VII. Brief.

Das Fräulein v.S. an das Fräulein v.W.

[27] Schönthal, den 29 Sept.


Glauben Sie es nur, ich bin im höchsten Grade auf Sie eifersüchtig. Ich habe mich immer für das gelehrteste Mädchen in unsrer ganzen Gegend gehalten, Sie wissen, daß ich zu den Füßen[27] eines grundgelehrten Mannes, eines Lamperts gesessen habe, der sich über den großen Haufen gemeiner Lehrmeister, gleichwie unser Kirchthurm hoch über die niedrigen Strohdächer hinausschwinget: allein ich werde künftig nicht mehr Ursache haben, meiner Eitelkeit zu schmeicheln; ich sehe daß Sie auch ein Bisgen gelehrt thun können. Sie vergleichen sich mit dem Selbstpeiniger aus dem Terenz, dieser Vergleich hat ein vielzugelehrtes Ansehen, als daß ich dabey gleichgültig bleiben sollte. Wenn Sie Sich mit dem Menschenfeinde des Moliere verglichen hätten, so würde ich es noch haben hingehen lassen. Doch ich will mich auch nicht deswegen mit Ihnen zanken, weil sie wissen, daß ein Terenz in der Welt gewesen ist. Sie kennen diesen Mann doch nicht anders als aus einer Uebersetzung; ich hingegen, ich kann mich rühmen, unter Anführung meines treflichen Lehrers, ein gutes Stück der Ueberbleibsel dieses Schriftstellers in der Grundsprache gelesen zu haben. Sehen Sie, wie weit ich Sie hinter mir lasse? Aber dem ohngeachtet bin ich fest entschlossen,[28] die erste gelehrte Vergleichung, die Sie wieder machen, mit einem lateinischen Briefe zu bestrafen. Ich kann noch ziemlich gut dekliniren, Ancilla und Scamnum macht mir eben keine Schwürigkeiten. Sie haben nun einmal meinen Trieb rege gemacht, bey aller Gelegenheit etwas gelehrtes auszukramen; schreiben Sie Sich es also selbst zu, daß Sie diesmal einen Brief, nach den Regeln des Lampertischen Geschmacks eingerichtet, von mir erhalten, das ist, in welchen so viele Sprüchwörter und Sentenzen eingestreuet sind, als ich werde aufbringen können. Eine habe ich schon auf der Zunge, ich will Sie damit bestechen, daß Sie meinen Scherz nicht für eine Satire aufnehmen. Ihnen gefällt mein aufgeräumtes Gemüth. Sie nennen es einen glücklichen Charakter, daß ich mich nicht immer mit einem Haufen Sorgen schlage, und ein Vergnügen darinne finde, mich selbst zu beunruhigen: aber Sie irren Sich. Sie haben bei Ihrer furchtsamen und ängstlichen Gemütsart, die Sie Sich zueignen, vor mir gar vieles zum Voraus.[29] Dadurch, daß Sie alles fürchten, werden Sie auf eine genaue Untersuchung aller Umstände geführet, die Ihnen vorkommen; Sie sehen alle unangenehme Folgen von weiten, und werden von keinem Verdrusse unbereitet überraschet; Sie können also mit leichter Mühe vielen Verdrüßlichkeiten ausbeugen, worinn mich meine Leichtsinnigkeit unbemerkt verwickelt. Ihr Mistrauen führet Sie zur Sicherheit. La mésiance est la Mere de la Sûreté, das ist Richelets Ausspruch, eines Mannes, der bei mir sehr viel gilt.


Die Frau v.W. hat nicht gestatten wollen, daß Sie den Brief Ihres Anbeters zu Gesichte bekämen, Sie versuchen es, ihre Absicht dabei zu entdecken; aber mich dünkt, Sie sind hierbei nicht sonderlich glücklich gewesen. Ich will Ihnen das Verständniß eröffnen. Ihre Frau Mutter hasset gegenwärtig meinen Oncle eben so sehr, als sie ihn vor einigen Wochen hoch schätzte, und sie bemühet sich mit eben dem Eifer, die Flammen auszutilgen, mit welchem sie solche entzündet[30] hat. Ist es nicht der Klugheit gemäß, ihm alle Gelegenheit abzuschneiden, sich einen Zugang zu Ihrem Herzen zu verschaffen? Wie leicht könnten Sie nicht, durch einen so zärtlichen Brief, als Ihr Anbeter unfehlbar geschrieben hat, zum Mitleiden gegen ihn bewogen werden? Wenn eine Schöne nur erst einem schmachtenden Liebhaber ihr Mitleiden schenket, habe ich sagen hören, alsdenn hat er gewonnen Spiel. Der Herr v.N. hat auf das Ihrige die gerechtesten Ansprüche. Hat er nicht Ihrentwegen Wind und Wetter auf sich losstürmen lassen? Hat er nicht um Ihrentwillen Leib- und Lebensgefahr ausgestanden? Hat er nicht Ihnen zu Ehren sich tapfer bezeigt, und sind Sie nicht die einzige Ursache, daß er auf seinem Lager unter den Schmerzen seines podagrischen Fußes seufzet? Alle diese Umstände, wenn ihnen der reizende Liebesbrief noch einiges Gewichte gegeben hätte, würden ein so sanftes Herz als das Ihrige nothwendig erweichet haben. Untersuchen Sie ob ich die Absichten der Frau v.W. nicht tiefer eingesehen[31] habe, als Sie selbsten. Ja ja, das war eine Probe ihrer Staatsklugheit, daß sie Ihnen den Brief des Herrn v.N. verheelen wollte, sie dachte an das alte Sprüchwort: petit à petit l'oiseau fait son nid. So ist es! Aus einem kleinen Funken entstehet oft ein großes Feuer.


Aber sagen Sie mir doch, warum Sie immer bereit sind, Ihrer Stiefmutter einen blinden Gehorsam zu leisten, nicht anders, als wenn sie Ihre Priorin wäre, sie kann Sie doch nicht mit der Katze essen lassen, wenn Sie es nicht thun? Sie befiehlt, und Sie erfüllen ihre Befehle pünktlich, auch da, wo es Ihnen viel beschwerlicher wird, ihr Gehorsam zu leisten, als wenn Sie ihr solchen versagen. Meine Stiefmutter dürfte sie nicht seyn. Der blinde Gehorsam, was für ein verhaßtes Wort! Doch vielleicht würde sich meine Gemüthsart besser für sie schicken, als die Ihrige. Nach einem kleinen Hauskriege von vierzehn Tagen würden wir die besten Freunde seyn. Wagen Sie es einmal,[32] und kündigen Sie ihr eine Zeitlang allen Gehorsam auf, Sie werden Wunder sehen. Sie muß in ihrem Elemente angegriffen werden. Wenn sie schnäubt und braußt, so erwiedern Sie gleiches mit gleichem. Wenn sie mit einer angenommenen Freundlichkeit etwas bitteres sagt; so geben Sie ihr alles mit eben dieser freundlichen Mine zurück. Dem Gifte muß durch seinen Gegengift die schädliche Wirkung benommen werden. Hören Sie, wie ein guter Auctor sich über diese Materie ausdruckt:


Oignez vilain il vous poindra,

Poignez vilain il vous oindra.


Ich glaube, er hat Recht. Das ist aber wohl Ihrem sanftmüthigen Charakter entgegen, Sie sind ein gutes frommes Kind, Sie wollen lieber Ihre Gebietherin mit guter Art gewinnen, als mit Sturm überwinden; Sie denken: il faut mieux plier que rompre. In der That, Sie sind auf einem guten Wege, ich billige ihn; für mich aber wäre er zu langweilig. Die Sonne mußte einen Wandrer lange liedkosen, ehe er ihr zu[33] Gefallen seinen Pelz ablegte; da er aber dem Sturmwinde eben diese Gefälligkeit versagte: so warf ihn dieser mit sammt seinem Pelze in einem Graben.

Was hat denn Ihre Frau Mutter mit dem Major v. Ln. für Familienangelegenheiten zu berichtigen? Haben sie etwan miteinander eine reiche Erbschaft gethan; oder wollen sie erst einen alten abgelebten Vetter sterben lassen? Halten Sie mir diese Frage zu gute, ich verlange nicht, daß Sie ihre Geheimnisse ausforschen sollen; ich bringe sie nur aus Bewunderung vor, daß die Frau v.W. und der Major noch gute Freunde sind. Sie eiferte ja sonst immer über ihn, und wünschte sich die Gelegenheit, ihm ihre Meinung einmal unter die Augen sagen zu können. Es scheint, daß Sie über den Major eine kleine Spötterei auslassen wollen. Sie scherzen über etwas, das mit zu seinen Vollkommenheiten gereichet. Ein Soldat, und besonders ein Major muß eine gesunde Lunge haben. Wie er sein Regiment muß überschreien können; so muß er auch alle Gesellschaften[34] überlachen können. Ich rathe es Ihnen, daß Sie ihn nicht zum Gegenstand Ihres Witzes machen; er scheint mit alledem ein feiner Mann zu seyn. Wenn ihn gleich nicht der Hof erzogen hat; so besitzt er doch eine gute Lebensart, wenigstens kann man nicht das Sprüchwort auf ihn anwenden: il est du tems,qu'on se mouchoit sur la manche. Sie werden denken: la belle plume fait le bel oiseau, der blaue Rock mit rothen Aufschlägen – wie mein Oncle sagte. Nein, dieser erweckt bey mir kein Vorurtheil. Ich denke, es ist Zeit, daß ich meinem Gewäsche ein Ende mache; wer weiß ob Sie Sich die Mühe nehmen, es zu lesen. Sie sind nicht gewohnt, die Schönheiten des Lampertischen Geschmacks einzusehen. Ich will es Ihnen gerne vergeben, wenn Sie den größten Theil meines Briefes überschlagen, wenn Sie nur die Versicherung annehmen, daß Sie nie aufhören wird zu lieben


Dero

aufrichtige Freundin und Dienerin

Amalia v.S.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 27-35.
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