2. Am andern Advent

[203] Zun Röm. am 15.


Auff den 77. Psalm

Zu Gott in dem Himmel droben.


Was vor diesem, meine Lieben,

Fleissig worden auffgeschrieben,

Was wir in den Schrifften sehn,

Ist als Lehr, und Trost geschehn,

Daß nicht möchten die Gedancken,

In dem See deß Zweiffels wancken,

Sondern sich wend' aller Sinn

Auff Gedult und Hoffnung hin.
[203]

Aber Gott, so pflegt zu geben

Die Gedult und Trost dem Leben,

Schaffe, daß euch einerley

Willen nach dem Herren sey,

Daß ihr stäts, wie sichs gebühret,

Des Erlösers Vatter zieret

Und erhebt mit Frölichkeit,

Die erschalle weit und breit.


Thut zu Hülff' einander kommen,

Wie euch Christus auffgenommen,

Christus, welcher als ein Knecht

Der Beschneidung gab ihr Recht

Und sie ließ an sich erfüllen,

Umb der Warheit Gottes willen,

Der Verheissung Grund zu sehn,

Die den Vättern ist geschehn.


Die Barmhertzigkeit zu weisen,

Kan Gott auch ein Heyde preisen,

Ob er schon, den er erhöht,

Nicht kennt, wie geschrieben steht:

Ich wil zu den Heyden bringen

Deinen Namen und dir singen.

Freut, ihr Heyden, euch ohn End',

Als das Volck thut, das Gott kennt.


Lobt den Herren, alle Heyden,

Gar kein Volck soll sein Lob meiden.

Jesaias stimmt auch ein:

Es wird Jessen Wurtzel seyn;

Er wird prächtig aufferstehen,

Bey den Heyden sich erhöhen,

Wird auch ihnen seyn ihr Liecht,

Ihre Lust und Zuversicht.


Gott, der Trost und Hoffnung giebet

Und die Menschen hertzlich liebet,

Schick' euch mit gewündschter Ruh

Freud' und Fried im Glauben zu,

Daß sein Geist euch recht regiere

Und in wahre Hoffnung führe,

In die Hoffnung, welche steht,

Wann schon alles untergeht.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 203-204.
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