Alverde an Irene.

1207.

[131] Ja, meine Kaiserin, ich weiß es, daß ich euch die Geschichte meines kurzen Lebens schuldig[131] bin, die Gnade, mit welcher ihr euch für mich verwendetet, den Schutz, den ihr mir gewährtet, ehe ich noch wußte, daß ich desselben bedürfe, machen mir die Aufrichtigkeit zur Pflicht, auch ists möglich, daß meine eigene Ehre es nöthig macht, daß ich rede, wo Schweigen mir Verdacht bringen könnte.

In einem kleinen nicht unzierlichen Hause einer Landschaft, die ich nicht nennen darf, wenn ich nicht eidbrüchlich werden will, verlebte ich die ersten Jahre meines Lebens, alles was mich umgab, zeigte ehe von Mittelmäßigkeit als Ueberfluß, und sagte mir, was mich mein Vater oft versicherte, daß ich die Tochter eines unbemittelten Hauses sey, deren künftige Aussichten auf Glück in der Welt, sich blos auf Tugend und gute Aufführung gründeten; ich fragte, als ich über das, was man mir vorsagte, nachdenken lernte, was Tugend sey, und mein Vater führte mich in das Haus einer benachbarten Edeldame, die, wie er mich versicherte, mir meine Frage besser beantworten könne, als irgend jemand. Sie ist die Tugend insicht barer Gestalt, sprach er, suche ihr gleich zu werden, so wirst du tugendhaft seyn. – Ich warf mich in die Arme der Frau von Remen, so hieß die Dame, welcher ich vorgestellt wurde, und bat sie, mich doch geschwind zu lehren, wie ich ihr[132] ähnlich werden könnte, weil ich nichts liebenswürdigers kennte als sie, und weil man durch ihre Nachahmung, wie mein Vater versicherte, glücklich würde; Thränen standen der edeln Frau bey meiner kindischen Aeußerung im Auge, vielleicht daß die ungesuchte Schmeicheley, die ich ihr sagte, sie rührte, vielleicht, daß die Ueberzeugung, mit welcher ich Tugend und Glück in meinen Vorstellungen paarte, ihr Erfahrungen vom Gegentheil in den Sinn brachte. –

Ich kannte die Frau von Remen schon lange, sie war die vertraute Freundin meiner Mutter gewesen, und hatte, als diese starb, eine Art von Vorsorge für ihre Hinterlassenen übernommen: meine Mutter hatte es ihr sterbend empfohlen, ihrem Gemahl und ihren Kindern ihren Verlust so viel es möglich zu ersetzen.

Ich war bisher schon oft in dem Hause der guten Dame gewesen, jetzt, da mich ihr mein Vater auf so eine besonders feyerliche Art empfohlen hatte, verließ ich es fast nie. Ich hatte noch einen Bruder, welcher einige Jahre älter war als ich, er ließ sich zuweilen herab, Theil an meinen Spielen zu nehmen, und ich mißte seinen Umgang, den ich von nun an sparsamer genoß, ungern; doch was ich in ihm verlohr, das fand ich in dem Sohne meiner zweyten[133] Mutter, in dem jungen Evert von Remen zweyfältig wieder; er beschäftigte sich mehr und auf weit gefälligere Art mit mir, als mein Bruder Adolf, wie er denn überhaupt mehr einnehmendes in Bildung und Charakter hatte als jener. Mein Bruder war ein wilder stürmischer Jüngling, Evert von Remen sanft, nachgebend und mild, wie seine Mutter.

Einige Jahre, die glücklichsten meines Lebens verflossen auf diese Art, ich war bald bey meiner Pflegmutter, bald bey meinem Vater, ließ mich bald von dem feurigen Adolf zu Beschäftigungen, die ihm behagten, hinreißen, und spielte bald mit meinem jungen Freunde stille Spiele, oder neckte ihn durch kleinen kindischen Muthwillen, denn dieses merkte ich, so jung ich war, gar bald, daß ich aus ihm machen konnte, was mir gefiel; eine Entdeckung, die mir schmeichelte. Evert war der einige unter den Erwachsenen, mit denen ich Umgang hatte, der sich von mir gängeln ließ, der erste und einzige, der mir bald durch kleine Schmeicheleyen, bald durch die gränzenlose Gefälligkeit, mit welcher er sich nach meinen Grillen bequemte, ein Gefühl von meiner Wichtigkeit beybrachte.

Ich hatte das zehende Jahr zurückgelegt, als das Schicksal mir meinem Vater entriß. Meine Pflegemutter, ihr Sohn, mein Bruder[134] und ich umringten sein Sterbelager, um seine letzten Seufzer aufzufassen. Alverde, sagte er, ich verlasse dich, aber du verlierst wenig an mir, da ich dir die Frau von Remen zur Mutter gegeben habe, ich wünsche, das Glück mag auch in Zukunft aus dir machen was es wolle, daß du ganz ihre Tochter werdest; wie das geschehen soll, das wird sie und dein Freund Evert von Remen dir sagen, wenn du älter bist. Umarmt euch, meine Kinder, und seyd glücklich, wenn euch einst festere Bande verbinden!

Evert, der diese Worte vermuthlich besser verstand als ich, küßte mich, und ich weinte. Ich wollte mich darauf wieder an dem Bette meines Vaters niederwerfen, und seine erstarrende Hand ergreifen, aber er bat die Frau von Remen, sich mit mir zu entfernen; sie macht mir das Sterben schwer, sagte er, auch habe ich, ehe ich den Mund auf ewig schließe, noch einige Worte insgeheim mit meinem Sohne zu reden.

Ich folgte meiner zweiten Mutter auf ihr Schloß, und sahe das Haus meines Vaters nicht wieder, als am Tage seiner Beerdigung. Mein Bruder hatte mir nie mehr mißfallen, als in seiner Trauer, die wohlthätigen Zeichen des Kummers, die Thränen fehlten ihm ganz, sein Betragen war nicht Gram, nicht Wehmuth, war Verzweiflung. Er warf sich einmal über das[135] andre auf den Leichnam unsers Vaters, der nun eben beygesetzt werden sollte, sprang denn auf, rang die Hände und schrie: Ach daß diese Augen sich zu frühzeitig schlossen, um bessere Tage zu sehen! daß diese Lippen sich so spät öffneten, mir zu sagen, wo ich ein Glück finden sollte, das nun mein bester Freund nicht mit mir genießen wird! – Niemand verstand diese Worte, aber wir wiederholten sie uns in der Folge oft, und sie wurden für die Frau von Remen, ihren Sohn und mich die Quelle tausendfacher Muthmaßungen, die wahrscheinlich alle ihres Zwecks verfehlten.

Kaum ein Tag war nach der Beysetzung unseres Vaters verflossen, so erklärte mein Bruder, wie er genöthigt sey, eine Reise zu thun, deren Ende und Folgen er noch nicht absehen könnte – Es gehe, wie es wolle, setzte er hinzu, indem er sich zu der Frau von Remen wandte, die Dinge, welche ich vor mir habe, glücken oder sie glücken nicht, so empfehle ich euch meine Schwester, lasset sie in eurem Hause wohnen, lasset sie eures Umgangs, eures Unterrichts geniessen, bis ich sehe, was das Schicksal aus mir machen wird.

Die Frau von Remen nahm mich zu sich, Adolf reiste, aber ich habe vergessen die Zeit seiner Abwesenheit zu messen, weil sich während[136] derselben in dem Hause wo ich als Kind aufgenommen wurde, Dinge zutrugen, die meine Thränen um meinen Vater wieder hervorriefen, und meine ganze Aufmerksamkeit an sich rissen. Der Vater Everts von Remen, der Busenfreund des meinigen starb, ich glaube Gram um den Verstorbenen war es, was ihn demselben so schnell folgen ließ.

An meinem jungen Freunde lernte ich jene Art des Traurens kennen, die mit meinen Gefühlen harmonirte, und die ich an meinem Bruder so sehr vermißt hatte. Evert, immer sanft und gemäßigt, äußerte bey dem Verlust seines Vaters, so tief er ihn fühlte, nichts von Adolfs stürmischem Ungestüm, wir weinten mit einander, wallfartheten zu den Gräbern unserer Verstorbenen, sprachen von ihnen, und fühlten unsere gegenseitige Zuneigung durch das harmonische unserer Empfindungen gestärkt; damals, glaube ich, fühlte ich es zuerst, daß Evert von Remen mir mehr war, als mir je ein Jüngling werden konnte, wir waren einander durch die letzten traurigen Begebenheiten unsers Lebens näher gerückt, mich hatten sie um einige Jahre älter, und weniger leichtsinnig gemacht, und er war durch dieselben wo möglich noch sanfter und liebenswürdiger geworden, als er zuvor war.[137]

Mein Bruder kehrte zurück, aber wer hätte die Art ahnden sollen, wie er zurück kehrte! Das Glück hatte ihn aus einem gemeinen Ritter zum großen Herrn, aus einem unbegüterten Edelmann zum reichen Besitzer großer Ländereyen gemacht. Unsere Vorfahren, das war erwiesen, hatten Ansprüche auf diese Dinge gehabt; mein Vater hatte sein Leben zu Wiedererlangung derselben vergeblich verarbeitet und vertrauert, aber wer Adolfen zu Erlangung so lang unmöglich erfundener Dinge geholfen habe, das konnte niemand errathen.

Ich hielt meinen Freund für den Vertrauten meines Bruders, und befragte ihn um diese Dinge, er zuckte die Achseln und schwieg. Ueber meine Unwissenheit in Ansehung des Grunds eures Glücks, fing er endlich an, wollte ich mich noch beruhigen, wär ich nur ihrer Folgen gewiß. – Wie versteht ihr das, Herr von Remen? erwiederte ich. Wird die Gräfin Alverde, sagte er, die Gesinnungen beybehalten, mit welchen sie mich in ihrem niedern Stande beehrte? – Ich werde immer eure Freundin seyn! sagte ich. Immer Freundin, und sonst nichts mehr? rief er, o Alverde! Euer Verstand übertrifft eure Jahre, ihr solltet wohl wissen, daß ich auf zärtlichere Gefühle hoffen darf. Ich erröthete, und versprach zum Beweis, wie werth ich ihn[138] schätze, jede andere Gesellschaft außer der seinigen zu fliehen, und das Schloß meines Bruders, welches jetzt nie leer von Fremden wurde, nie zu besuchen, als wenn es ganz einsam wär.

Was ich gelobt hatte, das hielt ich eine Zeitlang treulich. Nur ein einziges mal traf sichs, daß ich einen jungen Herrn vom kaiserlichen Hofe bey meinen Bruder fand, als ich ihn ohne Gesellschaft glaubte, es war Peter von Kalatin, und ihr, meine Kaiserin, die ihr ihn kennt, werdet urtheilen, ob es ihm gelang, mich fest zu halten. Anfangs blieb ich aus Achtung gegen meinen Bruder, und aus Furcht durch schnelle Entfernung den Wohlstand zu beleidigen, in der Folge waren es seine Gespräche, die mich fesselten. Hatte Peter von Kalatin die Absicht, meine Entfernung zu hindern, so hätte er den Gegenstand der Unterhaltung nicht glücklicher wählen können; er sprach von euch, gnädige Frau, und euren reizenden Töchtern; die wahren treffenden Züge, mit welchen er euch schilderte, hier beyzubringen, verbietet mir Bescheidenheit und Ehrfurcht; aber so weit die Personen, die ich hier zum erstenmal gleichsam im Bilde sahe, dieses Bild übertreffen, so war es doch reizend genug, den Wunsch nach persönlicher Kenntniß in mir zu erregen.[139]

Ganz von euch erfüllt, kehrte ich zu der Frau von Remen zurück, und enthüllte ihr alle meine Wünsche. Mein Kind, sagte sie, dein Verlangen ist nicht unbillig, dein Stand erfordert es überdem, daß du bey Hofe vorgestellt werdest. Gedulde dich noch einige Jahre, und ich will dich selbst dahin begleiten, wohin dein Herz drängt. Die Jahre, welche mein Sohn den ritterlichen Uebungen weihen muß, kannst du nicht besser, als in der Schule der Tugend, an dem Throne der Kaiserin Irene zubringen.

Diese Jahre vergingen. Das Verlangen von euch und den Prinzessinnen zu hören, trieb mich oft auf das Schloß meines Bruders, wenn ich Peter von Kalatin daselbst wußte. Evert von Remen, der ihn nicht leiden konnte, trauerte bald, bald zürnte er darüber. Das Lob der kaiserlichen Damen, sagte er eines Tages, wird bald mit dem Lobe der schönen Alverde abwechseln, und ihr müßtet kein Fräulein seyn, wenn ihr das letzte nicht weit lieber anhören solltet, als das erste.

Was mein Freund besorgt hatte, das geschah; ich hörte es nicht ungern, daß Kalatin mich versicherte, ich sey nicht weit hinter den vortreflichsten Frauen der Welt zurück, und ich würde sie dereinst ganz erreichen. Seine Schmeicheleyen wurden immer süßer, und behagten mir[140] um so vielmehr, da Evert von Remen in seinem Unwillen, den er wieder mich gefaßt hatte, mir wenig angenehmes vorsagte, und mir es ein wenig zu oft zu verstehen gab, daß ich durch das väterliche Wort für ihn bestimmt sey, und daß es meine Pflicht erfordere für niemand Augen und Ohren zu haben, als für ihn.

Ich war thöricht genug, hierüber gegen meinen Bruder zu klagen, Kalatin erfuhr davon, und wußte meinen armen Freund mit seinem beißenden Witze auf so eine unbarmherzige Art lächerlich zu machen, daß der eine bey mir dadurch soviel gewann, als der andre verlohr. Kalatin spottete, so geistreich Evert von Remen war, so steif wurde er durch das wachsende Mißverständniß, in welchem wir lebten, noch so viel mehr, daß ich kein zwölf oder dreyzehnjähriges Mädchen hätte seyn müssen, um nicht den ersten liebenswürdiger als den andern zu finden.

Mein Bruder liebte Everten würklich noch immer, aber auch bey ihm wußte sich Kalatin durch seine Spöttereyen Eingang zu verschaffen. Es fand ohnedem schon seit langer Zeit, ich weiß nicht warum, keine rechte Vertraulichkeit unter ihnen mehr Platz: Evert von Remen fühlte dieses, forschte nach, wo er nicht sollte, gab Ermahnungen, wo sie nicht verlangt wurden, und sein heimlicher Widersacher, Kalatin, bekam dadurch[141] den Vortheil in die Hände, ihn um die Neigung des Freundes zu betrügen, so wie er ihm das Herz der Freundin entfremdet hatte.

Evert von Remen, mein Bruder und ich lebten von nun an in einer Art von heimlichen Mißverständniß, welches keins dem andern, und noch vielweniger unserer gemeinschaftlichen Freundin und Mutter der Frau von Remen gestehen wollte, und das eben dadurch unheilbar ward.

Kalatin und mein Bruder hatten öftere geheime Konferenzen, in welchen wohl nicht allemal, wie sie vorgaben, von Geschäften die Rede seyn mochte. Ich überraschte einst meinen Bruder halb außer sich bey dem Bild einer schönen Person, das er, wie ich nachher erfuhr, aus den Händen Kalatins erhalten hatte; er konnte es meinen Augen nicht mehr entziehen, ließ mich es bewundern, ließ mich es küssen, und den Namen lesen, den ich in der Folge so oft mit dem höchsten Gefühl der Zuneigung ausgesprochen habe, und den ich hier nennen würde, wenn ich nicht so wie über verschiedene andere Dinge hierüber eidlich Stillschweigen hätte angeloben müssen.

Mein Bruder sahe das Entzücken, mit welchem ich das Bild dieses irdischen Engels betrachtete, es war etwas mehr als Schönheit, womit es sich auszeichnete, ich habe schönere Personen[142] gesehen, aber keine, die so ganz den Abdruck einer himmlischen Seele im Auge trug, keine, die als Sterbliche schon die Bürgerin einer bessern Welt zu seyn schien.

Ich muß sie sehen, rief mein Bruder, als er mein Entzücken bemerkte, muß sie persönlich kennen lernen, und du sollst mir den Weg zu ihr bahnen. Höhere Befehle werden mich bald nöthigen von hinnen zu scheiden, halte dich fertig, mir zu folgen; Peter von Kalatin wird dich wenig Tage nach meiner Abreise nachholen, und dich dahin führen, wo ich deine Dienste brauchen kann, aber diese Reise muß ein unverbrüchliches Geheimniß decken, weder die Frau von Remen noch ihr Sohn müssen etwas von derselben erfahren, sie zu erleichtern, werde ich dich aus ihrem Hause abfordern, und in das meinige bringen, das übrige wird die Gelegenheit geben, nur vergiß nicht, daß, du kommst hin, wohin du wollest, unser Name verborgen bleiben muß; die Natur meiner Reise fordert diese Vorsicht von mir.

Ich fand Bedenklichkeit, hinter dem Rücken meiner Wohlthäterin und meines Freundes zu scheiden, fand es unschicklich, an der Hand eines unbekannten Mannes mein Vaterland zu verlassen, und dadurch den Verdacht einer Entführung auf mich zu ziehen, aber mein Bruder[143] wollte es, und ich gehorchte; nicht allein gränzenlose Liebe fesselte mich an ihn, sondern auch eine gewisse Art von scheuer Ehrfurcht. Seit meines Vaters Tode hatte er die Stelle desselben bey mir eingenommen, und ich hielt es für Hochverrath, ihm hartnäckig entgegen zu seyn.

Was er beschlossen hatte, geschahe; den nächsten Tag, nachdem ich das Haus der Frau von Remen mit dem seinigen verwechselt hatte, trat er seine Reise an, und ich machte alle Anstalten, ihm, sobald Peter von Kalatin mich in seinen Namen abfordern würde, zu folgen. O Gott, noch gedenke ich mit Kummer des letzten Abends vor diesem Schritte! Ich hatte ihn bey der Frau von Remen zugebracht. Ihr Sohn, dem ich jetzt geneigter war als zuvor, gegen den ich ein innerliches Mitleiden wegen des Streichs fühlte, den ich ihm bald versetzen sollte, ihr Sohn, der großmüthige, ganz unserm Dienst geweihte Evert von Remen, war diesen Tag ausgezogen gegen den Bischof von Bremen, dessen Leute in einem entlegenen Theil der Besitzungen meines Bruders eingefallen waren. Unsre Trennung war so zärtlich gewesen, als die Gespräche, die ich nach seinem Abschiede mit seiner Mutter hielt. Sie nannte[144] mich tausendmal ihre Tochter, ihre einige Trösterin in der Abwesenheit ihres Sohnes, sie beschwur mich, wenn ich, so lang mein Bruder außer Landes wär, mich nicht getraute sein Haus gänzlich zu verlassen, doch nur täglich das ihrige zu besuchen, weil sie ohne mich nicht leben könne; – und diese Frau sollte ich täuschen? sollte ich hinterlistig verlassen, und ihr dadurch den Dolch in die Brust stoßen? ich weiß nicht, wie sie meinen Abschied empfunden hat, weiß nicht was Evert von Remen bey demselben gefühlt haben mag, aber ich zittre, wenn ich nur an diese geliebten Seelen denke. Ach sie werden mich für eine Verbrecherin halten, und Gott weiß, wann ich das Zeugniß von meiner Unschuld, das ich in die Hände meiner Kaiserin niederlege, ihnen mittheilen kann, da Wort und Eyd mich binden, mein Vaterland nicht ohne Bewilligung meines Bruders wieder zu sehen. – Eben dieser Eyd versiegelte jenes Abends, da ich mich mit der Frau von Remen letzte, meine Lippen. Zwanzigmal schwebte das Geheimniß, daß ich mich von ihr trennen müsse, auf meinen Lippen, aber ich hatte geschworen, und mußte schweigen.

Peter von Kalatin kam diese Nacht; er legitimirte sich durch das Beglaubigungsschreiben[145] meines Bruders, ich mußte ihm trauen, und er führte mich davon. Das Ganze mußte vor jedermanns Augen das Ansehen einer gesetzlosen Entweihung haben, denn Kalatin nützte auch nicht den kleinsten Vorschlag, den ich that, unserer Reise das Verdächtige zu benehmen.

Noch hatte ich keinen bösen Verdacht auf meinen Begleiter, noch argwohnte ich nicht, er könnte bey meiner Abholung außer dem Befehl meines Bruders Nebenabsichten haben. Er führte zwar oft Reden gegen mich, welche Liebeserklärungen ähnlich lauteten, aber ich war zu einfältig, sie zu verstehen, und sie für etwas anders zu halten, als für den Unsinn, den, wie die Frau von Remen mir gesagt hatte, die jungen Männer in der Welt den Jungfrauen vorzuschwatzen pflegen, es war einer höhern Hand, die für mich sorgte, ohne daß ich es dachte, vorbehalten, mir hierüber die Augen zu öffnen. Daß Kalatin mich liebte, war gewiß, und Gott weiß, wo er mich hingebracht haben würde, wenn nicht der Zufall ihn genöthigt hätte, mich in eure Residenz zu führen. Ein Sturz vom Pferde machte mir die Hülfe eines Wundarztes nöthig, Kalatin war zu besorgt um mich, zu sehr um meine Heilung bekümmert, als daß er alle die Vorsicht hätte brauchen sollen, die er sich vielleicht vorgesetzt hatte, wir mußten nicht allein in[146] der Hauptstadt liegen bleiben, sondern man sahe und kannte ihn auch, und seine Bedienung als Reichsmarschall nöthigte ihn, da einmal seine Anwesenheit nicht zu verbergen war, nach Hofe zu gehen. Dieses ward das Mittel, auch mich der edelsten aller Fürstinnen bekannt zu machen. Ihr, vortrefliche Kaiserin, hörtet nicht sobald, daß Kalatin ein fremdes Fräulein mit sich gebracht habe, als ihr euch um mich bekümmertet. Ich genoß während meiner Krankheit eine Pflege, die von eurer Hand geleitet wurde, und nach meiner Genesung eures Schutzes; daß ich dieses Schutzes gegen Kalatin bedürfe, erfuhr ich erst des Tages, da ich von euch die Einladung erhalten hatte, mich unter eure Hofstatt zu begeben; an diesem Tage hielt er zuerst erst ein Gespräch mit mir, das mir ihn verdächtig machen mußte. Mein Bruder war der Gegenstand desselben. Ich hatte diesen meinen einigen Verwandten, den Liebsten, den ich auf der Welt kannte, so lang nicht gesehen; so lang nicht von ihm gehört, was war natürlicher als daß ich Sehnsucht und Besorgniß um ihn äusserte.

Möchte doch Graf Adolf dieser zärtlichen Anhänglichkeit des schönsten und truglosesten Herzens[147] würdig seyn! erwiederte der hämische Kalatin.

Was wollt ihr mit diesen seltsamen Wunsche sagen? fragte ich voll Befremdung. Wißt ihr etwas nachtheiliges von meinen Bruder?

Nachtheiliges eben nicht, aber unendlich viel räthselhaftes, und es müßte Wunder seyn, wenn die kluge Alverde nicht schon längst das nehmliche gefunden hätte.

Ihr zielt auf seine Reisen, seine Gesellschaften, seine Arbeiten? O Evert von Remen hat schon mit seine Mutter und mir über diese Dinge zu sprechen.

Evert von Remen? – Nun wahrhaftig, wenn diese Dinge jenem Schwachkopfe in die Sinne fielen, so muß Graf Adolfs Schuld wohl erwiesen seyn.

Welche Schuld, Kalatin?

Graf Adolf ist, damit ich nur einmal aufrichtig mit euch rede, aller Wahrscheinlichkeit nach, Mitglied einer verdächtigen im Finstern schleichenden Gesellschaft, welche sich Richter Gottes nennen, aber im Grunde nichts sind als eine Bande von Henkern, die sich unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit die größten Kränkungen der Menschheit erlauben, Vater, Mutter, Bruder, Schwester, keine Verbindung, kein Name ist ihnen zu heilig. –[148]

Behüte Gott, schrie ich, Kalatin was redet ihr!

Er fühlte, daß er sich zu harter Ausdrücke bedient hatte, fühlte, daß er einlenken mußte, und begnügte sich, mir nur nochmals zu verstehen zu geben, was er vermuthlich durch die ganze Tirade hatte einleiten wollen, daß ich meinem Bruder nicht zu trauen habe, und weit besser thun würde, mich seiner Leitung zu überlassen, als Geschäfte auszuführen, die Adolf mir aufgetragen hätte, die sich gar nicht für ein junges Fräulein schickten, und deren Bedenklichkeit zu beurtheilen ich nicht im Stande sey. Ueberlegt es selbst, sagte er, ihr sollt eurem Bruder in Anspinnung einer Intrigue mit einer Person behülflich seyn, die eigentlich gar nicht für ihn existirt. Die Dame, welche Adolf anbetet, lebt im Kloster, ist die Verlobte eines andern, und ist noch obendrein mit den Gift einer verabscheuungswürdigen Ketzerey angesteckt, das sich Zeit genug auch seiner bemächtigen und Bann und Fluch über ihn herab ziehen wird.

Ich entsetzte mich über die Dinge, welche ich hören mußte, sie würden vielleicht ihre Würkung nicht ganz verfehlt haben, wenn nicht einige Reden aus eurem Munde, gnädige Kaiserin, mir die Reinigkeit der Absichten Kalatins[149] verdächtig gemacht hätten, ein förmliches Geständniß der glühendsten Leidenschaft, welches das ganze Gespräch beschloß, vollendete meinen Argwohn, ich verließ ihn ohne Antwort, und konnte den Morgen kaum erwarten, da ich, ohne weitere Rücksprache mit ihm, mich zu euch begab, und um die Vollziehung eures Versprechens, um Aufnahme in euer Frauenzimmer bat.

Mein Gesuch ward bewilligt, aber die Ehre, zu eurem Hause zu gehören, befreyte mich nicht ganz von Kalatins Verfolgungen. Zu schwach, sich dem Entschluß, den ich gefaßt hatte, zu widersetzen, oder mich eurem Schutz zu entreißen, und zu klug, nur einen Wunsch dieser Art zu äußern, nützte er wenigstens jede Gelegenheit, mich mit seiner gehässigen Leidenschaft, mit Ausfällen auf meinen Bruder, und Planen für mein künftiges Glück, die mir nicht anstanden, zu unterhalten; ihr, gnädige Kaiserin, sahet mein Leiden, ehe ich es euch noch klagen konnte, ich erhielt ganz unverhofft den Befehl von euch, mich nach Lion in das Kloster zu begeben, wo sich die Prinzessinnen aufhielten; er war mir doppelt lieb, da ich Kalatins Vorspiegelungen zum Trotz die Absicht noch nicht aus dem Gesicht verlohren hatte, warum ich eigentlich von meinem Bruder aus meinem Vaterlande entfernt worden war; ich hatte die Dame,[150] die er anbetete, an eurem Hofe nicht gefunden, daß ich sie in dem Kloster, nach welchem ich bestimmt wurde, finden würde, wußte ich gewiß, und ich brannte vor Verlangen, theils diesen Engel zu kennen, theils mich selbst zu überzeugen, ob das würklich wahr sey, was mir Kalatin von der Unmöglichkeit, sie für meinen Bruder zu gewinnen, gesagt hatten.

Mit der heissesten Inbrunst, vortrefliche Kaiserin, danke ich euch, daß ihr mich in das Kloster brachtet, wo ich das Glück meines Lebens fand. Ich lernte die besten Fürstinnen der Welt, lernte diejenige darin kennen, um deren Willen ich mein Vaterland verlassen hatte. Das was Kalatin mir von ihr sagte, ist nicht ganz unwahr, aber kann mein Bruder nicht durch diesen Engel glücklich werden, wird sie darum weniger meine Freundin seyn? – Nie erfahren sie aus meinem Munde seine kühnen Hoffnungen, damit sich nicht vielleicht blos dieserwegen ihr Herz von mir wende!

Euren Rath, gnädige Frau, mich unter das Gefolge der Gräfin von Toulouse zu begeben, habe ich befolgt; Gott weiß, wenn ich in mein Vaterland zurückkehren kann, aus welchen ich so unnöthig verlockt wurde, und seit die Prinzessinnen, eure Töchter dieses Kloster verlassen[151] haben, ist nichts vorhanden, das mich mehr an dasselbe fesseln sollte.

Morgen früh mit Aufgang der Sonne bricht die Dame, zu deren Hofstatt ich nun gehöre, die Gräfin Alix, die mich mit den Namen Freundin beehrt, nach Pamiers auf, und ich begleite sie; die kastilischen Gesandten sind bereits daselbst angekommen, sie von da in die Arme ihres Bräutigams zu führen. Mir ist es empfindlich, diese Gegenden verlassen zu müssen, ohne etwas von meinem Bruder gehört zu haben; wie wird er mich suchen, wie wird er um mich besorgt seyn, wenn er mich da nicht findet, wohin ich von ihm bestimmt war! Möchte ihn doch das Schicksal an euren Thron führen, gnädige Frau, möchte doch euer Blick, der die tiefsten Geheimnisse aus dem Herzen ziehen kann, ihn nöthigen, sich euch zu entdecken, über alles was ihm Sorge machen könnte, würdet ihr ihn zu beruhigen wissen!

Quelle:
Benedikte Naubert: Alf von Dülmen. Leipzig 1791, S. 131-152.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Alf von Dülmen
Alf Von Dülmen: Oder Geschichte Kaiser Philipps Und Seiner Tochter , Aus Den Ersten Zeiten Der Heimlichen Gerichte (German Edition)

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon