten lassen sich nicht wohl einpacken, ich habe solchen also alleine genossen. Lady Beauchamp sahe[215] aus, als wenn sie den Schnuppen bekommen hätte, so dicke rothe Augen hatte sie sich geweint. Alle Herren umarmten mich, und die Ladys winkten mir Abschiedsküsse zu. Meine Ohren gellen noch von dem Lebewohl, welches mir aus verschiedenen Tönen akordweise nachgerufen wurde. Ich glaubte, mein Gemüthe würde in etwas wieder aufgemuntert werden, wenn sich in den Dörfern, in welchen ich vor wenig Tagen bei meiner Herreise nach Grandisonhall einen solchen Aufstand erreget hatte, wiederum ein Haufen Volk, mich zu sehen, um meinen Wagen versammlen würde; ich hatte zwar jetzo nicht das ansehnliche Gefolge bey mir: ich machte aber doch noch eine ganz ansehnliche Figur. Allein dismal erfuhr ich, daß nichts unbeständiger als der Pöbel. Obgleich in Sir Carls Dörfern mir zu Ehren alle Glocken geläutet wurden, und das Glockenspiel in Grandisonhall die beweglichsten Melodien hinter mir her spielte; ungeachtet ich auch meinen Postillion aus allen Kräften blasen ließ: so wollte doch Niemand zum Vorschein kommen,[216] der mich zu sehen verlangte, einige Bauern ausgenommen, die das Fenster halb aufschoben, und mit ihrem spitzigen abgegriffenen Hüten mir unter das Gesichte guckten, ohne daß einer so höflich gewesen wäre, seinen Deckel abzunehmen, oder seine Tobackspfeife zu verstecken, wenn ich vor seinem Hause vorüber zog.

Den 31. traf ich wieder in Londen in meinem ordentlichen Quartiere ein. Ich machte dem ehrlichen Herrn Nerves meinen Abschiedsbesuch und hernach ließ ich mich auch noch zum Vetter Eberhard bringen. Seine runde dicke gebietherische Frau empfing mich mit einer mittelmäßigen Höflichkeit und er erschien einige Zeit hernach im Schlafrocke. Seine Gebieterin schließt ihm, wie man sagt, oftmals die Kleider ein, und macht ihn auf diese Art zum Arrestanten, damit er ihr nicht unversehens entwischt, und sie ihn hernach auf einem Coffeehause auslösen muß. Er schien sehr bestürzt über meinen unerwarteten Besuch und glaubte vielleicht, ich wäre[217] kommen, meine zwanzig Guineen wieder abzuholen. Es war dieses auch allerdings ein Bewegungsgrund bei mir, ihn zu besuchen. Ich dachte, er sollte sich selbst seiner Schuld erinnern, und mir solche abtragen: an dessen Statt aber fing er an lateinisch zu reden, damit es seine Frau nicht verstehen sollte. So viel ich einsehen konnte, wollte er mich ersuchen, mich nichts gegen sie merken zu lassen, daß er mein Schuldner wäre; er gab mir aber seine Meinung so undeutlich und stammlend zu verstehen, daß ich nur rathen mußte, was er ungefehr haben wollte; das Latein stund ihm gar nicht zu Gebote. Ich versicherte ihn in eben dieser Sprache, daß ich mir eine Ehre daraus machte, ihn in meinem Schuldregister zu finden, er könnte mir das Geld abtragen, wenn es ihm am bequemsten wäre, ich würde ihn disfalls nie bei seiner Liebste verklagen. Die Absicht meines Besuchs wäre auch nicht, ihn an meinen Vorschuß zu erinnern, sondern nur von ihm Abschied zu nehmen, weil ich gesonnen wäre, in wenig Tagen England zu verlassen. Er[218] stellte sich sehr betrübt an, daß er mich, wie er sagte, als seinen besten Freund verlieren sollte: ich konnte es ihm aber ansehen, daß er über meine Abreise sich heimlich sehr erfreute: weil mir dadurch die Gelegenheit abgeschnitten wurde, ihn öfters zu mahnen. Er wollte durchaus noch nicht völlig von mir Abschied nehmen, und versprach noch einmal selbsten in meinem Quartiere mich zu besuchen: seine Frau benahm ihm aber alle Hoffnung, sein Versprechen zu erfüllen. So gesund er auch aussahe, so schützte sie doch eine Unpäßlichkeit vor, sie würde nicht zugeben, sagte sie, daß er sobald an die Luft ginge, damit er nicht wieder ein Recitiv bekäme. Ohne Zweifel hat er etwas großes verbrochen, daß sie ihn mit einen so langen Arreste bestraft. Ich werde nun wohl die zwanzig Guineen aus Bein streichen müssen.


Vorgestern erhielt ich das Schreiben von Ihnen, Hochgeehrtester Herr Oncle, und erfreute mich nicht wenig, daß ich durch eine glückliche Ahndung das bereits erfüllet hatte,[219] was Sie mir auftrugen. Ich schreibe von hieraus noch einmal nach Grandisonhall und werde nach Ihren Befehl den Doktor Bartlett ersuchen, für Sie ein gutes Vorwort bei dem Pastor Wendelin einzulegen. In zwei Tagen gehe ich von hier nach Dowers, um von da nach Holland überzuschiffen. In der Mitte dies Monats hoffe ich zu Straßburg zu seyn, daselbst erwarte ich in Zukunft Ihre Briefe. Da mich die englischen Freunde ihres Briefwechsels würdigen wollen, so werde ich auch die Briefe an Sie empfangen und ich hoffe, Sie gönnen mir auch in Zukunft das Vergnügen, die Ihrigen nach England über Straßburg gehen zu lassen, damit ich sie von da aus gehörigen Orts besorgen kann. Ewig Schade! daß ich dero Schreiben nicht einige Tage früher erhalten habe, um die verlangten Portraits zu sammlen. Damit Sie indessen doch meine Bereitwilligkeit sehen, Ihre Befehle zu erfüllen, so übersende ich Ihnen diejenigen, welche mir von: Herrn Rerves, so bald er Ihren rühmlichen Anschlag erfuhr, sind verehret worden[220] und die er in duplo besitzt. Es sind sieben an der Zahl. Auf der Ruckseite derselben werden Sie finden, welche Personen aus der Grandisonischen Geschichte sie vorstellen. Zu den übrigen ist mir gute Hoffnung gemacht worden, vielleicht habe ich bald das Vergnügen Ihnen auch diese zu übersenden. Diesen Augenblick erhalte ich einen Brief von dem Herrn Richardson, worinne er mich nochmals an mein Versprechen erinnert, ihm die Briefe mitzutheilen, welche Ihre großmüthigen Unternehmungen, dem Herrn Grandison nachzuahmen enthalten, ich werde ihm ihre Meinung über diesen Punkt entdecken und ihm dazu Hoffnung machen. Weil es mein Schicksal nicht erlaubt in der glücklichen Gesellschaft Sir Carls meine Tage zuzubringen: so will ich doch meine Reisen so bald als möglich suchen zu vollenden, um bei Ihnen als seinem würdigen Nachfolger das Vergnügen zu finden, das ich jetzo entbehren muß. Ich sehe der goldnen Zeit mit Verlangen entgegen, welche mich nach Kargfeld als dem zweiten Grandisonhall führen wird,[221] wo die Bewunderung Ihres vortreflichen Charakters eine der angenehmsten Beschäftigungen seyn wird


Dero

gehorsamsten Dieners

v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 160-222.
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Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
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