Evert von Gemen an Adolf Grafen von ***.

1207.

[112] Mehrere Monate sind vergangen seit du dein Vaterland und mich verliessest, und von dieser Zeit an, folgen dir meine Boten überall, dich aufzufinden, und wo möglich zurück zu bringen, keiner kann deine Spur treffen, und ich muß glauben, die Unglücksahndung, die mich bewog, mich dieser letzten mehr als allen deinen vorhergegangenen geheimen Reisen zu widersetzen, sey bereits eingetroffen.

Ach meine Stimme wird dich nicht mehr von dem Rande des Abgrundes zurückreißen können, aber ich muß meinem Herzen Luft machen, muß das aufs Papier aushauchen, was an meinem Herzen nagt, und mir dabey die Möglichlichkeit denken, es könne einst in deine Hände[112] kommen; vielleicht wird dies mich beruhigen, in diesen schrecklichen Augenblicken, da ich alles verlohren habe.

Dem Grafen von Wittelsbach will ich diese Blätter zuschicken, Unglück macht uns auch mit Unbekannten vertraut, ich kannte diesen Mann nie anders, als aus dem Gerücht, aber ein abgerissener Zettel mit einigen unzusammenhängenden Worten, den ich in einem Kabinet deines verödeten Schlosses fand, nannte seinen Namen, ich dachte mir es möglich, du, den ich seit einigen Jahren in so manchen mir unbegreiflichen Verhältnissen mit zuvor nie gesehenen Personen fand, du könntest auch mit ihm in Verbindung stehen, und ich entschloß mich, ihm fragend von dir zu schreiben. Ich habe Antwort von ihm, aber sie tröstet mich nicht, Pfalzgraf Otto scheint dich zu kennen und zu lieben, wie ich, scheint um dich Trotz mir bekümmert zu seyn, und eben so wenig als ich errathen zu können, was aus dir geworden sey.

Er bekennt, daß er dich zu dieser Reise veranlaßt, daß er schon vor einigen Jahren von dir gefordert habe, sie unter verdeckten Namen zu unternehmen, und ich kann nicht sagen, daß er mir um dieser Entdeckung willen lieber ist. Wegen des Entzwecks der dir ausgesonnenen Reise,[113] läßt er mich in Zweifel: er wünsche dich mit einem seiner Freunde bekannt zu machen, sagt er, mit einem Manne, der noch dazu ein Bischof ist; das danke ihm ein andrer als ich; auswärtige Bekanntschaften haben dich deinem Hause entfremdet, und die Ehre, den Geistlichen in unsern Tagen bekannt zu seyn, wird von so räthselhaften Menschen wie du, oft theurer erkauft. Was mich mit meinen neuen Korrespondenten aussöhnt, ist seine Einladung, dir zu Erleichterung meines Herzens weitläuftig zu schreiben, und ihm den Brief zuzuschicken, weil, wie er sich rühmt, er vielleicht noch am ersten eine Möglichkeit wisse, ihn dir zu Händen zu bringen.

So wende ich mich denn schriftlich an dich, aber alles was ich auf das Papier bringen kann, sind Klagen. O du, der meinem Herzen unter allen Männern am nächsten ist, wollte ich all meine Klagen um und über dich ausathmen, wo sollte ich anfangen? – Nicht von dem Augenblicke, da du dich zuletzt aus meinen Armen losrissest, und dich mit rauhem Ton erklärtest, du müßtest reisen, nein, früher, viel früher heben meine Beschwerden an.

Wir wurden mit einander erzogen, das Glück schien uns so ziemlich auf eine Stufe gesetzt zu haben; dein Vater schien zu seyn, was der meinige war, ein wackerer Ritter von altem[114] westphälischen Adel, nur vom Glück etwas schlechter mit zeitlichen Gütern bedacht, als Konrad von Remen, sein Freund. Dein Vater arbeitete von jeher unter einem geheimen Kummer, der ihn wahrscheinlich zuletzt auf das Krankenbette warf, und dem Tode entgegen führte. Er lag zu sterben, du und ich weinten an seinem Lager, er hieß mich hinausgehen, und behielt blos dich zurück. Was du in jener Stunde von ihm erfahren hast, weiß ich nicht, aber nie habe ich einen Menschen in einer seltsamern Bewegung gesehen als dich, da du dich mir wieder zeigtest.

Kummer über deinen Vater, der eben die Augen zum ewigen Schlafe geschlossen hatte war es nicht allein, es war mehr. Du gingst einige Tage wie im Traume umher, und kaum hattest du die Reste des Entschlafenen zur Erde bestattet als du dich erklärtest, dein Bleiben sey nicht in diesen Gegenden, du müßtest fort, um Plane auszuführen, deren Folgen wir vielleicht bald sehen würden. Deine Schwester, damals ein zehnjähriges Kind, vertrautest du der Aufsicht meiner Eltern, und entferntest dich, entflohest, möchte man fast sagen, ohne daß jemand wußte, wohin du gekommen seyst. Das Geheimnißvolle in deinem Betragen war der erste[115] Bruch brüderlicher Vertraulichkeit, ich fühlte ihn, an dein volles Zutrauen gewöhnt, so tief, wie man gewöhnlich den ersten Anfang eines Leidens fühlt, das man mit der Zeit ertragen lernen muß.

Du kehrtest in nicht allzulanger Zeit als Graf von *** zurück, daß du aus diesem Hause entsprossen warest, daß du die gegründetsten Ansprüche auf die mit deinem großen Namen verbundenen Güter hattest, das durfte niemand bezweifeln, die Leichtigkeit, mit welcher dir alle deine weitläuftigen Besitzungen eingeräumt wurden, bewieß, das deine Rechte höhern Orts anerkannt waren, daß du von einer Macht geschützt wurdest, der sich niemand widersetzen durfte; wer diese Macht war, wußte niemand, man rieth ganz natürlich auf den Kaiser, aber es ließ sich erweisen, daß du nicht nach Hofe gekommen warest, daß du dein Vaterland nicht verlassen, sondern dich all die Zeit deiner Abwesenheit an einem Irgendwo aufgehalten hattest, das niemand kannte.

Von diesem Zeitpunkte an rechne ich eine gänzliche Veränderung deines Charakters, nicht der Moralität desselben, du bliebst gut und bieder, wie du immer warest, aber du hattest die Heiterkeit, den Freymuth verlohren, der bey einem Jüngling von zwanzig Jahren, wie du[116] damals warest, immer mit Herzensgüte und Biedersinn verbunden ist. Du warest von nun an düster und zerstreut in Gesellschaft, ein übertriebener Freund der Einsamkeit, immer beschäftigt, ohne daß jemand wußte, was du triebst, oft abwesend ohne daß jemand errathen konnte, wo du warest, in eine Menge von neuen Bekanntschaften verflochten, die niemand wußte woher sie entstanden; man fand dich oft in Gesellschaft von Leuten, die niemand kannte, die da kamen und verschwanden, ohne daß man wußte wie. Verzeihe mir, Adolf, ich würde dich in Verdacht böser Händel gehalten haben, hätte es sich nicht gefunden, daß Männer vom Range und Tugend die Notiz nahmen, Männer, von denen ich nicht einmal wußte, daß du ihnen bekannt wärest. Ich habe Abgeschickte des Herzogs von Sachsen bey dir gesehen, und ein Gesuch, das einer deiner Freunde bey dem von Braunschweig hatte, wurde durch eine einige Reise von dir erlangt, so wie ein einiges Wort von dir einem Unschuldigen, der in die Hände der Gerechtigkeit gefallen war, die Freyheit brachte. Du warest ein mächtiger Mann, aber wie du es wurdest, und worin eigentlich deine Macht und dein Ansehen gegründet war, das wußte niemand. Du begleitetest weder bey dem Heer noch bey der Regierung eine Stelle, drängtest dich nicht zu den[117] Gunstbezeugungen der Fürsten, hieltest dich in der Stille, und zürntest, wenn man etwas mehr in dir ahndete als du seyn wolltest.

Laß mich die Geschichten all übergehen, welche in die folgenden Jahre fielen, und die mir immer mehr räthselhaftes in dir zeigten, laß mich zu der letzten, zu dem Grund all meiner Klagen übergehen, laß mich dich fragen, was dich bewog, vor nunmehr acht Monaten plötzlich deine Schwester, die in dem Hause meiner Eltern, du weißt es wohl, für mich herangewachsen war, in das deinige zu nehmen, wo sie bey dem beständigen Zufluß von Fremden, der in denselben war, nicht mit Ehren leben konnte, was dich bewog, Tags darauf nach diesem übereilten Schritte, dich zu einer Reise zu erklären, die, wie du selbst gestandest, lang dauern sollte, warum du mir sagtest, du würdest nirgend unter deinem wahren Namen, überall unter dem, Alf von Dülmen, zu erfragen seyn; du weißt den Widerspruch, den all diese Dinge bey mir fanden, und die Antworten, die ich erhielt. Du reistest, allen Warnungen zum Trotz, und nun höre, was aus dieser Reise entstanden ist. Der Bischof von Bremen, welcher längst ein Auge auf deine östlichen Güter hatte, nutzte den ersten Augenblick, da sich deine Abwesenheit nicht mehr verbergen ließ, sich derselben[118] zu bemächtigen, ich machte mich auf, Gegenvorkehrungen zu treffen, und mußte den guten Fortgang, mit welchem ich dem Unheil steuerte, durch ein andres Unglück erkaufen, das dein Haus in meinem Abseyn betroffen hatte. Deine Schwester, die in deinem von seinem Herrn verlassenen Schloß freylich nicht so gut aufgehoben war, als in dem Schooß meiner Mutter, war durch jenen Peter von Kalatin, den du immer, mir zum Trotz um dich duldetest, davon geführt worden. Ich setzte ihr nach, ein Sturz vom Pferde brachte mich in den Zustand, in welchem ich schon mehrere Wochen das Bette gehütet habe, und aus welchem ich mich jetzt nur empor richte, um mir es lebhaft zu denken, daß ich dich und Alverden verlohren habe, daß während meiner Krankheit, da meine Leute blos um mich besorgt waren, auch die Spur verlohren ging, nach welcher ich die Geraubte wiederfinden könnte. Dich selbst kann ich weder nach deinem würklichen, noch nach dem Namen, Alf von Dülmen, ausfündig machen, und meine letzte Hoffnung steht noch auf den Grafen von Wittelsbach, zu dem mich, wie gesagt, ein in deinem Kabinet gefundner abgerissener Zettel hinleitete.

O Alf von Dülmen, (denn diese fremde Benennung schickt sich am besten für den, der[119] mir so ganz fremd geworden ist,) was soll aus diesen Räthseln werden! Ich muß glauben, du und Alverde habt euch gutes Willens so von mir losgemacht, daß ich nie wieder etwas von euch hören soll; ist dieses, denn gute Nacht Vaterland! ich habe nichts mehr, das mich an dich fesselte, das letzte noch übrige heiligste Band ward diese Nacht gelößt: meine Mutter, welche seit Alverdens Verlust schwer darnieder lag, ist nicht mehr, ich bin von nun an hier ein Fremdling, der, da er keine Freunde mehr hat, auch künftig keine Heimath hier haben will. Verfließet noch eine festgesetzte Zeit, ohne Nachricht von dir und Alverden, so verkaufe ich alles, was ich hier besitze, nehme das Kreuz, und wallfarthe nach dem heiligen Grabe, nicht auf Monate und Jahre, nein auf Lebenszeit; andere tragen ihre Sündenlast an die heilige Stelle, ich will die Last meines Kummers dorthin schleppen, ob es mir am Herzen leichter werden möchte.[120]

Quelle:
Benedikte Naubert: Alf von Dülmen. Leipzig 1791, S. 112-121.
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