Dreizehnte Szene


[530] Peter tritt während des Ritornells des folgenden Liedes Seite rechts auf.


PETER.

1.

Wann i als Zimmermann arbeit' hoch ob'n auf 'n Dach,

Da g'schicht's mir oft, daß ich Bemerkungen mach';

An der Aussicht auf d' Leut' herab tu' ich mich lab'n,

Seh' ich, was s' oft alls treib'n, ohne a Aussicht zu hab'n.

Da rennt einer mit so ein' Bünkel voll Kleider

Und hat gar keine Aussicht, a Geld z' kriegen, der Schneider –

Der schmacht't auf ein Mädl drob'n beim Blumentopf

Und hat gar keine Aussicht, kriegt 's Wasser au'm Kopf.

Der sucht Schwiegersöhn', wo sich ließ' Geld herausbradeln,

Und hat gar keine Aussicht, zu schiech sind die Madeln!

Der sucht für sein' Sohn a Stell', führt 'n üb'rall um

Und hat gar keine Aussicht, der Bub is zu dumm!

So Ideen bilden unter mein' Dachstuhl sich aus,

So oft ich ein' Dachstuhl wo setz' auf a Haus. –


2.

Doch wann so vom Dach sich mein Kopf herabbeugt,

Meine Aussicht auch Leute mit Aussicht mir zeigt;

Sein's aber Aussichten, wo der Mensch z'frieden sein kann?

D' meisten Leut' haben nur eine, und da is nix dran.

Der Alte kauft Schmuck, daß 'r a jungs Weiberl kriegt,

Und sein' einzige Aussicht is, daß s' ihn betrügt.

Da reit't einer, g'schwufisch in Quäcker gepreßt,

Und sein' einzige Aussicht is Schuldenarrest.

Der steigt einer Frau nach auf heimlichem Weg,

Und sein' einzige Aussicht is a Buckel voll Schläg'.

Da putzt eine Schachtel sich jugendlich modern,

Und ihr' einzige Aussicht is, ausg'lacht zu wer'n.

So Ideen bilden unter mein' Dachstuhl sich aus,

So oft ich ein' Dachstuhl wo setz' auf a Haus. –[531]


Das Schönste an ein' Zimmermann is, daß er kein Zimmermann is, daß er nicht im Zimmer arbeitet, sondern draußen auf 'm freien Platz, drum hat unsereins auch ganz ein' andern Geist als so viele andre Professionisten, für die die frische Luft nur ein Sonntagsschmaus is, für die es gar keine freie Natur gäbet, wenn einmal den Kalenderdruckern die rote Farb' ausging'. – Standeswahl bei einem Sprößling unterer Stände heißt wohl nichts anderes als: »Jetzt entschließ dich, ob du als Lehrjung' von dieser oder jener Zunft gebeutelt und malträtiert werden willst!« Diese Eröffnung is so reizend, daß: »Es is mir alles eins!« die gewöhnliche Antwort drauf is. Ich hab' aber auch damals schon mehr als andere drüber nachdenkt.

Ich hätt' sollen ein Schneider werden, da hab' ich mir aber denkt: Zugrund'gehn kann wohl jeder Mensch, gerade durch die zugrundegehn, die man kleidet, deren Blöße man bedeckt, dieser Undank muß zu schmerzlich sein, und ist doch das allgemeine Schneiderlos.

Ich hätt' sollen ein Schlosser werden, aber wer Sinn fürs Freie hat, hab' ich mir denkt, der kann kein Talent zu Schloß und Riegel haben.

Ich hätt' sollen ein Bäck werden, aber so ein schlaftrunkenes Mehlgespenst hat immer etwas Mitleiderregendes und Unheimliches für mich gehabt, denn wenn ein Bäck auch keinen Geist hat, so hat er doch viel von einem Geist: er is weiß, geht um bei der Nacht und sehnt sich nach Ruhe, die ihm nimmer wird – das sind offenbar die Haupteigenschaften von einem Geist. Ich war als Bub sehr gern auf der Welt und hab' mich fleißig mit Hund', Tauben, Katzen und Kinigelhasen g'spielt, und da wir dem Altmeister unserer Zunft, dem Archenzimmerer Noah, unser Dasein verdanken sowie auch das Glück, daß wir von Viechern umgeben sind, so hat mich eine Art Dankgefühl zum Zimmermannhandwerk getrieben. – Ich hab's aber auch in späterer Zeit nie bereut. Der Ursprung des[532] Zimmermanns hat schon das vor viele andere Ursprünge voraus, daß er nur halben Teil gemein is, die andere Hälfte is erhaben und folglich das Ganze das, was die noblen Leut' eine Messalliance nennen. Der Holzhacker hat die Geometrie umarmt, und so is der Zimmermann entstanden. Unser Handwerkszeug bestätigt diese Abkunft. Die Hacken is unser simples väterliches Erbteil, wir haben aber auch Zollstab, Zirkel, Winkelmaß als Vermächtnis von unserer tiefsinnigen Mama, und das sind Gegen stände, die man nicht leicht, ohne zu denken, in die Hand nehmen kann. Der Zollstab gibt uns die wahrste Ansicht von Länge und Breite, von Größe überhaupt, und wann man die einmal hat, da fallen einem dann allerhand Mißverhältnisse auf – wie so mancher so groß herauskommt, und wenn man ihn genau abmeßt, so klein is, daß man ihm gern noch was aufmesset. Wie mancher ein Langes und Breites zusammenschreibt und nur eine schmale Kost damit erwirbt, wie oft kleinwinzige Frauen mit langmächtige Männer gar so kurz angebunden sind. Kurzum, der Zollstab hat nur drei Schuh Länge, kann aber die Ideen sehr ins Weite führen. So ist es auch beim Winkelmaß; man denkt dabei unwillkürlich an die vielen menschlichen Winkelzüge, die offenbar unter die Gattung der spitzigen Winkel gehören, an die Aufenthaltsorte des Unglücks und der Armut, die unter die stumpfen Winkel gehören. Die schwierige Genauigkeit, die der rechte Winkel erfordert, mahnt uns daran, daß das Rechte überhaupt nicht leicht in Winkeln zu finden, eine Behauptung, die sich auch bis auf Winkelagenten, Winkelsensalen, Winkelschreiber etc. etc. ausdehnen ließ'. – Ein noch weiteres Gedankenfeld liegt im Zirkel. Zirkel is die vollkommenste Rundung, drum fallt es auch in die Zirkel am meisten auf, wenn sich einer eckig benimmt. – Der gesellschaftliche Zirkel unterscheidet sich vom mathematischen wesentlich dadurch, daß der mathematische einen einzigen Mittelpunkt hat, der akkurat mitten im Zirkel[533] liegt – der gesellschaftliche Zirkel jedoch hat in der Mitte nur den scheinbaren Mittelpunkt, den Kaffeetisch, währenddem der eigentliche Mittelpunkt, um den sich die Peripherie der Unterhaltung dreht, meistens außerhalb des Zirkels liegt, weil gewöhnlich nur die Abwesenden ausgericht't werden. Aber halt! Bis hieher und nicht weiter! Die Zirkelbetrachtungen führen einem zu leicht vom Runden auf das, was zu rund is, und in das mag ich jetzt nicht eingehen, ich geh' lieber in was Viereckiges ein, in meine Haustüre, und kugl' mich in mein längliches Bett.


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 4, Wien 1962, S. 530-534.
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