XVII. Brief.

Der Herr v.S. an das Fräulein Amalia v.S.

[154] London den 6 Novembr.


Geliebte Schwester,


Die letzten Tage meines Aufenthalts allhier, habe ich zu Verfertigung eines Tagebuchs angewendet, welches du mit meinem Briefe empfängst, um es meinem[154] Oncle zuzustellen. Du wirst aus beigelegtem Schreiben, das ich vor einigen Tagen von ihm erhielt, ersehen, daß er mich nochmals zu seinem Abgesandten an das ganze Haus der Grandisonen ernennet hat. Zu einer solchen Gesandtschaft wird viele Zeit erfordert, und da ich diesen Brief erhielt war es zu spät, daß ich wahrscheinlicher Weise diesen Posten noch erst hätte verwalten können; ich habe ihn also beredet, daß ich durch eine glückliche Ahndung seinen Befehl bereits hätte erfüllt gehabt, ehe ich ihn erhalten. Aus der Dicke dieses Briefes wirst du auf die Weitläuftigkeit desselben schlüßen können. Ich habe ihn nicht gesiegelt, damit er in Schönthal kann gelesen werden, wenn es dir oder dem Baron gefällt, sich diese Mühe zu nehmen. Wenn unser Oncle oder der Magister Lampert einige Einwürfe bei einer oder der andern Stelle dieses Tagebuchs machen sollte, so muß man diese zu widerlegen suchen; damit seine Zweifel nicht Wurzel schlagen und das Spiel verderben. Ich habe meiner Einbildungskraft darinne oft den Zügel gelassen,[155] mein Journal verfällt an manchen Orten ins wunderbare; doch glaube ich nicht, daß ich die Sphäre meines Oncles überschritten habe: Wer sich getrauet andern unglaubliche Dinge aufzubürden, der muß auch geneigt seyn, etwas von gleichem Schlage selbst zu glauben.


Der Magister Lampert will die Bildergallerie unseres Oncles mit den Porträits der engländischen Freunde ausschmücken, und der Oncle bittet mich sehr angelegentlich ihm dazu behülflich zu seyn. Ich habe ihm diese Bitte nicht abschlagen wollen, besonders da sich eine gute Gelegenheit zeigte sie leicht zu erfüllen. Vor einigen Tagen war in meiner Nachbarschaft eine Auction von allerlei alten Meubles, ich schickte meinem Heinrich dahin, um einige Portraits zu erstehen, die ich aus dem Verzeichnisse gewählet hatte. Es sind lauter berühmte Leute gewesen; ich habe sie aber umgetauft, und ihnen Namen aus dem Grandison beigeleget, die ich auf die Rückseite der Porträits habe schreiben lassen.[156] Damit man indessen in Schönthal wisse, was für Personen sie eigentlich vorstellen: so will ich das Verzeichniß davon hiehersetzen.

Nr. 1) Thomas Morus ein englischer Canzler, dieser soll wegen seines großen Bartes den Juden Merceda vorstellen.

2) Olivier Cromwell, dieser hat mir wegen seines kleinen aus der Mode gekommenen Zwickbärtgens sehr viel Mühe gemacht, ich wußte nicht, was ich aus ihn machen sollte, endlich glaubte ich, der Knight Sir Roland Meredith könnte noch wohl dadurch vorgestellet werden, denn er wird auch als ein Mann aus der alten Welt beschrieben.

3) Den Herzog v. Marlborugh habe ich wegen seiner langen schwarzen Heldenperucke zum spaßhaften Oncle Selby gemacht.

4) Wilhelm Pen ein berühmter Quäcker mag wegen seiner andächtigen Mine der weinende Herr Orme seyn.[157]

5) Dieses Portrait stellet einen italiänischen Abt vor, der ein hauptgelehrter Mann soll gewesen seyn. In dem Auctionscatalogus wird er Julius Bartoloccius genennet. Du wirst es sogleich errathen, daß ich den Pater Marescotti daraus gemacht habe. Lampert wird sich freuen, wenn er siehet, daß dieser ehrwürdige Pater eben so ein feister Mann ist als er selbsten. 6) und 7) sind die Schildereien zwoer berühmter königlichen Maitressen aus dem vorigen Jahrhunderte. Die jüngere heißt Sidley und wurde hernach zur Gräfin von Dorchester erhoben, diese siehet eben so aus wie die Signora Olivia beschrieben wird, sie mag es also seyn. Die ältere ist die bekannte Herzogin von Portsmouth, die unter der Regierung Carl des Andern berühmt war. Sie muß gemahlet seyn, da sie bereits die Sünde verlassen hatte, ich finde ganz und gar nichts reizendes an ihr, und bin deswegen genöthiget worden, Tante Loren aus ihr zu machen.[158]

Ich hoffe, der Oncle wird mir wegen Uebersendung dieser Porträits sehr verbunden seyn, wenn er sie für ächt erkläret. Unser Schwager wird mein Schreiben vom 16 October erhalten haben,1 und sich nach der Anweisung wegen Uebermachung meiner Wechsel richten, ich ersuchte ihn zugleich, keinen Brief noch Empfang meines Schreibens, nach Londen abgehen zu lassen. Den deinigen vom 20 des vorigen Monats habe ich erhalten, und hoffe den nächstfolgenden in Straßburg anzutreffen. Die Händel meines Oncles mit dem Major v. Ln. werden nunmehro sonder Zweifel glücklich und ohne Blut geendiget seyn. Man hätte es so weit gar nicht sollen kommen lassen, wenn inzwischen nur ein Scherz daraus ist gemacht worden, wie du glaubst, daß es nichts weiter seyn werde, so mag es noch hingehen; wenn aber der Herr v. Ln. Ernst daraus gemacht hat, so ist[159] er in der That kein Original zu dem Porträit, das der Baron ehemals von ihm machte. Ich will indessen das beste von ihm glauben, bis auf weitere Nachricht, welche von seiner geliebten Schwester erwartet

v. S

Fußnoten

1 Dieser Brief ist weggelassen worden, weil er nichts, das zu dieser Geschichte gehöret, enthält.


Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 160.
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