Sechzigste Erzählung.

[384] Eine Pariserin verläßt ihren Mann, um einem Sänger zu folgen; dann stellt sie sich todt und läßt sich begraben.


In Paris lebte ein Mann von so einfältigem Wesen, daß er sich Gewissensbisse gemacht hätte, anzunehmen, daß ein Mann mit seiner Frau ein Liebesverhältniß gehabt hätte, auch wenn er es gesehen haben würde. Dieser arme Mann heirathete eine Frau von der denkbar schlechtesten Lebensführung, merkte aber nie etwas und behandelte sie wie die ehrbarste Frau der Welt. Als eines Tages der König Ludwig XII. nach Paris kam, gab sie sich einem der Sänger des Königs hin. Als sie nun sah, daß der König die Stadt wieder verließ und sie ihren Sänger nicht mehr sehen würde, entschloß sie sich, ihren Mann zu verlassen und jenem zu folgen. Der Sänger ging darauf ein und führte sie in sein Haus, welches in der Nähe von Blois stand, wo sie lange zusammen lebten. Als der arme Mann seine Frau nicht fand, suchte er sie allerorten; schließlich wurde ihm gesagt, daß sie mit dem Sänger davongegangen sei. Er wollte dieses verirrte Schaf, über das er nicht sorgsam genug gewacht hatte, wieder zu sich zurückführen und schrieb ihr viele Briefe, in denen er sie bat, zu ihm zurückzukehren, er wolle sie wieder aufnehmen, wenn sie ein anständiges Leben führen wolle. Da sie aber ein so großes Vergnügen an dem Gesang ihres Sängers empfand, daß sie die Stimme ihres Mannes ganz vergessen hatte, kehrte sie sich nicht an alle seine freundlichen Worte und lachte über ihn. In seinem Zorn ließ ihr der Mann nun melden, daß er sie vom geistlichen Gericht zurückverlangen werde, da sie freiwillig nicht zu ihm zurückkehren wolle. Da diese Frau nun fürchtete, daß, wenn das Gericht sich einmischte, es ihr und ihrem Sänger schlecht gehen könnte, dachte sie eine eines Advokaten würdige List aus. Sie stellte sich nämlich krank und ließ einige anständige Frauen der Stadt bitten, sie zu besuchen. Diese kamen bereitwillig, in der Hoffnung, sie durch diese Krankheit von ihrem schlechte Lebenswandel abbringen zu können. Zu diesem Ende ermahnten sie sie Alle, so gut sie konnten. Sie stellte sich nun schwer krank und weinte, indem sie ihre Sünde zu bereuen schien, so daß die[385] ganze Gesellschaft nur Mitleid mit ihr fühlte, weil alle dachten, sie spreche aus tiefster Seele. Da sie sie in solcher Reue und Zerknirschung sahen, begannen sie Alle sie zu trösten, indem sie sagten, daß Gott nicht so schrecklich sei, wie manche unwissende Sünder ihn schilderten, und daß er ihr seine Milde nicht versagen werde; unter solchen Trostreden schickten sie nach jemandem, um ihr die Beichte abzunehmen. Am anderen Morgen kam der Pfarrer des Orts, um ihr das heilige Sakrament zu reichen, das sie mit solcher gläubigen Miene nahm, daß alle anständigen Frauen der Stadt, welche zugegen waren und ihre Demuth sahen, weinten und Gott lobten, der nach seiner Gnade mit dieser armen Seele Mitleid hatte. Dann that sie, als könne sie nichts mehr essen; der Pfarrer brachte ihr nun die letzte Oelung, welche sie ebenfalls sehr gläubig nahm, und dem Anschein nach konnte sie kaum mehr sprechen. So lag sie lange, nach und nach schien sie die Sehkraft und das Hören zu verlieren, weshalb Alle um sie die Sterbegebete herzusagen begannen. Da nun die Nacht herniedersank und die Damen von weit her gekommen waren, zogen sich alle zurück. Als sie das Haus verließen, sagte man ihnen, sie sei verschieden, und indem sie die de profundis für sie sagten, kehrten sie in ihre Wohnungen zurück. Der Pfarrer fragte den Sänger, wo sie begraben werden sollte. Der sagte, sie habe angeordnet, auf dem Kirchhof begraben zu werden, und daß es gut sei, sie zur Nachtzeit dorthin zu schaffen. So wurde die arme Unglückliche von einer Kammerfrau eingesargt, die sich wohl hütete, ihr wehe zu thun, und dann wurde sie bei Fackelbeleuchtung nach dem Grabe getragen, welches der Sänger für sie hatte ausschaufeln lassen. Als der Leichenzug bei denen vorüber kam, die bei der letzten Oelung zugegen gewesen waren, kamen sie alle aus ihren Häusern heraus und begleiteten sie nach dem Friedhof. Die Frauen und die Priester entfernten sich bald, nicht aber der Sänger. Sobald er nämlich sah, daß die Gesellschaft fern war, gruben er und seine Kammerfrau das Grab wieder auf, aus dem seine Geliebte lebendiger als je herauskam; er führte sie insgeheim in sein Haus und versteckte sie lange. Ihr Mann, der sie verfolgte, kam bis nach Blois, um dort das Gericht anzurufen, und hörte, daß sie todt und begraben sei; alle Damen[386] von Blois, welche ihm das rühmliche Ende seiner Frau erzählten, bestätigten ihm das. Der Gute war sehr erfreut darüber, weil er nun dachte, daß die Seele seiner Frau im Paradiese und ihre körperliche Hülle los sei. Mit dieser zufriedenstellenden Meinung kehrte er nach Paris zurück und verheirathete sich dort mit einer schönen, jungen und reichen Frau, die ihre Wirtschaft zu führen verstand, und von der er mehrere Kinder hatte; vierzehn bis fünfzehn Jahre lebten sie so zusammen. Schließlich aber gelangte das Gerücht, dem nichts verborgen bleibt, auch bis zu ihm, daß nämlich seine erste Frau nicht todt sei, sondern noch mit ihrem nichtsnutzigen Sänger zusammen lebe. Der arme Mann verhehlte das so lange wie möglich und that, als wenn er nichts gehört hätte, weil er innerlich wünschte, daß es eine Lüge sein möchte. Seine Frau aber, die eine sehr vernünftige Dame war, erfuhr auch davon; sie verfiel in so große Angst, daß sie vor Kummer beinahe gestorben wäre. Wenn es möglich gewesen wäre, hatte sie, wenn nur ihr Gewissen ruhig gewesen wäre, gern ihr Mißgeschick verhehlt. Aber das war unmöglich, denn die Kirche mischte sich sofort ein und trennte vorerst die beiden, bis die ganze Wahrheit ans Licht käme. Der arme Mann wurde nun genöthigt, die gute Frau zu verlassen, um nach der schlechten zu suchen. Er kam nach Blois, kurze Zeit nachdem Franz I. König geworden war, und fand dort auch die Königin Claudia und die Regentin, denen er Klage führte, indem er nach der fragte, die er lieber nicht wiedergefunden hätte, die er aber suchen mußte. Die ganze Gesellschaft bemitleidete ihn darum. Als seine Frau ihm vorgestellt wurde, wollte sie lange behaupten, er sei garnicht ihr Mann, sondern, es sei eine abgekartete Sache, worauf er gern eingegangen wäre, wäre es nur möglich gewesen. Sie war mehr betrübt, als von Scham erfüllt und sagte, daß sie lieber sterben, als zu ihm zurückkehren wolle, worüber er nur sehr zufrieden war. Die Damen aber, vor denen sie so schamlos sprach, verurtheilten sie, mit ihm zurückzukehren, und sprachen mit vielen Ermahnungen und Drohungen so auf den Sänger ein, daß er sich gezwungen sah, seiner Geliebten zu sagen, sie solle mit ihrem Mann gehen, und daß er sie nicht mehr sehen wolle. So von allen[387] Seiten fortgejagt, entfernte sich die arme Unglückliche, wurde aber von ihrem Mann besser behandelt, als sie verdient hatte.

So endete Guebron seine Erzählung und fuhr dann fort: »Deshalb sage ich also, meine Damen, wenn dieser Mann besser auf seine Frau aufgepaßt hätte, so würde er sie nicht verloren haben; denn eine wohlbehütete Sache wird schwer verloren, und nur der Ueberfluß giebt dem Dieb die Gelegenheit.« »Es ist wunderbar«, sagte Hircan, »daß die Liebe so stark ist, wo sie am unvernünftigsten erscheint.« »Ich habe mir sagen lassen«, sagte Simontault, »daß man eher hundert Ehen trennt, als die Liebe eines Priesters und seines Dienstmädchens.« »Das glaube ich wohl«, sagte Emarsuitte, »denn die, welche die Ehen anderer binden, wissen den Knoten so fest zu schürzen, daß nur der Tod ihn durchhauen kann; auch sagen die Schriftgelehrten, daß die geistliche Rede viel mächtiger als irgend eine andere sei. In Folge dessen muß auch die geistliche Liebe alle anderen übertreffen.« Dagoucin sagte: »Das ist etwas, was ich den Damen nicht verzeihen könnte, einen ehrbaren Mann oder Freund für einen Priester zu verlassen, wie schön und angesehen er auch sein möge.« »Ich bitte Euch«, wandte Hircan ein, »laßt es Euch nicht einfallen, von unserer heiligen Mutter, der Kirche, zu reden. Glaubet mir, daß es den furchtsamen und zurückhaltenden Frauen großes Vergnügen bereitet, mit denen zu sündigen, die sie absolviren können; denn es giebt viele, die sich viel mehr schämen, eine Sache zu beichten, als sie zu thun.« »Ihr sprecht da nur von denen«, sagte Oisille, »die Gott nicht kennen und die annehmen, daß im Geheimen betriebene Sachen nicht einmal vor der göttlichen Allwissenheit aufgedeckt werden. Ich glaube aber nicht, daß sie deshalb die Beichtväter suchen, um zu beichten, denn der Teufel hat sie so verblendet, daß sie viel mehr darauf achten, sich an den Ort zu begeben, der ihnen der verborgenste und sicherste erscheint, als daß sie sich darum bekümmern, Absolution für ihre Sünden zu erhalten, die sie garnicht bereuen.« »Wie denn, bereuen?« fragte Saffredant, »sie halten sich sogar für heiliger, als die anderen Frauen, ich bin ganz sicher, daß es sogar solche giebt, die es sich zur besonderen Ehre anrechnen, in solchen Liebesverhältnissen auszuharren.« Oisille sagte zu ihm: »Ihr sprecht davon so, daß es[388] den Anschein hat, als wenn Ihr etwas davon wüßtet. Deshalb bitte ich Euch, daß Ihr den morgenden Tag beginnen möget und uns erzählt, was Ihr davon wißt. Jetzt schlägt schon die Vesperglocke zum letzten Male. Die Mönche sind auch gleich fortgegangen, nachdem sie die zehnte Geschichte gehört hatten, und haben uns weiter debattiren lassen.« Hierauf erhob sich die ganze Gesellschaft und ging dann in die Kirche, wo sie fanden, daß man auf sie gewartet hatte. Nachdem sie die Messe gehört hatten, speisten sie zusammen, indem sie noch von mehreren schönen Geschichten sprachen. Nach dem Essen gingen sie alle nach ihrer Gewohnheit ein wenig auf die Wiese, um sich zu belustigen; dann legten sie sich zur Ruhe, damit am andern Morgen ihr Gedächtniß frisch sei.

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 384-389.
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