VI. Brief.

Das Fräulein v.W. an das Fräulein v.S.

[21] Wilmershausen, den 26 Sept.


Was werden Sie denken, daß ich eine ganze Woche lang ein tiefes Stillschweigen beobachtet habe? Wenn Sie meine Briefe auch so lange unbeantwortet lassen wollten; so würde ich mich mit tausend argwöhnischen Gedanken schlagen. Ich bin nun einmal so, und ich werde nicht irren, wenn ich mich mit dem Selbstpeiniger aus dem Terenz vergleiche: ich mache mir einen Haufen Sorge und ängstige mich, wo[21] ich es nicht nöthig habe. Sie besitzen einen glücklichen Charakter. Sie lachen mit dem Herrn v.F. über die ganze Welt und machen sich nicht eine ängstigende Vorstellung. Nicht wahr, Sie haben sich nicht einmal über mein Stillschweigen gewundert? Sie dachten wohl nicht daran, daß die Ursache davon eine Unpäßlichkeit seyn könnte; oder daß mir vielleicht gar der Briefwechsel mit Ihnen, wie der Clarisse mit dem Fräulein Howe könnte untersagt seyn. Solche Vorstellungen würde ich furchtsames Mädchen mir nur haben machen können, wenn ich an Ihrer Stelle wäre und Sie Sich an der meinigen befänden; aber davon wissen Sie nichts. Sie haben recht wohl gethan, daß Sie Sich keine so unnöthige Sorge machten, ich befinde mich wohl und habe auch noch nicht den grausamen Befehl erhalten, mit Ihnen keine Briefe mehr zu wechseln. Meine Mutter ist zwar mit Ihnen ganz und gar nicht zufrieden, und wenn der Herr v.N. noch wohl bei ihr angeschrieben stünde; so könnte es seyn, daß sie sich öffentlich gegen Sie erklärete:[22] Doch die glückliche Zwietracht zwischen ihr und dem Herrn Oncle von Ihnen macht sie gegen mich etwas geschmeidiger, sie gestattete es, daß ich unter der Hand einen Briefwechsel mit Ihnen unterhalten darf; ob sie mir gleich bis jetzo noch nicht erlauben will, Ihnen selbst meine Aufwartung zu machen.


Die Ursache meines Stillschweigens ist diese. Ich hatte neulich eben meinen Brief gesiegelt und solchen meinem Mädchen gegeben, um ihn durch Jobsten bestellen zu lassen, da ich zu meinem Vater gerufen wurde. Er gab mir einen entsiegelten Brief der so viele Falten hatte, als wenn er aus Verdruß von jemand wäre zusammengedruckt worden, er war von dem Herrn v.N. Ich las ihn flüchtig durch, und war so bestürzt, daß ich zitterte. Er enthält, so viel ich mich noch davon erinnere, eine feierliche Abbitte wegen deinen Beleidigungen, die er mir dadurch zugefügt zu haben glaubte, daß er sich an einem Tage, an welchem ich die Seinige werden sollte, im Trunke übernommen hätte; er versprach[23] diesen Fehler zu verbessern und bat mich Millionen mal um Verzeihung. Wenn mir recht ist, so gelobte er mir eine ewige Treue. Ehe ich noch den Brief ganz durchgelesen hatte, trat meine Mutter mit einem verdrüßlichen Gesichte in das Zimmer, welches mich muthmaßen ließ, daß es einen kleinen Zwist zwischen meinem Vater und ihr müßte gesetzt haben, der zusammengedruckte Brief sahe dem Zankapfel sehr ähnlich. Das Fräulein hat doch noch, sagte sie, den albernen Misch in die Hände bekommen? Zerreißen Sie ihn den Augenblick in tausend Stücke und werfen Sie den Plunder zum Fenster hinaus. Ich war im Begriff, diesen Befehl meiner Mutter zu erfüllen, Sie wissen, daß Sie von jedermann, dem Sie zu befehlen, ein Recht zu haben glaubt, einen blinden Gehorsam fordert, und ich wünschte, daß mir nie ein Gebot von ihr schwerer zu erfüllen seyn möchte, als dieses. Allein mein Vater befahl mir gerade das Gegentheil. Unterstehe dich – willst du – sagte er, da ich eben das Urtheil meiner Mutter vollstrecken wollte,[24] und erhob sich von seinem Stuhle. Ich werde es nicht zugeben, daß mein Freund von euch Weibesleuten beschimpfet wird, meine Frau hat ihm ohnedem bereits nicht für einen Pfennig Ehre gelassen. Gieb du mir den Brief nur wieder her, ich will ihn aufheben. Meine Mutter winkte mir zwar, ich sollte ihn, ehe ihn mein Vater in die Hände bekam, geschwinde zerreißen: ich gehorsamte aber meinem Vater. Er legte ihn sehr sorgfältig und in einer gewissen Entfernung von seiner Gemahlin zusammen, vielleicht aus Beisorge, daß sie einen Angriff darauf wagen möchte, um sich desselben zu bemächtigen, und schloß ihn in seinen Schrank. Ich kann nicht errathen, aus was für einer Absicht sie nicht gestatten wollte, daß ich diesen Brief zu Gesichte bekäme, wenn es nicht diese ist, mir die Gelegenheit zu benehmen, über sie zu spotten, daß sie mir einen Mann so sehr angepriesen hat, von dem sie jetzo wünscht, daß sie ihn nie möchte veranlasset haben, an mich zu gedenken. Sie will, wie es scheint, alle schriftliche Denkmaale seiner Liebe gegen[25] mich auch aus dieser Ursache vertilgen: damit diese ihr nicht einmal zu Vorwürfen in ihrem Gewissen gereichen. Ich glaubte immer, eine Gelegenheit zu finden, dieses Schreiben wiederum in meine Gewalt zu bekommen, um es ihnen mitzutheilen, weil aber mein Vater mit keinem Worte wiederum daran gedacht hat: so sehe ich nicht, unter was für einem Vorwande ich es von ihm zurück fordern soll. Sie sehen also die Ursache der Verspätung meiner Antwort.


Der Major Ln. ist beinahe jetzo unser täglicher Gast. Gestern ließ ihn meine Mutter durch einen expressen Boten einladen; er ist aber erst heute gekommen. Sie unterredet sich eben jetzo mit ihm, und ich höre, daß ihr Gespräch oft sehr lebhaft wird, ich vermuthe, es betrifft ihre Familienangelegenheiten. Was der Mann lachen kann! Man hört ihn weiter als man ihn sieht. Er ist unten im Saale, und wenn er lacht, so giebt mein Klavier hier neben mir allezeit einen Wiederschall. Es müssen doch wohl keine Dinge[26] von allzugroßer Wichtigkeit auf dem Tapet seyn. Nun werde ich allem Ansehen nach wohl niemals die Ehre haben, mich ihre Tante zu nennen; ich bin aber nicht weniger stolz darauf, wenn ich nur beständig ein Recht habe mich zu nennen


Ihre

aufrichtige Freundin und Dienerin

Juliane v.W.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 21-27.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.
Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.