Sechzehnte Erzählung.

[135] Eine Dame in Mailand stellt erst den Muth ihres Freundes auf die Probe, bevor sie sich ihm hingiebt, liebt ihn dann aber nur um so mehr.


Zur Zeit des Großmeisters von Chaumont lebte in Mailand eine Dame, welche für die ehrbarste der ganzen Stadt galt. Sie hatte einen italienischen Grafen geheirathet, war dann verwitwet und lebte im Hause ihrer Schwäger. Von einer Wiederverheirathung wollte sie nichts hören, lebte vielmehr so zurückgezogen, daß es im[135] Herzogthum keinen Franzosen oder Italiener gab, der sie nicht hoch achtete. Als eines Tages ihre Schwäger und ihre Schwiegermutter dem Großmeister ein großes Fest gaben, war die Witwe genöthigt, mit zu erscheinen, obwohl sie sonst Gesellschaften nicht besuchte. Die Franzosen, die sie dort sahen, bewunderten ihre Schönheit und ihre Anmuth, vor Allem einer derselben, dessen Namen ich aber verschweigen werde; genug, daß er damals der liebenswertheste Franzose in ganz Italien war, ein vollkommener Edelmann und ausgerüstet mit allen ritterlichen Vorzügen. Obwohl er sah, daß die Dame in ihrem schwarzen Witwenschleier sich fern von der Jugend hielt und mit einigen älteren Damen in einer Ecke saß, so unterhielt er sich, der gewohnt war, weder vor Mann noch vor Frau zurückzuschrecken, dennoch angelegentlich mit ihr und begann ihr den Hof zu machen, nahm ihr die Maske ab und verzichtete auf alle Tänze, nur um ihre Gesellschaft zu genießen. Den ganzen Abend sprach er nur mit ihr und den alten Damen und schien vergnügter als in Gesellschaft der jungen Mädchen, und als er aufbrach, sagte er sich, daß er sich nicht eine einzige Minute gelangweilt habe. Zwar hatte er sich nur über ganz Allgemeines mit ihr unterhalten, wie es eben in größerer Gesellschaft der Fall zu sein pflegt; sie erkannte aber wohl, daß er ihr näher bekannt zu werden wünschte, und beschloß daher, auf ihrer Hut zu sein, so daß er sie auf keinem Feste und in keiner Gesellschaft mehr traf. Er forschte nun nach ihrer Lebensweise und bekam bald heraus, daß sie sehr oft Kirchen und Klöster besuchte; er paßte ihr also auf, und so geschickt sie es auch anstellte, er war immer früher als sie da und blieb in der Kirche, so lange er sie dort sehen konnte, und während der ganzen Zeit betrachtete er sie mit so verliebten Augen, daß ihr seine Zuneigung kein Geheimniß bleiben konnte. Um dem aus dem Wege zu gehen, stellte sie sich eine Zeit lang krank und hörte die Messe bei sich zu Haus. Der Edelmann wurde sehr betrübt darüber, denn das letzte Mittel, sie zu sehen, war ihm auf diese Weise genommen. Als sie nun seine Neigung erloschen glaubte, ging sie wieder in die Kirchen; er erfuhr es aber doch und nahm seine Andachtsübungen wieder auf. Da er befürchtete, sie möchte neue Hindernisse schaffen und ihm die Gelegenheit, sich ihr zu erklären, nehmen, trat er eines Morgens[136] als sie sich in einer kleinen Kapelle, wo sie die Messe hörte, wohlgeborgen wähnte, dicht an den Altar, und da im übrigen wenig Leute in der Nähe waren und der Priester auch gerade die Messe celebrirte, wandte er sich nach ihr um und sagte ihr mit flüsternder, stehender Stimme: »Madame, ich rufe den zum Zeugen an, der mich verdammen soll, wenn nicht Ihr schon mir den Tod gebt; denn wenn Ihr mir auch das Wort abschneidet, so wißt Ihr doch genau, wie es um mich steht, denn meine Blicke, mein gebrochenes Wesen sagen es Euch zur Genüge.« Die Dame stellte sich, als verstände sie ihn nicht, und antwortete: »Mit solchen nichtigen und eitlen Dingen soll man nicht an Gott herantreten. Die Dichter sagen ja auch daß die Götter die lügenhaften Schwüre der Verliebten nur verlachen, deshalb müssen auch Frauen, die etwas auf ihre Ehre halten, nicht leichtgläubig und weichherzig sein.«

Mit diesen Worten erhob sie sich und ging in ihre Wohnung zurück. Wie sehr der Edelmann über ihre Worte aufgebracht war, das werden die, welche einmal etwas Gleiches erfahren haben, zu beurtheilen verstehen. Es fehlte ihm aber nicht an Ausdauer, es war ihm noch lieber, diese nicht viel versprechende Antwort erhalten, als ihr sein heimliches Verlangen frei herausgesagt zu haben. Er hielt an seiner Liebe volle drei Jahre fest und verfolgte sie unaufhörlich mit Briefen und auf welche Weise er sonst konnte. Und diese ganzen drei Jahre wurde er nicht besser aufgenommen, sie floh ihn wie der Windhund den Wolf, der auf ihn Jagd macht, nicht aus Haß etwa, sondern weil sie für ihre Ehre und ihren guten Ruf fürchtete. Er merkte das wohl und setzte seine Bemühungen nur um so eifriger fort. Und nach langem Weigern, großer Qual und Verzweiflung fing die Dame, die seine Liebe wohl sah, an, Mitleid mit ihm zu haben, und gewährte ihm, was er so lange ersehnt und erstrebt hatte. Als sie einig geworden waren, besuchte sie der französische Edelmann in ihrer Wohnung, obwohl er das nur mit Lebensgefahr thun konnte, da alle ihre Verwandten auch in diesem Hause wohnten. Seine Klugheit stand aber seiner Schönheit nicht nach, und er brachte es immer fertig, zur verabredeten Stunde sich in ihr Zimmer zu schleichen, wo sie dann immer allein war und ihn in ihrem Bett erwartete. Einmal aber, als er sich[137] eben entkleidete, hörte er an der Thür leises Geflüster und ein Geräusch, wie wenn Degen gegen eine Mauer stoßen. Die Dame verlor sofort die Fassung und sagte ihm mit gebrochener Stimme: »Jetzt seid Ihr und meine Ehre in Gefahr, ich höre wohl, das sind meine Brüder, die Euch umbringen wollen; versteckt Euch schnell unter dieses Bett, und wenn sie Euch nicht gleich finden, werde ich mich zornig gegen sie stellen, daß sie mir ohne Grund solche nächtliche Störung verursachen.« Der Edelmann, der die Furcht nicht kannte, erwiderte: »Was sind Eure Brüder, daß sie mich erschrecken könnten? Und wenn Eure ganze Sippe da wäre, sie würden schon nach meinen ersten Schwertstreichen davonlaufen. Deshalb legt Euch ruhig zu Bett und laßt mich diese Thür hüten.« Mit diesen Worten wickelte er sich seinen Mantel um seinen linken Arm, nahm sein Schwert in die rechte Faust und ging zur Thür, um den Degen, deren Geräusch man draußen hörte, sich entgegen zu werfen. Als er aber die Ihür geöffnet hatte, fand er zwei Kammerzofen davor, die in jeder Hand einen Degen hielten, mit denen sie das Geklirr machten, und welche zu ihm sagten: »Entschuldiget uns, wir sind hier auf Befehl unserer Herrin, aber wir werden Euch nicht weiter im Wege sein.«

Als der Edelmann nun sah, daß es Frauen waren, schickte er sie zu allen Teufeln, schlug ihnen die Thür vor der Nase zu und legte sich zu seiner Geliebten ins Bett, deren Liebesglut dieser Zwischenfall nicht abgekühlt hatte, und da er sie vorläufig nicht nach dem Grunde dieses blinden Lärms fragte, beschäftigten sie sich bald mit etwas Anderem. Erst als der Morgen graute, ersuchte er sie, ihm mitzutheilen, was denn dieses ganze Gebühren bedeute; erst ihr jahrelanges Sträuben und jetzt dieser thörichte Streich! Sie lachte und antwortete: »Meine Absicht war, niemals zu lieben, und während meines Witwenstandes habe ich streng danach gehandelt. Von dem Augenblick aber an, wo ich mit Euch an jenem Feste sprach, änderte ich meine Gesinnung und ich begann Euch bald ebenso zu lieben, wie Ihr mich liebtet. Wahr ist allerdings, daß meine Ehre, die ich immer im Auge hatte, mir nicht erlauben wollte, daß die Liebe mir etwas meinem Rufe Nachtheiliges brächte. Wie die tödtlich getroffene Hündin die schmerzende Wunde zu lindern[138] glaubt, wenn sie von Ort zu Ort flüchtet, so ging ich von einer Kirche zur anderen und wollte den fliehen, dessen Bild ich doch in meinem Herzen trug, und der mir genügende Beweise seiner tiefen Anhänglichkeit gab, daß ich meine Liebe mit meiner Ehrenhaftigkeit in Einklang glaubte. Um aber ganz sicher zu sein, daß ich mein Herz und meine Liebe nur einem wirklich achtungswerthen Manne schenkte, wollte ich diese letzte Probe mit meinen Kammermädchen anstellen, und hättet Ihr für Euer Leben gefürchtet, oder sonst irgend welche Rücksicht genommen und wäret unter mein Bette gekrochen, so war ich entschlossen aufzustehen und in ein anderes Zimmer zu gehen und Euch nicht mehr zu mir zu lassen. Da ich aber nun in Eurer Person neben der Schönheit und Anmuth auch Tapferkeit und Muth gefunden habe, ja, sogar mehr, als man mir gesagt hatte, und da die Furcht Euer Herz nicht hat erzittern machen können und das Feuer Eurer Liebe in dieser kritischen Lage nicht nachließ, will ich jetzt für mein ganzes Leben nur Euch angehören. Denn ich bin überzeugt, daß ich in keine besseren Hände mein Leben und meine Ehre legen könnte, als in desjenigen, dessen Tugend ihresgleichen sucht.« Und als wenn die Bestimmungen der Menschen unveränderlich wären, schworen sie sich, was nicht in ihrer Macht lag, nämlich eine ewige Freundschaft und Treue, für die das Herz des Menschen nicht ausreicht. Das wissen die am besten, die Aehnliches erfahren und die erlebt haben, wie lange solche in der Aufwallung des Gefühls gegebenen Schwüre andauern.

»Und deshalb, meine Damen«, sprach Guebron weiter, »hütet Euch vor uns, wie der Hirsch, wenn er Verstand hätte, sich vor dem Jäger hüten würde; denn wir setzen unser Glück und unseren Ruhm daran, Euch zu fangen und Euch das zu nehmen, was Euch kostbarer als Euer Leben erscheinen sollte.« »Wie«, wandte sich Hircan an ihn, »seit wann bist Du ein Moralprediger geworden? Ich habe Zeiten gesehen, wo Du sehr weit von solchen Vermahnungen warst.« »Es ist wahr«, antwortete Guebron, »daß ich heute ganz anders als bisher mein ganzes Leben lang gesprochen habe; aber meine Zähne sind schwach geworden, ich kann nicht mehr nach dem Wild beißen und deshalb wird es mir nicht schwer, jetzt die Hündinnen vor den Jägern zu warnen, und vielleicht kaufe ich damit einen[139] Theil der Uebel, die ich in meiner Jugend begangen habe, zurück.« »Mir danken Euch, Guebron«, sagte Nomerfide, »für Eure guten Rathschläge zu unserem Heil, aber wir möchten uns doch nicht recht an Euch halten; denn zu Eurer Geliebten habt Ihr nicht so gesprochen. Liebt Ihr uns denn nicht mehr? Oder wollt Ihr nicht mehr haben, daß man uns liebt? Immerhin werden wir uns bemühen, so verständig und tugendreich zu sein, wie die, die Ihr in Eurer Jugend verfolgt habt. Aber so ist es immer mit den Alten, sie wollen immer vernünftiger gewesen sein, als die junge Generation.« »Nun wohlan, Nomerfide, wenn die Untreue einer Eurer ergebenen Freunde Euch die Schlechtigkeit der Männer gezeigt haben wird, werdet Ihr mir dann glauben, daß ich Euch die Wahrheit gesagt habe?« Oisille wandte sich an Guebron: »Es scheint mir, daß der Edelmann, dessen Kühnheit Ihr so lobt, nur sehr liebessüchtig gewesen ist, und die Sinnlichkeit ist ja eine so starke Macht, daß sie selbst feige Leute Manches thun läßt, wobei sich auch ein Kühner zweimal bedenken würde.« Saffredant erwiderte ihr: »Jedenfalls hatte er allen Grund bedenklich zu werden, es sei denn, daß er sich von vornherein sagte, daß der Italiener mehr unnütze Worte verschwendet, als tüchtig zuschlägt.« »Das alles hindert nicht«, sagte Oisille, »daß die Gluth in seinem Herzen die letzte Triebfeder war.« »Wenn Ihr die Kühnheit dieses Ritters nicht beachtenswerth genug findet«, nahm Hircan das Wort, »so könnt Ihr uns vielleicht von einem andern berichten, welcher noch mehr Lob verdient.« »Ich kenne allerdings Einen, der den Helden der vorigen Erzählung noch übertrifft.« »In diesem Falle bitte ich Euch«, sagte Guebron, »das Wort zu ergreifen und uns, wie Ihr versprochen, diesen heldenmüthigen Vorfall mitzutheilen.« »Wenn ein Mann«, begann Oisille, »sich gegen Mailänder so muthig bewiesen hat, in einem Falle, wo es sich um sein Leben und um die Ehre seiner Dame handelte, und nun wegen seiner Verwegenheit so gepriesen wird, wie muß man dann erst einen Fall beurtheilen, wo ein Mann, der es garnicht nöthig hatte, einfach nur, weil übersprudelnder Muth und Tollkühnheit seine zweite Natur waren, folgenden Streich gethan hat?«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 135-140.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Heptameron
Das Heptameron: Novellen
Das Heptameron. Vollständige Ausgabe
Das Heptameron (Die grosse Erzähler-Bibliothek der Weltliteratur)
Das Heptameron

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon