VIII. Brief.

Das Fräulein v.W. an das Fräulein v.S.

[35] Den 3 Octob.


Loses Fräulein,


Wie weit können Sie einen kleinen unschuldigen Ausdruck treiben, von dem ich kaum glaubte, daß er Ihrer Aufmerksamkeit würdig wäre. Sie bestrafen mich für eine kleine Pedanterei, darein ich nach Ihrem Urtheile soll verfallen seyn, mit einem Briefe nach Lampertischen Geschmack. Eine gnädige Strafe in der That! die mir sehr vieles Vergnügen verschafft hat, und für welche ich glaube, Ihnen verbunden zu seyn. Um aber Ihren Verweisen in Zukunft zu entgehen: so habe ich mir vorgenommen, mein Pfund ganz und gar zu vergraben. Sie sollen Ihr Tage nichts wieder von mir hören, das, wie Sie[36] sagen, ein gelehrtes Ansehen hat. Das mag es seyn, was ich Ihnen wegen Ihres leichtfertigen Schreibens sagen wollte. Bereiten Sie Sich zu, nun eine Sache von Wichtigkeit zu vernehmen. Erschrecken sie nicht, sagt man, wenn man Jemand recht sehr erschrecken will, ich möchte es bald zu Ihnen sagen. Denken Sie nur, der Herr v.N. hat den Major in einem Briefe an meinen Vater aufs empfindlichste beleidiget. Meine Mutter hat ihn in die Hände bekommen, und nach ihrer Gewohnheit sogleich entsiegelt. Der Herr v. N. soll sie darinne auch nicht geschonet haben, und sie ist darüber so sehr aufgebracht, daß sie den Major heftig anliegt, seine und ihre Ehre zu retten. Das ist die Ursache ihrer geheimen Unterredung gewesen; welcher ich in meinem Briefe gedachte. Ich würde nichts von der ganzen Sache erfahren haben, wenn mir der Major das Geheimniß nicht selbst entdeckt hätte. Meine Mutter war nicht zugegen, und mein Vater schlief auf seinem Sorgestuhle. Was werden Sie davon denken, Fräulein Base, sagte er, wenn[37] ich mit ihrem Verehrer dem Herrn v.N. Händel bekomme, werde ich dadurch ihre Ungnade verdienen? Der Mann hat es zu arg gemacht, er verdient eine kleine Züchtigung, und ich hoffe nicht, daß Sie ungehalten darüber werden, wenn ich ihn ein wenig bessere.


Wie? der Herr v.N. sollte Sie beleidiget haben? das kann ich nicht begreifen, Sie haben ihm, so viel ich weiß nicht die geringste Gelegenheit dazu gegeben. Vielleicht gründet sich ihr Unwille gegen ihn nur auf einen Misverstand, er legt seine Worte nicht eben allezeit auf die Waage. O nein! sagte der Major, ich kann mich in der That von ihm beleidiget halten, wenn ich es thun will. Wie ich sehe, so wissen Sie noch nichts von unserm Zwiste; ich will Ihnen den ganzen Verlauf der Sache erzählen. Er eröffnete mir, was es für eine Bewandtniß mit dem Briefe hätte, den der Herr v.N. an meinem Vater geschrieben hat. Er fügte hinzu, seine Base, die Frau v.W. hätte ihm neulich durch einen expressen Boten[38] einladen lassen, und da er den Tag darauf gekommen wäre, hätte sie sich aufs heftigste über den Herrn v.N. beklaget; sie hätte ihn auch eine Abschrift dieses Briefes gezeiget, und wäre so erbittert auf den Herrn v.N. gewesen, daß sie es gerne würde gesehen haben, wenn er von Stund an sich nach Kargfeld zu dem podagrischen Greise begeben, und sich mit ihm auf dem Bette duelliret hätte. Um die ungestüme Frau nur in etwas zu besänftigen und sie abzuhalten, daß sie ihn nicht einer Feigheit beschuldigen möchte, hätte er in ihrer Gegenwart ein Cartel gegen den Herrn v.N. aufgesetzt; da ihr aber dieses viel zu glimpflich geschienen: so hätte sie ihm selbsten einen verwünschten Brief dictiret, welcher dem guten Manne das Podagra gewiß in den Leib würde getrieben haben, wenn er ihm solchen während dieses schmerzhaften Zufalls zuschicken wollte. Er hätte sich aber ein Gewissen daraus gemacht, die Quaal des Patienten zu vergrößern, und er würde ihm den Fehdebrief nicht eher einhändigen lassen, bis er wieder wohl wäre.[39] Ich sagte, es würde am besten seyn, wennes ganz und gar unterblieb, ich wüßte gewiß, daß der Herr v.N. nicht die Absicht gehabt hätte, ihn in dem Briefe an meinem Vater zu beleidigen, und wenn ja ein und der andere Ausdruck in demselben könnte gemißdeutet werden; so wäre es doch Niemand als meine Mutter, die eine schlimme Auslegung darüber machte, und ihrem Urtheile könnte man nicht trauen, da sie jetzo gegen den Herrn v.N. so sehr aufgebracht wäre. Er würde ganz und gar nichts an seiner Ehre verlieren, wenn er auch gleich diese Beleidigungen an dem Herrn v.N. nicht rächete, und er sollte selbst urtheilen, was man davon denken würde, wenn er den Grund zu seinen Händeln aus einem unterschlagenen Briefe herleiten wollte.


Er erkennte, daß dieses weder für ihn noch für die Frau v.W. sogar vortheilhaft wäre, da er sich aber einmal gegen diese anheischig gemacht hätte, ihr und seine beleidigte Ehre gegen den Herrn v.N. zu vertheidigen: so[40] läge es an weiter nichts, als an meiner Erlaubniß hierzu. Es wäre ihm bekannt, wie sehr ich wünschte, daß jedermann gut von mir urtheilen möchte; es könnte aber leichtlich geschehen, daß der Herr v.N. oder seine Anverwandten auf die Gedanken kommen könnte, ich hätte ihn aus Unwillen gegen diesen verhaßten Anbeter angestiftet, ihn vor die Klinge zu fordern: deswegen wollte er nichts unternehmen, bis ich ihm erst meine Meinung hierüber entdeckt hätte.


Dieser Vorwand schien mir ziemlich gezwungen zu seyn, er wollte etwas sagen, daß das Ansehen hätte, als wenn er wünschte, sich bei mir ein Verdienst zu machen: im Grunde aber wollte er nichts anders thun, als mir ein höfliches Kompliment machen. Ich that mein bestes, eben dieses auch gegen ihn zu beobachten; zugleich versuchte ich es, ihn dahin zu bewegen, aus dieser Kleinigkeit keinen Ernst zu machen. Er lächelte, und antwortete so, daß es schien, als wenn er geneigt wäre, die ganze Sache für einen[41] Scherz aufzunehmen; doch glaube ich, daß er es mehr that aus Gefälligkeit gegen mich, um mir nicht zu widersprechen, als daß es sein rechter Ernst war. Ich hatte mir vorgenommen, seine wahren Gesinnungen auszuforschen; aber die Wiederkunft meiner Mutter unterbrach das Gespräche. Sie kennen den Character derselben, sie wird alles anwenden, das Gemüth des Majors gegen Ihren Oncle zu erhitzen, und ich zweifle nicht daran daß es ihr gelingen wird. Diese Unterredung mit dem Major schion mir zu wichtig zu seyn, als daß ich sie Ihnen verscheigen sollte; Sie werden nebst Ihrem Herrn Schwager, von dieser Nachricht also nach ihrer Klugheit den Gebrauch zu machen wissen, der für ihrem Herrn Oncle der vortheilhafteste ist. Suchen Sie es wenigstens dahin zu bringen, daß der Herr v.N. sich eine Zeitlang ruhig hält, bis die erste Hitze vor über ist, und wo Sie können, so suchen Sie es zu verhüten, daß er nicht etwa meine Mutter vom neuen erbittert. Diese kleinen Beleidigungen könnten für ihn von wichtigen[42] Folgen seyn. Der Herr Baron und der Major v. Ln. sind ja sehr gute Freunde von Alters her, ich dächte, wenn sich Ihr Herr Schwager ins Mittel schlüge; so sollte wohl die ganze Sache so überhin gehen, ohne daß etwas sonderliches daraus gemacht würde. Dieses ist auch der aufrichtige Wunsch


Ihrer

ergebensten Dienerin

Juliane v.W.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite,Erster bis dritter Theil, Band 2, Eisenach 1761, S. 35-43.
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