21. Am Sontage Lätare

[217] Galat. 4.


Auff den 104. Psalm

Wach auff, mein Seel, und sag dem Herren wol.


Erzehlet mir, ihr, derer Rede geht,

Daß ihr wol kennt, was im Gesetze steht,

Und pfleget euch allzeit darmit zu üben;

Wißt ihr, was sey vom Abraham geschrieben?

Die Magd bracht' ihm den einen an das Liecht,

Den andern Sohn der Freyen Ehepflicht,

Der von der Magd ist fleischlich nur geboren,

Den andern hat ihm Gottes Gunst erkohren.


Man muß diß Wort nicht schlagen durch den Wind;

Denn solches hier zwey Testamente sind.

Was knechtisch ist, das ist von Sina kommen,

Hat seinen Stamm von Agar her genommen,

Von Agar her, der Sina wird genennt,

Und anders Land vom heil'gem Salem trennt,

Der fast das Liecht kan mit den Klippen hindern

Und unterthan doch ist sampt seinen Kindern.


Jerusalem das aber droben steht,

Ist frey, ist uns zur Mutter außerkiest,

Als wie denn steht: Wil gleich kein Mensch nicht hoffen,

Gebierst du nicht, noch solst du dennoch ruffen:

Der einsamb lebt, wird mehr durch Gott belohnt,

Mehr kinderreich, als die der Mann bewohnt,

Wie Gott versprach; so sind wir nun gebohren

Von Isaac, sind nicht unaußerkohren.
[217]

Doch wie zur Zeit der, so vom Fleische kam,

Den Geistes-Sohn in Haß und Feindschafft nam,

So ist's jetzt auch. Jedoch was wird gelesen?

Stoß auß Magd, Sohn, ihr Thun und gantzes Wesen.

Soll der Magd Sohn der Freyen gleiche gehn,

Mit ihrem Sohn' in einer Erbschafft stehn?

O nein, gewiß; nun sind wir, liebsten Brüder,

Nicht von der Magd; wir sind der Freyen Glieder.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 217-218.
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