Alverde an Beatrix.

1209.

[300] Ich liege zu Regenspurg krank, liebt mich Beatrix, so wird sie kommen, meine letzten Seufzer aufzufassen, denn ob ich gleich eine Wiedergenesende[300] heiße, obgleich die Aerzte, die man wider meinen Willen mir zu Hülfe rief, mich so weit gebracht zu haben glauben, daß sie mir den Gebrauch der Feder gestatten können, so ist diese Besserung doch nur scheinbar; ich werde und will nicht leben! Der Tag täuscht meine Helfer, mein Befinden ist während desselben erträglich. Aber die Nacht ist meine Peinigerin! in ihren düstersten Stunden tritt allemal eine Furie an mein Bette, und wiederholt mir das, was ich sah, und das was ich hörte, und foltert mich mit den Schrecknissen der Zukunft. Sie nennt mich Brudermörderin, und reißt durch lebendige Vorstellung von dem, was ich that, und was ich so wohl vermeiden konnte, jede Nacht einen Theil von meinen Leben ab. Der Rest, der noch vorhanden ist, kann nicht groß mehr seyn, vielleicht ist er aufgezehrt, ehe ihr, theure Beatrix, meine Bitte erfüllt, vielleicht, ehe dieser Brief noch vor eure Augen kommt.

Im Fall denn, daß ich euch diesseit des Grabes nicht wiedersehe, und euch mündlich gewisse Aufträge an eure Schwester, die Prinzeßin von Kastilien geben kann, so vergesset nicht, was ich euch schriftlich sage, ihr wörtlich kund werden zu lassen. Euch wird es räthselhaft seyn, aber ich bitte euch, grübelt nicht zuviel in diesen Dingen, wenn ihr euer eigenes Herz nicht[301] durchbohren wollt. Vergeßt Alf von Dülmen, vergeßt Alverden, seine unglückliche Schwester, werdet die Gemahlin des edeln Mannes, den euch der Himmel zuführt; der Kaisername ist Ottos kleinstes Verdienst, ich sagte euch dieses oft, wenn ich euch durch Vorstellung eurer Bestimmung, von einer blinden Leidenschaft ablenken wollte. O, Beatrix, wissen wir auch allemal was wir wählen, oder was wir wünschen? Das Schicksal entreißt uns den Gegenstand unserer Wahl, und bietet uns einen andern, wir erheben ein großes Geschrey, und wissen nicht, daß es unser Unglück war, was wir unser Bestes, was der Himmel für uns wählte. –

Ich wiederhole es euch nochmals, Prinzessin, schlagt Ottos dargebotene Hand nicht aus, vergeßt Alf von Dülmen, und werdet Kaiserin; daß euch das Glück10 reicher als eure Schwestern machte, mag euch nichts zum frohen Leben helfen, wenn ihr thöricht genug seyd, um einer Chimäre willen den Sohn Heinrich des Lowen, den edeln Otto auszuschlagen, und dadurch den Tadel der ganzen Welt auf euch zu ziehen. Der Rang, den euch der Himmel anweißt, giebt euch aufs wenigste den Trost, den Wunsch eurer Eltern erfüllt zu haben, und für[302] Eure11 unmündige Schwester mit mehreren Anstand sorgen zu können. Nehmt dieses als die letzten Rathschläge einer sterbenden Freundinn, und vernehmet jetzt, was ich euch an Elisen aufzutragen habe.

Nach manchen innerlichen Kämpfen, faßte ich den Entschluß dahin zu gehen, wohin sie mir Auftrag gab; ich wankte lang, doch ich wähnte selbst bey der Sache intereßirt zu seyn, und Freundesrath bestimmte mich völlig. Der Bischoff von Sutri wußte, und billigte jeden meiner Schritte.

So rüstete ich mich denn. Ich verhüllte mich in Trauergewand, blos aus Rücksicht auf den Wohlstand, wie ich meynte, aber sollte nicht geheime Ahndung mich bey meiner Wahl in dieser Kleinigkeit gelenkt haben? Ahndung, daß ich von nun an zu ewiger Trauer bestimmt sey! Es ist möglich, daß ich im Drang unerklärbarer Gefühle, zu meinen Frauen Worte gesagt habe, welche halbe Deutung auf mein Geschick haben könnten; ich weiß nicht mehr, was ich sagte.

Ein heimliches Grauen befiel mich, ob dem Wege den ich betreten sollte, doch betrat ich ihn einsam, so wollte es meine Anweisung.[303] Es dauerte nicht lang, so fand ich meinen Führer, er leitete mich, ob nahe oder fern, ob in Stunden oder Wochen, das thut nichts zur Sache, genug er leitete mich an den Ort, wo die Richter richteten; eine geschlossene Ehrfurcht gebietende Versammlung! Als Klägerinn trat ich vor derselben auf und zitterte, was muß hier der Beklagte fühlen! –

Man bedeutete mich, nicht ehe zu sprechen bis ich aufgefordert würde, und ich schwieg. Vor meinen Ohren wurden Dinge abgethan, die ich nicht nachsagen darf, denn man trug Sorge, meine Lippen beym Eintritt in den geweihten Ort, mit einem Eide zu versiegeln. Aus allen Bezirken des Deutschen Reichs, auch noch aus fernern Gegenden, standen Zeugen auf und zeugten von ungeheuren Verbrechen. Kläger, die von andern Richtstühlen zurückgewiesen worden waren, suchten hier Genugthuung und fanden sie. Die ausgesendeten Diener der Rache, wurden aufgerufen, und empfingen durchs Loos Anweisung zu schrecklichen Geschäften; Andre traten auf, und legten Rechnung ab, wie sie das anvertraute Schwerd hie und da nach Befehl gehandhabt hatten; Ach das Blut des Freundes und des Bruders haftete an manchem, und die Thränen flossen in seine Erzehlung.[304]

Mir ward das Blut zu Eis bey diesen Auftritten, o Elise, hättest du alle Schrecknisse des Auftrags gewußt, den du der armen Alverde gabst, du würdest ihrer geschont haben. Einige der Männer unter welchen ich stand, – (kein Weib war überall gegenwärtig) – hatten Mitleid mit der Bewegung, in welcher sie mich sahen, und unterstützten mich, daß ich nicht sank. Einer von ihnen wagte es, das heilige Stillschweigen, das hier ausser den Stimmen am Richterstuhle herrscht, zu brechen, und mir Verwundrung, eine Person meines Geschlechts hier zu sehen, zuzuflüstern, ein anderer bewunderte meinen Muth mich an diesen Ort zu wagen. – Ich antwortete nicht; mein gerühmter Muth verminderte sich von Augenblick zu Augenblicke, und er war ganz hin, da man mich zum Sprechen aufforderte.

Ich ward an die Stufen des Throns geleitet, aber ich konnte nichts weiter thun als niederfallen, und die Hauptworte meines Gesuchs stammeln. Man fragte mich, ob ich Kaiser Philipps Tochter sey? ich verneinte und nannte den Namen der Prinzeßinn, auf deren Befehl ich erschien. –

Eine grosse Untersuchung begann; Personen waren gegenwärtig, welche wohl um die That[305] wußten, und mehr hierüber sagen konnten als ich selbst vermochte. Die Zeugen und Beysitzer des grossen Gerichts, sind die lebendigen Verzeichnisse von allem, was hier des Forschens bedarf. Kein Fall kann vorkommen, über welchen nicht einer aus der Versamlung bündige Auskunft zu geben wüßte.

Nachdem alles vorgebracht war, was zur Sache taugte, nannte man einmüthig den Namen Pfalzgraf Ottos von Wittelsbach. Ich hatte indessen Muth genug gefaßt, seine Vertheidigung zu übernehmen, ich zog den Brief der Kaiserinn Irene vor, welcher den besten Beweis seiner Unschuld enthielt, auch erhub sich einer aus der Versammlung, den ich schon vorher wohl bemerkt und gekannt hatte, den Wittelsbacher schuldlos zu erklären. Man forderte Beweise von ihm; die Stelle, antwortete er, die ich in diesem Gericht bekleide, berechtigt mich, mein blosses eidliches Wort, als beweisend anzugeben.

Wittelsbach war also entschuldigt, und nun erhub sich eine Stimme, den Mörder Kaiser Philipps aus allen Gegenden der Welt zur Strafe herbey zu rufen; mir bebte das Herz, als wär ich die Verbrecherinn! – Eben wollte man weitere Verfügung zu Herbeybringung des Schuldigen auf den nächsten Gerichtstag[306] treffen, da stand einer von den Höchsten aus der Versammlung auf und rief; Ich, Ich bin der Mörder! Verführung und halber Wahnsinn könnten mich entschuldigen, aber – –

Ein fürchterliches Getös erhub sich auf der ganzen12 Fläche, so weit des Sprechers Worte gehört worden waren. Es war etwas unerhörtes, einen Beysitzer des furchtbaren Gerichts, als Verbrecher aufstehen zu sehen, die ganze Versammlung erhub sich, alle Stühle wurden mit Geräusch umgekehrt, alle Lichter gelöscht, nur der Mond erhellte mit seinen Stralen die grauenvolle Scene.

Von Entsetzen übermocht, war ich zur Erde gesunken, der, welcher sich als Kaiser Philipps Mörder bekannte, der, wider welchen ich das Rachschwerd aufgerufen hatte, war eben derjenige, welcher zuvor nebst mir zu des Pfalzgrafen Vertheidigung gesprochen hatte, es war – – – – O Elise! schenkt mir den Namen!

Gänzliche Bewustlosigkeit würde mir in meiner Lage Wohlthat gewesen seyn, der Himmel begnadigte mich nicht mit derselben, ich blieb bey mir selbst um zu hören, wie der, den[307] ich liebte mit den fürchterlichsten Flüchen belastet, und hinaus gewiesen ward, aus der Versammlung, daß ihn töde wer ihn finde, weil dieser Ort zu heilig sey sein Blut zu vergiessen. Ich sprang auf, ihm zu folgen, man hielt mich zurück; man zog das Loos, über die bestimmten Henker des Unglücklichen wider den ich die Rache geweckt hatte, aber ich vernahm die Namen nicht; endlich besiegte die Verzweiflung die Kräfte der Natur, und ich sank in einen Zustand des Nichtseyns, aus welchem ich erst nach mehrerern Tagen hier in Regenspurg, in dem Hause eines Verwandten, in welches man mich aus jenem Schreckensorte gebracht hat, erwachte.

Ich zürne mit der Natur, daß sie sich aus dem gefahrvollen Zustande, in welchem ich dem Tode nahe war, empor half; doch die Hoffnung zu sterben, bald zu sterben, ist noch nicht erloschen, wie wärs möglich, das, was ich im Stillen leide, lang auszuhalten?

Eilet, Beatrix, wenn ihr mir den Trost gönnet, euch diesseit des Grabes noch einmal zu umarmen, eilet zu mir nach Regenspurg! Von dort aus habt ihr kaum den halben Weg nach Frankfurt, und ihr könnt so gleich vom Grabe der Freundinn nach dem Traualtar gehen.[308]

O Elise, könnte ich auch dich noch einmal umarmen! Doch wohl dir, daß du nicht hier bist meinen Jammer zu sehen, den du besser als irgend jemand verstehen würdest! Leb wohl! – Dort, wohin Alix voran gegangen ist, sehen wir uns wieder.

Ach dein letzter Brief an mich, enthält manches in Rücksicht auf die Gräfinn von Toulouse, darüber ich gern dein Urtheil berichtigen möchte! – Mein Trost ist, daß dort nicht Verirrungen des Verstandes, nur des Herzens gerügt werden, doch wehe denen die dich verabscheuen lehrten, was du ehemahls mit so heissem Eifer für wahr erkanntest! Wisse, du hast keine Stunde deines Lebens zu bereuen, die du mit Alix zubrachtest, und ich nenne mich um keiner Handlung willen eine Sünderinn, als um derjenigen, die mich jetzt zum Grabe befördert; noch mehr, ich würde gegenwärtig ganz ohne Trost seyn, wüßte ich nicht, was ich zu Toulouse lernte.

Dies dir, meine Elise! und dir Beatrix nochmahlige Einladung zur Eile![309]

Quelle:
Benedikte Naubert: Alf von Dülmen. Leipzig 1791, S. 300-310.
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