10. Am ersten Sontage nach der H. drey König Tage

[208] Zun Röm. am 6.


Auff den 13. Psalm

Wie lang wilt du, o lieber Herr.


Durch unsers Gottes Gütigkeit,

Die über uns schwebt jederzeit,

Vermahn ich euch, o lieben Brüder,

Bewahret euren Leib und Glieder,

Mit denen ihr umbhüllet seyd.


Laßt sie ein reines Opffer seyn,

Thut weg der falschen Wollust Schein,

Entsagt den schnöden Sachen allen;

Wolt ihr dem Höchsten wolgefallen,

So räumt ihm Leib und Sinnen ein,
[208]

Gleicht euch nicht dieser eiteln Welt,

Die nichts vom Himmel in sich helt;

Verneuret eure gute Sinnen,

Wolt ihr, was Gott euch heist, beginnen

Und leben, wie es ihm gefällt.


Er hat die Gnade mir gethan,

Daß ich darff sagen jederman,

Er solle sich nicht mehr erheben

Als ihm ist Maß und Ziel gegeben

Von ihm, der alles geben kan.


Ein jeder halte ja von sich

In rechter Demut mässiglich,

Nach dem Gott seines Glaubens Gaben,

Den wir von ihm nur einig haben,

Getheilt hat unter mich und dich.


Der Seelen Hauß, der Leib, ist wol

Von Bein, Haut, Blut und Adern voll,

Von Gliedern schön und außerlesen,

Doch hat ein jedes Glied sein Wesen,

Dem es genug thun muß und soll.


So sehn wir, daß es sich befind,

Daß wir ein Leib in Christo sind

Und Glieder, die deß Geistes Gaben

Von unterschiednen Kräfften haben,

Nach dem uns Gott die Gnade gönnt.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 208-209.
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