60. Am 22. Sontag nach Trinitatis

[240] Philip. 1.


Auff den 20. Psalm

Der Herr erhör dich in Gefahren.


So offt ich an euch dencken können,

Wie ich dann allzeit thu,

So offt auch wand' ich Hertz und Sinnen

Für euch gen Himmel zu.

Ihr steht mir allzeit im Gesichte,

Seit ihr zum Glauben kommen

Und unsern Trost zum Gnadenliechte

Habt eyffrig angenommen.


Ich bin in hertzlichem Vertrauen,

Daß der, so in der That

Das gute Werck in euch zu bauen

Wol angefangen hat,

Der werd' es ferner auch vollführen,

Euch seine Gnade geben

Und mit deß Geistes Gütern zieren,

So lang ihr werdet leben.


Es wallet mir zwar mein Geblüte,

Daß ich im Kärcker bin;

Doch hab' ich bey euch mein Gemüthe,

Mein Hertz und gantzen Sinn;

Dieweil ich auch allhier gefangen

Von Gott die Warheit sage,

So weiß es Gott, was für Verlangen

Ich stündlich nach euch trage.


Ich bete, daß ihr möget brennen

In Lieb' ohn Heucheley,

Mögt weise seyn und Gutes kennen,

Sehn, was das beste sey;

Daß eure Schar von Tag' und Tage

Den Glauben könne mehren

Und rechte Geistes-Früchte trage,

Zu Gottes Lob und Ehren.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 240-241.
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