38. Am 1. Sontage nach Trinitatis

[229] Johan. 4.


Auff den 115. Psalm

Nicht uns, nicht uns, o lieber Herr.


Gott ist die Lieb' und wer daran sich helt,

Der bleibt in Gott und thut was ihm gefällt,

Er selbst wird in ihm schweben.

Damit ihr auch auff jenen Tag besteht,

So will er das, was eurer Lieb' abgeht,

Von seiner Liebe geben.


Wir hatten uns mit eigner Schuld verletzt,

Diß läst er sein durch seine Gnad' ersetzt,

Macht uns noch hier ihm gleiche.

Lieb' hasset Furcht, und Furcht ist nie ohn Pein;

Wer lieben will, der soll bemühet seyn,

Daß Furchte von ihm weiche.


Liebt hertzlich ihn, wie er mit uns gethan;

Doch ist kein Mensch, der ihn recht lieben kan

Und seinen Bruder hassen.

Haßt einer den, der ihm für Augen geht,

Wie soll er den, der im Verborgen steht,

Nicht gleichfals auch verlassen?


Wer Gott begehrt und läst den Nechsten seyn,

Gibt nur von sich erlognen Hertzensschein:

Er hat uns fürgeschrieben,

Hat seiner Schar gesetzt ein solches Ziel,

Da wer Gott liebt und lieb gehabt sein will,

Auch soll den Bruder lieben.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 229.
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