Alverde an den Pfalzgraf Otto von Wittelsbach.

1207.

[174] Die fürchterliche Angst, in welcher ich mich befinde, entschuldige mich, daß ich mich an einen Mann wende, der mir, wenn ich die wenigen male ausnehme, da ich ihn als Kunigundens Bräutigam bey Hofe sah, ganz unbekannt ist. – Unbekannt? – kann man sagen, man kenne den Pfalzgrafen Otto nicht, wenn man seinen Namen auch nur gehört hatte? diesen Namen, der im ganzen römischen Reiche den edeln Charakter desjenigen bezeichnet, welcher ihn führt? – Ja, Otto, ich kenne euch, ich weiß, daß ihr gern helfen wollt, wo ihr könnt, und wer könnte es mehr in dem Falle, da ich eure Hülfe anflehe.

Euer Freund, Alf von Dülmen, oder wenn ihr lieber so wollt, Graf Adolf von ***, mein Bruder, ist in Gefahr. Eine wüthende Leidenschaft zu der kastilischen Braut, eine Liebe, die man ihm, ich weiß nicht ob durch Zauberkünste beygebracht hat, hält ihn hier zu Pamiers fest, und läßt ihn Dinge begehen, welche ehe den Handlungen eines Rasenden, als dem Betragen ähnlich sind, das sich von einem so guten[174] Kopf und Herzen, wie das seinige sonst war, vermuthen lassen.

Da persönlicher Umgang mit ihm hier unter tausend Aufmerkern unmöglich ist, so suchte ich eine Zeitlang durch Briefe ihn auf den rechten Weg zu leiten; zweymal vernichtete ich seine tollkühnen Anschläge auf die Gräfin Alix, welche ihn zum Hochverräther und zum Jungfrauenräuber gemacht haben würden. Ob das, was ich für ihn that, ihn zur Erkenntniß und Besserung gebracht hat, weiß ich nicht, er befindet sich in einem fürchterlichen Rausch von Leidenschaft, der ihn nichts beachten läßt; so viel ist gewiß, daß alle seine Plane zu unvorsichtig angelegt waren, um nicht entdeckt zu werden, sie haben nur allzuschnell Unglück über uns beyde gebracht. Ich habe meine Entlassung aus der Hofstatt der Gräfin von Toulouse erhalten, und ihm stellt man auf eine Art nach Freyheit und Leben, die bey seiner gänzlichen Verblendung nicht wohl fehlschlagen kann.

Was ich in dieser schrecklichen Lage von euch gethan wünsche? – O Otto, könntet ihr so fragen? Ich weiß die Verbindung nicht, in welcher ihr mit meinem Bruder steht, aber daß eine solche, daß die allergenauste zwischen euch statt findet, davon bin ich durch tausend Umstände überzeugt. Ich kann mich hierüber nicht[175] genau erklären, aber ihr könnt wohl denken, daß eine Person mit sehenden Augen, eine Schwester, die ihren Bruder und was ihn umgab, so lange wir noch in Westphalen waren, täglich sah, manches muthmaßen mußte, was sie zu furchtsam ist zu gestehen. Ich weiß, daß ihr, oder durch eure Vermittelung einer, der noch höher ist als ihr, nur ein Wort zu sagen braucht, eure Verbundenen aus allen Winkeln Deutschlands zusammen zu rufen; sprecht dieses Wort, und Adolf, der sonst auf nichts hört, wird gehorchen, oder gehorchen müssen; ruft ihn hinweg von diesem Orte, wo Lebensgefahr und Gelegenheit zu neuen Vergehungen ihm drohen, gebt eurem Freunde Sicherheit und Tugend, und der unglücklichen Alverde das Leben wieder. Ihr kennt mich zwar wenig, und nichts ist, das euch für mich persönlich intereßiren könnte, aber ihr würdet Mitleiden mit mir haben, wenn ihr meine Angst sehen könntet. Ich bin Schwester, ich bin Freundin, meine Lieben stehn am Rande des Verderbens, dies ist alles was ich sagen kann, denkt euch das Uebrige.

Ach, Otto, ich habe euch einmal zum Vertrauten gewählt, mein Herz ist geöffnet, ich muß es vollends ausschütten. Die Lage meines Bruders ist es nicht allein, was mich ängstigt, ich[176] leide noch um eine Person, die mir wenigstens so lieb ist als er, leide um meine Freundin Alix. Ich bin von ihr getrennt, habe meine Entlassung trotz meiner Unschuld an Alf von Dülmens Händeln erhalten. Ihr, der ihr meinen Stand kennt, werdet wohl errathen, daß die Entbehrung einer armseligen Hofstelle, die ich meinen eigenen Jungfrauen besser geben kann, mich nicht beunruhigt; die Trennung von der Gräfin von Toulouse ists, was mich quält, unter dem Namen ihrer Dienerin war ich ihre Freundin, sie kennt meinen Stand, so weit ich ihr ihn entdecken durfte, und lebte nie anders mit mir, als die Gleiche mit der Gleichen. Sie verlassen, sie in Händen verlassen zu müssen, die mir verdächtig sind, dies ist die Ursach meiner Angst.

Die kastilische Heyrath ist eine von den unseligsten Verbindungen, welche je in dem Kopfe eines Staatsmanns ausgeheckt worden seyn mögen, bey den beyden Hauptpersonen findet sich nicht ein Funken von Liebe; dies ist nicht genug, auch die Großen von Kastilien sind heimliche Feinde der unglücklichen Braut. Der Plan zu dieser Vermählung ward so lange gemacht, daß sich seitdem das Staatsinteresse zehnmal verändert hat, man schließt sie jetzt nur[177] darum, weil man einmal gegebenes Wort nicht brechen mag; aber ich bin so gewiß überzeugt, als ich das Leben habe, daß man nichts mehr wünscht, als sich je eher je lieber eine unglückliche Prinzessin vom Halse zu schaffen, welche ihrem Gemahl jetzt keine sonderlichen Staatsvortheile mehr zubringen kann. Man geht mit neuen vortheilhaften Verbindungen für den kastilischen Prinzen um, die ich euch nicht genauer bezeichnen will, um euer Herz, guter betrogener Pfalzgraf, nicht vor der Zeit zu brechen. Die letztern Abentheuer, der unglücklichen Alix, die entstandenen Zweifel wider ihre Rechtgläubigkeit, und die Rasereyen meines Bruders, kamen vielleicht recht zu gelegener Zeit, um irgend einem grausamen unbilligen Verfahren gegen eine Unschuldige einen Anstrich zu geben. Worin das, was man wider meine Freundin im Sinne hat, bestehen mag, weiß ich nicht, aber daß irgend ein schrecklicher Vorgang vor der Thür ist, das muthmaße ich aus allen Umständen. Ach man entfernte mich vielleicht blos darum von ihr, damit man sie desto sicherer stürzen könnte, man wußte, daß mein Auge zu sehr über sie wachen würde, um betrogen zu werden.

Ich erhielt, als ich von der Fürstin von Kastelmoro entlassen ward, den Befehl, Pamiers sogleich zu verlassen, und ihr werdet wohl errathen, daß[178] ich mich nicht für verbunden hielt, ihn zu befolgen. Verlaß mich nicht ganz, Alverde! rief Alix, als sie sich beym Abschied weinend an meinen Nacken schmiegte, bleib hier in irgend einem Kloster, wo ich dir Nachricht von mir geben kann; dieser Bitte, oder vielmehr dem Antrieb meines eigenen Herzens zu folge, halte ich mich bey den hiesigen Cölestinernonnen auf, bereit auf den ersten Wink alles für diejenige zu wagen, für welche ich gleichfalls die Hülfe des guten Fürsten anflehen würde, an welchen ich schreibe, wenn ich anzugeben wüßte, wie der unglücklichen Gräfin zu helfen wär. So lang sie in den Händen der Kastilier ist, giebt es keine Möglichkeit, sie mit einem Anschein des Rechts zu befreyen, und wer weiß, ob sie lebendig aus denselben kommen wird. O schreckliche, schreckliche Vorstellungen! ich suchte ihr Quälendes durch Mittheilung zu lindern, aber ich merke, daß sie bey mehrerer Auseinandersetzung nur mehr Wahrscheinlichkeit, nur mehr Kraft gewinnen, mein Herz zu foltern.

Pfalzgraf Otto, ihr könnt die Prinzessin nicht retten, rettet wenigstens meinen unglücklichen Bruder auf die Art, welche euch besser bewußt seyn wird als mir.[179]

Quelle:
Benedikte Naubert: Alf von Dülmen. Leipzig 1791, S. 174-180.
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