Beatrix an Elisen.

1209.

[310] Alverdens Brief, den du nun erhalten haben wirst, und den ich besser verstand, als eine von euch denken mag, ließ mir kaum Kraft übrig, die eilige Reise zu beginnen, die mir unsere Freundinn empfahl; aber den Entschluß, des Kaisers Bewerbung um meine Hand nicht zurück zu weisen, zu dem man mich schon halb überredet hatte, diesen fest zu machen, bewies er seine volle Kraft.

Ich weiß, ich werde auf kurze Zeit Kaiserinn seyn, aber diese kurze Zeit sey angewandt Pflichten zu erfüllen, die ich nicht anders als auf dem Throne vollbringen könnte. Wollte Gott, ich wär schon Ottos Gemahlinn! wollte Gott, ich könnte schon jetzt vom Throne den Ausspruch thun: Ich Philipps Tochter, verzeihe seinem Mörder! ich will nichts von Rache hören, meine erste Bitte an die Gerechtigkeit, und an den Handhaber derselben, den Kaiser, ist Schonung! Schonung für die Schuldigen und Unschuldigen! – Meynst du nicht, Elise, daß der Kaiser Macht, Gerechtigkeit für die hat, allen Rächern, allen, du verstehst mich, allen sage ich, Einhalt zu thun?[310]

Arme, unglückliche Schwester! ich denke mir, wie seit den letzten Briefen aus Deutschland deine Thränen geflossen seyn werden!

Sehr unvorsichtig hat man dir, wie ich höre, berichtet, daß auch über den Pfalzgrafen, so unschuldig er seyn mag, die Reichsacht ergangen ist, und du beweinst also ohngefähr, was ich beweine; nur ohngefähr, nicht ganz. Verleumdete Tugend ist der Gegenstand deines Kummers, meine Thränen fliessen für das Verbrechen! Wer ist am meisten zu beklagen?

O Schwester! wär der Antheil, den wir an dem Verderben dieser Unglücklichen haben, nur nicht so groß! Himmel! wozu hat man uns verleitet! Man hat uns zu Anklägerinnen derjenigen gemacht, die wir gern mit einem Theil unsers Blutes retten würden! Otto, der Kaiser, denkt, die Erklärung seiner Liebe gegen mich nicht besser einleiten zu können, als mit der Versicherung, daß Wittelsbach sterben solle. Wittelsbach der Unschuldige, mein ehemahliger Freund, mein gehofter Bruder: Auch um ihn fliessen meine Thränen, fliessen fast so häufig um ihn, als um den andern, den ich nicht nennen mag! Ich habe dem Kaiser um Schonung geschrieben, ich sehne mich nach dem Tage, da mir der Name Gemahlinn noch mehr Recht über sein Herz und seine Handlungen giebt,[311] ach daß nur nicht denn alles schon zu spät sey! Die Rache hat Flügel, wer will sie einholen.

Ich hasse jetzt jeden, der mich an den Abgrund von Elend leitete, an welchem ich jetzo stehe; oft wenn ich über das ganze All unserer Unfälle nachdenke, so ist mirs, als herrschte durchaus eine verborgene feindseelige Macht, die alles zu unserm Verderben leitete, die uns selbst zu Werkzeugen desselben machte, die uns handeln lehrte, wie wir nicht handeln wollten, und uns gerade das vollbringen ließ, was wir verabscheuten.

Hier sind Abgründe, die weder du noch ich jemahls durchschauen werden; Hände haben hier gewürkt, Triebräder in die grosse Maschiene, die zu unserm Verderben in Gang gesetzt wurde, eingegriffen, auf die wir wohl nie rathen durften.

Die, welche uns sichtbar am Seil führten, waren Sutri, und der Bischoff von Speyer. Den letzten entschuldige ich, ich kenne den alten Mann hinlänglich, um ihm zuzutrauen, daß überall Treue gegen seinen unglücklichen Kaiser, und Wünsche seine verlassenen Töchter zu beglücken der Grund seiner Handlungen war; aber was soll ich von Sutri denken? –[312]

Wider meinen Willen ist er mir nach Regenspurg gefolgt. Er quält die schwache Alverde unabläßig um Mittheilung verborgener Dinge, zu deren Augenzeuginn sie seine hämische Staatsklugheit zu machen wußte; er, der wohl von Männern Geheimnisse herauszulocken wußte, glaubte von einem schwachen Frauenzimmer alles erfahren, ihre Augen ganz wie die seinigen gebrauchen zu können; aber er irrte. Alverde mußte, wie ihr Brief sagt, Geheimhaltung gewisser Dinge beschwören, und es fehlt ihr nicht an Festigkeit, ihren Eid zu halten. Auch sie scheint jetzt Sutri aus einem andern Lichte zu betrachten als vordem, da er sie mit seiner schlauen List sowohl als dich und mich eingenommen hatte; sie haßt und flieht ihn. Bey ihm will gleichfalls die Maske der Freundlichkeit gegen sie nicht mehr recht haften; er spielt oft auf ihren Irrglauben an, nennte sie jüngst öffentlich eine Waldenserinn, und sprach viel von den Verfolgungen, die diese unglücklichen Leute jetzt in Toulouse auszustehen haben, oder von dem Triumpf des Glaubens, wie er es zu nennen pflegt.

Meinst du nicht, Beatrix, sagte die arme Alverde zu mir, meinst du nicht, daß ich mich bald zum ewigen Schlafe niederlegen muß, wenn ich ruhig und ungefoltert sterben will? Ich schloß sie in meine Arme. Wenn Beatrix Kaiserinn[313] wird, sagte ich, so wird sich niemand unterstehen, ihre Busenfreundinn anzutasten. Du vermissest dich viel! antwortete sie; wollte Gott, das Gute wäre alles schon gethan, das du dir in den Sinn nimmst.

Uebrigens sprechen wir wenig von den Dingen, die uns am meisten am Herzen liegen, und nichts von dem Inhalte ihres letzten schrecklichen Briefs; ich fühle die Nothwendigkeit, sie auf alle Art zu schonen. Sie muß wissen, daß ich jedes Wort desselben verstehe, sie schrieb ihn vielleicht in der Absicht nicht unmittelbar an dich, daß ich ihn lesen, und aufs wenigste Muthmaßungen fassen könnte, die mich zu meiner Pflicht antrieben. Sie handelte recht; die Bande, welche mich an den unglücklichen Alf von Dülmen fesselten, mußten gewaltsam zerrissen werden, wenn der Kaiser nicht abgewiesen werden sollte.

O Alf von Dülmen! Alf von Dülmen! wer hätte das von dir gemeint! noch bist du mir ein Räthsel! Verführung und halber Wahnsinn machten dich zum Mörder, sagtest du? – Ach ja wohl Verführung! Auch wir sind in ihre Stricke gefallen, auch uns hat sie zu Mörderinnen gemacht! sind du und der Pfalzgraf nicht zu retten, so klebt euer Blut an unsern Händen![314]

Quelle:
Benedikte Naubert: Alf von Dülmen. Leipzig 1791, S. 310-315.
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Alf Von Dülmen: Oder Geschichte Kaiser Philipps Und Seiner Tochter , Aus Den Ersten Zeiten Der Heimlichen Gerichte (German Edition)