XX. Brief.

Das Fräulein v.W. an das Fräulein v.S.

[225] Wilmershausen, den 30 Octobr.


Ich freue mich recht sehr, daß wir morgen das Vergnügen haben, Sie, nebst dem Hrn. v.F. und seiner Gemahlin, hier zu sehen. Jacob hätte mir keine angenehmere Nachricht geben können, als daß er in einer Stunde nach Schönthal gehet, Sie einzuladen. Wissen Sie wohl, wer dazu Anlaß gegeben hat? Lesen Sie innliegende[225] Abschrift des Schreibens von dem Herrn v.N. an meine Mutter. Dieser Brief ist eben nicht so abgefaßt, wie sie wünschet: sie hat sich aber doch vorgesetzt, den äußerlichen Frieden mit ihm wieder herzustellen. Der Major hat das meiste dazu beigetragen, sie wieder zu besänftigen. Der Hr. v.N. hat zum Beweiß seines Verlangens, sie wieder zur Freundin zu haben, sich auf morgen bei uns zu Gaste gebeten, um von ihr vielleicht eine mündliche Versicherung zu erhalten, daß sie ihm alles vergeben habe. Mich dünkt ich habe bei diesem Besuche nichts sonderliches zu fürchten. Ich befinde mich sehr ruhig, und hoffe, der Hr. v.N. wird sich nicht so viele Freiheiten bei mir heraus nehmen, als das letzte mal, er muß ein wenig schüchtern thun und sich in einer gewissen Entfernung halten, morgen wird er gleichsam als ein Fremder in unserm Hause eingeführet, der erst Bekanntschaft sucht, und dem die kleinen Freiheiten noch nicht verstattet werden, die eine lange Freundschaft erlaubt. Ich wollte, daß Sie ihm dieses könnten zu verstehen geben,[226] so wohl meinet wegen, als um der ganzen Gesellschaft willen. Die Frau v.W. würde, wenn er zu vertraut thun wollte, dieses als eine neue Beleidigung ansehen, und wohl gar wieder einen neuen Streit erregen, der allen verdrüßlich seyn würde. Die Zeile die ich in seinem Briefe unterstrichen habe, versichert mich, daß er noch immer eine gefährlich Absicht auf mich hat. Wenn ich jetzo nicht befürchte, daß er sie erreichen wird: so habe ich doch immer Ursache zu fürchten, daß er eine andere Ausführung gegen mich beobachtet, als ich wünsche. Wenden Sie doch Ihre guten Bemühungen an, ihn dahin zu bringen, daß er morgen gar nicht thut, als wenn ich gegenwärtig wäre. Ein Mann, der dem Grandison nachahmen will, muß ein Philosoph seyn, es wird ihm also nicht viel Mühe kosten, dieses von sich zu erhalten. Doch ich sehe, daß ich mich schon zu weitläuftig über eine Sache heraus gelassen habe, die ich nur mit zwei Worten gedenken wollte. Meine Absicht bei diesem Briefe war allein diese, Ihnen das merkwürdigste[227] zu erzählen, was in unserm Hause seit meinem letzten Schreiben sich begeben hat, und insonderheit Sie von den Gesinnungen meiner Mutter, die sie gegenwärtig von Ihnen hegt, zu unterrichten, damit Sie wissen, was Sie für eine Stellung gegen diese anzunehmen haben. Legen Sie morgen Ihre gewöhnliche Munterkeit nicht ab, und lassen Sie nichts zurückhaltendes an sich blicken. Sie wissen, daß sie jede Mine, die ihr nicht natürlich genug scheinet, wider sich deutet und als eine Beleidigung annimmt. Wenn Ihnen etwas an der Gunst der Frau v.W. gelegen ist, ich sag es Ihnen zum Troste, daß Sie diese ganz wieder besitzen, so erscheinen Sie ja recht heiter. Es ist ein seltner Fall, daß man Sie zur Fröhlichkeit ermuntern muß, Ihr Gemüth ist immer aufgeräumt: aber Sie können dadurch nur selten so viel Gutes, stiften, als ich mir morgen davon verspreche. Der Major hat viel dazu beigetragen, daß sie wieder vortheilhaft von Ihnen urtheilet. Er hat Sie gelobt. So ungern sie es sonst verträgt, daß jemand in ihrer[228] Gegenwart gelobt wird, so willig hat sie ihm doch hierinn Beifall gegeben. Sie wollte Ihnen zwar Schuld geben, Sie hätten eine unüberwindliche Neigung, immer allerlei kleine Leichtfertigkeiten auszuüben; sie wollte Ihnen diese als einen Fehler anrechnen: da sie aber der Major nicht dafür erkannte, so änderte sie dieses Urtheil, und fing an, ihre Leichtfertigkeit zu entschuldigen und bald hernach zu vertheidigen; ja sie munterte ihre kleine Tochter auf, von Ihnen immer etwas zu lernen, um mit der Zeit so artig zu werden wie Sie. Wenn es der Herr v.N. nicht mit ihr verdorben hätte, so will ich eben nicht gut dafür seyn, daß sie so bald wieder Ihre Freundin worden wäre. Der Zwist mit ihm hat, wie es scheint, auch keinen geringen Antheil an der geschwinden Aussöhnung mit Ihnen. Er wird es aber sobald nicht dahin bringen, daß sie ihm vollkommen wieder günstig wird, sie ist indessen ganz wohl zufrieden, daß der Streit mit dem Major sich ohne Zwiekampf geendiget hat. Ich denke, hiervon habe ich Ihnen schon vorläufig[229] Nachricht gegeben, und jetzt kann ich dieses bestätigen. Die Frau v.W. schreibt sich einen vollkommenen Triumph in dieser Sache zu, und glaubt, daß ihre Ehre dergestalt gerettet, und ihr eine Satisfaction wäre verschafft worden, daß es der Herr v.N. so leichtlich nicht wagen würde, sie wieder zu beleidigen. Der Major hat mir eine Beschreibung von dem ganzen Vorgange der Sache in Schönthal gemacht, er hat ihr auch seinen Rapport disfalls schon einige mal wiederholen müssen, der aber von dem, was er mir erzählte, sehr unterschieden war. Mein Vater gab ihm in allem Beifall, ich weiß also nicht, ob er mich oder die Frau v.W. hintergangen hat. Er besitzt die Gabe, alles sehr lebhaft vorzustellen; ich zähle es unter seine Fehler, Sie thun es gewiß auch, ich weiß es, sollten Sie es gutheißen können, daß er die Reden und Stellungen der Personen, von welchen er spricht, boßhaft nachzuahmen sucht? Er ist in dieser Kunst ein Meister, ich gestehe ihm dieses zu: aber er verdient niemals meinen Beifall, wenn er[230] Beweise davon giebt. Der arme Herr v.N., ich bedaure ihn! Doch er würde selbst mit haben lachen müssen, wenn er seine und des Herrn v.H. Person so natürlich hätte spielen sehen. Der böse Mann! Er schonte sogar meinen Vater nicht, ob er gleich gegenwärtig war, ich ärgerte mich im Herzen sehr darüber, doch machte er es noch so, daß es jener nicht merkte, wenn er ihn agirte. Die Frau v.W. war von dieser Scene ganz eingenommen. Da er seine Verdienste gegen sie durch verschiedene kleine Nebenumstände in der Erzählung zu erhöhen wußte: so mußte sie immer eine Danksagung und einen Lobspruch über den andern parat halten, um ihn damit zu belohnen. Mein Vater hat ihr etwas von einem Protokoll gesagt, das in Schönthal über die Händel der beiden Herren soll seyn verfertiget worden. Sie bezeigt ein großes Verlangen, dieses zu sehen, es scheint aber, daß es nicht dazu bestimmt ist, ihr vorgelegt zu werden. Ich bemerkte daß der Herr v. Ln. meinem Vater mit den Augen winkte, da er etwas davon gedachte,[231] und daß dieser sein Wort gern wieder zurück genommen hätte. Ich muß gestehen, daß meine Neugierde dadurch sehr ist rege gemacht worden, bringen Sie es doch mit, wenn ich es sehen darf, oder sagen Sie mir wenigstens, was es damit für eine Bewandtniß hat. Lassen Sie unsern Briefwechsel ja nicht aufhören, wir können keine bessere Gelegenheit finden vertraut mit einander zu sprechen, und Sie können nicht glauben, wie sehr Sie das durch verbinden


Ihre

Juliane v.W.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 225-232.
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