XIX. Brief.

Der Herr v.N. an die Frau v.W.

[222] Den 30 Octobr.


Sie verdienten zwar mit mehrerm Rechte den Titel gestrenge Frau, denn Sie haben ziemlich strenge mit mir verfahren, und es fehlte einmal nicht viel, so hätten Sie mich mit Fäusten geschlagen wie Satans Engel: aber ich will Sie dem ungeachtet gnädige Frau nennen, in der guten Hoffnung, daß Sie in Zukunft sich bessern und mit mir sich wieder versöhnen werden.[222] Sie sind ein weibliches, das ist, ein schwaches Werkzeug, und aus dieser Ursache komme ich Ihnen mit Ehrerbiethung zuvor, und thue Ihnen hierdurch zu wissen, daß ich es alles vergeben und vergessen will, was Sie mir zu Leide gethan haben Ich weiß wohl, daß Niemand anders als Sie selbsten den Major v. Ln. so sehr wider mich in Harnisch gejaget, daß er mich heraus gefordert. Es ist bekannt, wenn Sie anfangen zu griesgramen, so machen Sie es so arg, daß Sie im Stande wären, das ganze heilige römische Reich zusammen zu hetzen, wenn nur Ihr Gemahl ein Prinz wäre. Nehmen Sie es nicht übel, daß ich so alles von der Leber wegsage, es ist nicht böse gemeint. Wenn Sie gut sind, ob es Ihnen gleich selten ankommt, so sind Sie auch wieder recht gut. Wie gesagt, ich will, um unsern guten nachbarlichen Frieden wieder herzustellen, Ihnen alles vergeben. Den Major habe ich bereits durch meine Grundsätze zur Raison gebracht, wir sind wieder gute Freunde, und ich fasse das gute Vertrauen, daß Sie auf[223] Ihrer Seite auch nicht ermangeln werden, sich mit mir zu versöhnen. Sehen Sie nur, wie großmüthig ich handele, ich will nicht nur wegen der vermeintlichen Beleidigung, die ich Ihnen soll zugefüget haben, hierdurch um Verzeihung bitten; sondern ich will auch noch ein übriges thun, und Ihnen, wenn Sie es verlangen, Brief und Siegel ausstellen, daß ich Sie für eine Dame von Ehre halte und nichts anders als gutes von Ihnen denke. Wenn Sie billig sind, so werden Sie nun Ihren Groll gegen mich fahren lassen, ich verspreche mir dieses eben so gewiß, als ich hoffe, daß Sie mir einen Beweiß Ihres versöhnlichen Herzens dadurch geben werden, daß Sie mir bald das Vergnügen verschaffen als meiner Frau Schwiegermutter die Hand zu küssen. Ich lade mich bei Ihnen auf morgen zu einer guten Mahlzeit ein, um persönlich zu erfahren, ob Sie wieder mit mir eins sind. Empfehlen Sie mich heute Ihrem Herrn und meiner unvergleichlichen Henriette. Morgen will ich[224] es selbst thun und mich zugleich bemühen, Sie zu überzeugen, daß ich mit vieler Hochachtung bin

Dero

gehorsamster Diener

v.N.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 222-225.
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