Alverde an Alf von Dülmen.

1207.

[158] Pamiers.


Betrogen mich meine Augen, oder habe ich würklich meinen Bruder gesehen? Warst du es der heute in der Messe uns gegenüber an der Säule stand, ganz im Anschauen der schönen Alix verlohren? du, der sich zwey Stunden darauf der kastilischen Braut unter den Namen, Alf von Dülmen, vorstellen ließ? – Mein Erstaunen überwog meine Freude, sonst müßte ich mich gleich in deine Arme gestürzt, und den Namen Bruder ausgerufen haben, und doch weiß ich nicht was geschehen wär, hätte mich nicht dein gebietender Blick zurückgescheucht.

O daß der meinige die nämliche Kraft haben könnte! daß er dich von einem Orte zurückscheuchen möchte, wohin du nichts als Unglück bringen kannst. Bruder! Bruder! was willst du hier! du weißt doch wohl, das deine angebetete Alix, deren verführerisches Bild dir der verrätherische Kalatin, Gott weiß warum, in die Hände spielte, du weißt doch wohl, daß sie verlobte Königin von Kastilien ist? daß sie in wenig Tagen dem Grafen von Kastelmoro, als dem Stellvertreter seines Prinzen, vom Bischof von[158] Kastilien angetraut wird? Noch einmal, was willst du hier? verlangst du in dem Herzen noch einer unschuldigen Seele ein Feuer anzuzünden, wie du es schon bey einer andern ohne es zu wissen gethan hast? – O Adolf, laß ab von der verlobten Alix, das Herz einer andern spricht für dich, die so schön und unschuldig als jene, zwar ebenfalls verlobt, aber bey weiten noch nicht so fest gebunden als sie, vielleicht eher dein Glück machen wird, als die kastilische Braut. Bedenke, daß wir hier überall von wachenden Augen umgeben sind, bedenke vor allen die Blicke der zahlreichen Geistlichkeit, die hier überall auf uns treffen, du sagtest oft zu mir, die Bischöfe und Mönche wären deine Freunde nicht, warum ziehst du dich hier, wo alles von geinfulten und bekappten Herrn wimmelt, nicht zurück? Glaubst du, der Name, Alf von Dülmen, werde dich schützen? sollte unter so viel scharfen Augen nicht ein einziges Paar seyn, das dich kennte? – Und wozu der Einfall, der Gräfin von Toulouse im Namen ihres Bruders aufzuwarten, und ihr Schriften von seiner Hand zu überreichen, die ihr wohl heimlicher hätten eingeliefert werden können? Du hast dich in die Vertraulichkeit des Grafen eingeschlichen, um dich bey der Schwester einführen lassen zu können, aber so unvorsichtig zu verfahren, als du verfuhrst, ward dir[159] vermuthlich nicht aufgetragen. Du glaubtest wir wären ganz allein, und was würdest du sagen, wenn ich dich versicherte, daß wir dennoch beobachtet worden seyn mußten?

Die Fürstin von Kastelmoro, die man der Prinzessin aus Kastilien entgegen geschickt hat, bat sie noch am nehmlichen Abend, sich nicht durch allzuvieles Lesen die Augen zu verderben, und machte einige Versuche, sich der Bücher zu bemächtigen, welche der liebste Zeitvertreib der unglücklichen Alix sind, es gelang uns, ihren Augen die verdächtigsten, Henrich Brües und Peter Waldus Gedanken vom Fegefeuer, vom Ablaß, von den Bischöfen u.s.w. zu entziehen, aber die Uebersetzung der Evangelien ist doch in ihre Hände gerathen; Alix hat die ganze Nacht über den Verlust geweint, und ich weine in der Stille über die Folgen, die dieser Verlust haben könnte. – Alles dieses, erlaube mir es zu sagen, sind Folgen deiner Unvorsichtigkeit! – O des boshaften Kalatins, daß er durch das Bild der verlobten Alix dich auf Gedanken leitete, die, wie es scheint, deinen Verstand ganz benebeln, und deine jüngere Schwester, die einfältige Alverde, in den Fall setzen, dich zu recht weisen zu müssen, dich, dem sie bisher, und wie es mich jetzt dünkt, nicht allemal[160] zur Ehre der gesunden Vernunft blindlings folgte. – Oeffne die Augen, Adolf, erkenne doch, was es dich hilft, dich zum Anschau einer Person zu drängen, welche nicht mehr frey ist, und bey welcher aufs beste genommen, deine Gegenwart ganz nutzlos seyn wird, denn das wirst du doch nicht wünschen wollen, daß du einen Eindruck auf die unschuldige Seele machtest, daß du ihr Gefühle einflössest, welche sich mit der Treue nicht vertrügen, die sie in wenig Tagen dem Prinzen von Kastilien schwören soll? –

Ich werde diesen Brief dir diesen Abend, wenn du wieder unvorsichtig genug seyn solltest, uns beym Spaziergehen zu verfolgen, selbst in die Hand drücken. Die Fürstin von Kastelmoro, welcher dein geflissentliches Nachschleichen überall, wo wir uns blicken lassen, nicht entgeht, affektirt zu wähnen, du habest ein Auge auf mich geworfen; ich werde mich nach dir umwenden, dir einige harte Worte sagen, und beyläufig Gelegenheit suchen, dir dieses unvermerkt zuzustecken, es fremden Händen anzuvertrauen, wär unmöglich. – Hast du eine Antwort für deine Schwester, so verbirg sie in dem hohlen Baume am Ende der dritten Allee des Gartens, de la Mariniere, aber sie darf nichts enthalten, als Abschied auf[161] ewig, von Alix und den Gegenden, wo sie lebt. Begieb dich an dem kaiserlichen Hof, vielleicht daß dort ein besseres Glück dir lächelt, vielleicht, daß ich dir dort Nachricht von mir geben und mit mehrerer Sicherheit das nehmliche von dir erhalten kann.

Quelle:
Benedikte Naubert: Alf von Dülmen. Leipzig 1791, S. 158-162.
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