Deß Propheten Jeremias Gebett

[256] O Herr, bedencke doch, Herr, nim dir doch zu Hertzen

Das Leyd, so uns betrifft, schau' unsre Schmach und Schmertzen

Mit Vatteraugen an, sieh' unser güld'nes Land,

Das Milch und Honig trug, ist nun in frembder Hand

Und unsre Häuser auch; wir sind zu Waisen worden

Und unsre Mütter sind im armen Widwen Orden,

Sie haben keinen Mann, wir keine Vätter nicht,

Und sind ohn Hülff' und Trost; wann Wasser uns gebricht,

Das dennoch unser ist, so lassen wir es bringen

Umb unser eygnes Geld, und müssen Holtz erzwingen,

Das uns im Pusche wächst, umb grossen Werth und Preiß.

Man treibt uns über Halß, und wann wir allen Fleiß

Zur Arbeit angewandt, so daß wir fast erliegen,

Jedennoch sind wir faul und thun nicht nach Genügen.

Wir müssen jetzt auß Noth Egypten dienstbar sein

Und Assur Gutes thun, damit uns Brot allein

Zu essen wird gereicht; es wird an uns gerochen

Was unsre Vätter schon für langer Zeit verbrochen.

Sie schlaffen unbesorgt und dencken nicht mehr her,

Ihr Uebel aber wird uns Kindern nun zu schwer.

Wir dienen Knechten jetzt, Schand über alle Schande,

Und niemand rettet uns in diesem gantzen Lande

Von ihrer Dienstbarkeit; wir holen unser Brod

Mit Aengsten und Gefahr, weil beydes Schwerd und Todt

Hier in der Wüsten sind, daß Fleisch und Beine knacken,

Die schwartze Haut sieht auß, als were sie gebacken

Im Ofen und gedört für Mangel an der Kost

Und Hunger der uns plagt. Sie haben schnöde Lust

Und Ueppigkeit verübt mit Zions schönen Weibern,

Den Jungfraun Juda auch von ihren zarten Leibern

Den besten Schatz geraubt, die Fürsten auffgeschnürt,

Die Alten nicht geehrt, als wie sich wol gebührt.[256]

Das arme junge Volck hat Müller müssen werden,

Die Knaben bleiben schier erliegen auff der Erden,

So das ihr Hals für Last deß Holtzes brechen wil.

Kein Alter sitzt am Thor', es wird kein Seitenspiel

Von unsrer Jugend mehr, wie zwar zuvor, gerühret,

Die Laut' ist ohne Laut; kein Neigen wird geführet,

Kein Tantz nicht mehr gehegt; die Freuden sind nun auß,

Und unser Schauspielplatz wird jetzt ein Klagehauß;

Die Cron ist auch dahin; ach, ach, daß unser Leben.

Sich also gantz und gar den Sünden hat ergeben!

Drumb sind wir jetzt betrübt, drumb bricht das Hertz uns schier

Und unsern Augen kömpt fast alles finster für,

Weil Zion wüste liegt, weil Füchs' ihn untergraben

Und an der heylgen Statt die schlauen Hölen haben.

Du aber, du, o Herr, verbleibst in Ewigkeit,

Du bleibest und dein Thron wird stehn zu aller Zeit.

Wie dann vermagst du uns so gäntzlich zu verlassen

Und länger als du pflegst, den harten Sinn zu fassen?

Ists möglich, daß dein Zorn noch weiter brennen kan?

Herr, bring' uns doch nun heim und nim uns wider an;

Verjüng' uns widerumb, beschenck uns mit den Jahren,

Die also glücklich sind, als jene vormals waren;

Dann, Herr, du bist uns feind, hast keine Masse mehr

Zu straffen uns, dein Volck, und zürnest gar zu sehr.


Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 256-257.
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